Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 21.10.2013

vergütung, aeuv, arbeitsgericht, grundsatz der prozessökonomie

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 21.10.2013, 1 Sa 7/13
Entgeltgleichheit - Diskriminierung wegen des Geschlechts
Leitsätze
Einzelfallentscheidung zur Anwendung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit: Eine
geschlechtsbedingte Diskriminierung wurde im konkreten Fall verneint, weil die
Klägerin keine hinreichenden Indizien dafür vorgetragen hat, dass die höhere
Eingruppierung eines vergleichbaren männlichen Arbeitnehmers durch das
Geschlecht motiviert war. Die höhere Eingruppierung beruhte auf einem
Eingruppierungsprozess, den den der männliche Arbeitnehmer gegen den
Arbeitgeber geführt hatte.
Tenor
1. Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
27.02.2013 - 22 Ca 6784/12 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund des
Entgeltgleichheitsgebots einen Anspruch darauf hat, in gleicher Höhe wie der
Arbeitnehmer M.H. vergütet zu werden.
2 Die am … 1956 geborene Klägerin trat bei dem beklagten Land an der U.S. in ein
Arbeitsverhältnis als Werkstattleiterin ein. Die Klägerin besitzt eine Ausbildung als
Handwerksmeisterin. Sie wurde von der U.S. mit Arbeitsvertrag vom 28.03.1994 für
Tätigkeiten der Vergütungsgruppe Vc BAT (Fallgruppe 2) eingestellt. Mit Wirkung
zum 01.04.1998 wurde sie im Wege des Bewährungsaufstiegs in die
Vergütungsgruppe Vb BAT (Fallgruppe 4) eingruppiert. Zum 01.11.2006 erfolgte
die Überleitung in die Entgeltgruppe 9 TV-L, Stufe 4.
3 Der am … 1950 geborene Arbeitnehmer M.H. wurde zum 01.07.1980 bei der U.S.
als Werkstattleiter beim Institut für Zeichnen und Modellieren als Funktionsmeister
eingestellt. Herr H. besitzt eine Ausbildung als Facharbeiter. Gemäß Arbeitsvertrag
vom 04.07.1980 wurde Herr H. für Tätigkeiten der Vergütungsgruppe Vb BAT
(damalige Fallgruppe 29) eingestellt.
4 Am 22.01.1982 stellte der damalige Leiter des Instituts für Zeichnen und
Modellieren, Prof. Dr. K., einen Antrag auf Höhergruppierung von Herrn H.. Dieser
blieb erfolglos. Allerdings wurde Herrn H. mit Schreiben vom 02.07.1985 eine
Bewährungszulage zugebilligt. Mit Schreiben vom 20.10.1991 bat Herr H. erneut
um eine Höhergruppierung, nunmehr in die Vergütungsgruppe IVb BAT. Diesen
Antrag lehnte die U.S. mit Schreiben vom 06.12.1991 ab.
5 Mit Schreiben vom 02.05.2004 stellte Herr H. einen dritten Antrag auf
Neubewertung der ihm übertragenen Tätigkeiten. Mit Schreiben vom 03.06.2004
lehnte die U. diesen Antrag ab. Mit Anwaltsschreiben vom 27.12.2004 machte Herr
H. einen Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe IIa BAT seit
01.07.2004 geltend. Hierauf gab die U. keine abschließende Stellungnahme ab.
6 Mit seiner am 25.05.2005 eingegangenen Klage machte Herr H. eine Vergütung
nach der Vergütungsgruppe IIa BAT seit dem 01.07.2004 geltend. Er trug zur
Begründung seiner Klage vor, schon seit dem Jahr 1991 habe er zu 75 % seiner
regelmäßigen Arbeitszeit selbständige, ingenieurmäßige und künstlerische
Tätigkeiten erbracht. Seit dem Jahr 1982 seien ihm Lehraufträge für verschiedene
Lehrveranstaltungen erteilt worden. Außerdem seien ihm seit dem Jahr 1984
Prüfberechtigungen für das Fach „Freies Gestalten III“ erteilt worden. Zahlreiche
Seminare, die er gehalten habe oder an denen er beteiligt gewesen sei, hätten in
Ausstellungen gemündet. Neben Prof. K. sei er Autor des Werks „Architektur -
Modelle“. Er habe Studenten auch außerhalb der Lehrveranstaltungen betreut und
weitere Lehrtätigkeiten im Ausland ausgeübt. Es stehe ihm daher Vergütung nach
der Vergütungsgruppe IIa, Fallgruppe 8b BAT zu.
7 In der Güteverhandlung vom 20.06.2005 teilte die Vorsitzende den Parteien mit,
dass nach ihrer vorläufigen Einschätzung der Rechtslage viel dafür spreche, dass
Herr H. bereits seit geraumer Zeit Tätigkeiten ausübe, die der Vergütungsgruppe
IVa Fallgruppe 10a BAT zuzuordnen seien. Der Bewährungsaufstieg in die
Vergütungsgruppe III Fallgruppe 2b BAT sei bereits vollzogen. Maßgeblicher
Zeitpunkt sei aufgrund der Geltendmachung vom 27.12.2004 der 01.07.2004. Die
Vorsitzende gab den Parteien Gelegenheit, sich bis zum 04.07.2005 zur
Fortführung des Rechtsstreits zu äußern.
8 Mit Schreiben vom 04.07.2005 teilte die U. dem Arbeitsgericht mit, sie sei bereit,
Herrn H. nach der Vergütungsgruppe IVa/III BAT einzugruppieren. Sie gehe davon
aus, dass Herr H. die Bewährungszeit von 6 Jahren in der Vergütungsgruppe IVa
erfüllt habe. Daher könne Herr H. ab 01.07.2004 rückwirkend in die
Vergütungsgruppe III höhergruppiert werden. Der Kläger teilte mit Schreiben vom
04.07.2005 mit, dass er mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden sei. Hierauf
stellte das Arbeitsgericht gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen des
folgenden Vergleichs fest:
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1. Der Kläger ist nach BAT IVa/III einzugruppieren.
2. Es ist davon auszugehen, dass er bereits die Bewährungszeit von 6 Jahren in
BAT IVa erfüllt hat.
3. Der Kläger hat bereits im Juli 2004 seinen Anspruch auf Höhergruppierung
geltend gemacht. Deshalb wird er bereits ab 01.07.2004 rückwirkend nach BAT III
höhergruppiert.
10 Zum 01.11.2006 wurde Herr H. laut dem Schriftsatz des beklagten Landes vom
27.11.2012 in die Entgeltgruppe 12 übergeleitet. Im Kammertermin vor dem
Arbeitsgericht vom 27.02.2013 übergab die Beklagtenvertreterin allerdings eine
Mitteilung der Personalsachbearbeiterin, wonach sich Herr H. in der Entgeltgruppe
11, Stufe 5+ TV-L befinde.
11 Anfang des Jahres 2009 wurden die ursprünglich den einzelnen Instituten
zugeordneten Werkstätten zu einer zentralen Fakultätswerkstatt
zusammengefasst, nämlich zur Zentralwerkstatt für Architektur an der Fakultät I.
Diese unterteilt sich in die Werkstatt für analogen Modellbau und die Werkstatt für
Digitalmodellbau. Seit 01.01.2009 ist die Klägerin Werkstattleiterin in der Werkstatt
für analogen Modellbau. Herr H. steht seit demselben Zeitpunkt der Werkstatt für
digitalen Modellbau als Werkstattleiter vor.
12 Mit Schreiben vom 21.01.2009 teilte die Klägerin der Personalabteilung der U. mit,
dass sie sich gegenüber ihrem männlichen Kollegen, Herrn H., der die gleiche
Tätigkeit ausübe, aber erheblich besser bezahlt werde, benachteiligt fühle.
Sachliche Unterschiede für die unterschiedliche Eingruppierung seien nicht
ersichtlich. Hierauf forderte das Personaldezernat bei der Zentralwerkstatt aktuelle
Tätigkeitsbeschreibungen der Klägerin und Herrn H. an. Aus diesen
Tätigkeitsbeschreibungen ergab sich, dass die Klägerin und Herr H. im
Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten ausüben. Mit Schreiben vom 27.06.2012
teilte das Personaldezernat der Klägerin mit, dass die unterschiedliche Vergütung
der Klägerin und Herrn H. nicht wegen des Geschlechts erfolge. Ein Vergleich der
vorgelegten Tätigkeitsbeschreibungen ergebe (zwar), dass die Klägerin und Herr
H. im Grunde die gleichen Tätigkeiten ausübten. Die höhere Eingruppierung von
Herrn H. resultiere (aber) aus seinen früheren, auch künstlerischen Aufgaben mit
überwiegend ingenieurmäßigem Zustand in Forschung und Lehre. Bei seinen
Tätigkeiten hätten sich jedoch durch die Umstrukturierung der Werkstätten seit
Anfang 2009 Verschiebungen ergeben, so dass sich die Tätigkeiten der Klägerin
derjenigen von Herrn H. nahezu angeglichen hätten.
13 Herr H. trat am 16.09.2012 in die Freistellungsphase der Altersteilzeit ein. Für ihn
wurde Herr A.K. seit 01.12.2012 zu 100 % weiterbeschäftigt. Herr K. war bereits am
20.05.2011 mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 50 % eingestellt worden, und
zwar als Vertretung für die Klägerin, die als Beauftragte für Chancengleichheit zu
50 % freigestellt ist. Die Einstellung von Herrn K. erfolgte für Tätigkeiten der
Entgeltgruppe 8. Seit dem 01.12.2012 ist Herr K. in die Entgeltgruppe 9
eingruppiert.
14 Mit ihrer am 20.09.2012 eingegangenen Klage begehrt die Klägerin, ihr seit dem
01.01.2009 (ursprünglich angegeben: 01.09.2009) eine Vergütung nach der
Entgeltgruppe 11 (später 12) Stufe 5 TV-L zu gewähren, und zwar solange, wie ein
männlicher Werkstattleiter eine entsprechende Vergütung erhält. Außerdem hat die
Klägerin die Zahlung einer angemessenen Entschädigung begehrt. Sie hat
vorgetragen, sie erhalte aktuell eine um monatlich EUR 1.008,02 geringere
Vergütung als Herr H.. Damit sei offensichtlich der Tatbestand der
Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts erfüllt. Nach § 3 Abs. 1 AGG sei
eine unmittelbare Benachteiligung von Frauen beim Arbeitsentgelt unzulässig.
Dahinter stehe das europarechtliche Gebot des gleichen Entgelts für Männer und
Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit nach Art. 157 AEUV. Diese
Vorschrift sei unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten.
15
Die Klägerin hat beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte seit dem 01.09.2009 verpflichtet war
und weiterhin verpflichtet ist, die Klägerin nach der Entgeltgruppe 12, Stufe 5
des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu vergüten,
so lange, wie der Arbeitnehmer Herr H. entsprechend vergütet wird.
17
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen,
deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die mindestens
jedoch EUR 4.501,88 betragen sollte.
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Hilfsweise:
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3. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin EUR 25.263,42 zzgl.
Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem.
§ 247 BGB aus EUR 1.385,97 seit dem 01.08.2011, aus weiteren EUR 1.385,97
seit dem 01.09.2011, aus weiteren EUR 1.385,97 seit dem 01.10.2011, aus
weiteren EUR 1.385,97 seit dem 01.11.2011, aus weiteren EUR 1.385,97 seit
dem 01.12.2011, aus weiteren EUR 1.385,97 seit dem 01.01.2012, aus
weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.02.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit
dem 01.03.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.04.2012, aus
weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.05.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit
dem 01.06.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.07.2012, aus
weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.08.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit
dem 01.09.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.10.2012, aus
weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.11.2012, aus weiteren EUR 1.412,30 seit
dem 01.12.2012 und aus weiteren EUR 1.412,30 seit dem 01.01.2013 zu
zahlen.
20
4. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin ab dem Monat Januar
2013 die Vergütung nach EG 12 Stufe 5 des Tarifvertrags für den
Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu zahlen, so lange, wie der
Arbeitnehmer Herr H. entsprechend vergütet wird.
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Das beklagte Land hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
23 Es hat vorgetragen, eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts liege nicht
vor. Herrn H. seien im Laufe der Zeit zunehmend selbständige, ingenieurmäßige
und künstlerische Tätigkeiten übertragen worden. Aufgrund dessen sei er durch
Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 13.07.2005 in die Vergütungsgruppe
III höhergruppiert worden. Nach der Bildung der Zentralwerkstatt Anfang des
Jahres 2009 sei von der Rückgruppierung des Herrn H. abgesehen worden. Zum
einen seien Herrn H. auch nach der Gründung der Zentralwerkstatt zusätzliche
höherwertige Sonderaufgaben von der Fakultät übertragen worden. In die
Tätigkeitsbeschreibung seien diese Aufgaben bewusst nicht aufgenommen
worden. Die Tätigkeitsbeschreibung sei eher „stellenbezogen“ als
„personenbezogen“ abgefasst worden, weil die Sonderaufgaben von Herrn H.
nicht als ureigene Aufgabe eines Werkstattleiters anzusehen seien. Zum anderen
wäre eine Rückgruppierung von Herrn H. gegen dessen Willen nur im Wege einer
Änderungskündigung rechtlich möglich gewesen. Im Hinblick auf das
bevorstehende Ausscheiden von Herrn H. sei eine Änderungskündigung
unverhältnismäßig. Im Ergebnis sei die unterschiedliche Eingruppierung der
Klägerin und Herrn H. nicht durch das Geschlecht bedingt. Ein etwaiger Anspruch
sei außerdem gemäß § 15 Abs. 4 AGG und § 37 TV-L verfallen.
24 Die Klägerin hat erwidert, das beklagte Land räume ein, dass ihre Aufgaben und
diejenigen von Herrn H. als gleich anzusehen seien. Damit sei die Klage
offensichtlich begründet. Es bestehe eine nicht widerlegbare Vermutung für einen
Verstoß gegen Art. 157 AEUV. Rechtfertigungsgründe lägen nicht vor. Sie
bestreite, dass Herrn H. höherwertige Sonderaufgaben übertragen seien. Ihre
Ansprüche seien nicht verfallen. Hilfsweise mache sie ihre Ansprüche seit dem
01.07.2011 geltend.
25 Mit Urteil vom 27.02.2013 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin werde tarifrechtlich
zutreffend vergütet. Sie habe keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung wegen
geschlechtsbedingter Ungleichbehandlung. Hierbei könne zugunsten der Klägerin
unterstellt werden, dass ihre Tätigkeiten und diejenigen von Herrn H. tatsächlich
gleichwertig seien. Denn entgegen der Ansicht der Klägerin könne nicht auf die
Kausalität zwischen angeblicher Benachteiligung und dem jeweiligen verpönten
Merkmal verzichtet werden. Art. 157 AEUV verbiete nur die geschlechtsbedingte
unterschiedliche Entlohnung. Die Klägerin habe keinen Umstand angeführt,
weshalb Herr H. gerade wegen seines Geschlechts höher als die Klägerin bezahlt
werde. Jedenfalls habe das beklagte Land die Vermutung einer
geschlechtsbedingten Ungleichbehandlung widerlegt. Denn die
Ungleichbehandlung beruhe auf einem gerichtlichen Vergleich, der zu einem
Zeitpunkt abgeschlossen worden sei, für den die Klägerin nicht einmal einen
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot behaupte. Das beklagte Land sei auch
nicht verpflichtet gewesen, Herrn H. rückzugruppieren. Herr H. habe aufgrund des
arbeitsgerichtlichen Vergleichs einen Anspruch darauf, mit einer Tätigkeit
beschäftigt zu werden, die der Entgeltgruppe 11 entspreche.
26 Gegen das ihr am 14.03.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.04.2013
Berufung eingelegt und diese am 13.05.2013 begründet. Sie trägt vor, das Urteil
des Arbeitsgerichts Stuttgart beruhe auf Rechtsfehlern. Das Arbeitsgericht habe
den Vergleich vom 13.07.2005 als Rechtfertigung für die höhere Vergütung von
Herrn H. herangezogen. Maßgeblich sei jedoch, dass sich der Vergleich auf die
früher ausgeübte Tätigkeit des Herrn H. bezogen habe. Dies rechtfertige es jedoch
nicht, Herrn H. seit der Übernahme der gleichen Tätigkeit ein höheres Entgelt zu
zahlen, als der Klägerin. Wenn das beklagte Land keine Änderungskündigung
gegenüber Herrn H. ausspreche, sei dies im Rahmen der Vertragsfreiheit
zweifellos zulässig. Die Vertragsfreiheit dürfe aber nicht dazu führen, den
Grundsatz der Lohngleichheit zu umgehen. Das Arbeitsgericht habe die
Anspruchsvoraussetzungen nach Art. 157 AEUV verkannt. Hiernach komme es
auf eine Benachteiligungsabsicht nicht an. Da nunmehr feststehe, dass Herr H.
eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 erhalte, passe sie die Anträge zu 2, 4
und 5 an. Die Ansprüche seien nicht verfallen.
27
Die Klägerin beantragt:
28
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 27.02.2013, GeschZ. 22 Ca
6784/12, wird abgeändert.
29
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte seit dem 01. Januar 2009
verpflichtet war und weiterhin verpflichtet ist, der Klägerin das gleiche
Gesamtbrutto pro Arbeitsstunde zu zahlen, das sie dem Arbeitnehmer M.H.
gezahlt hat und weiterhin zahlt.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen,
deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die mindestens
jedoch EUR 4.501,88 betragen sollte.
31
Hilfsantrag Ziff. 4:
32
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin EUR 22.704,26 zzgl.
Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem.
§ 247 BGB aus EUR 1.296,03 seit dem 01.08.2011, aus weiteren EUR 1.296,03
seit dem 01.09.2011, aus weiteren EUR 1.296,03 seit dem 01.10.2011, aus
weiteren EUR 1.296,03 seit dem 01.11.2011, aus weiteren EUR 1.296,03 seit
dem 01.12.2011, aus weiteren EUR 1.296,03 seit dem 01.01.2012, aus
weiteren EUR 1.320,20 seit dem 01.02.2012, aus weiteren EUR 1.320,20 seit
dem 01.03.2012, aus weiteren EUR 1.320,20 seit dem 01.04.2012, aus
weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.05.2012, aus weiteren EUR 1.219,72 seit
dem 01.06.2012, aus weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.07.2012, aus
weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.08.2012, aus weiteren EUR 1.219,72 seit
dem 01.09.2012, aus weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.10.2012, aus
weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.11.2012, aus weiteren EUR 1.219,72 seit
dem 01.12.2012 und aus weiteren EUR 1.219,72 seit dem 01.01.2013 zu
zahlen.
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Hilfsantrag Ziff. 5:
34
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin ab dem Monat Januar 2013
die Vergütung zu zahlen, die es ab diesem Zeitpunkt dem Arbeitnehmer
Herrn H. zahlt, hochgerechnet auf die von der Klägerin geleistete
Vollzeitarbeit mindestens EUR 4.422,88 monatlich.
35
Das beklagte Land beantragt,
36
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
37 Es trägt vor, die höhere Eingruppierung von Herrn H. beruhe darauf, dass er
bereits vor dem 01.01.2009 höherwertige Tätigkeiten ausgeübt habe und im Wege
des gerichtlichen Vergleichs deshalb eine andere Eingruppierung vereinbart
worden sei. Auch bis zuletzt habe Herr H. höher zu qualifizierende
Zusatztätigkeiten ausgeübt. So habe Herr H. an verschiedenen Ausstellungen und
Lehrveranstaltungen mitgewirkt. Die Organisationsänderung zum 01.01.2009 habe
sich auf die Tätigkeit und Eingruppierung des Herrn H. in keiner Weise ausgewirkt.
Zutreffend habe das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass die Klägerin zur
Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung nicht ausreichend
vorgetragen habe. Allein die Tatsache, dass die Klägerin einem anderen
Geschlecht als Herr H. angehöre, sei kein ausreichendes Indiz. Das Arbeitsgericht
habe zutreffend festgestellt, dass keine Rückgruppierungsverpflichtung des
beklagten Landes vorgelegen habe. Im Übrigen seien die Ansprüche der Klägerin
verfallen.
38 Mit Verfügung vom 20.06.2013 hat der Vorsitzende die Prozessakte des
damaligen Rechtsstreits von Herrn H. gegen das Land Baden-Württemberg
(Arbeitsgericht Stuttgart, 23 Ca 5172/05) zu Informationszwecken beigezogen. Auf
Antrag der Klägerin hat er die Prozessakte an deren Prozessbevollmächtigte mit
Schreiben vom 25.07.2013 ausgefolgt.
39 Die Klägerin trägt vor, die beigezogene Akte bestätige, dass auch vor dem
01.01.2009 eine höhere Eingruppierung des Herrn H. nicht gerechtfertigt gewesen
sei. Soweit das beklagte Land erneut vortrage, dass Herr H. auch nach der
Umorganisation zum 01.01.2009 zusätzlich höherwertige Sonderaufgaben
ausgeübt habe, treffe dies nicht zu. Auch sie habe an verschiedenen
Ausstellungen und Lehrveranstaltungen mitgewirkt.
40 Das beklagte Land trägt vor, der Vorsitzende habe die Prozessakte 23 Ca 5172/05
der Klägerin unter Verstoß gegen die Rechte des Herrn H. und des beklagten
Landes übersandt. Hieraus erfolge ein prozessuales Verwertungsverbot. Im
Übrigen habe die Klägerin keine höherwertigen Zusatzaufgaben ausgeübt.
41 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6
ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
42 Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß
§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt
und begründet worden. Nach der mit Schriftsatz vom 25.09.2013 erfolgten
Antragsänderung verfolgt die Klägerin nur noch die Differenzvergütung zwischen
der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 11 seit dem 01.01.2009, hilfsweise seit
dem 01.07.2011 sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
II.
43 Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend
entschieden, dass der Klägerin keine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der
Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts zustehen.
44 1. Die Klage ist zulässig.
45 a) Mit dem Berufungsantrag Ziff. 2 begehrt die Klägerin in der Sache im Wege
einer Feststellungsklage, vergütungsmäßig so gestellt zu werden, wie Herr H. seit
dem 01.01.2009 gestellt ist und bis zu seinem Ausscheiden aus dem
Arbeitsverhältnis gestellt sein wird. Da sich Herr H. seit geraumer Zeit in
Altersteilzeit befindet, zielt die Klage ersichtlich darauf ab, eine Vergütung in
gleicher Höhe wie Herr H. „in Vollzeit“ zu erhalten. Für diese Feststellungsklage
besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Auch
unter dem Gesichtspunkt des grundsätzlichen Vorrangs der Leistungsklage
bestehen gegen den gestellten Feststellungsantrag keine Bedenken. Es dient
dem Grundsatz der Prozessökonomie, wenn im Rahmen des
Feststellungsantrags die zwischen den Parteien streitige Frage der
Entgeltgleichheit geklärt und das Verfahren zugleich von Berechnungsfragen
entlastet wird. Der vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Grundsatz, wonach im
öffentlichen Dienst Eingruppierungsfeststellungsklagen allgemein üblich und
verfahrensrechtlich zulässig sind, kann entsprechend herangezogen werden.
46 b) Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Berufungsantrag Ziff. 3 ist
ebenfalls zulässig. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten
Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen (vgl. nur BAG 15.03.2012 - 8
AZR 37/11 - AP AGG § 15 Nr. 11 Rn 19).
47 c) Der Berufungsantrag Ziff. 4 ist ebenfalls zulässig. Mit diesem Hilfsantrag begehrt
die Klägerin die nach Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen den
Entgeltgruppen 9 und 11, beginnend seit dem 01.07.2011 und endend am
31.12.2012.
48 d) Der Berufungsantrag Ziff. 5 ist bei der gebotenen Auslegung ebenfalls zulässig.
Mit diesem Antrag begehrt die Klägerin, ihr auch künftig eine Vergütung zu zahlen,
die der Vergütung von Herrn H., hochgerechnet auf eine Vollzeittätigkeit,
entspricht. Gegen diesen Klageantrag könnte eingewandt werden, dass - auch
wenn § 259 ZPO grundsätzlich die Verurteilung zu zukünftigen Leistungen
zulässt, die von einer im Urteil anzugebenden Gegenleistung abhängig sind - die
Klägerin die Bedingungen, unter denen die Vergütungszahlung steht, im Antrag
nicht angegeben hat. So entfällt etwa ein Vergütungsanspruch, wenn das
Arbeitsverhältnis beendet wird, die geschuldete Arbeitsleistung ausbleibt oder die
Vergütung nicht fortzuzahlen ist, wie z.B. bei längerer Krankheit, unbezahltem
Urlaub, unentschuldigten Fehlzeiten etc. In diesen Fällen muss der Arbeitnehmer
die Voraussetzung, unter denen im Normalfall der Anspruch jeweils nach Ablauf
des Zeitabschnitts entsteht, im Antrag benennen und ihren Eintritt vor der
Vollstreckung für jeden Einzelfall nachweisen (BAG 09.08.2008 - 4 AZR 104/07 -
AP TVG § 1 Nr. 43). Da jedoch im Streitfall das Klageziel der Klägerin ersichtlich
darin besteht, den Grundsatz der Entgeltgleichheit durchzusetzen, kann ihr Antrag
unschwer dahingehend ausgelegt werden, dass sämtliche Bedingungen, unter
denen das Urteil vollstreckbar sein soll, Teil des Antrags sind und in den Tenor
einer stattgebenden Entscheidung hätten aufgenommen werden können.
49 2. Die Klage ist mit dem Berufungsantrag Ziff. 2 unbegründet. Der Anspruch der
Klägerin folgt nicht aus dem von ihr herangezogenen Art. 157 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
50 a) Nach Art. 157 Abs. 1 AEUV stellt jeder Mitgliedsstaat die Anwendung des
Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder
gleichwertiger Arbeit sicher. Art. 157 Abs. 2 Satz 2 Buchst. b AEUV konkretisiert
diesen Grundsatz bei einer nach Zeit bezahlten Arbeit dahingehend, dass
Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
bedeutet, dass das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich sein muss.
51 b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie des Europäischen
Gerichtshofs kann sich die Klägerin auf Art. 157 AEUV als unmittelbar
anwendbares Recht berufen (BAG 09.10.2012 - 3 AZR 477/10 - NZA-RR 2013,
150; BAG 07.07.1993 - 5 AZR 609/92; BAG 02.12.1992 - 4 AZR 152/92 - AP BAT
§ 23a Nr. 28; BAG 23.09.1992 - 4 AZR 30/92 - AP BGB § 612 Diskriminierung Nr.
1; EUGH 08.04.1976 - C-43/75 - NJW 1976, 2068 ; EUGH 17.05.1990
- C-262/88 - NZA 1990, 775 ). Der Arbeitnehmer kann sich somit vor den
nationalen Gerichten unmittelbar auf Art. 157 AEUV berufen. Die Vorschrift schützt
sowohl vor unmittelbarer als auch vor mittelbarer Diskriminierung (ErfK-Schlachter,
13. Aufl., Art. 157 AEUV Rn 14; Schaub-Link, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl., §
165 Rn 7).
52 c) Der Grundsatz der Entgeltgleichheit wird in der Richtlinie 2006/54/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und
Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen konkretisiert. Art. 2 der Richtlinie
bestimmt die maßgeblichen Begriffe der Richtlinie in gleicher Weise wie § 3 AGG.
So bezeichnet etwa der Ausdruck „unmittelbare Diskriminierung“ im Sinne der
Richtlinie eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine
weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer
vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Das
Diskriminierungsverbot des Art. 157 AEUV konkretisiert Art. 4 der Richtlinie
dahingehend, dass bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit die als gleichwertig
anerkannt wird, eine mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen
beseitigt wird.
53 Aufgrund des dargestellten Zusammenhangs der unionsrechtlichen
Bestimmungen wird in Rechtsprechung und Literatur durchweg der Schluss
gezogen, Art. 157 AEUV bezwecke nicht, den Grundsatz „gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ im Arbeitsverhältnis generell vorzuschreiben. Die Vorschrift verbiete
„nur“ die geschlechtsbedingte unterschiedliche Entlohnung. Beschäftigungs- und
Arbeitsbedingungen verstoßen daher nur dann gegen Art. 157 AEUV, wenn sie an
die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter eine nachteilige Wirkung
knüpfen (Schaub-Link aaO Rn 10; ErfK-Schlachter aaO Rn 14; BAG 09.10.2012
aaO Rn 22).
54 Unter diesen Umständen können die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht
zur unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 und 2
AGG entwickelt hat, ohne weiteres auf den Grundsatz der Entgeltgleichheit
übertragen werden. Eine weniger günstige Behandlung wegen des Geschlechts
setzt daher voraus, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der weniger
günstigen Behandlung und dem Geschlecht besteht. Ein solcher
Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an
das Geschlecht anknüpft und dadurch motiviert ist (Bundestags-Drs. 16/1780 S.
32). Ausreichend ist ferner, dass das Geschlecht Bestandteil eines Motivbündels
war, das die Entscheidung beeinflusst hat. Dagegen setzt eine Benachteiligung
weder ein schuldhaftes Handeln noch eine Benachteiligungsabsicht voraus (BAG
25.04.2013 - 8 AZR 287/08; BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - NZA 2012, 667;
BAG 27.01.2011 - 8 AZR 580/09 - AP AGG § 22 Nr. 3).
55 d) Die Kammer kann sich daher schon im Ausgangspunkt der von der Klägerin
vertretenen Auffassung, es bestehe eine nicht widerlegbare Vermutung für einen
Verstoß gegen Art. 157 AEUV, wenn eine Frau ein geringeres Entgelt erhalte als
ein mit der gleichen oder gleichwertigen Arbeit beschäftigter Mann (Schriftsatz vom
29.01.2013 S. 2), nicht anschließen. Gleiches gilt für die Rechtsauffassung, das
Entgeltgleichheitsgebot verbiete jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung
von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese
Ungleichbehandlung ergebe (Schriftsatz vom 08.05.2013 S. 5 oben). Dieses
Verständnis des Entgeltgleichheitsgebots ergibt sich weder aus dem dargestellten
Normzusammenhang noch aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung.
Insbesondere dem sogenannten Barber-Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 17.05.1990 (dort Rn. 32) lassen sich die von der Klägerin aufgestellten
Rechtssätze nicht entnehmen. Die dortigen Rechtsausführungen des
Europäischen Gerichtshofs müssen in den Kontext der Entscheidung gestellt
werden. Im damaligen Entscheidungsfall beruhte das unterschiedliche
Renteneintrittsalter für Männer und Frauen „auf dem Geschlecht“.
56 Daher ist es im Streitfall erforderlich, dass die Klägerin ausreichend darlegt, dass
sie die weniger günstige Vergütung als Herr H. „wegen ihres Geschlechts“
erhalten hat. Hierbei kommt der Klägerin die Beweiserleichterung des § 22 AGG
zugute. Hinsichtlich der inneren Tatsache, nämlich der Kausalität zwischen
weniger günstiger Behandlung und dem verpönten Merkmal hat der Gesetzgeber
in § 22 eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast
auswirkt. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber u.a. Art. 19 der Richtlinie
2006/54/EG umgesetzt. § 22 AGG bestimmt, dass dann, wenn im Streitfall die eine
Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG
genannten Grundes vermuten lassen, die andere Partei die Beweislast dafür trägt,
dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung
vorgelegen hat. Erforderlich ist, dass die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver
Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die
weniger günstige Behandlung durch ein verpöntes Merkmal motiviert ist
(ausführlich BAG 25.04.2013 aaO Rn 34 ff; Bundestags-Drs. 17/1780 S. 32).
57 3. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, die Klägerin habe keine
ausreichenden Tatsachen vorgetragen, die aus objektiver Sicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass ihre im Vergleich zu Herrn H.
niedrigere Eingruppierung wegen ihres Geschlechts als Frau erfolgt ist.
58 a) Ein Indiz für eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts ergibt sich
entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus dem Schreiben des Dezernats
Personal vom 27.06.2012. In diesem Schreiben hat das Dezernat Personal zwar
ausgeführt, dass die Klägerin und Herr H. im Grunde die gleichen Tätigkeiten
ausübten. In dem Schreiben ist aber zugleich angeführt, dass die höhere
Eingruppierung von Herrn H. aus dessen früheren Aufgaben mit überwiegend
ingenieurmäßigem Zuschnitt in Forschung und Lehre resultierten. Auch wenn es
im Nachhinein betrachtet sinnvoll gewesen wäre, der Klägerin die Hintergründe für
die höhere Eingruppierung im Einzelnen offenzulegen, ergibt sich aus dem
Schreiben des Dezernats Personals doch, dass die höhere Eingruppierung von
Herrn H. nicht wegen seines Geschlechts als Mann erfolgt war.
59 b) Betrachtet man die früheren Aufgaben von Herrn H., also diejenigen, die er bis
zur Zusammenfassung der Werkstätten Anfang 2009 ausgeübt hat, so lassen sich
aus den damaligen Geschehnissen ebenfalls keine Indizien für eine
Ungleichbehandlung der Klägerin wegen des Geschlechts herleiten.
60 aa) Die höhere Eingruppierung von Herrn H. beruhte auf einem nach § 278 Abs. 6
ZPO festgestellten Vergleich zwischen Herrn H. und der Beklagten im Verfahren
23 Ca 5172/05. Wie sich aus der gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ArbGG
beigezogenen Prozessakte ergibt, gingen dem Rechtsstreit zwischen Herrn H.
und der Beklagten verschiedene Höhergruppierungsanträge voraus. Herr H. hatte
diese Höhergruppierungsanträge in den Jahren 1982, 1991 und 2004 gestellt.
Nachdem alle Anträge auf Höhergruppierung von der Vergütungsgruppe Vb BAT
erfolglos geblieben waren, begehrte Herr H. mit seiner am 25.05.2005
eingegangenen Eingruppierungsfeststellungsklage seine Höhergruppierung in die
Vergütungsgruppe IIa BAT. Hierbei nahm er für sich die Fallgruppe 8 b in
Anspruch. Da Herr H. die hierfür an sich erforderliche technische Ausbildung nach
Nr. 2 der Vorbemerkungen zu allen Vergütungsgruppen nicht besaß, wollte er
ersichtlich für sich in Anspruch nehmen, ein „sonstiger Angestellter“ im Sinne der
Fallgruppe zu sein. Zur Rechtfertigung seines Begehrens berief er sich auf die
Wahrnehmung von Lehraufträgen seit dem Jahr 1982, der Übertragung von
Prüfungsberechtigungen seit dem Jahr 1984 sowie auf die Mitwirkung bei
Ausstellungen und Veröffentlichungen.
61 Der beigezogenen Akte lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass
die Höhergruppierung von Herrn H. auf einem „Scheinvergleich“ beruhte. Der
damalige Prozessbevollmächtigte von Herrn H. hatte die
Eingruppierungsfeststellungsklage „de lege artis“ begründet. Die begehrte
Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IIa BAT wurde damit gerechtfertigt, der
Kläger habe im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses selbständige,
ingenieurmäßige und künstlerische Tätigkeiten ausgeübt. Dass der damalige
Prozessbevollmächtigte des Klägers mit „Lehraufträge“ die als „freier“
Lehrbeauftragter ausgeübte Lehre gemeint haben könnte (so die Klägervertreterin
in der Berufungsverhandlung), hält die Kammer für fernliegend.
62 Der Vergleich vom 13.07.2005 beruhte auch nicht auf einem von beiden Parteien
dem Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag, sondern auf einem Hinweis des
Gerichts. Dieses vertrat in der Güteverhandlung die Rechtsauffassung, die
Tätigkeit des Klägers sei nach der Vergütungsgruppe IVa Fallgruppe 10a BAT zu
bewerten. Da sich der Kläger bereits sechs Jahre in dieser Vergütungsgruppe
bewährt habe, sei er jedenfalls ab dem 01.07.2004 im Wege des
Bewährungsaufstiegs in die Vergütungsgruppe III Fallgruppe 2b BAT eingruppiert.
63 bb) Es mag für Eingruppierungsrechtstreitigkeiten ungewöhnlich sein, dass sich
das beklagte Land bereits nach der Güteverhandlung der Rechtsauffassung des
Gerichts anschloss. Anhaltspunkte für einen „Scheinvergleich“ ergeben sich
hieraus aber nicht. Erst recht lässt sich aus den Vorkommnissen nicht schließen,
die Höhergruppierung von Herrn H. sei gerade wegen seines Geschlechts als
Mann erfolgt. Eine solche Annahme ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen
der Klägerin. Wenn die Klägerin darauf verweist, Herr H. habe sich offenbar
besser „verkaufen“ können als sie (Schriftsatz vom 11.10.2013 S. 5), so stellt dies
gerade kein Indiz für eine Diskriminierung dar. Dafür, weshalb sich ein
Arbeitnehmer besser „verkaufen“ kann als ein anderer, gibt es viele Gründe. Ein
unmittelbarer Zusammenhang mit dem Geschlecht lässt sich jedenfalls in dieser
Allgemeinheit nicht herstellen.
64 cc) Aufgrund des abgeschlossenen Vergleichs vom 13.07.2005 wurde Herr H. ab
dem 01.07.2004 nach der Vergütungsgruppe III BAT vergütet. Entgegen der
Rechtsauffassung der Klägerin lag keine unzulässige Rückwirkung darin, den
Beginn der Bewährungszeit auf den 01.07.1998 zu datieren. Verjähren können
nur die sich jeweils monatlich ergebenden Vergütungsansprüche. Die
Bewährungszeit beginnt hingen mit dem Tag, an dem die auszuübende Tätigkeit
die Merkmale derjenigen Vergütungsgruppe erfüllt, aus der heraus ein
Bewährungsaufstieg möglich ist (vgl. nur Uttlinger/Breier, BAT, § 23a Anm. 49).
Danach hatte der Lauf der Bewährungszeit jedenfalls am 01.07.1998 begonnen.
Außerdem hatte Herr H. zum Zeitpunkt des 01.07.2004 mit Schreiben vom
27.12.2004 die konkreten Vergütungsansprüche geltend gemacht. Nach der
Überleitung des Arbeitsverhältnisses in den TV-L am 01.11.2006 wurde Herr H.
zutreffend in die Entgeltgruppe 11 Stufe 5+ übergeleitet.
65 dd) Die aus der Prozessakte H. ./. Land Baden-Württemberg (23 Ca 5172/05)
gewonnenen Erkenntnisse waren entgegen der Auffassung der Beklagten
prozessual auch verwertbar. Hierbei bedarf die Frage, ob die Prozessakte der
Klägerin zugänglich gemacht werden durfte, keiner näheren Erörterung. Ein
Sachverhaltsverwertungsverbot, soweit ein solches im Arbeitsgerichtsprozess
überhaupt anerkannt werden kann (hierzu BAG 13.12.2007 - 2 AZR 537/06 - NZA
2006, 1008), könnte aber nur dann angenommen werden, wenn die sich auf das
Verbot berufende Partei durch die Verwertung des Sachverhalts beschwert
würde. Daran fehlt es im Streitfall, weil die sich aus der Prozessakte 23 Ca
5172/05 ergebenden Tatsachen den Sachvortrag der Beklagten nicht widerlegen,
sondern im Gegenteil erhärten.
66 c) Auch nach dem Zeitpunkt der Zusammenfassung der Werkstätten ergeben sich
keine ausreichenden Indizien für eine Diskriminierung der Klägerin.
67 aa) Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob Herr H. nach dem 01.01.2009 weiterhin
höherwertigere Aufgaben ausgeübt hat als die Klägerin. Nach dem
erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes bestanden hieran Zweifel,
weil das Land vorgetragen hatte, nach den aktuellen Tätigkeitsbeschreibungen
(Anlagen 7 und 8 zum Schriftsatz vom 27.11.2012) übten Herr H. und die Klägerin
im wesentlichen die gleichen Tätigkeiten aus. Allerdings hatte das beklagte Land
auch vorgetragen, die Stellenbeschreibungen seien eher „stellenbezogen“ als
„personenbezogen“ abgefasst worden. Dies sei im Hinblick auf den
bevorstehenden Eintritt von Herrn H. in die Passivphase der Altersteilzeit
geschehen. In der Tat wird der Nachfolger von Herrn H. auch nach der
Entgeltgruppe 9 vergütet.
68 In der Berufungsinstanz hat das beklagte Land präzisiert, Herr H. habe auch nach
dem 01.01.2009 höherwertige Sonderaufgaben wahrgenommen (Schriftsatz vom
26.09.2013). Die Klägerin hat dies bestritten und zugleich vorgetragen, sie habe
ebenfalls an Lehrveranstaltungen mitgewirkt. Nach Auffassung der Kammer ist
dieser Gesichtspunkt aber nicht streitentscheidend. Der entscheidende rechtliche
Gesichtspunkt ist, dass das beklagte Land Herrn H. auch nach den Grundsätzen
der korrigierenden Rückgruppierung nicht ohne seine Zustimmung in die
Entgeltgruppe 9 hätte zurückgruppieren können.
69 bb) Eine korrigierende Rückgruppierung ist nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zulässig, wenn dem Arbeitgeber bei der ursprünglichen
Eingruppierung ein Irrtum unterlaufen ist (BAG 20.04.2011 - 4 AZR 368/09 - NZA-
RR 2011, 609; BAG 23.08.2006 - 4 AZR 417/05 - AP BAT §§ 22, 23
Rückgruppierung Nr. 4; BAG 16.02.2000 - 4 AZR 62/99 - NZA-RR 2001, 2016).
Von dieser Fallgestaltung ist der hier vorliegende Fall zu unterscheiden, dass die
Eingruppierung des Arbeitnehmers früher tarifgerecht war, dem Arbeitnehmer
aber die ihm früher übertragenen Tätigkeiten nicht mehr zugewiesen werden. In
diesem Fall scheidet eine Änderungskündigung schon deswegen aus, weil der
Arbeitnehmer einer Änderungskündigung entgegenhalten kann, der Arbeitgeber
beschäftige ihn nicht vertragsgerecht. Auch wenn man somit davon ausgeht, Herr
H. habe nach dem 01.01.2009 die ihm früher übertragenen Aufgaben jedenfalls
nicht mehr in dem erforderlichen Umfang (Lehraufträge, Prüfungen) durchgeführt,
hätte das beklagte Land deswegen keine Änderungskündigung wirksam
aussprechen können.
70 Aber selbst wenn man mit der Klägerin annimmt, Herr H. und das beklagte Land
hätten mit dem Vergleich vom 13.07.2005 bewusst eine übertarifliche Vergütung
vereinbart, hätte sich das beklagte Land nicht ohne weiteres - erst recht nicht bei
einem nach § 34 Abs. 2 TV-L nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer - von
der übertariflichen Vergütung lösen können. Ein wichtiger Grund zur
außerordentlichen Änderungskündigung setzt voraus, dass die alsbaldige
Änderung der Arbeitsbedingungen unabweisbar notwendig ist und die geänderten
Bedingungen dem gekündigten Arbeitnehmer zumutbar sind. Im Fall eines
tariflichen unkündbaren Arbeitnehmers kommt der Verpflichtung des Arbeitgebers,
die Kündigung durch andere Maßnahmen abzuwenden, eine besondere
Bedeutung zu. Der Arbeitgeber hat zur Vermeidung einer Kündigung alle in
Betracht kommenden Beschäftigungs- und Einsatzmöglichkeiten von sich aus
umfassend zu prüfen und eingehend zu sondieren. Der Arbeitgeber muss alles
Zumutbare unternehmen, um eine Kündigung zu vermeiden (vgl. nur BAG
28.10.2010 - 2 AZR 688/09 - NZA-RR 2011, 155). Im vorliegenden Fall kommt
hinzu, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG
08.10.2009 - 2 AZR 235/08 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 143) das bloße Interesse
des Arbeitgebers, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu vereinheitlichen,
keinen Kündigungsgrund darstellt. Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmern, mit
denen er individualvertraglich günstigere Regelungen vereinbart hat, als dies dem
tariflichen Niveau entspricht, ihre Rechtsstellung nicht unter Berufung auf den
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz entziehen (BAG 12.01.2006 - 2 AZR
126/05 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 82).
71 cc) Hieraus folgt, dass das beklagte Land aus nachvollziehbaren Gründen das
rechtliche Risiko vermieden hat, das mit dem Ausspruch einer
Änderungskündigung verbunden gewesen wäre, um die Vergütung von Herrn H.
auf die Entgeltgruppe 9 abzusenken. Damit fehlt es an einem Indiz dafür, dass die
Aufrechterhaltung der höheren Eingruppierung wegen des Geschlechts erfolgt ist.
Es verhält sich im Streitfall nicht anders als in den verbreiteten Fällen, in denen
der Arbeitgeber einen leistungsgeminderten Arbeitnehmer mit geringwertigeren
Aufgaben betraut, es aber aus sozialen Erwägungen bei der früheren Vergütung
belässt. Auch in diesem Fall fehlt es an einer Ungleichbehandlung wegen des
Geschlechts, wenn ein Arbeitnehmer des anderen Geschlechts trotz der gleichen
Arbeit eine niedrigere Vergütung erhält.
72 4. Liegt somit kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vor, so kann die
Klägerin mit dem Berufungsantrag Ziff. 3 keine angemessene Entschädigung in
Geld nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen. Die Hilfsanträge Ziff. 4 und 5 sind ebenfalls
unbegründet.
III.
73 Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten
Rechtsmittels zu tragen.
74 Die Kosten waren hierbei nicht gemäß § 97 Abs. 2 ZPO teilweise dem beklagten
Land aufzuerlegen. Die Klägerin hat hierzu darauf hingewiesen, sie habe
ausschließlich aufgrund des erstinstanzlichen Vorbringens des Landes, Herr H. sei
in die Entgeltgruppe 12 übergeleitet worden (Schriftsatz vom 27.11.2012 S. 2
unten) in der Berufungsinstanz zunächst die Gleichstellung in der Entgeltgruppe 12
geltend gemacht. Die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des beklagten
Landes hatte aber bereits in der Kammerverhandlung beim Arbeitsgericht vom
27.02.2013 eine Mail übergeben, wonach Herr H. in die Entgeltgruppe 11
eingruppiert ist. Dies hätte für die Klägerin Anlass sein müssen, in der
Berufungsinstanz bis zur Vorlage eines aussagekräftigen Nachweises lediglich
von der Entgeltgruppe 11 auszugehen. Die Entgeltgruppe 11 war auch nach den
einschlägigen Überleitungsvorschriften (Anlage 2 TVÜ-Länder) die zutreffende
Entgeltgruppe.
75 Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.