Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 20.07.2015

pflegezulage, alter, arbeitsgericht, krankheit

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 20.7.2015, 1 Sa 4/15
Pflegezulage in geriatrischen Abteilungen oder Stationen
Leitsätze
Eine geriatrische Abteilung oder Station im Tarifsinne liegt dann vor, wenn in der
betreffenden Abteilung oder Station kranke alte Menschen gepflegt werden. Die
Pflegezulage ist auch nach der Entgeltordnung zum T'V-L nicht den Pflegekräften
derjenigen Einrichtungen vorbehalten, bei denen die betreuten Personen in ärztlicher
Behandlung stehen. Es genügt, dass die Pflegepersonen neben der Altenpflege auch
die Krankenpflege vornehmen (Bestätigung der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zur Vorgängerregelung in der Protokollerklärung Nr. 1c zur
Anlage 1c zum BAT).
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
11.12.2014 - 11 Ca 5291/14 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziff. 2 des
Urteils wie folgt gefasst wird:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere EUR 368,16 brutto als
Pflegezulage für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis 30.06.2015 zzgl. Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2015 zu bezahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Zahlung einer
Pflegezulage hat.
2 Die am ... geborene Klägerin ist ausgebildete Krankenpflegerin. Seit dem
01.04.1996 ist sie bei dem Beklagten als Altenpflegerin und Wohnbereichsleiterin
im Seniorenzentrum ... in ... beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein
Arbeitsvertrag vom 13.12.1995 zu Grunde (Anlage K1). Nach § 2 dieses
Arbeitsvertrags bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-
Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder
ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung.
Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge
Anwendung. Die Klägerin ist in die Entgeltgruppe KR 9 b eingruppiert. Das
Bruttomonatsentgelt der Klägerin belief sich im Juli 2014 auf EUR 3.745,74 brutto.
3 Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Die Gewerkschaft ver.di schloss
am 16.04.2013 einen Tarifvertrag für die Beschäftigten des Arbeiter-Samariter-
Bundes, Landesverband Baden-Württemberg. Hiernach findet auf die
Arbeitsverhältnisse der bei dem Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer mit
verschiedenen Abweichungen der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der
Länder vom 12.06.2006 sowie die diesen Tarifvertrag ergänzenden Tarifverträge
Anwendung.
4 Die Klägerin war bis Juni 2014 als Wohnbereichsleiterin im Seniorenzentrum ...
beschäftigt. Das Seniorenzentrum ... umfasst ein Altenpflegeheim mit 130 Betten
inklusive einer geschlossenen Abteilung mit 18 Betten. Darüber hinaus gibt es fünf
Pflegeappartements. Die Klägerin war die Leiterin des Wohnbereichs ... Hierbei
waren ihr ca. acht Pflegekräfte unterstellt. In diesem Wohnbereich sind derzeit
knapp 20 alte Menschen untergebracht. Im August 2014 waren es 19 alte
Menschen. Hiervon waren vier von der Pflegestufenverordnung nicht
pflegebedürftig. Einem Bewohner war die Pflegestufe 1 zuerkannt, 14 die
Pflegestufe 2 und keinem die Pflegestufe 3. Im November 2014 waren 17 alte
Menschen im Wohnbereich untergebracht. Hiervon hatten fünf Bewohner keine
Pflegestufe, drei Bewohner die Pflegestufe 1, sechs Bewohner die Pflegestufe 2
und drei Bewohner die Pflegestufe 3. Alle Bewohner litten an verschiedenen, auch
altersbedingten Erkrankungen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz
des Beklagten vom 24.11.2014, Seite 2 - 5 verwiesen.
5 Die Klägerin ist Mitglied des elfköpfigen Betriebsrats. Seit 2013 ist sie die
Vorsitzende des Betriebsrats. Seit Juni 2014 ist sie vollständig von der
Arbeitsleistung freigestellt. Ihre Aufgabe als Wohnbereichsleiterin wird derzeit von
der Mitarbeiterin ... wahrgenommen.
6 Der Beklagte zahlte, von einer regionalen Gliederung in ... abgesehen, an die bei
ihm beschäftigten Pflegekräfte bislang nicht die sogenannte Pflege- bzw.
Geriatriezulage. Mit Schreiben vom 29.04.2014 teilte die Klägerin dem Beklagten
mit, dass den Pflegepersonen nach Ziff. 5 der Vorbemerkungen zum Teil IV der
Entgeltordnung eine Zulage von EUR 46,02 monatlich zustehe, wenn sie zeitlich
überwiegend die Grund- und Behandlungspflege bei Kranken in geriatrischen
Abteilungen oder Stationen ausübten. Die Klägerin machte ihren Anspruch auf
Zahlung der Pflegezulage für die letzten sechs Monate geltend.
7 Mit ihrer am 15.08.2014 eingegangenen Klage begehrte die Klägerin die Zahlung
der Pflegezulage für den Zeitraum ab 01.09.2013. Sie hat vorgetragen, sie habe
nach § 37 Abs. 4 BetrVG i.V.m. Ziff. 5 Abs. 1c, Abs. 3 der Vorbemerkungen zu Teil
IV der Entgeltordnung einen Anspruch auf Zahlung der Pflegezulage. Sie sei nach
dem Teil IV Abschnitt 3.5 eingruppiert. Die Einrichtung in der ... sei nicht von § 43
TV-L erfasst. Die maßgebliche Vergleichsperson ... sei als (leitende) Altenpflegerin
zeitlich überwiegend bei der Grund- und Behandlungspflege von Kranken in einer
geriatrischen Abteilung eingesetzt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts finde die Regelung in Ziff. 5 der Vorbemerkungen zur
Entgeltordnung auch für Altenpflegeheime Anwendung. Es komme daher nicht
darauf an, ob der Wohnbereich eine geriatrische Abteilung oder Station sei, wie sie
üblicherweise in Kliniken zu finden sei.
8 Die Bewohner des Wohnbereichs seien über die normale Altenpflege hinaus
krankenpflegebedürftig. Zusätzlich zur Grundpflege sei die Behandlungspflege
durchzuführen. Es seien etwa ärztlich verordnete Medikamente zu verabreichen,
Wundreinigungen durchzuführen, Wundverbände zu wechseln und
Kompressionsverbände anzulegen. Außerdem müsse Stomapflege betrieben,
Blasenkatheder gewechselt und Insulin gespritzt werden. Alle diese
krankheitsbedingt anfallenden Sonderaufgaben gingen über die Versorgung eines
„gesunden“ alten Menschen hinaus. Die Zahlung der Pflegezulage diene dem
Ausgleich dieser besonderen Erschwernisse. Die Behandlungspflege der durch
das Alter verursachten Erkrankungen stellten eine besondere Belastung für die
Pflegekräfte dar. Dass die medizinische Versorgung der pflegebedürftigen
Personen durch externe Ärzte erfolge, stehe dem Anspruch auf die Pflegezulage
nicht entgegen. Die Klägerin beantragt:
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1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 460,20 brutto als
Pflegezulage zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit 01.08.2014 für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis
31.07.2014 zu bezahlen.
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2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die
Pflegezulage in Höhe von EUR 46,02 brutto monatlich nach Teil IV Ziff. 5c
Satz 2-2 Entgeltordnung der Länder (2012) seit 01.08.2014 zu bezahlen.
11 Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht den Antrag Ziff. 2 abweist:
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Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die
Pflegezulage in Höhe von EUR 46,02 brutto monatlich nach Teil IV Ziff. 5c
Satz 2-2 Entgeltordnung der Länder (2012) seit 01.08.2014 zu bezahlen,
solange die Klägerin bei dem Beklagten als Leiterin des Wohnbereichs ...
und ... im Seniorenzentrum ... oder als hiervon freigestellte Betriebsrätin tätig
ist.
13 Der Beklagte hat beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15 Er hat vorgetragen, der Wohnbereich ... und ... sei keine geriatrische Abteilung
oder Station. Eine geriatrische Abteilung oder Station sei eine stationäre
Einrichtung, in der speziell alte Menschen wegen Alterskrankheiten behandelt
würden. Solche geriatrischen Abteilungen oder Stationen gebe es in Kliniken für
innere Medizin, für Neurologie oder Rehabilitationsmedizin. Es handele sich stets
um Einrichtungen zur stationären Heilbehandlung von Alterskrankheiten.
16 Die Altenpflege diene nicht der Heilbehandlung von Alterskrankheiten. In
Altenpflegeheimen würden alte Menschen, die sich nicht mehr in der eigenen
Häuslichkeit versorgen könnten, ihren Bedürfnissen entsprechend versorgt. Die
Alterskrankheiten der Bewohner des Seniorenzentrums würden von den
Hausärzten oder den niedergelassenen Internisten oder Neurologen ambulant
behandelt.
17 Das Bundesarbeitsgericht habe sich in seiner Rechtsprechung von der
Überlegung leiten lassen, dass Altenpflege im eigentlichen Sinn von
Krankenpflege zu unterscheiden sei. Heimbewohner bedürften hiernach auf Grund
ihres Alters und dem damit verbundenen Nachlassen der geistigen und
körperlichen Kräfte der Pflege und Betreuung. Diese Pflege sei als Altenpflege zu
verstehen. Erkrankte alte Menschen bedürften einer entsprechenden Behandlung
und einer zusätzlichen Pflege. Nur wenn außer der sogenannten Altenpflege
zusätzlich eine Krankenpflege vorgenommen werde, handele es sich nach der
Vorstellung des Bundesarbeitsgerichts um die Pflege von Kranken in geriatrischen
Abteilungen oder Stationen.
18 Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruhe auf einer Verkennung
der tatsächlichen Verhältnisse. Das Alter eines Menschen und das damit
verbundene Nachlassen seiner geistigen und körperlichen Kräfte führten nicht zur
Pflegebedürftigkeit. Die Pflegebedürftigkeit von Menschen rühre nur von
Krankheiten her, nicht vom Alter. Wenn die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts richtig sei, seien ausnahmslos alle Wohnbereiche
sämtlicher Altenpflegeheime „geriatrische Abteilungen oder Stationen“. Alle
Pflegekräfte in allen Altenpflegeheimen hätten somit Anspruch auf die
Pflegezulage. Dies hätten die Tarifvertragsparteien offenkundig nicht intendiert.
19 Mit Urteil vom 10.12.2014 hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang
stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin bzw.
die maßgebliche Vergleichsperson übe die Grund- und Behandlungspflege zeitlich
überwiegend bei Kranken aus. Die Pflege werde auch in einer geriatrischen
Abteilung oder Station ausgeübt. Die Erkrankungen der Bewohner des
Wohnbereichs seien dem geriatrischen Formenkreis zuzuordnen. Der Begriff der
geriatrischen Abteilung oder Station sei nicht einschränkend dahin auszulegen,
dass er sich nur auf stationäre Einrichtungen, die der Heilbehandlung von
Alterskrankheiten diene, beziehe. Nach den tarifvertraglichen Regelungen stehe
auch Pflegepersonen, die nicht in Universitätskliniken, Krankenhäusern und
sonstigen Einrichtungen beschäftigt seien, ein Anspruch auf die Pflegezulage zu.
Lediglich die Höhe der Pflegezulage sei unterschiedlich. Die Pflegezulage solle die
besonderen Erschwernisse bei der Pflege von krankenpflegebedürftigen
Menschen ausgleichen. Zwar mögen Alter und Krankheit häufig zusammentreffen.
Die Häufigkeit der Kombination sei indessen kein Indiz dafür, dass die Gewährung
der Zulage dem Willen der Tarifvertragsparteien entspreche.
20 Gegen das am 13.01.2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 11.02.2015
Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Er trägt erneut vor, dass die
seitherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf einer Verkennung der
tatsächlichen Ursachen von Pflegebedürftigkeit beruhe. Ausnahmslos alle
Bewohner von Pflegeheimen seien krank und deswegen pflegebedürftig. Es gebe
in den Pflegeheimen keinen Bewohner, der alt und gesund sei. Auf der Grundlage
der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätten daher ausnahmslos alle in
Pflegeheimen tätigen Pflegekräfte Anspruch auf die Pflegezulage. Dies hätten die
Tarifvertragsparteien nicht intendiert. Die Pflegezulage sei als Erschwerniszulage
ausgestaltet und nicht als allgemeine Zulage für sämtliche Pflegekräfte in allen
Pflegeheimen.
21 Das Bundesarbeitsgericht habe immer wieder betont, dass die Pflegezulage die
besonderen Erschwernisse ausgleichen solle, die bei der Pflege alter und kranker
Menschen entstünden. Hiernach sei der Wohnbereich eines Altenpflegeheims nur
dann als geriatrische Station oder Abteilung einzuordnen, wenn es sich um eine
Station handele, auf der besonders schwer pflegebedürftige Menschen gepflegt
würden. Diese Voraussetzung erfülle der hiesige Wohnbereich nicht.
22 Der Beklagte beantragt,
23
das Urteil des Arbeitsgericht Stuttgart vom 10.12.2014 - 11 Ca 5291/14 -
abzuändern und die Klage abzuweisen.
24 Die Klägerin beantragt,
25
die Berufung zurückzuweisen.
26 Sie trägt vor, die eingelegte Berufung genüge nicht den Anforderungen des § 520
Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Berufungsbegründung des Beklagten beschränke sich im
Wesentlichen auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrages. Insbesondere
erörtere der Beklagte auf den ersten vier Seiten von insgesamt sieben Seiten der
Berufungsbegründung lediglich die aktuelle Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts.
27 Entgegen der Auffassung des Beklagten sei das Pflegeheim ... eine geriatrische
Abteilung oder Station im tariflichen Sinne. Die Vorschriften über die
Geriatriezulage fänden nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
ausdrücklich auch auf Altenpflegeheime Anwendung. Es müsse sich nicht um eine
geriatrische Abteilung oder Station in einem Krankenhaus handeln.
28 Das einzige Argument des Beklagten sei, dass ausnahmslos alle Bewohner
deutscher Seniorenheime krank und pflegebedürftig seien. Diese Behauptung
entspreche nicht der Realität. Altenpfleger pflegten und versorgten gesunde,
kranke und pflegebedürftige alte Menschen. Nicht nur kranke Menschen bedürften
pflegerischer Unterstützung. Es gebe durchaus viele alte Menschen, die an keiner
Krankheit litten, sondern lediglich auf Grund eingeschränkter Mobilität und
schwindender Körperkraft pflegebedürftig seien. Erst wenn Alterskrankheiten
hinzuträten, werde die normale Alterspflegebedürftigkeit zunehmend erschwert.
Auf diesen Fall sei die Geriatriezulage zugeschnitten. Die Zahlung entspreche
auch dem Willen der Tarifvertragsparteien. Die Zulage solle dann gewährt werden,
wenn der überwiegende Teil der Arbeit unter erschwerten Bedingungen absolviert
werde.
29 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6
ArbGG, § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie
auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
30 Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG statthaft. Sie ist auch
gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und
Frist eingelegt und begründet worden.
31 1. Nach der genannten Vorschrift muss die Berufungsbegründung die Umstände
bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil
und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Regelung
soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine
Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet
wird. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten
sein. Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Doch muss
sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten
des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will (zuletzt BAG
19.02.2013 - 9 AZR 543/11 - Juris; BAG 16.05.2012 - 4 AZR 245/10 - NZA - RR
2012, 599). Bei mehreren Streitgegenständen muss für jeden Streitgegenstand
eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist
die Berufung insoweit unzulässig (BAG 15.03.2006 - 4 AZR 73/05 - AP ZPO § 551
Nr. 63; BAG 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 155; jeweils
zur vergleichbaren Vorschrift des § 551 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
32 2. Diesen Anforderungen genügt die Berufung des Beklagten. Zutreffend weist die
Klägerin zwar darauf hin, die Berufungsbegründung des Beklagten enthalte in
weitem Umfang eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Der
Beklagte konnte aber angesichts der Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts nicht
viel anderes tun, als seinen bereits in erster Instanz vorgetragenen
Rechtsstandpunkt zu bekräftigen. Das Arbeitsgericht hatte sich in seinem Urteil
uneingeschränkt der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
angeschlossen, wonach die Pflegezulage eine echte Erschwerniszulage darstellt,
die denjenigen Pflegekräften zusteht, die krankenpflegebedürftige Bewohner von
Altenpflegeheimen betreuen. Wie das Bundesarbeitsgericht hat das Arbeitsgericht
hervorgehoben, dass Alter und Krankheit häufig zusammenträfen (S. 11 der
Urteilsgründe), hingegen die Annahme des Beklagten nicht zwingend sei, dass
allein Krankheit die Pflegebedürftigkeit auslöse.
33 Unter diesen Umständen blieb dem Beklagten nichts anderes übrig, als erneut
hervorzuheben, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
auf einer Verkennung der tatsächlichen Ursachen von Pflegebedürftigkeit beruhe
(S. 5 der Berufungsbegründung). Ergänzend hat der Beklagte an dem Urteil des
Arbeitsgerichts beanstandet, das Arbeitsgericht habe ohne eigene Sachkunde
sein Vorbringen übergangen, dass alte Menschen nur durch Krankheit
pflegebedürftig würden. Darin ist die Rüge zu sehen, das Arbeitsgericht habe
gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis
darüber erheben müssen, dass die Ursache von Pflegebedürftigkeit ausschließlich
auf Erkrankung zurückzuführen sei. Mit diesem Vorbringen hat der Beklagte
ausreichend dargetan, mit welchen Argumenten er das arbeitsgerichtliche Urteil
bekämpfen will.
II.
34 Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend
entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer monatlichen
Pflegezulage von EUR 46,02 brutto für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.07.2014
zusteht (dazu 1.). Darüber hinaus hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung weiterer
EUR 368,16 brutto für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis 30.06.2015 (dazu 2.).
35 1. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der begehrten Pflegezulage ergibt sich
aus § 37 Abs. 4 BetrVG i.V.m. Ziff. 5 Abs. 1 S. 1c, Abs. 3 S. 1 der Vorbemerkungen
zu Teil IV der Entgeltordnung zum TV-L.
36 a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet nach § 3 Abs. 1 TVG der
Tarifvertrag vom 16.04.2013 für die Beschäftigten des Arbeiter-Samariter-Bundes,
Landesverband Baden-Württemberg (im Folgenden: TV ASB) Anwendung.
Hiernach gelten für die Arbeitsverhältnisse der Tarifvertrag des Öffentlichen
Dienstes der Länder vom 12.10.2006 (TV-L) sowie die diesen ergänzenden
Tarifverträge. Nach der damit anwendbaren Entgeltordnung zum TV-L steht
Pflegepersonen unter den Voraussetzungen der Ziff. 5 der Vorbemerkungen zu
Teil IV der Entgeltordnung eine Pflegezulage zu. So erhalten nach Ziff. 5 Abs. 1
Satz 1 Buchstabe c) Pflegepersonen der Entgeltgruppen KR 3a bis 9c, die die
Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen
Abteilungen oder Stationen ausüben, für die Dauer dieser Tätigkeit eine
monatliche Zulage von EUR 90,00 bzw. EUR 46,02. Gleiches gilt für leitende
Pflegepersonen nach Abs. 3 Satz 1, wenn alle ihnen durch ausdrückliche
Anordnung ständig unterstellte Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach
Abs. 1 haben.
37 Wie sich aus der Verweisung auf den Eingruppierungsbestimmungen in den
Abschnitten 1 und 3 ergibt, hängt die Höhe der Pflegezulage davon ab, ob die
Beschäftigungseinrichtung von § 43 TV-L erfasst wird oder nicht. § 43 TV-L enthält
Sonderregelungen für die nicht ärztlichen Beschäftigten in Universitätskliniken,
Krankenhäusern oder sonstigen Einrichtungen und Heimen, in denen die
betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen. Einrichtungen, die nicht unter
§ 43 TV-L fallen, sind somit solche, bei denen die betreuten Personen nicht in
ärztlicher Behandlung stehen. In den erstgenannten Einrichtungen trägt die
Pflegezulage EUR 90,00 brutto, in den zweitgenannten Einrichtungen lediglich
EUR 46,02 brutto.
38 b) Die für die Klägerin maßgebliche Vergleichsperson, Frau ..., erfüllt die
Voraussetzungen für die Zahlung der Pflegezulage in Höhe von EUR 46,02 brutto.
Frau ... ist wie früher die Klägerin Stationsleiterin des Wohnbereichs ... und ... Sie
ist in der Funktion einer Altenpflegerin in einer Einrichtung, die nicht von § 43 TV-L
erfasst ist, nach Teil IV Abschnitt 3 Unterabschnitt 5 der Entgeltordnung zum TV-L
eingruppiert. Der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass Frau ... - wie früher die
Klägerin - zeitlich überwiegend die Grund- und Behandlungspflege bei Kranken
ausübt. Insoweit äußert der Beklagte auch keine Kritik an der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts.
39 Hiernach genügt es, wenn entweder Grund- oder Behandlungspflege an den
aufgeführten Patientengruppen ausgeübt wird (BAG, 28.03.2007 - 10 AZR 707/05
- AP TVG Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt § 1 Nr. 10). Ein zeitliches Überwiegen
der Behandlungspflege ist nicht erforderlich (BAG, 04.06.2003 - 10 AZR 579/02 -
und 19.11.2003 - 10 AZR 127/03 - AP TVG Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt § 1 Nr.
7 und 8). Was den Begriff der Krankheit angeht, so zählen auch altersbedingte
Leiden hierzu. Zum Begriff der Krankheit gehört nicht notwendig, dass eine
Heilung eintreten kann. Es reicht aus, wenn die Symptome gelindert werden, keine
Verschlimmerung eintritt oder wenigstens der Verlauf verlangsamt wird (BAG
04.06.2003 aaO Rn. 26 ff.). Wie sich aus dem Schriftsatz der Beklagten vom
24.11.2014 ergibt, leiden nahezu alle der im Wohnbereich betreuten Personen an
typisch altersbedingten Krankheiten.
40 c) Der Beklagte wendet sich jedoch gegen die vom Arbeitsgericht übernommene
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach eine geriatrische Abteilung
oder Station im Tarifsinne auch dann vorliegt, wenn in der betreffenden Abteilung
oder Station kranke alte Menschen gepflegt werden.
41 aa) Bereits in seinem Urteil vom 13.12.1973 (5 AZR 213/73 AP BGB § 611 Rotes
Kreuz Nr. 9) hat das Bundesarbeitsgericht zu einer mit der hiesigen Tarifregelung
vergleichbaren Bestimmung ausgeführt, die Pflegezulage stehe nicht nur
Pflegepersonen zu, die in Krankenanstalten beschäftigt seien. Bezugsberechtigt
sei auch Pflegepersonal, das in sonstigen Anstalten mit der Krankenpflege in
geriatrischen Abteilungen und Stationen betraut sei. Die Gleichstellung des
Pflegepersonals in Krankenhäusern mit dem Pflegepersonal in Altenheimen sei
auch nach dem Sinn und Zweck der Zulagenregelung geboten. Die Zulage sei
eine sogenannten Erschwerniszulage und werde nur für Krankenpflege unter
erschwerten Voraussetzungen gewährt. Die Pflegetätigkeit auf Pflegestationen
von Altersheimen für Personen, die in Folge von Altersgebrechen auf Dauer nicht
mehr für sich selbst sorgen könnten, sei in aller Regel mit besonderen
Erschwernissen verbunden. Sie unterscheide sich in dieser Hinsicht nicht
wesentlich von der Pflegetätigkeit, die in speziellen geriatrischen Abteilungen
allgemeiner Krankenhäuser erforderlich werde.
42 Mit seinen Urteilen vom 08.03.1995 (10 AZR 697/94 - AP BAT § 33a Nr. 6) und
15.12.1999 (10 AZR 638/98 - AP BAT § 33a Nr. 16) hat das Bundesarbeitsgericht
diese Rechtsprechung fortgesetzt. Es hat zur Vorgängerregelung in der
Protokollerklärung Nr. 1 c zur Anlage 1 b zum BAT ausgeführt, der Begriff
„geriatrische Abteilung oder Station“ setze nach dem medizinischen
Sprachgebrauch voraus, dass dort Personen untergebracht seien, an denen eine
medizinische Behandlung durchgeführt werde. Dies habe zur Folge, dass nicht
jede Betreuung pflegebedürftiger Menschen eine Pflege von „Kranken in
geriatrischen Abteilungen oder Stationen“ darstelle. Eine solche liege nur dann
vor, wenn an den Pflegebedürftigen außer der sogenannten Altenpflege
zusätzlich eine Krankenpflege vorgenommen werde. Erneut hat das
Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass zwischen
den Begriffen der „Pflegebedürftigkeit“ und „Krankenpflegebedürftigkeit“
unterschieden werden müsse. Das Alter und das damit verbundene Nachlassen
der geistigen und körperlichen Kräfte führten zu „Pflegebedürftigkeit“. Komme eine
Erkrankung hinzu, bedürfen die pflegebedürftigen alten Menschen einer
entsprechenden Behandlung und einer zusätzlichen Pflege. Sie seien damit
„krankenpflegebedürftig“.
43 In den später ergangenen Urteilen vom 21.05.2003 (10 AZR 475/02 [ZTR 2003,
557]), 04.06.2003, 19.11.2003 und 28.03.2007 (jeweils aaO) hat das
Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung ebenfalls zu Grunde gelegt. Die
heute geltenden Be-stimmungen der Ziff. 5 Abs. 1 S. 1c der Vorbemerkungen
zum Teil IV der Entgeltordnung unterscheiden sich nicht von den damals
anzuwendenden Bestimmungen der Protokollerklärung Nr. 1c zu Anlage 1b zum
BAT. Nach wie vor ist die Zahlung der Pflegezulage nicht nur den Pflegekräften
derjenigen Einrichtungen vorbehalten, bei denen die betreuten Personen in
ärztlicher Behandlung stehen. Dies ergibt sich - wenn auch versteckt - aus der
Verweisung auf die Eingruppierungsbestimmungen der Abschnitte 1
Unterabschnitte 7 und 8 sowie Abschnitt 3 Unterabschnitt 5. Zutreffend hat das
Arbeitsgericht daher entschieden, dass der Wohnbereich ... und ... eine
geriatrische Abteilung oder Station im Sinne des Tarifrechts darstellt.
44 bb) Die Einwände des Beklagten gegen die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts greifen nach Auffassung der Kammer nicht durch.
45 (1) Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts beruhe auf einer Verkennung der tatsächlichen
Verhältnisse. Nicht das Alter eines Menschen, sondern allein Krankheit führe zu
Pflegebedürftigkeit.
46 Diese Auffassung teilt die Kammer nicht. Pflegebedürftigkeit kann auch allein
durch das Alter und die damit zusammenhängende zunehmende Gebrechlichkeit
ausgelöst werden. Leidet z.B. ein Heimbewohner an Diabetes mellitus, kann sich
aber medikamentös noch selbst versorgen, so mag dieser Heimbewohner auf
Grund seines Alters pflegebedürftig sein. Er ist aber nicht krankenpflegebedürftig,
weil seine Diabetes keine Heilbehandlungsmaßnahmen des Pflegepersonals
erforderlich macht. Ebenso wenig sind Personen, die auf Grund einer
Behinderung pflegebedürftig sind, durchweg zugleich krankenpflegebedürftig.
Zutreffend hat das Bundesarbeitsgericht auf § 14 Abs. 1 SGB XI hingewiesen,
wonach auch eine Behinderung Pflegebedürftigkeit verursachen kann. Ist etwa
Pflegebedürftigkeit durch eine Amputation von Gliedmaßen bedingt, so ist diese
Person nicht zwangsläufig zugleich krankenpflegebedürftig. Sie benötigt Hilfe
allein wegen ihrer Behinderung, nicht wegen einer Erkrankung. Um zu dieser
Annahme gelangen zu können, ist die Sachkunde der Kammer ausreichend. Die
Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht erforderlich.
47 (2) Dem Beklagten ist zuzugeben, dass das Zusammentreffen von Alter und
Krankheit angesichts der fortschreitenden Lebenserwartung und auch angesichts
des Ausbaus der häuslichen Pflege in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat.
Diese Entwicklung ist in der Berufungsverhandlung eingehend erörtert worden.
Die Vertreter des Beklagten haben hierzu mitgeteilt, noch in den 70iger- und
80iger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts seien alte Menschen zu einem
relativ frühen Zeitpunkt in die Altenheime gegangen. Auch aus eigener
Anschauung sind der Kammer derartige Fälle bekannt. Der frühe Wechsel in ein
Altenheim dürfte seinen Grund in der Erwartung gehabt haben, die verschiedenen
Angebote der Altenheime in Anspruch zu nehmen, den Kontakt mit gleichaltrigen
Menschen zu halten und im Bedarfsfall die pflegerischen Angebote nutzen zu
können.
48 Durch die zunehmende Lebenserwartung einerseits und den Ausbau der
häuslichen Pflege andererseits hat sich diese Situation geändert. Allgemein wird
heute das Älterwerden in der häuslichen Umgebung als erstrebenswert
angesehen. Dies führt zwangsläufig dazu, dass alte Menschen erst in einem
hohen Alter und damit häufig auch in einem erkrankten Zustand in die Altenheime
wechseln. Der Wechsel erfolgt erst zu einem Zeitpunkt, zu dem
Pflegebedürftigkeit und meist auch Krankenpflegebedürftigkeit vorliegt. Dies wird
im Streitfall durch die Zusammensetzung des Bewohnerkreises des
Wohnbereichs „...“ belegt (Schriftsatz des Beklagten vom 24.11.2014, S. 2-5).
49 Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass die Pflegezulage immer noch
ihren Zweck erfüllt. Sie ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
keine allgemeine Pflegezulage, sondern eine echte Erschwerniszulage. Die
Zulage soll die Erschwernisse ausgleichen, die mit der Pflege
krankenpflegebedürftiger Heimbewohner verbunden sind. Diese zusätzlichen
Pflegemaßnahmen bestehen - wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom
28.10.2014 geschildert hat - etwa darin, dass Wundreinigungen durchzuführen
sind, Wundverbände gewechselt werden müssen, Blasenkatheder zu versorgen
sind, Stomapflege betrieben werden muss und Insulin zu spritzen ist. Alle diese
Maßnahmen gehen über die „normale“ Altenpflege hinaus.
50 (3) Soweit der Beklagte in der Berufung die Auffassung vertreten hat, die
Pflegezulage müsse auf die Wund- und Behandlungspflege der Bewohner der
Pflegestufe 3 beschränkt werden, findet diese Auffassung im geltenden Tarifrecht
keine Stütze. Die fragliche Regelung über die Pflegezulage haben die
Tarifvertragsparteien bereits vor Jahrzehnten in der Protokollerklärung Nr. 1c der
Anlage 1b zum BAT getroffen. Bei der Vereinbarung der neuen Entgeltordnung
zum TV-L (in Kraft getreten am 01.01.2012) haben die Tarifvertragsparteien
keinen Anlass gesehen, an der bisherigen Regelung etwas zu ändern. Offenbar
haben sie keinen Bedarf hierfür gesehen.
51 Die Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen
liegt in der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien. Sie brauchen
nicht die sachgerechteste oder zweckmäßigste Regelung zu finden (vgl. zuletzt
BAG 03.07.2014 - 6 AZR 753/12 - ZTR 2014, 597 mit zahlreichen Nachweisen).
Die Bewertung der widerstreitenden Interessen ist Aufgabe der Tarifpolitik. Die
Tarifvertragsparteien könnten etwa aus der Auswertung des Beklagten vom
09.06.2015 den Schluss ziehen, dass für den Beklagten eine ganz erhebliche
finanzielle Belastung entstehen wird, wenn künftig nahezu alle Pflegekräfte die
Pflegezulage erhalten werden. Auf der anderen Seite könnten die
Tarifvertragsparteien aber auch den Schluss ziehen, dass die Zahlung der
Pflegezulage nach wie vor gerechtfertigt ist, weil die oben geschilderten
Erschwernisse heute bei nahezu allen Pflegekräften anfallen. Die
Tarifvertragsparteien könnten aber auch vereinbaren, dass die Pflegezulage
entfällt und deren finanzielles Volumen ganz oder teilweise in die allgemeine
Entgelttabelle „eingepreist“ wird.
52 Den Gerichten für Arbeitssachen ist eine Fortbildung des Tarifrechts im Sinne der
Vorstellungen des Beklagten nicht möglich. Eine derartige (ergänzende)
Tarifauslegung wäre nur dann zulässig, wenn eine unbewusste Regelungslücke
vorläge und den Tarifvertragsparteien bei der Lückenschließung kein Spielraum
verbliebe (vgl. zuletzt BAG 15.01.2015 - 6 AZR 646/13 - ZTR 2015, 268 mit
zahlreichen Nachweisen). Da diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen, muss
es den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, eine von ihnen für angemessen
gehaltene Regelung selbst zu finden. Eine Fortbildung des Tarifrechts in der von
dem Beklagten erstrebten Weise wäre ein gravierender Eingriff in die
Tarifautonomie.
53 dd) Für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.07.2014 stehen der Klägerin insgesamt
EUR 460,20 brutto zu. Die Zinspflicht ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §
288 Abs. 1 BGB.
54 2. Die Klage ist auch mit dem Klageantrag Ziff. 2 (Zahlung der Pflegezulage vom
01.08.2014 bis 30.06.2015) begründet.
55 a) Bei der Umstellung des früheren Feststellungsantrags in einen Zahlungsantrag
handelt es sich um eine Beschränkung des Klageantrags in der Hauptsache (§
264 Nr. 2 ZPO), die in der Berufungsinstanz nicht den Einschränkungen des § 533
ZPO unterliegt (BGH 22.04.2010 - IX ZR 160/09 - NJW-RR 2010, 1286). Zudem
hat der Beklagte gegen die Umstellung des Klageantrags keine Einwendungen
erhoben.
56 b) Die Klage ist aus den unter 1. dargestellten Erwägungen auch begründet. Der
Klägerin stehen für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis 30.06.2015 weitere EUR
460,20 brutto zu (der beantragte und ausgeurteilte Betrag von EUR 368,16 brutto
beruht auf einem Rechenfehler). Die Verzinsung beruht ebenfalls auf § 286 Abs. 2
Nr. 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB.
III.
57 Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg
eingelegten Rechtsmittels zu tragen. Für die Zulassung der Revision bestand
keine Veranlassung. Zur Auslegung der fraglichen Tarifregelung besteht eine
gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer
angeschlossen hat.