Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 17.03.2014

wartezeit, unwirksamkeit der kündigung, behinderung, arbeitsgericht

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 17.3.2014, 1 Sa 23/13
Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs 2 AGG wegen unterlassener
Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs 1 SGB 9 vor Ausspruch
einer Kündigung innerhalb der Wartezeit
Leitsätze
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Beschäftigten innerhalb der
Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, um
diskriminierungsrechtliche Ansprüche zu vermeiden. Die Unterlassung des
Präventionsverfahrens hat somit nicht nur kündigungsschutzrechtlich, sondern auch
diskriminierungsrechtlich keine Rechtsfolgen (im Anschluss an BAG 28.06.2007 - 6
AZR 750/06 und BAG 24.01.2008 - 6 AZR 96/07).
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
23.10.2013 - 29 Ca 3414/13 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs.
2 AGG zusteht.
2 Die am ... 1954 geborene Klägerin besitzt einen Abschluss als Diplomökonomin an
der Universität T. Nach der Immigration in die Bundesrepublik Deutschland war sie
von 1985 bis 2004 bei der S. AG in verschiedenen Funktionen tätig. Von 2004 bis
Februar 2011 übte sie verschiedene Funktionen bei der Firma H. Management
GmbH, zuletzt als kaufmännische Regionalleiterin aus.
3 Im Jahr 2009 erlitt die Klägerin einen Burnout. Seit 2009, ggf. auch erst seit 2010
ist die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 %
anerkannt. Ob der Grad der Behinderung auch auf den Burnout im Jahr 2009
zurückzuführen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
4 Das Arbeitsverhältnis mit der Firma H. endete am 28.02.2011 aus
betriebsbedingten Gründen. Im Jahr 2012 bewarb sich die Klägerin beim LA
Baden-Württemberg auf eine Stelle als Leiterin der Organisationseinheit 011
(Qualitätsmanagement/Controlling). Am 03.09.2012 schlossen die Parteien einen
Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 01.10.2012 als Vollzeitbeschäftigte für
Tätigkeiten der Entgeltgruppe 13 im LA eingestellt werde (Anlage BK 1). Nach § 3
des Arbeitsvertrags betrug die Probezeit sechs Monate. Das monatliche
Bruttoentgelt der Klägerin betrug EUR 3.725,66.
5 Für die Einarbeitungsphase erstellte das LA einen Einarbeitungsplan (Anlage 2
zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). In welchem Umfang der
Einarbeitungsplan durchgeführt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Die
Klägerin erhielt außerdem die Gelegenheit, an zwei EFQM-Modulen der
Deutschen Gesellschaft für Qualität teilzunehmen. Sie schloss diese Ausbildung
am 26.01.2013 erfolgreich ab.
6 Am 18. Januar 2013 teilte der Präsident des LAs, Herr S., der
Hauptschwerbehindertenvertretung der P. beim Innenministerium Baden-
Württemberg im Rahmen eines Gesprächs mit, dass die Klägerin seine
Erwartungen bislang nicht erfüllt habe. Am 11.02.2013 führte Herr S. mit der
Klägerin ein Personalgespräch. Im Rahmen dieses Gesprächs teilte Herr S. der
Klägerin mit, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Probezeit zu
beendigen. Unter dem Datum des 14.02.2013 erstellte Herr S. hierzu einen
Eignungsbericht. Hierin hielt Herr S. fest, die Klägerin habe die fachlichen
Anforderungen und Erwartungen nicht erfüllen können. Insbesondere habe sie die
Aufträge zur Erstellung einer Dienstanweisung zum Mitarbeiterfeedback und zum
Wissens- und Erfahrungstransfer nicht erledigt. Es sei nicht zu erwarten, dass die
erkennbaren Defizite behoben werden könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf
den Eignungsbericht (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom
11.07.2013) verwiesen.
7 Unter dem Datum des 13.02.2013 übersandte der
Hauptschwerbehindertenvertreter, Herr Dr. K., dem Innenministerium eine
Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin (Anlage 3 zum
Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013). Mit Schreiben vom 20.02.2013
(Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013) hörte das
Innenministerium den Hauptpersonalrat der P. zu der beabsichtigten
Probezeitkündigung an. Im Briefkopf des Schreibens ist auch die
Hauptschwerbehindertenvertretung der P. aufgeführt. Das Schreiben ging am
21.02.2013 an den Hauptpersonalrat und den Hauptschwerbehindertenvertreter
per Mail ab. Der Hauptschwerbehindertenvertreter gab auf das Schreiben vom
20.02.2013 hin keine weitere Stellungnahme ab. Ob er hierauf nach einem
Gespräch mit Herrn O. ausdrücklich verzichtete, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats teilte dem Innenministerium mit Mail vom
25.02.2013 (Anlage BK 5) noch vor der Sitzung des Hauptpersonalrats mit, dass
der Hauptpersonalrat der Kündigung widersprechen werde. Die letztliche
Einschätzung des Hauptpersonalrats folge nach der Sitzung. Mit Mail vom
26.03.2013 (Anlage BK 6 - nicht vorgelegt) teilte der Vorsitzende mit, der
Hauptpersonalrat habe die Ablehnung der Kündigung bestätigt.
8 Mit Schreiben vom 08.03.2013 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis
zum Ablauf des 31.03.2013 (Anlage K 1). Mit Schreiben vom 18.04.2013 (Anlage K
2) machte die spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen
Entschädigungsanspruch in Höhe von drei Monatsgehältern geltend. Zur
Begründung führte sie aus, das beklagte Land habe es unterlassen, das
Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX vor dem Ausspruch der Kündigung
durchzuführen. Mit Schreiben vom 25.04.2013 (Anlage K 3) lehnte das beklagte
Land die Zahlung einer Entschädigung ab.
9 Mit ihrer am 13.05.2013 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Zahlung einer
Entschädigung in Höhe von EUR 11.176,98 geltend macht. Sie hat vorgetragen,
das beklagte Land habe vor Ausspruch der Kündigung kein Präventionsverfahren
nach § 84 Abs. 1 SGB IX eingeleitet. Damit sei ihr die Möglichkeit genommen
worden, etwaige möglicherweise behinderungsbedingte Fehlleistungen zu
beheben. Das beklagte Land habe es auch unterlassen, die
Schwerbehindertenvertretung einzuschalten und das Integrationsamt hinzuziehen.
10 Im Gütetermin vom 26.06.2013 erschien für das beklagte Land aufgrund eines
verspätet vorgelegten Antrags auf Terminverlegung niemand. Daraufhin verurteilte
das Arbeitsgericht das beklagte Land, an die Klägerin EUR 11.176,98 nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
03.05.2013 zu bezahlen. Gegen das am 11.07.2013 zugestellte Versäumnisurteil
legte das beklagte Land bereits am 04.07.2013 Einspruch ein.
11 Es hat vorgetragen, ein Anspruch auf Entschädigung bestehe nicht, weil die
Klägerin nicht durch die Unterlassung des Präventionsverfahrens nach den §§ 1, 7
Abs. 1 AGG benachteiligt worden sei. Eine Rechtspflicht zur Durchführung des
Präventionsverfahrens habe nicht bestanden. Innerhalb der ersten sechs Monate
des Arbeitsverhältnisses bedürfe eine Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung.
Da § 84 Abs. 1 SGB IX eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
darstelle, scheide vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit eine Pflicht zur
Durchführung des Präventionsverfahrens aus.
12 Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Sonderkündigungsschutz für
Schwerbehinderte nicht für Kündigungen gelte, die in den ersten sechs Monaten
des Arbeitsverhältnisses erfolgten. Durch ein auch bei einer Probezeitkündigung
vorzuschaltendes Präventionsverfahren würden schwerbehinderte Arbeitnehmer
besser gestellt als nicht behinderte Arbeitnehmer. Auch bei schwerbehinderten
Arbeitnehmern müsse der Arbeitgeber Gelegenheit haben, den Arbeitnehmer frei
von Kündigungsbeschränkungen zu erproben.
13 Selbst wenn man eine grundsätzliche Pflicht zur Durchführung des
Präventionsverfahrens innerhalb der Wartezeit annähme, sei sie im vorliegenden
Fall hierzu nicht verpflichtet gewesen, weil die Kündigung nicht im Zusammenhang
mit der Schwerbehinderung der Klägerin erfolgt sei. Ausweislich des
Eignungsberichts von Herrn S. sei die Kündigung nicht aufgrund
behinderungsbedingter Fehlleistungen der Klägerin erfolgt. Ein Verstoß gegen §
84 Abs. 1 SGB IX liege somit nicht vor.
14
Das beklagte Land hat beantragt,
15
das Versäumnisurteil vom 26.06.2013 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
16
Die Klägerin hat beantragt,
17
das Versäumnisurteil vom 26.06.2013 aufrechtzuerhalten.
18 Sie hat vorgetragen, das beklagte Land verkenne, dass § 84 Abs. 1 SGB IX eine
„angemessene Vorkehrung“ im Sinne des Art. 2 der Behindertenrechtskonvention
der Vereinten Nationen sei. Wenn eine solche Vorkehrung nicht getroffen werde,
sei dies als Diskriminierung zu werten. Es sei dem beklagten Land vor der
Einstellung bekannt gewesen, dass sie über keine Erfahrungen in der öffentlichen
Verwaltung verfüge. Man habe ihr damals zugesagt, sie auf allen Gebieten zu
unterstützen. Leider habe sie erfahren müssen, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt
wurden. Es sei ihr keineswegs eine Hospitation bei allen Abteilungen zugebilligt
worden. Die Hospitation habe sich auf die Abteilung I des LAs beschränkt. Sie
habe daraufhin eigenständig Kontakt mit den anderen Abteilungen aufgenommen.
19 Vor Ausspruch der Kündigung sei es unterlassen worden, mit ihr ein
Mitarbeitergespräch zu führen. Das Gespräch mit Herrn S. am 11.02.2013 sei für
sie völlig überraschend gewesen. Ganz offensichtlich habe das beklagte Land die
Wartezeit nutzen wollen, um das Arbeitsverhältnis ohne größere Schwierigkeiten
zu beenden.
20 Bei der Höhe der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass sie bislang einen
höchst stringenten beruflichen Werdegang gehabt habe. Die sehr kurze
Beschäftigungsdauer beim LA stelle einen Makel in ihrem beruflichen Lebenslauf
dar. Zu berücksichtigen sei auch, dass sie eine andere lukrative Stelle
ausgeschlagen habe.
21 Mit Urteil vom 23.10.2013 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Kammer habe bereits Zweifel,
ob sich die Klägerin nicht zunächst gegen die Kündigung vom 08.03.2013 habe
zur Wehr setzen müssen. Zwar unterliege das Arbeitsverhältnis nicht dem
Kündigungsschutzgesetz. Wenn sich die Klägerin aber darauf berufe, dass die
Kündigung mit einer Diskriminierung einhergehe, sei die Kündigung sittenwidrig.
Jedenfalls die formalen Mängel der Kündigung habe die Klägerin innerhalb der
Frist des § 4 KSchG rügen müssen.
22 Es könne aber auch keine Diskriminierung der Klägerin durch formale Fehler oder
durch das Fehlen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (Anm.: gemeint
ist das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX) festgestellt werden. Die
Klägerin habe noch keinen Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderte
genossen. Das Bundesarbeitsgericht habe in ständiger Rechtsprechung
klargestellt, dass das Präventionsverfahren lediglich im Rahmen des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Beachtung finde. Wenn der Gesetzgeber einen
Kündigungsschutz erst nach Ablauf von sechs Monaten normiere, so habe dies
den Grund, dass beide Arbeitsvertragsparteien sechs Monate lang die Möglichkeit
haben sollten, sich ohne besondere Beschränkungen zu testen. Verlange man
nun als Voraussetzung für eine Kündigung die Durchführung eines
Präventionsverfahrens, so führe dies zu einer Bevorzugung der
schwerbehinderten Mitarbeiter.
23 Der angeführte Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe auch mit
der Behinderung in keinerlei Zusammenhang. Dies gelte auch dann, wenn das
beklagte Land die Anforderungen an die Klägerin möglicherweise zu hoch
angesetzt habe und sich die Klägerin möglicherweise mehr Unterstützung
versprochen habe. Allein das Unterlassen von Unterstützung sei nicht zwingend
Ausdruck einer Benachteiligung.
24 Gegen das ihr am 31.10.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.12.2013
(Montag) Berufung eingelegt und diese am 27.12.2013 begründet. Sie trägt vor, die
Auffassung des Arbeitsgerichts, sie habe die Kündigung vom 08.03.2013 mit dem
Argument der Sittenwidrigkeit angreifen müssen, treffe nicht zu. Es gebe keine
gesetzliche Vorschrift, die als Voraussetzung für eine Entschädigungsklage die
Erhebung einer Kündigungsschutzklage verlange. Das Arbeitsgericht habe die
Zielrichtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verkannt. Dieses wolle
bereits die Entstehung von Ungleichbehandlungen verhindern.
25 Das Arbeitsgericht habe ferner verkannt, dass sie keine Bevorzugung ihrer Person
als Schwerbehinderte begehre. Tatsache sei, dass für Schwerbehinderte zur
Vermeidung von Nachteilen besondere Schutzmaßnahmen getroffen worden
seien. Das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX sei zu beschreiten,
sobald personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Schwierigkeiten im
Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen aufträten. Auch wenn
das Präventionsverfahren kündigungsschutzrechtlich erst nach Erfüllung der
Wartezeit relevant werde, gehe es vorliegend um die Durchführung des
Präventionsverfahrens zur Vermeidung einer Benachteiligung. Die Unterlassung
des Präventionsverfahrens stelle einen Verstoß gegen Art. 2 der
Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen dar.
26 Das beklagte Land habe schließlich die ordnungsgemäße Beteiligung der
Schwerbehindertenvertretung und des Hauptpersonalrats nicht hinreichend
dargelegt. Lediglich die Vorlage von E-Mails genüge nicht.
27
Die Klägerin beantragt,
28
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.10.2013 - 29 Ca 3414/13 -
abzuändern und das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom
26.06.2013 aufrechtzuerhalten.
29
Das beklagte Land beantragt,
30
die Berufung zurückzuweisen.
31 Es trägt vor, die Klägerin scheine das Präventionsverfahren immer wieder mit
einem Kündigungsschutzverfahren zu verwechseln. Es gebe keine rechtliche
Veranlassung, die Beteiligung der Hauptschwerbehindertenvertretung und des
Hauptpersonalrats im Detail darzustellen. Es sei Sache der Klägerin, konkrete
Anhaltspunkte für eine Diskriminierung zu benennen. Unabhängig davon sei die
Hauptschwerbehindertenvertretung und der Hauptpersonalrat ordnungsgemäß vor
der Kündigung beteiligt worden.
32 Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei gekündigt worden, weil die Klägerin die
fachlichen Anforderungen und damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllen
konnte. Die im Zeitpunkt des Arbeitsantritts bestehenden Aufträge seien nur mit
deutlicher Unterstützung der Stabsstelle des LAs und mit zeitlicher Verzögerung
bearbeitet worden. Es sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass die erkennbaren
Defizite in absehbarer Zeit behoben werden würden. Indizien für eine
Diskriminierung der Klägerin als schwerbehinderter Mensch seien damit ersichtlich.
33 Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6
ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
34 Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist
auch gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und
Frist eingelegt und begründet worden.
II.
35 Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend
entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15
Abs. 2 AGG hat. Die zulässige Klage ist unbegründet.
36 1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines
Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in
Geld verlangen. Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist ein Verstoß
gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Dies wird zwar in § 15
Abs. 2 AGG nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber aus dem
Gesamtzusammenhang der Bestimmungen in § 15 AGG (BAG 25.04.2013 - 8
AZR 287/08 - NZA 2014, 224).
37 a) Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist
Beschäftigte im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG. Das beklagte Land ist als Arbeitgeber
nach § 6 Abs. 2 AGG passiv legitimiert.
38 b) Die Klägerin hat ihren Entschädigungsanspruch rechtzeitig innerhalb der Fristen
des § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Nach § 15 Abs. 4
Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von
zwei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt zu dem
Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis
erlangt. Im Streitfall hat die Frist frühestens mit dem Zugang der Kündigung vom
08.03.2013 begonnen. Denn frühestens zu diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin
erkennen, dass das beklagte Land die Kündigung ohne die vorherige
Durchführung des Präventionsverfahrens und eine - nach Auffassung der Klägerin
- ungenügende Beteiligung des Hauptpersonalrats sowie der
Hauptschwerbehindertenvertretung ausgesprochen hatte. Zum Zeitpunkt des
Personalgesprächs zwischen der Klägerin und dem Präsidenten des LAs, Herrn
S., am 11.02.2013, hatte die Klägerin noch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein -
aus ihrer Sicht - Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG
vorliege. Demzufolge hat die Klägerin die zweimonatige Frist zur schriftlichen
Geltendmachung mit ihrem Schreiben vom 18.04.2013 gewahrt. Die weitere
dreimonatige Frist zur Klageerhebung nach § 61b Abs. 1 ArbGG hat die Klägerin
durch ihre am 13.05.2013 eingegangene Klage ebenfalls eingehalten.
39 c) Die Klägerin war nicht gehalten, vorrangig eine Bestandsschutzklage zu
erheben, um die Unterlassung des Präventionsverfahrens und die - aus ihrer Sicht
- unzureichende Beteiligung des Hauptpersonalrats und der
Hauptschwerbehindertenvertretung zu rügen. Das Arbeitsgericht hat insoweit
Zweifel geäußert, ob sich die Klägerin nicht zunächst gegen die Kündigung des
beklagten Landes vom 08.03.2013 hätte zur Wehr setzen müssen. Jedenfalls
könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, der Hauptpersonalrat und die
Hauptschwerbehindertenvertretung seien nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Diese Zweifel teilt die Kammer nicht.
40 aa) Das Verhältnis von Kündigungsschutz und Diskriminierungsschutz regelt § 2
Abs. 4 AGG dahingehend, dass für Kündigungen ausschließlich die
Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten.
Welche Bedeutung dieser Vorschrift zukommt, war bislang bei Kündigungen, die
nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, umstritten. Mit Urteil vom
19.12.2013 (6 AZR 190/12 - Rn 22 ff.) hat sich das Bundesarbeitsgericht der
Auffassung angeschlossen, dass § 2 Abs. 4 AGG Kündigungen während der
Wartezeit von vorneherein nicht erfasst. Zur Vermeidung von Wiederholungen
schließt sich die Kammer der ausführlich begründeten Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts an.
41 bb) Hieraus folgt, dass die Klägerin weder mit ihren diskriminierungsrechtlichen
Einwendungen, das beklagte Land habe das Präventionsverfahren nach § 84
Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt und den Hauptpersonalrat sowie die
Hauptschwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt, in einem
eventuellen Bestandsschutzprozess ausgeschlossen gewesen wäre noch erst
recht im vorliegenden Entschädigungsprozess mit diesen Einwendungen
ausgeschlossen ist, weil sie sich nicht gegen die Kündigung des beklagten
Landes vom 08.03.2013 gerichtlich gewandt hat. Das Kündigungsschutzgesetz
und das allgemeine Entschädigungsgesetz verfolgen unterschiedliche Zwecke.
Mit der Kündigungsschutzklage erstrebt der Arbeitnehmer Bestandschutz, also
die Erhaltung des gekündigten Arbeitsverhältnisses. Mit der Entschädigungsklage
verlangt der Arbeitnehmer einen Ausgleich des immateriellen Schadens, den er
durch den behaupteten Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs.
1 AGG erlitten hat. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG knüpft
nicht an eine diskriminierungsbedingte Unwirksamkeit der Kündigung, sondern
ausschließlich daran an, dass der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers
auf ein benachteiligungsfreies Verfahren nicht gewahrt hat. So hat das
Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Arbeitgebers,
schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82
Satz 2 SGB IX), entschieden, der Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG sei, das
Recht des schwerbehinderten Menschen auf ein benachteiligungsfreies
Bewerbungsverfahren zu schützen (BAG 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 - NZA 2011,
153; BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - NZA 2012, 667; BVerwG 03.03.2011 - 5 C
16/10 - NJW 2011, 2452). Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG sanktioniert somit
das durch eine Diskriminierung erlittene „Verfahrensunrecht“.
42 Für die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung, der Bestandsschutzprozess
entfalte eine Sperrwirkung für Einwendungen im Entschädigungsprozess, gibt es
keine rechtliche Grundlage. In der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG kommt der -
unvollkommen geäußerte - Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Vorrang
der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes im
Kündigungsschutzprozess klarzustellen (BAG 19.12.2013 aaO Rn 30). Nicht
abgeleitet werden kann aus der Vorschrift im Umkehrschluss, dass der
Arbeitnehmer mit Einwendungen, die er im Bestandsschutzprozess hätte erheben
können, im Entschädigungsprozess ausgeschlossen ist. Ein derartiges
Verständnis der Norm ergibt sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch lässt
es sich aus dem Zweck der Vorschrift herleiten. Wenn § 2 Abs. 4 AGG bei
Kündigungen, die mangels Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch
nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen, keine „Sperrwirkung“ entfaltet,
dann „sperrt“ die Norm den Arbeitnehmer erst recht nicht mit Einwendungen im
Entschädigungsprozess.
43 2. Die Klägerin ist nicht wegen ihrer Behinderung bei Ausspruch der Kündigung
vom 08.03.2013 benachteiligt worden. Die Klägerin hat keine Anhaltspunkte dafür
aufgezeigt, dass das beklagte Land gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7
Abs. 1 AGG verstoßen hat.
44 a) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn
eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige
Behandlung erfahren hat, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation
erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Anders als im Bewerbungsverfahren, bei
dem die weniger günstige Behandlung des schwerbehinderten Bewerbers im
Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren, also in der Versagung einer Chance
liegt (zuletzt BAG 22.08.2013 - 8 AZR 563/12 - NZA 2014, 82 Rn. 36), lässt sich im
vorliegenden Fall die weniger günstige Behandlung nicht an einer konkreten
anderen Person festmachen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG stellt jedoch nicht
ausschließlich auf eine konkrete andere Vergleichsperson ab, sondern lässt eine
hypothetische Vergleichsperson genügen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG entspricht damit
der Legaldefinition der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 Abs. 2a der
Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000. Folgerichtig verlangt der
Europäische Gerichtshof nicht, dass die beschwerte Person, die behauptet, Opfer
einer Diskriminierung geworden zu sein, identifizierbar ist (EuGH 10.07.2008 - C-
54/07 - AP Richtlinie 2000/43/EG Nr. 1 ; EuGH 25.04.2013 - C-81/12 -
; ebenso Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz,
2. Aufl. Rn 231; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG 3. Aufl., § 3 Rn 11). Allerdings ist
auch nach dieser Rechtsprechung erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür
vorliegen, wie eine solche Vergleichsperson tatsächlich behandelt werden würde
(Erfurter Kommentar-Schlachter, 14. Aufl., § 3 Rn 5).
45 b) Bei dieser Betrachtungsweise kann eine weniger günstige Behandlung der
Klägerin nicht bereits mit dem Argument verneint werden, das beklagte Land hätte
auch bei einem nichtbehinderten Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis innerhalb der
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG bei den festgestellten Eignungsmängeln durch
Ausspruch einer Kündigung beendet. Ausweislich des Eignungsberichts des
Präsidenten vom 14.02.2013 (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes
vom 11.07.2013) ergaben sich im Laufe der Probezeit verschiedene fachliche
Defizite bei der Klägerin. Diese bestanden in der unreflektierten Übernahme von
Ergebnissen und Erklärungen aus den Organisationseinheiten, der
Nichteinhaltung von Terminen, der mangelnden Eigeninitiative, der wenig
ausgeprägten analytischen Fähigkeiten und der unzureichenden Fähigkeiten zur
parallelen Bearbeitung verschiedener Vorgänge unter Zeitdruck. Zumindest ein
Teil dieser Defizite kann mit der Behinderung der Klägerin in Zusammenhang
gebracht werden. Diese resultierte jedenfalls auch daraus, dass die Klägerin im
Jahr 2009 einen Burnout erlitten hatte. Unter einem Burnout ist ein Zustand der
emotionalen Erschöpfung mit verringerter Leistungsfähigkeit zu verstehen. Nach
den - bestrittenen - Angaben der Klägerin war der erlittene Burnout zumindest
auch ein Grund, weshalb im weiteren Verlauf ein Grad der Behinderung von 50 %
anerkannt wurde. Diese Behinderung konnte die Ursache dafür bilden, dass die
Klägerin weniger belastbar war als ein nicht behinderter Mensch.
46 Zum Ausgleich von Nachteilen der schwerbehinderten Menschen im
Erwerbsleben hat der Gesetzgeber verschiedentlich „Chancenvorteile“ für diesen
Personenkreis geschaffen. So muss ein schwerbehinderter Bewerber bei einem
öffentlichen Arbeitgeber nach § 82 Satz 2 SGB IX die Chance eines
Vorstellungsgesprächs bekommen, auch wenn seine fachliche Eignung
zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der schwerbehinderte
Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner
Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin
eine weniger günstige Behandlung als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher
Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der
Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ist eine Benachteiligung, die
in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht (BAG
07.04.2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 35; BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - NZA 2012,
667 Rn 48; BAG 22.08.2013 - 8 AZR 563/12 - NZA 2014, 82 Rn 59).
47 Bei dieser Betrachtungsweise kann auch in der Durchführung des
Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX ein „Chancenvorteil“ gesehen
werden, der dazu dient, gleiche Chancen des schwerbehinderten Arbeitnehmers
gegenüber anderen nichtbehinderten Arbeitnehmern während der Dauer der
Probezeit sicherzustellen. Auf diesen Gesichtspunkt hat die Klägerin in ihrem
Schriftsatz vom 13.08.2013 Seite 4 f. hingewiesen. Sie hat vorgetragen, ihrer
größeren Unterstützungsbedürftigkeit sei nicht durch die Durchführung des
Präventionsverfahrens und die Beteiligung der Personalvertretungen Rechnung
getragen worden. Damit hat die Klägerin eine unmittelbare Benachteiligung im
Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG zumindest schlüssig dargelegt. Der erforderliche
Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem
Merkmal der Behinderung liegt bereits dann vor, wenn die Behinderung der
Klägerin Bestandteil eines Motivbündels für die Kündigung gewesen wäre
(ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 25.04.2013 aaO Rn 34). Die Einwendung
des beklagten Landes, die Kündigung sei nicht im Zusammenhang mit der
Schwerbehinderung der Klägerin erfolgt, greift nicht durch, weil das
Präventionsverfahren als „Chancenvorteil“ für schwerbehinderte Menschen
gerade dazu dienen soll, die Ursache für die aufgetretenen Schwierigkeiten in
Erfahrung zu bringen.
48 3. Das beklagte Land traf jedoch keine Rechtspflicht, innerhalb der Wartezeit ein
Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies gilt nicht nur -
wie vom Bundesarbeitsgericht bereits entschieden - für den
Kündigungsschutzprozess, sondern auch für den vorliegenden
Entschädigungsprozess.
49 a) Mit Urteil vom 07.12.2006 (2 AZR 182/06 - AP KSchG 1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden,
die Durchführung des Präventionsverfahrens sei keine formelle
Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung gegenüber
einem schwerbehinderten Menschen. Die Vorschrift stelle jedoch eine
Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Eine Kündigung könne damit wegen
Verstoßes gegen dieses Prinzip sozial ungerechtfertigt sein, wenn bei gehöriger
Durchführung des Präventionsverfahrens Möglichkeiten bestanden hätten, die
Kündigung zu vermeiden.
50 Zur weiteren Frage, ob die Durchführung des Präventionsverfahrens
Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit
entfaltet, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG 28.06.2007 - 6 AZR 750/06 - AP
BGB § 307 Nr. 27; BAG 24.01.2008 - 6 AZR 97/07 - NZA-RR 2008, 405) in
konsequenter Fortführung seiner Rechtsprechung entschieden, dass die
unterbliebene Durchführung des Verfahrens insoweit keine kündigungsrechtlichen
Folgen habe. Wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, finde der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Anwendung. Es komme hinzu, dass
auch der präventive Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer nach §
90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht für Kündigungen gelte, die in den ersten sechs
Monaten des Arbeitsverhältnisses erfolgten. Der Arbeitgeber habe solche
Kündigungen lediglich nach § 90 Abs. 3 SGB IX innerhalb von 4 Tagen dem
Integrationsamt anzuzeigen.
51 Unter Auseinandersetzung mit einer gegenteiligen Meinung im Schrifttum (Deinert,
NZA 2010, 969; ders. in: Deinert/Neumann, Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen, 2. Aufl. § 18 Rn. 4) hat sich das Bundesarbeitsgericht
zudem mit der Frage befasst, ob die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG eine andere
Betrachtungsweise verlange. Hierzu hat es ausgeführt, es seien zwar nach Art. 5
der Richtlinie angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.
Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sei aber zu berücksichtigen, dass der
Arbeitgeber die Möglichkeit zur Erprobung des neu eingestellten Mitarbeiters
haben müsse. Der geltende Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff.
52 SGB IX werde dem gerecht, weil er erst nach sechsmonatigem Bestehen des
Arbeitsverhältnisses einsetze.
53 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist im Schrifttum im Wesentlichen
auf Zustimmung gestoßen (Erfurter Kommentar 14. Aufl. § 84 Rn. 3; Knittel, SGB
IX, 5. Aufl. § 84 Rn. 49; Lachwitz/Schellhorn/Welti-Trenk-Hinterberger, SGB IX, 3.
Aufl. § 84 Rn. 25). Auch die Kammer hält sie für sie überzeugend. Angesichts der
in § 1 Abs. 1 KSchG und § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX normierten Kündigungsfreiheit
wäre es widersprüchlich, eine Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern
innerhalb der Wartezeit - von dem verfassungsrechtlichen Mindestmaß an
Bestandsschutz abgesehen - an die Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu binden.
54 b) Damit ist aber noch nicht die Frage geklärt, ob auch im Entschädigungsprozess
die Unterlassung des Präventionsverfahrens innerhalb der Wartezeit ohne
Rechtsfolgen bleibt.
55 aa) Die vom Bundesarbeitsgericht für den Bestandsschutzprozess angestellten
Erwägungen können nicht ohne weiteres auf den Entschädigungsprozess
übertragen werden. Wie bereits oben ausgeführt, besitzen das
Kündigungsschutzrecht und das Diskriminierungsrecht unterschiedliche
Schutzzwecke. Während es im Kündigungsrecht um die Wirksamkeit einer
Beendigungserklärung geht, soll das Diskriminierungsrecht ein
benachteiligungsfreies Verfahren sicherstellen (BAG 16.02.2012 aaO Rn 59; BAG
22.08.2013 aaO Rn 59; BVerwG 03.03.2011 aaO Rn 29; VGH Baden-
Württemberg 10.09.2013 - 4 S 547/12 - NZA-RR 2014, 159). Hieraus könnte
gefolgert werden, dass das Präventionsverfahren diskriminierungsrechtlich eine
angemessene Vorkehrung im Sinne von Art. 5 der Rahmenrichtlinie darstellt, auch
wenn es kündigungsrechtlich für die Rechtswirksamkeit einer Wartezeitkündigung
keine Auswirkungen hat.
56 bb) Gegen diese Betrachtungsweise spricht aber entscheidend, dass das
Präventionsverfahren keine angemessene Vorkehrung im Sinne des Art. 5 der
Rahmenrichtlinie 2000/78/EG sein kann, wenn es innerhalb des zur Verfügung
stehenden Zeitraums nicht sinnvoll durchgeführt werden kann. § 84 Abs. 1 SGB
IX regelt nicht, welche Anforderungen an das Präventionsverfahren zu stellen
sind. Es bestimmt lediglich, dass der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-,
verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur
Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die
Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das
Integrationsamt einschaltet, um mit diesen Stellen die Möglichkeiten zu erörtern,
mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis
möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Ebenso wie das Betriebliche
Eingliederungsmanagement handelt es sich bei dem Präventionsverfahren um
ein dialogisches, kooperatives und ergebnisoffenes Verfahren
(Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Aufl. § 84 Rn 24). Der Arbeitgeber soll unter
Beteiligung von fachlich zuständigen Stellen und der Arbeitnehmervertretungen
sondieren, auf welche Weise die aufgetretenen Schwierigkeiten beseitigt werden
können. Dieses Verfahren ist - sorgfältig durchgeführt - fachlich anspruchsvoll und
zeitlich aufwändig. Der Arbeitgeber genügt seinen Verpflichtungen nicht bereits
dadurch, dass er die verschiedenen Stellen anhört. Die in § 84 Abs. 1 SGB IX
genannten Stellen und Personen müssen in die Lage versetzt werden, den
Sachverhalt zu prüfen und fundierte Empfehlungen zu geben. Ein derartiges
Verfahren erfordert Zeit.
57 Diese Zeit steht aber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, § 90 Abs. 1
Nr. 1 SGB IX nicht zur Verfügung. Im Allgemeinen wird sich der Arbeitgeber ein
Bild über die Eignung des Arbeitnehmers nicht innerhalb der ersten Zeit des
Arbeitsverhältnisses machen können. Nach der Einarbeitungsphase wird er die
ersten Arbeitsergebnisse prüfen bzw. sich von den zuständigen Vorgesetzten
Bericht erstatten lassen. Sodann wird er entweder Gespräche mit dem
Arbeitnehmer führen, um festgestellte Mängel zu beheben oder aber, falls die
Defizite zu gravierend sind, den Ausspruch einer Kündigung vorbereiten.
58 cc) Bei dieser Sachlage ist das rechtliche Spannungsfeld offenkundig: Entweder
führt der Arbeitgeber das Präventionsverfahren entsprechend den geschilderten
Anforderungen durch; dann wird er eine dennoch erforderlich werdende
Kündigung zeitlich nicht mehr innerhalb der Wartezeit aussprechen können. Oder
er führt das Präventionsverfahren im „Schnelldurchgang“ durch; dann wird er den
Vorwurf auf sich ziehen, das Präventionsverfahren nur der Form halber
durchgeführt zu haben, um entschädigungsrechtliche Nachteile zu vermeiden. Bei
dieser Sachlage ist die Kammer der Auffassung, dass die Rechtsordnung keine
Anforderung stellen darf, die der Arbeitgeber bei ordnungsgemäßer
Handlungsweise nicht erfüllen kann. Es verhält sich insoweit anders als in dem
von der Klägerin herangezogenen Fall der Entlassung eines schwerbehinderten
Richters während der Probezeit. Hierzu der Bundesgerichtshof (BGH 20.12.2006 -
RiZ (R) 2/06) entschieden, die Unterlassung des Präventionsverfahrens führe
zwar nicht zur Rechtswidrigkeit der Entlassung, könne aber bei der Ausübung des
Ermessens berücksichtigt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die
richterliche Probezeit nach § 12 Abs. 2 DRiG bis zu fünf Jahren beträgt.
59 4. Eine Vermutung für eine Benachteiligung der Klägerin folgt auch nicht aus einer
unzureichenden Beteiligung der Personalvertretungen.
60 a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Verstöße gegen
gesetzliche Verfahrensregelungen, die zur Förderung der Chancen der
schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden, eine Indizwirkung für eine
Benachteiligung begründen (BAG 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr.
4; BAG 21.02.2013 - 8 AZR 180/12 - NZA 2013, 840 Rn 37). Es handelt sich
hierbei um Förderpflichten im Sinne von § 5 AGG und Art. 5 der Rahmenrichtlinie
2000/78/EG. Im Stellenbesetzungsverfahren ergibt sich aus § 81 Abs. 1 Satz 4
SGB IX, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93
SGB IX genannten Vertretungen (insbesondere Betriebs- und Personalrat) über
die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit und die vorliegenden
Bewerbungen zu unterrichten hat. Was die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
durch Kündigung betrifft, so hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung
nach § 95 Abs. 2 SGB IX über seine Kündigungsabsicht zu unterrichten und die
Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung anzuhören. Damit handelt es
sich auch bei dieser Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung um eine
Förderpflicht im Sinne von § 5 AGG und Art. 5 der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG.
Da schließlich auch die Personalvertretung nach § 68 Abs. 1 Nr. 4 LPVG BW die
allgemeine Aufgabe hat, die Eingliederung und berufliche Entwicklung von
schwerbehinderten Beschäftigten zu fördern, stellt auch die Beteiligung des
Personalrats eine Förderpflicht im Sinne der genannten Vorschriften dar.
61 b) Das beklagte Land hat die gesetzlichen Verfahrensregelungen, die zur
Förderung der Chancen der schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden, im
Streitfall beachtet.
62 aa) Das beklagte Land hat vor Ausspruch der Kündigung vom 08.03.2013 die
Hauptschwerbehindertenvertretung und den Hauptpersonalrat beteiligt. Die
Zuständigkeit dieser beim Innenministerium gebildeten Vertretungen ergab sich
daraus, dass die Klägerin dem „höheren Dienst“ zuzuordnen war, die
Entscheidung über die Kündigung somit dem Innenministerium oblag. Damit war
nach § 85 Abs. 2 LPVG BW, § 97 Abs. 3 SGB IX der Hauptpersonalrat und die
Hauptschwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen.
63 bb) Die Hauptschwerbehindertenvertretung in Person von Herrn Dr. K. erhielt
ausweislich des Schreibens vom 13.02.2013 (Anlage BK 2) bereits Mitte Januar
2013 die Information, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der
Klägerin beabsichtigt sei. Hierauf wandte sich Herr Dr. K. in dem besagten
Schreiben „im Vorgriff auf die zu erwartende Beteiligungsvorlage“ an das
Innenministerium und brachte seine Bedenken gegen diese Entscheidung zum
Ausdruck. Die offizielle Beteiligung der Hauptschwerbehindertenvertretung und
des Hauptpersonalrats erfolgte sodann mit Schreiben des Innenministeriums vom
20.02.2013 (Anlage 1 zum Schriftsatz des beklagten Landes vom 10.10.2013).
Ausweislich der vorgelegten Mails ging dieses Schreiben an Herrn Dr. K. und an
den Hauptpersonalrat. Der Vorsitzende des Hauptpersonalrats, Herr L., äußerte
sich daraufhin mit Mail vom 25.02.2013 (Anlage BK 5) ablehnend zu der
Kündigungsabsicht des Innenministeriums. Mit Mail vom 26.02.2013 bestätigte er
im Anschluss an die Sitzung des Hauptpersonalrats die Ablehnung der
Kündigung (Anlage BK 6 - nicht zur Gerichtsakte gereicht).
64 cc) Aufgrund der genannten Stellungnahmen steht fest, dass sowohl die
Hauptschwerbehindertenvertretung als auch der Hauptpersonalrat die
Gelegenheit hatten, sich für die Klägerin einzusetzen. Auf die zwischen den
Parteien streitige Frage, ob Herr Dr. K. in einem Telefonat vom 21.02.2013 auf
eine weitere förmliche Stellungnahme verzichtete, kommt es nicht an. Seine
Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung hatte Herr Dr. K. bereits in seinem
Schreiben vom 13.02.2013 umfassend zum Ausdruck gebracht. Der
Schutzfunktion der gesetzlichen Verfahrensregelungen war damit genügt.
III.
65 Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten
Rechtsmittels zu tragen. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG. Die Rechtsfrage, welche Bedeutung das Präventionsverfahren
diskriminierungsrechtlich hat, ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt.