Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 23.02.2006

LArbG Baden-Württemberg: notlage, satzung, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, zusage, vertragliche haftung, widerrufsrecht, freiwilligkeit, eingriff, rückwirkung, verfügung

LArbG Baden-Württemberg Urteil vom 23.2.2006, 11 Sa 100/05
Widerruf einer Versorgungszusage durch Unterstützungskasse
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 18.10.2005, Az. 4 Ca 212/05, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Betriebsrentenansprüche des Klägers.
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Bei der Beklagten zu 2 handelt es sich um eine rechtlich selbständige Unterstützungskasse, die von der Beklagten zu 1 als dem
Trägerunternehmen eingerichtet worden war.
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Der am ....1936 geborene Kläger war von 1963 bis 1993 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1 beschäftigt. Während seines
Beschäftigungsverhältnisses erhielt der Kläger eine Rentenzusage, schriftliche Unterlagen hierüber existieren allerdings nicht, auch der
Zeitpunkt der Zusage und deren Aussteller können nicht festgestellt werden. Unter dem 03.04.1996 unterzeichnete der Kläger eine Erklärung,
wonach ihm bekannt sei, dass alle Leistungen der Unterstützungskasse freiwillig gewährt würden und durch sie kein Anspruch erwachse (Bl. I,
21 d. Akte).
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Der Kläger hat nach seinem Ausscheiden im Jahre 1993 eine monatliche Betriebsrente in Höhe von zuletzt EUR 50,11 von der Beklagten zu 2
bezogen. Unter dem 26.11.2003 allerdings teilte die Beklagte zu 2 dem Kläger mit, ihre Kasse sei leer, die betriebliche Altersversorgung könne
künftig nicht mehr bezahlt werden. Dementsprechend stellte sie die Zahlungen an den Kläger seit November 2003 ein.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die bislang gezahlte Rente auch weiterhin zu. Schließlich habe er die dafür versprochene
Arbeitsleistung vollständig erbracht. Ein Widerruf der Rentenzusage sei nicht zulässig, der Freiwilligkeitsvorbehalt ohne rechtliche Bedeutung,
von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage könne nicht ausgegangen werden.
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Der Kläger hat die Rentenansprüche ab Dezember 2003 für 20 Monate (also bis Juli 2005) beziffert eingeklagt und im Übrigen die weiteren
Ansprüche feststellend geltend gemacht.
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Er hat
beantragt:
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1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger EUR 851,87 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger weitere EUR 150,33 netto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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3. Es wird festgestellt, dass dem Kläger monatlich eine betriebliche Versorgungsleistung von EUR 50,11 netto zusteht.
11 Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt und vorgetragen, in der Satzung der Beklagten zu 2 sei auf die Freiwilligkeit der
Versorgungsleistung hingewiesen worden. Im Hinblick darauf bestehe ein Anspruch des Klägers nicht mehr, nachdem die Geschäftsgrundlage
für die Altersversorgungszusage entfallen sei. Im Jahr 2003 nämlich sei das Vermögen der Beklagten zu 2 völlig aufgebraucht gewesen, worauf
die Versorgungsleistungen eingestellt worden seien. Auch die Beklagte zu 1 sei außer Stande, die Versorgungsleistungen zu erbringen. Sie
habe mehrere Jahre lang erhebliche Verluste erwirtschaftet, außerdem habe sich das Verhältnis zwischen aktiven Arbeitnehmern und
Betriebsrentnern zwischen 1969 und 2000 geradezu umgekehrt. Statt ursprünglichen 500 Arbeitnehmern seien nunmehr nur noch 100
beschäftigt, denen 237 Anwartschaftsberechtigte und Leistungsempfänger gegenüber stünden.
12 Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
13 Das Arbeitsgericht hat dem Klagebegehren entsprochen. Es hat einen Rentenanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2 seit 1993 als
unstreitig bestehend festgestellt und darüber hinaus angenommen, dass auch die Beklagte zu 1 für die Verpflichtung aus der Zusage auf
betriebliche Altersversorgung einstehen müsse. Bei der eingetretenen Leistungsunfähigkeit der Beklagten zu 2 treffe die Beklagte zu 1 als
Arbeitgeberin des Klägers wegen der Grundverpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis die Einstandspflicht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG. Der
Ausschluss des Rechtsanspruchs bei Unterstützungskassenzusagen, wie er sich in der Satzung der Beklagten zu 2 finde, könne lediglich als
Vorbehalt des Widerrufs aus sachlichen Gründen anerkannt werden. Ein solcher Widerruf unverfallbarer und insolvenzgeschützter
Anwartschaften sei schon nach früherer Rechtslage nur in seltenen Ausnahmefällen möglich gewesen, insbesondere bei Vorliegen einer
schweren wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers. Nach der Neufassung des BetrAVG zum 01.01.1999 aber sei auch der Widerruf wegen
wirtschaftlicher Notlage nicht mehr zulässig. Der Gesetzgeber habe den Widerruf insolvenzgeschützter Anwartschaften und Leistungen der
betrieblichen Altersversorgung mit dem Insolvenzschutz verknüpft. Nachdem nunmehr § 7 BetrAVG eine Eintrittspflicht des
Pensionssicherungsvereins für den Fall einer allgemeinen schweren wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers nicht mehr vorsehe, könne auch
ein Widerruf mit dieser Begründung nicht mehr in Betracht kommen, ebenso wenig wie ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen
wirtschaftlicher Notlage angenommen werden könne.
14 Gegen das ihnen am 27.10.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts legten die Beklagten am 14.11.2005 Berufung ein und begründeten diese
am 23.11.2005. Sie verfolgen ihr Begehren auf Klagabweisung weiter und begründen dies im Wesentlichen unter drei Gesichtspunkten: Zum
einen seien die Leistungen der Unterstützungskasse nach ihrer Satzung freiwillig, was der Kläger nach seiner Erklärung zur Kenntnis genommen
habe, zum anderen sei Geschäftsgrundlage der Altersversorgung gewesen, dass der Betrieb überhaupt in der Lage sei, Mittel für die
Einstandspflicht nach Verbrauch der Mittel der Unterstützungskasse aufzubringen, was aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht der Fall
sei und zum dritten könne die Änderung des § 7 BetrAVG mit Wirkung vom 01.01.1999 keine Rückwirkung entfalten, weil es sich dabei um einen
enteignungsgleichen Eingriff handle, der die Beklagten in ihren Rechten aus Art. 14 GG verletzen würde.
15 Die Beklagten stellen den Antrag,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 18.10.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.
17 Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
19 Sie schließt sich der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts an, geht davon aus, dass eine Rückwirkung der Gesetzesänderung zum 01.01.1999
nicht vorliege, weil der Sicherungsfall frühestens Ende 2003 eingetreten sei, bestreitet, dass die Vermögenslage der Beklagten so schlecht sei,
wie versucht werde darzustellen und bestreitet die Freiwilligkeit von Leistungen der Unterstützungskasse, weil spätestens mit der Aufnahme der
Rentenzahlungen eine unbedingte Zusage erteilt worden sei, die den Arbeitgeber daran hindere, selbst bei einer freiwilligen
Versorgungszusage sich auf die Freiwilligkeit noch zu berufen.
Entscheidungsgründe
20 Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch begründete, somit also insgesamt zulässige Berufung der Beklagten ist nicht
begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht dem Klagebegehren des Klägers ent- und ihm die versprochene Betriebsrente für die aufgelaufenen
Monate beziffert sowie für die Zukunft feststellend zugesprochen. Entgegen ihrer Rechtsauffassung konnte die Beklagte die Rentenzusage nicht
wirksam widerrufen oder sich auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Im Einzelnen gilt Folgendes:
21 Der Kläger hat gegen die Beklagten zu 1 und 2 Anspruch auf gesamtschuldnerische Zahlung der ihm zugesagten monatlichen Betriebsrente in
Höhe von EUR 50,11. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass dem Kläger zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt
Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden sind. Die betriebliche Altersversorgung sollte von der Beklagten zu 2, einer
Unterstützungskasse durchgeführt werden, die qua Definition auf ihre Leistungen keinen Rechtsanspruch gewährte und dies in ihrer Satzung
jedenfalls in der Fassung vom 27.10.2000 in Form eines Freiwilligkeitsvorbehaltes auch zum Ausdruck brachte. Letztlich steht die Zusage
hinsichtlich gesetzlicher Unverfallbarkeit, zeitlichem Anspruchsbeginn und Höhe der Rente aufgrund der seit 1993 tatsächlich gezahlten Rente
außer Zweifel.
22 Die Rentenansprüche des Klägers bestehen zunächst gegen die Beklagte zu 2, die für die Beklagte zu 1 die Altersversorgung durchführte.
Ungeachtet dessen besteht zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, also zwischen Beklagter zu 1 und Kläger eine Zusage, in der sich
die Beklagte zu 1 verpflichtet hat, dafür aufzukommen, dass die Beklagte zu 2 nach Maßgabe der Satzung und ihrer Versorgungsrichtlinien die
zugesagten Leistungen erbringt. Der Arbeitgeber hat die Unterstützungskasse ausreichend zu dotieren, andernfalls muss er selbst dem
Arbeitnehmer gegenüber einstehen (BAG 28.04.1977 -3 AZR 300/76 -DB 1977, 1656; BAG 03.02.1987 -3 AZR 208/85 -DB 1987, 2414). Damit
müssen sowohl die Unterstützungskasse als auch das Trägerunternehmen gemäß §§ 421, 426 BGB gesamtschuldnerisch für den Anspruch des
Arbeitnehmers auf Betriebsrente einstehen.
23 Da die Beklagten übereinstimmend vortragen, das Vermögen der Beklagten zu 2 sei aufgebraucht, ist der Fall der Einstandspflicht der Beklagten
zu 1 eingetreten, so dass die Beklagte zu 1 die Versorgungszusage unmittelbar erfüllen muss. Bleibt nämlich die Versorgungsleistung der
Unterstützungskasse aus, ist der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungsvereinbarung zur Erfüllung der versprochenen Leistung verpflichtet. Der
Grund für die fehlende Leistungserbringung durch die Unterstützungskasse ist unerheblich, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitgebers
nicht notwendig. Der Arbeitgeber schuldet weiterhin dem Arbeitnehmer die Primärleistung aus dem Versorgungsverhältnis, von der er sich
grundsätzlich auch nicht durch Einschaltung einer Unterstützungskasse befreien kann (BAG 25.01.2000 -3 AZR 908/98 -EzA Nr. 12 zu § 1
BetrAVG -Unterstützungskasse). Damit ist klargestellt, dass auch die Beklagte zu 1 entgegen deren Auffassung für die Verbindlichkeiten der
Unterstützungskasse gesamtschuldnerisch neben der Beklagten zu 2 haftet.
24 Der Anspruch des Klägers scheitert nicht am Freiwilligkeitsvorbehalt in der Satzung der Unterstützungskasse und auch nicht daran, dass der
Kläger eine entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnete. Mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt in der Satzung der Beklagten zu 1 wird der
Legaldefinition des § 1 b Abs. 4 Satz 1 BetrAVG entsprochen, wonach die Unterstützungskasse dem Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf
ihre Leistungen gewähren darf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bereits aus der Zeit vor Inkrafttreten des BetrAVG
kann die übliche Klausel über den Ausschluss eines Rechtsanspruchs jedoch lediglich als Vorbehalt des Widerrufs aus sachlichen Gründen
gedeutet werden, der letztlich nur bei wirtschaftlicher Notlage im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a. F. eingriff (BAG 17.11.1992 -3 AZR
76/92 -AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG -Besitzstand). Die dadurch bewirkte, allerdings eingeschränkte vertragliche Haftung der Unterstützungskasse
lässt sich damit begründen, dass das Gesetz lediglich einen rechtsgeschäftlich begründeten Rechtsanspruch ausschließt, einem aus
Vertrauenshaftung abgeleiteten Rechtsanspruch aber nicht entgegensteht. Nach der Lehre von der Vertrauenshaftung wird der Anspruch gegen
die Unterstützungskasse dadurch begründet, dass von der Unterstützungskasse bewusst und in zurechenbarer Weise ein entsprechender
Vertrauenstatbestand gesetzt wird, auf den der Arbeitnehmer sich durch die Erbringung der Arbeitsleistung einlässt. Der Vertrauenstatbestand
ergibt sich im Zweifel aus der Satzung, im vorliegenden Falle aber darüber hinaus auch aus der Aufnahme der Rentenzahlung durch die
Beklagte zu 2 im Jahre 1993. Damit aber ist von einem Rechtsanspruch des Klägers auf Zahlung der Betriebsrente trotz des
Freiwilligkeitsvorbehalts in der Satzung auszugehen, den der Kläger auch mit seiner Erklärung vom 03.04.1996 nicht ausschließen konnte
(Blomeyer/Otto, BetrAVG, Kommentar Anhang § 1 Rdz. 848 m. w. N.).
25 Vergeblich berufen die Beklagten sich auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage und machen damit ein Recht zum Widerruf der
Versorgungszusage geltend. Das Bundesarbeitsgericht hatte schon vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes angenommen, ein Arbeitgeber
könne auch ohne ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unter ganz engen Voraussetzungen die Zahlung
eines versprochenen Ruhegelds aus Gründen einer wirtschaftlichen Notlage verweigern, wenn und solange bei ungekürzter Weiterzahlung der
Bestand des Unternehmens gefährdet sei (BAG 10.12.1971 -3 AZR 190/71 -DB 1972, 491). In § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG vom 19.12.1974
hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage anerkannt, mit
der Einführung des Insolvenzschutzes auch für diesen Fall aber deutlich gemacht, welche grundlegende Bedeutung auch im Falle einer
existenzgefährdenden wirtschaftlichen Notlage des Versorgungsschuldners dem Erhalt der Versorgungsansprüche und unverfallbaren
Versorgungsanwartschaften beizumessen ist. Er hat damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass Widerrufsrecht und Insolvenzschutz eng
miteinander verknüpft sein sollten und ein Widerrufsrecht bei erdienten Versorgungsansprüchen nur erfolgen soll, wenn diese dem
Insolvenzschutz unterliegen. Damit gewinnt entscheidende Bedeutung, dass der Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage in § 7 Abs. 1 Satz 3
Nr. 5 BetrAVG durch Art. 91 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 05.10.1994 mit Wirkung vom 01.01.1999 ersatzlos in Wegfall
gekommen ist. Nach den Gesetzesmaterialien ist der Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage so stark in die Nähe des Sicherungsfalles des
außergerichtlichen Vergleichs gerückt, dass er als gesonderter Sicherungsfall entbehrlich ist. Dadurch wird die Rechtsposition des
Arbeitnehmers nicht verschlechtert, weshalb aufgrund des von der Rechtsprechung hergestellten untrennbaren Zusammenhangs zwischen der
Berechtigung zum Widerruf einer Anwartschaft und der Eintrittspflicht des Pensionssicherungsvereins nach Streichung des Sicherungsfalls der
wirtschaftlichen Notlage ein einseitiger Widerruf auch arbeitsrechtlich nicht mehr zulässig ist (BT Drucksache 12/3803, Seite 109 (110)). Auch ein
Rückgriff auf die Grundsätze über die in § 313 BGB geregelte Störung der Geschäftsgrundlage zur Rechtfertigung eines solchen Widerrufsrechts
ist nach der gesetzgeberischen Wertung ausgeschlossen. Vielmehr gilt auch im Betriebsrentenrecht wieder der Rechtsgrundsatz, wonach
fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in aller Regel kein Grund dafür ist, sich von einer übernommenen Zahlungspflicht zu lösen (BAG
17.06.2003 -3 AZR 396/02 DB 2004, 324 ff.).
26 Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen der gesetzlichen Neuregelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Der
Gesetzgeber ist nicht gehindert, einmal geschaffene Sicherungsfälle mit Wirkung für die Zukunft wieder abzuschaffen und damit
zusammenhängende, ohnehin nur in Ausnahmefällen in Betracht kommende Widerrufsrechte entfallen zu lassen. Dies gilt insbesondere
deshalb, weil die Frist vom Bekanntwerden der Änderungspläne bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung derart lang war, dass sich
alle Betroffenen darauf einrichten konnten (BAG 17.06.2003 -3 AZR 396/02 -a. a. O.). Dabei ist für die Beklagten von Bedeutung, dass die seit
01.01.1999 geltende Fassung des Betriebsrentengesetzes Sicherungsfälle, die vor dem 01.01.1999 eingetreten sind, entsprechend der
Überleitungsvorschrift des § 31 BetrAVG nach der alten Fassung des Gesetzes behandeln würde. Die Beklagten berufen sich jedoch darauf,
dass Ende des Jahres 2003 das Vermögen der Beklagten zu 2 aufgebraucht gewesen sei, die Berufung auf den Sicherungsfall also erst zu
diesem Zeitpunkt erfolgen konnte. Somit hatten die Beklagten nicht nur die Jahre des Gesetzesvorlaufs zur Verfügung, sondern weitere vier
Jahre, um sich auf die neue Gesetzeslage einzustellen.
27 Damit aber ist davon auszugehen, dass die Beklagten sich zur Begründung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht auf eine wirtschaftliche
Notlage berufen konnten. Ob eine solche wirtschaftliche Notlage tatsächlich vorlag, konnte demzufolge offen bleiben. Eine sachverständige
Betriebsanalyse war entbehrlich. Die Vorlage eines Sanierungsplanes konnte unterbleiben und es musste nicht weiter aufgeklärt werden, ob der
Widerruf der Versorgungsanwartschaften und Leistungen überhaupt geeignet war, die Beklagte zu 1 zu sanieren und ob vor Erklärung eines
Widerrufs der Pensionssicherungsverein eingeschaltet war, alles Voraussetzungen, die nach bisherigem Recht vom widerrufenden Arbeitgeber
verlangt wurden (BAG 24.04.2001 -3 AZR 402/00 -DB 2001, 1787; 17.09.1991 -3 AZR 413/90 -DB 1992, 97), aber von den Beklagten nicht
dargelegt worden sind.
28 Die Rechtslage ist nicht anders zu beurteilen, weil die betriebliche Altersversorgung von einer Unterstützungskasse durchgeführt werden sollte.
Wie dargelegt, wurde der fehlende Rechtsanspruch auf die Versorgungsleistungen bei der Unterstützungskasse vom Bundesarbeitsgericht als
Vorbehalt des Widerrufs aus sachlichen Gründen interpretiert (vgl. BAG 23.04.1985 -3 AZR 194/83 -AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG
Unterstützungskasse). Welche Gründe eine Einschränkung rechtfertigten, bestimmte sich nach den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes
und der Verhältnismäßigkeit. Hiernach richteten sich die Anforderungen an den sachlichen Grund nach dem Bereich, in den durch den Widerruf
eingegriffen werden sollte. Sollte in Ansprüche oder nach § 2 aufrechtzuhaltende Anwartschaften eingegriffen werden, bedurfte es "zwingender"
Gründe, die gleichzusetzen waren mit der wirtschaftlichen Notlage im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 a. F. BetrAVG. Allerdings war nach
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei den Widerrufsvoraussetzungen zwischen Alt-, Übergangs- und Neufällen zu unterscheiden
(BVerfG 14.01.1987 -1 BFR 1052/79 -AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen). War das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und
Trägerunternehmen vor Inkrafttreten des BetrAVG beendet worden (so genannte Altfälle) oder war die Zusage auf Leistungen der
Unterstützungskasse vor dem Inkrafttreten des BetrAVG erfolgt und bestand das Arbeitsverhältnis noch (so genannte Übergangsfälle) genügten
bereits triftige Gründe. Ein triftiger Grund lag unter anderem dann vor, wenn eine ungekürzte Versorgungslast langfristig die Substanz des
Trägerunternehmens gefährden konnte und mildere Mittel nicht ausreichten (BAG 05.06.1984 -3 AZR 33/84 -AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG -
Unterstützungskassen).
29 War dagegen die Zusage erst nach Inkrafttreten des BetrAVG erfolgt (so genannte Neufälle) galten die für die unmittelbare Versorgung
maßgeblichen Regeln bei wirtschaftlicher Notlage. Nur beim Vorliegen einer solchen war ein Widerruf möglich. Ob nunmehr auch bei Alt- oder
Übergangsfällen der Wegfall des Insolvenzgrundes wirtschaftliche Notlage seit 01.01.1999 das Widerrufsrecht des Arbeitgebers beseitigt, konnte
das Berufungsgericht offen lassen. Denn vorliegend geht es weder um einen Altfall, der Kläger ist erst nach Inkrafttreten des BetrAVG bei der
Beklagten zu 1 ausgeschieden, noch um einen Übergangsfall, denn die Zusage auf Leistungen der Unterstützungskasse ist zwar
möglicherweise vor dem Inkrafttreten des BetrAVG erfolgt, das Arbeitsverhältnis bestand aber zum Zeitpunkt des Eintritts des Sicherungsfalles
und damit des in Betracht zu nehmenden Widerrufs längst nicht mehr. Da dem Rechtsstreit aber kein Alt- und kein Übergangsfall zugrunde liegt,
ist zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass durch den Wegfall des Insolvenzgrundes wirtschaftlicher Notlage auch das Widerrufsrecht
entfallen ist.
30 Da die Beklagten unterlegen sind, haben sie nach § 97 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen.
31 Gegen dieses Urteil ist die Revision zulässig, da sie wegen grundsätzlicher Bedeutung (Recht zum Widerruf betrieblicher Versorgungsrecht
wegen wirtschaftlicher Notlage bei Unterstützungskassen) zugelassen hat.