Urteil des KG Berlin vom 02.04.2017

KG Berlin: geldstrafe, abrechnung, vollmacht, tod, strafzumessung, strafbarkeit, sammlung, link, quelle, druck

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Gericht:
KG Berlin 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws 286/07, 1 AR
1692/07 - 1 Ws
286/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 206a Abs 1 StPO, § 464 Abs 3
S 1 StPO, § 467 Abs 3 S 2 Nr 2
StPO
Auslagenentscheidung im Strafverfahren: Selbsttötung eines in
der ersten Instanz zu einer Geldstrafe verurteilten Angeklagten
vor einer Entscheidung in der Berufungsinstanz
Leitsatz
Die durch den Verteidiger für den verstorbenen Angeklagten eingelegte Beschwerde gegen
die Kostenentscheidung in dem das Verfahren einstellenden Beschluss ist statthaft. Die ihm
erteilte Vollmacht ist insoweit durch den Tod des Angeklagten nicht erloschen.
Tenor
Die für den verstorbenen Angeklagten durch den Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. G. gegen
die Auslagenentscheidung in dem Beschluß des Landgerichts Berlin vom 24. Oktober
2007 eingelegte sofortige Beschwerde wird verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 15. Juni 2007 wegen Untreue zu einer
Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 35 EUR. Nachdem er am 25. September 2007 vor
einer Entscheidung über seine Berufung verstorben war, hat das Landgericht mit
Beschluß vom 24. Oktober 2007 das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt und
ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren
Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die gegen diese Auslagenentscheidung
gerichtete sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das durch den Verteidiger für den verstorbenen Angeklagten eingelegte Rechtsmittel
ist statthaft. Denn die ihm erteilte Vollmacht ist insoweit durch den Tod des Angeklagten
nicht erloschen (vgl. KG, Beschluß vom 4. März 2002 – 4 Ws 24/02 -). Die sofortige
Beschwerde ist auch durch § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO nicht ausgeschlossen,
weil die Hauptentscheidung nach § 206a Abs. 2 StPO – wenn auch mangels Beschwer
nicht für den Angeklagten – angefochten werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50.
Aufl., Rdn. 19 zu § 464 mwN). Trotz fehlender Angaben zum Beschwerdewert (§ 304 Abs.
3 StPO) geht der Senat davon aus, daß die notwendigen Auslagen des Angeklagten
infolge der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts für seine Verteidigung 200 EUR
übersteigen.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zu
Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen
Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.
Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der
Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu KG, Beschluß vom 28. Juli 2005 – 4 Ws 153/02 -).
Der Senat kann die Frage hier offen lassen. Denn auch nach der Auffassung, daß für die
Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht schon
beim Vorliegen eines (hinreichenden oder erheblichen) Tatverdachts sondern erst dann
Raum ist, wenn die Hauptverhandlung bis zu Schuldspruchreife durchgeführt worden war
(vgl. KG aaO), ist diese Voraussetzung hier mit dem erstinstanzlichen Urteil des
Amtsgerichts erfüllt.
Die Urteilsfeststellungen bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die
getroffene Rechtsfolgenentscheidung. Aus dem Umstand, daß der Angeklagte die für
einen Mandanten per Scheck vereinnahmten Gelder nicht verbuchte, keinem
Anderkonto zuführte und aus eigenem Antrieb auch keine Anstalten zur Abrechnung und
Auskehrung verbleibender Beträge unternahm, durfte das Amtsgericht schließen, daß er
zur Erfüllung der ihm aus dem Anwaltsvertrag obliegenden Pflichten überhaupt nicht
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zur Erfüllung der ihm aus dem Anwaltsvertrag obliegenden Pflichten überhaupt nicht
bereit war und das Geld für sich behalten wollte. Die Auffassung des Verteidigers, das
Verhalten des Angeklagten habe "anwaltlichen Gepflogenheiten und Arbeitsweisen"
entsprochen, ist angesichts der Feststellungen des Tatrichters unverständlich. Daß der
Angeklagte die dem Mandanten zustehenden Gelder jederzeit aus flüssigen Mitteln
hätte begleichen können, ist angesichts seiner Zahlungsunwilligkeit unerheblich und im
übrigen vom Amtsgericht auch nicht festgestellt worden. Andere Umstände, die in der
Berufungsinstanz zu einem Freispruch des Angeklagten oder einer milderen Bestrafung
und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten
führen können, werden auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht aufgezeigt. Die von
dem Angeklagten nur auf Druck seines Gläubigers nachträglich vorgenommene
Abrechnung des Mandats ließ die Strafbarkeit nicht entfallen und konnte sich nur bei der
Strafzumessung auswirken (vgl. KG, Urteil vom 23. März 2007 – (4) 1 Ss 186/05 (94/05) -
). Die vom Amtsgericht verhängte milde Geldstrafe wird dem gerecht.
Allerdings läßt der angefochtene Beschluß nicht erkennen, auf welche Umstände die
Strafkammer die ihr nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO obliegende
Ermessensentscheidung („kann“) gestützt hat. Das Landgericht war sich
augenscheinlich nicht bewußt, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift
ihre Anwendung nur eröffnen, sie allein aber nicht begründen können. Für die
Abweichung von der Regel des § 467 Abs. 1 StPO bedarf es vielmehr weiterer Umstände,
die es unbillig erscheinen lassen, die Staatskasse mit den notwendigen Auslagen des
Angeklagten zu belasten (vgl. KG, Beschluß vom 28. Juli 2005 – 4 Ws 153/02 -; OLG Köln
NJW 1991, 506).
Trotz dieses Begründungsmangels sieht der Senat von einer Zurückverweisung der
Sache an das Landgericht ab und entscheidet selbst (§ 309 Abs. 2 StPO).
Angesichts der Tatsache, daß der Angeklagte seinem Leben aus freien Stücken ein Ende
gesetzt, damit selbst das Verfahrenshindernis herbeigeführt und so ein Urteil mit einer
für ihn ungünstigen Auslagenentscheidung unmöglich gemacht hat, erscheint es unbillig,
jetzt die Staatskasse mit den Kosten seiner Verteidigung zu belasten.
3. Eine Entscheidung nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlaßt, da für sie die Erben des früheren Angeklagten
nicht haften (§ 465 Abs. 3 StPO).
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