Urteil des KG Berlin vom 02.04.2017

KG Berlin: hochzeit, freiheitsentziehung, schmerzensgeld, unterlassen, untersuchungshaft, verhaftung, kauf, vorführung, genugtuung, heimat

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 302/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 253 Abs 2 BGB, § 254 Abs 1
BGB, § 823 Abs 1 BGB, § 847
Abs 1 BGB, § 230 Abs 2 StPO
Schmerzensgeldanspruch eines ausländischen Angeklagten
wegen durch seinen Strafverteidiger verschuldeter
Untersuchungshaft
Leitsatz
Versäumt es der Strafverteidiger - trotz entsprechender Absprache und Auftrags des
angeklagten Mandanten - einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung zu
stellen und den Mandanten kurz vor dessen Reiseantritt zur Hochzeit in seinem Heimatland
über das Risiko einer Verhaftung bei Versäumung des Termins aufzuklären und gerät der
Mandant daraufhin in Haft, so steht dem Mandanten gegen den Anwalt nach § 253 Abs. 2
BGB ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld wegen der erlittenen
Freiheitsentziehung zu; bei der Bemessung der Höhe ist gegebenenfalls das Mitverschulden
des Mandanten nach § 254 Abs. 1 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 24.
Oktober 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 28 des Landgerichts Berlin - 28 0
102/01 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
Erfolg. Die Beklagte ist gemäß §§ 823 Absatz 1, 847 BGB verpflichtet, dem Kläger für die
erlittene Haft ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 € zu zahlen.
Entgegen der Ansicht des Landgerichtes war das fahrlässige Verhalten der Beklagten
ursächlich für die Verletzung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit des Klägers, einem
absoluten Rechtsgut im Sinne von § 823 Absatz 1 BGB. Die erlittene Freiheitsentziehung
in der Zeit vom 22. September bis zum 8. Dezember 2000 beruht zwar unmittelbar auf
dem Haftbefehl des Amtsgerichts Berlin vom 28. August 2000 zum Aktenzeichen (284)
6 Op Js 1045/99 (128(99). Das Verhalten der Beklagten war aber mittelbare Ursache der
Freiheitsentziehung.
Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten versäumt, trotz des
dahingehenden Auftrages des Klägers vom 22. Mai 2000 einen Verlegungsantrag in
Bezug auf den am 25. August 2000 terminierten Termin zur Hauptverhandlung zu
stellen. Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten weiterhin unterlassen,
den Kläger in dem Telefonat kurz vor Reiseantritt über das Risiko eines Haftbefehls bei
Versäumung es Termins aufzuklären. Dass diese Aufklärung nicht stattgefunden hat,
ergibt sich aus der eigenen Einlassung der Beklagten in ihrer Anhörung vor dem
Landgericht am 3. September 2003. Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die
Beklagte aber gerade zu einer solchen Aufklärung verpflichtet. Der in der Landung
enthaltene Hinweis („Wenn sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, ist ihre
Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen“) ändert hieran nichts.
Unabhängig von der Frage seiner Deutschkenntnisse konnte der Kläger diesem Hinweis
nicht entnehmen, wie groß für in das Risiko der Anordnung einer länger andauernden
Untersuchungshaft tatsächlich war. Auch konnte er diesem Hinweis nicht entnehmen,
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Untersuchungshaft tatsächlich war. Auch konnte er diesem Hinweis nicht entnehmen,
unter welchen Voraussetzungen er lediglich mit einer Vorführung rechnen musste. Im
Übrigen hat die Beklagte selbst den Hinweis in der Ladung durch ihre ausdrückliche
Warnung vor den zu erwartenden erheblichen Kosten gegenüber dem Kläger relativiert.
Das vorstehend dargelegte Unterlassen war auch mitursächlich für die Verhaftung des
Klägers nach dessen Rückkehr aus seiner Heimat. Hätte die Beklagte entsprechend der
Auftragserteilung noch im Mai 2000 eine Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung
beantragt, so wäre der Termin entweder verlegt worden oder der Beklagte hätte im Falle
einer Ablehnung des Verlegungsantrages ausreichend Zeit gehabt, seine Reise- und
Hochzeitspläne den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Hätte die Beklagte den
Kläger im dem Telefongespräch kurz vor Reiseantritt konkret über das Risiko einer
Verhaftung und sich einer daran anschließenden längeren Haftzeit informiert, so hätte
der Kläger eine kurzfristige Absage seiner Reise veranlassen können. Umstände, aus
denen geschlossen werden könnte, dass er die Reise trotz einer entsprechenden
Aufklärung angetreten hätte, hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie sind auch sonst nicht
ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich dies insbesondere nicht aus
dem Umstand, dass der Kläger seine Reise trotz der Hinweise der Beklagten auf die im
Falle einer Versäumung der Hauptverhandlung zu tragenden erheblichen Kosten
angetreten hat. Aufgrund der unvollständigen Aufklärung durch die Beklagte stellte sich
dem Kläger nach dem Telefonat folgende Frage: Sollte er erhebliche Kosten dadurch
verursachen, dass er die Reise und die Hochzeit in seinem Heimatland kurzfristig absagt
oder sollte er Reise und Hochzeit wie geplant durchführen und die Kosten der geplatzten
Hauptverhandlung in Kauf nehmen. Aus dem Umstand, dass er sich nach dem Telefonat
für einen Reiseantritt und die Hinnahme von Verfahrensmehrkosten entschied, kann
aber nicht geschlossen werden, dass er auch dann gefahren wäre, wenn ihm bewusst
gewesen wäre, dass er nach seiner Rückkehr für einen längeren Zeitraum in Haft
kommen könnte. Es mag sein, dass der Kläger zusätzliche Kosten bewusst in Kauf
genommen hat, um die Hochzeit in seiner Heimat nicht absagen zu müssen. Es kann
aber nicht davon ausgegangen werden, dass er freiwillig auch eine länger andauernde
Untersuchungshaft hingenommen hätte, um Reise und Hochzeit nicht verschieben zu
müssen.
Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass der Beklagten Fahrlässigkeit nicht
vorzuwerfen ist, hat diese nicht dargelegt. Die Rechtsgutverletzungen durch die Beklagte
waren auch rechtswidrig. Die Verletzung eines gem. § 823 Absatz 1 BGB absolut
geschützten Rechts indiziert die Rechtswidrigkeit des Unterlassens, soweit - wie
vorliegend - eine Pflicht zum Handeln bestand.
Dem Kläger steht eine Geldentschädigung für den zugefügten immateriellen Schaden
wegen der erlittenen Freiheitsentziehung zu. Das Schmerzensgeld hat im Wesentlichen
zwei Funktionen. Es soll den durch die Rechtsverletzung erlittenen Schaden ausgleichen
und darüber hinaus auch zu einer wirklichen Genugtuung des Verletzten führen (BGH
großer Zivilsenat 18, 149). Für die konkrete Höhe des Schmerzensgeldanspruchs war
hier das konkrete Maß an Lebensbeeinträchtigung des Klägers während der 76 Tage
dauernden Untersuchungshaft zu berücksichtigen. Während dieser Zeit hatte der Kläger
keinen normalen Kontakt zu seiner Umgebung, insbesondere zu seiner Frau. Daneben
erlitt der Kläger die üblichen Belastungen seines Rufs im Freundes- und Familienkreis,
sowie in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite war das erhebliche Mitverschulden des
Klägers anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der Kläger hat seine Inhaftierung
dadurch selbst schuldhaft mit verursacht, dass er es unterlassen hat, in der Zeit vom
Juni bis Mitte August 2000 bei der Beklagten nach dem Stand der Terminsverlegung zu
fragen. Dem Kläger ist auch vorzuwerfen, dass er die Reise in sein Heimatland
angetreten hat, obwohl ihm kurz vor Reiseantritt bekannt geworden war, dass der
Hauptverhandlungstermin nicht verlegt worden war. Unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von
7.000,00 € als angemessener Ausgleich und angemessene Genugtuung für den Kläger.
Der Zinsanspruch, der nach Grund und Höhe nicht bestritten ist, ergibt sich aus Verzug.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger Schadensersatz in Höhe von 557,31 € für
die Hinderung an der Ausführung sozialer Dienste zur Abarbeitung seiner Geldstrafe zu
leisten. Dem Beklagten ist, wie das Landgericht zutreffend ausführt, insoweit kein
Vermögensschaden erstanden. Auch sollte das Entgelt dem Kläger nicht persönlich zur
Verfügung stehen sondern zweckgebunden eingesetzt werden.
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, den Beklagten in Höhe von 279,17 € gegenüber
Rechtsanwalt P K von Verbindlichkeiten aus dessen Honorarrechnung vom 5. Dezember
2000 freizustellen. Die Honoraransprüche dieses Rechtsanwaltes sind jedenfalls im Laufe
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2000 freizustellen. Die Honoraransprüche dieses Rechtsanwaltes sind jedenfalls im Laufe
des vorliegenden Verfahrens verjährt. Der Beklagte wäre im Rahmen seiner
Schadensminderungspflicht (§ 254 Absatz 2 BGB) verpflichtet gewesen, gegenüber dem
Rechtsanwalt die Einrede der Verjährung zu erheben (Palandt-Heinrichs, BGB, 63.
Auflage, § 254 BGB Rdnr. 42; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1338). Besondere Umstände,
die es ausnahmsweise als für den Beklagten unzumutbar erscheinen lassen würden, die
Verjährungseinrede zu erheben, hat dieser nicht dargelegt. Sie sind auch sonst nicht zu
erkennen.
Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat,
noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr.1, Absatz 2 ZPO n.
F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Absatz 2, 97 Absatz 1 ZPO. Die weiteren
prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m § 26
Nr. 8 EGZPO.
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