Urteil des KG Berlin vom 02.04.2017

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Gericht:
KG Berlin 4.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(4) 1 Ss 284/08
(222/08)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 271 StGB, § 95 Abs 2 Nr 2
AufenthG
Strafbarkeit unrichtiger Angaben eines Asylbewerbers
gegenüber der Ausländerbehörde; ausländische Urkunde als
Gegenstand einer mittelbaren Falschbeurkundungen
Leitsatz
1. Unrichtige Angaben eines Asylbewerbers gegenüber der Ausländerbehörde zur Erlangung
einer Aufenthaltsgestattung erfüllen nicht den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG.
2. Ausländische Urkunden sind Urkunden im Sinne des § 271 StGB, wenn deutsche
Rechtsgüter durch sie geschützt oder (im Falle des Missbrauchs) beeinträchtigt sind.
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten - Jugendgericht – vom 3. April 2008 wird
a) auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen
b) auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch mit den
dazugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung –
auch über die Kosten der Revisionen – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
Tiergarten – Jugendgericht - zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten – Jugendgericht - hat den Angeklagten mit dem
angefochtenen Urteil der mittelbaren Falschbeurkundung in Tateinheit mit einem
Verstoß gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG schuldig gesprochen und ihn ermahnt. Sowohl
die Revision des Angeklagten als auch die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte
Revision der Staatsanwaltschaft Berlin haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg.
1. Revision des Angeklagten:
a) Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Nach Aufforderung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Außenstelle
Berlin – legte der Angeklagte diesem am 18. April 2007 eine beglaubigte Kopie seiner
aus dem Iran stammenden Geburtsurkunde vor, die das gegenüber dem bei seiner im
Jahre 2001 erfolgten Asylantragstellung behaupteten Geburtsdatum „11. August 1987“
abweichende Geburtsdatum „15. März 1985“ enthielt, wobei der Angeklagte wusste,
dass das in der Geburtsurkunde enthaltene Datum unzutreffend ist. Hiermit bezweckte
der Angeklagte, in der Folge eine weitere Verlängerung seines Aufenthaltsstatus zu
erlangen und dass zur Täuschung im laufenden Asylverfahren das unrichtige
Geburtsdatum fortan in den Unterlagen der deutschen Ausländerbehörden gespeichert
wird“.
b) Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen eines Verstoßes
gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht.
Unrichtige Angaben eines Asylbewerbers gegenüber der Ausländerbehörde zur
Erlangung einer Aufenthaltsgestattung waren unter der Geltung des Ausländergesetzes
strafrechtlich nicht erfasst (vgl. BGH NJW 1997, 333 m. Nachw.). Hieran hat sich nach
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strafrechtlich nicht erfasst (vgl. BGH NJW 1997, 333 m. Nachw.). Hieran hat sich nach
dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes nichts geändert. Die asylrechtliche
Aufenthaltsgestattung ist kein Aufenthaltstitel im Sinne des Aufenthaltsgesetzes (vgl.
Hailbronner, Ausländerrecht, § 95 AufenthG Rdn. 63 m.Nachw.). Der Gesetzgeber hat
bewusst von einer Strafandrohung für das Erschleichen der Asylanerkennung sowohl im
Asylverfahrensgesetz als auch im Ausländerrecht abgesehen (vgl. Hailbronner ebenda;
Mosbacher in GK-AufenthG, § 95 Rdn. 252; jeweils m.w.Nachw.).
c) Auch soweit es den Schuldspruch wegen mittelbarer Falschbeurkundung gemäß § 271
Abs. 2 StGB betrifft, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nicht zu beanstanden ist allerdings die dem Urteil zugrunde liegende Rechtsauffassung,
dass auch ausländische Urkunden Urkunden im Sinne des § 271 StGB sind, wenn
deutsche Rechtsgüter durch sie geschützt oder (im Falle des Missbrauchs)
beeinträchtigt sind (vgl. KG JR 1980, 516; Fischer, StGB 55. Aufl., § 271 Rdn. 5
m.w.Nachw.).
Ob dies durch die Feststellungen hinreichend belegt ist, wie die
Generalstaatsanwaltschaft meint, kann dahinstehen. Das Urteil kann jedenfalls deshalb
keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die subjektiven
Tatbestandsmerkmale lückenhaft ist. Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass der
Angeklagte eine Täuschungsabsicht bestritten hat. Der Tatrichter hat sich hiermit nicht
auseinandergesetzt, sondern lediglich mitgeteilt, dass das Gericht „dieser Einlassung
nicht zu folgen vermocht“ und sie „vielmehr als Schutzbehauptung angesehen“ habe.
Die tragenden Erwägungen hierzu sind nicht einmal ansatzweise mitgeteilt worden und
verstehen sich auch nicht von selbst. Der Senat kann somit die Beweiswürdigung nicht
nachvollziehen.
2. Revision der Staatsanwaltschaft:
Die ausgesprochene Rechtsfolge der Ermahnung ist gesetzwidrig.
In § 13 Abs. 2 JGG sind als Zuchtmittel die Verwarnung, die Erteilung von Auflagen und
der Jugendarrest vorgesehen. Die Ermahnung ist dagegen eine formlos ausgesprochene
Zurechtweisung, die gemäß §§ 45 Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JGG im Falle
einer Einstellung des Verfahrens ausgesprochen werden kann, nicht jedoch als eine
durch Urteil (§ 260 Abs. 1 StPO) zu verhängende jugendrechtrechtliche Sanktion.
3. Das angefochtene Urteil war danach wie erkannt aufzuheben und im Umfang der
Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Revisionen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten – Jugendgericht -
zurückzuverweisen.
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