Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: rechtliches gehör, in dubio pro reo, gemeinnützige arbeit, befangenheit, zahlungsfähigkeit, widerruf, ratenzahlung, auflage, bewährung, erlass

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 286/05 - 5 Ws
125/05, 1 AR 286/05,
5 Ws 125/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 24 StPO, § 28 StPO
Widerruf einer Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen eine
Zahlungsauflage: Befangenheitsbesorgnis für die Richter des
Beschwerdegerichts bei Verwerfung der sofortigen Beschwerde
ohne Begründung
Leitsatz
Besorgnis der Befangenheit wegen des vollständigen Unterbleibens einer Begründung in
einem die sofortige Beschwerde gegen den Widerruf der Strafaussetzung verwerfenden
Beschluß.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin
vom 27. Januar 2005 aufgehoben.
Die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht B..., der Richterin am
Landgericht Dr. K... und des Richters am Landgericht Ka... wegen der Besorgnis der
Befangenheit wird für begründet erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Landeskasse Berlin zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verwerfung eines Ablehnungsantrages
wegen der Besorgnis der Befangenheit im Nachholungsverfahren nach § 33 a StPO, das
den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung betrifft. Die sofortige Beschwerde hat
Erfolg.
Dem Antrag liegt das folgende prozessuale Geschehen zugrunde:
1. Das erweiterte Schöffengericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Beschwerdeführer
am 15. Januar 2003 (rechtskräftig seit demselben Tag) wegen gemeinschaftlichen
Betruges unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es für die Dauer von drei
Jahren zur Bewährung aussetzte. In dem Bewährungsbeschluss erlegte es ihm auf,
5.000,- EUR an die Justizkasse Berlin in monatlichen Raten zu je 500,- EUR zu zahlen, mit
den Zahlungen einen Monat nach Eintritt der Urteilsrechtskraft zu beginnen und sie dem
Gericht jeweils unaufgefordert vierteljährlich nachzuweisen. Mit Schreiben vom 10. Juni
2003 teilte der Verurteilte dem Amtsgericht mit, dass er wegen ausgebliebener
Zahlungseingänge von Kunden nicht zahlungsfähig gewesen sei, und kündigte die
Zahlung der ersten Rate für die zweite Juliwoche an. Nachdem der Beschwerdeführer
nicht gezahlt hatte, beantragte die Staatsanwaltschaft am 4. September 2003 den
Widerruf der Strafaussetzung. Anfang September 2003 überwies der Verurteilte eine
Rate in Höhe von 500,- EUR an die Justizkasse. Daraufhin unterblieb die bereits verfügte
Ladung des Verurteilten zu einem Anhörungstermin; die Staatsanwaltschaft nahm den
Widerrufsantrag zurück. Ende Oktober 2003 zahlte der Verurteilte zwei weitere Raten zu
je 250,- EUR an die Justizkasse. Nachdem keine weiteren Raten eingegangen waren,
beantragte die Staatsanwaltschaft am 29. März 2004 neuerlich den Bewährungswiderruf.
In seinem Schreiben an das Amtsgericht vom 19. April 2004 legte der Verurteilte unter
anderem folgendes dar:
„Die Höhe der Ratenzahlungen erschien mir anfänglich möglich, da ich aufgrund
von diversen zu erwartenden Geldeingängen den Ratenbetrag monatlich hätte
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von diversen zu erwartenden Geldeingängen den Ratenbetrag monatlich hätte
aufbringen können. Auch ein befreundeter Geschäftspartner hatte mir zugesichert,
meinen Forderungsbetrag, also seinen Schuldbetrag bei mir, in Raten direkt für mich an
die Justizkasse zu zahlen, so dass ich im guten Glauben darauf vertraut habe, dass
monatliche Zahlungen erfolgen. Zwischenzeitlich haben sich jedoch meine
wirtschaftlichen Verhältnisse sehr verschlechtert und auch die meines vorgenannten
Schuldners. Erwartete und zugesagte Zahlungseingänge sind nicht erfolgt, so dass ich
die Miete für mein Büro nicht mehr aufbringen konnte und ich daher mein Büro aufgeben
musste. Derzeit erhalte ich kleinere Zuwendungen von meinen Eltern und Freunden, mit
denen ich meinen sehr eingeschränkten Lebensunterhalt bestreite. Aus vorgenanntem
Grunde bitte ich um vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung. Ferner bitte ich um
Unterbrechung der Ratenzahlung bis zum 30. 06. 2004. Ab 01. 07. 2004 werde ich bis
auf weiteres monatlich 100,- EUR zahlen können. Sobald sich meine wirtschaftlichen
Verhältnisse gebessert haben, werde ich unaufgefordert eine höhere Rate leisten.“
Im Anhörungstermin vom 12. Mai 2004, den er ohne anwaltlichen Beistand wahrnahm,
erklärte der Verurteilte, er sei bereit, statt der noch offenen 4.000,- EUR gemeinnützige
Arbeiten zu leisten. Der von ihm im Anhörungstermin gestellte Schuldner G... gab an,
dem Verurteilten zugesagt zu haben, für ihn monatlich 400,- bis 500,- EUR direkt an die
Justizkasse zu zahlen, allerdings habe er letztmalig im Oktober 2003 gezahlt. Er schulde
dem Verurteilten insgesamt etwa 7.000,- bis 8.000,- EUR.
Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die keine Bedenken gegen eine Abänderung der
Zahlungs- in eine Arbeitsauflage erhob, hörte das Amtsgericht den Verurteilten zu der
nun von dem Gericht beabsichtigten Umwandlung der restlichen Zahlungsauflage in die
Auflage, 400 Stunden gemeinnützige Arbeiten abzuleisten, an. In seinem
Antwortschreiben vom 7. Juni 2004 erklärte der Verurteilte, er erwarte in nächster Zeit
diverse Zahlungseingänge, so dass er Teilzahlungen erbringen könne. Die
gemeinnützige Arbeit könne er aufgrund seines derzeitigen Arbeitsaufwandes nur
schwerlich ableisten, das Gericht möge bedenken, dass er nicht arbeitslos sei, sondern
versuche, seine Selbständigkeit weiterhin aufrechtzuerhalten. Daher bitte er das Gericht,
von der Änderung der Auflage abzusehen und ihm weiterhin die Möglichkeit
einzuräumen, in einem überschaubaren Zeitraum, etwa bis Ende März 2005, Raten zu
leisten. Wegen seiner Selbständigkeit könne er keine festen monatlichen Teilbeträge
leisten, wohl aber über den genannten Zeitraum den gesamten Betrag in
unterschiedlichen Raten.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2004 teilte ihm das Amtsgericht mit, dass es ein weiteres
Zuwarten auf eventuell eingehende Zahlungen für nicht mehr vertretbar halte und der
Verurteilte entweder die festgelegten Raten zu je 500,- EUR zu zahlen oder der
Umwandlung der Auflage zuzustimmen habe. In seinem Antwortschreiben vom 22. Juni
2004 erklärte der Verurteilte, an der Ratenzahlung festhalten zu wollen. Er werde sich
bemühen, die Ratenzahlungen einzuhalten, bitte aber um Verständnis, wenn diese hin
und wieder nicht ganz pünktlich einträfen, da er nicht immer Einfluss auf den
Geldeingang habe. Daraufhin setzte das Amtsgericht dem Verurteilten am 28. Juni 2004
eine Zahlungsfrist für die nächste Rate bis zum 2. Juli 2004. Da das gerichtliche
Schreiben erst am 30. Juni 2004 aus der Kanzlei abgesandt worden war, verfügte die
Abteilungsrichterin am 5. Juli 2004 eine Fristverlängerung um eine Woche. Am 6. Juli
2004 meldete sich der Verurteilte telephonisch bei der zuständigen Geschäftsstelle des
Amtsgerichts und kündigte eine Ratenzahlung für den 8. Juli 2004 sowie deren sofortigen
Nachweis per Telefax an. Am 9. Juli 2004, spätestens kurz vor Mittag, zahlte der
Verurteilte 500,- EUR in bar bei der Postbank ein. Den Einzahlungsbeleg, der als
Begünstigten das Amtsgericht Tiergarten nannte und auf dem sich das zutreffende
Aktenzeichen des Amtsgerichts befand, und die Einzahlungsquittung übermittelte er
dem Gericht per Telefax - Empfängernummer: 9014 2010 - um 12.07 Uhr
(Übersendungsbeginn, Bl. 51). Die bei der Akte befindliche Telefaxnachricht (Bl. 39) ist
mit dem Eingangsstempelaufdruck der Gemeinsamen Briefannahmestelle Moabit vom
15. Juli 2004, einem solchen der Staatsanwaltschaft Berlin vom Folgetag und schließlich
mit dem Stempelaufdruck der Geschäftsstelle des Amtsgerichts vom 22. Juli 2004
versehen. Die entsprechende Zahlungsanzeige der Justizkasse Berlin weist einen
Zahlungseingang des Verurteilten von 500,- EUR für den 13. Juli 2004 aus. Sie ging am
22. Juli 2004 bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts ein.
2. Nachdem die Abteilungsrichterin am 12. Juli 2004 in Unkenntnis der bereits
veranlassten Ratenzahlung eine weitere Fristverlängerung um zwei Tage verfügt hatte,
widerrief das Amtsgericht ohne Kenntnis des inzwischen erfolgten Zahlungseingangs die
Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss vom 15. Juli 2004, der am 20. Juli 2004
abgesandt wurde und dem Verteidiger des Verurteilten am 21. Juli 2004 zuging. Mit
seiner am 28. Juli 2004 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde begehrte der
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seiner am 28. Juli 2004 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde begehrte der
Verurteilte die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses. In der von seinem Verteidiger
eingereichten Beschwerdeschrift trug er vor, der Widerruf sei in gesetzwidriger Weise
beschlossen worden und habe in dieser Weise nicht ergehen dürfen. Richtig sei zwar,
dass er die Bewährungsauflage in wesentlichen Teilen nicht erfüllt habe. Es sei ihm
jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich gewesen, die Zahlungen in der
geforderten Höhe zu erbringen. Der Unterzeichner könne aus eigener Kenntnis
anwaltlich versichern, dass der Verurteilte bezüglich seines Maklerbüros einen
rechtskräftigen Räumungsvergleich geschlossen habe, nach dem ihm eingeräumt
worden sei, die Mietschulden in Höhe von etwa 6.000,- EUR bis März 2004 zu tilgen. Dies
sei dem Verurteilten indes nicht gelungen, so dass er die Büroräume habe aufgeben
müssen. Auch die sonstige wirtschaftliche Situation stelle sich schwierig dar, da der
Immobilienmarkt wegen der angespannten gesamtwirtschaftlichen Lage weitgehend
rückläufig sei, namentlich die Preise sehr weit herabgesunken und die Verkäufe
überhaupt stark zurückgegangen seien. Der Verurteilte habe daher nur geringfügige
Einnahmen, etwa aus Vermietungen, erzielt, die aber nicht ausgereicht hätten, um
seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Wiederholt habe sich der Verurteilte deshalb von
seinen Eltern, die Rentner seien, Geld leihen müssen, um seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten. Zudem habe er in der Vergangenheit nicht unerhebliche Schulden gemacht,
weil er sich in der Hoffnung auf künftige gute Geschäfte von einer Vielzahl von Personen
Geld geliehen habe. Weiter führte die Beschwerde aus, der Unterzeichner versichere
anwaltlich, dass einige dieser Personen nunmehr in massiver Weise gegen den
Verurteilten vorgingen und die Rückzahlung der Darlehen verlangten. Dem
Unterzeichner sei aber die Aussichtslosigkeit der Situation des Verurteilten auch deshalb
bekannt, weil er dessen Bitte, an dem Anhörungstermin vom 12. Mai 2004
teilzunehmen, unter Hinweis auf die noch offenen Verteidigergebühren zurückgewiesen
habe. Die Beschwerdebegründung enthält ferner rechtliche Ausführungen zur geltend
gemachten Zahlungsunfähigkeit des Verurteilten und zum Ablauf des
Widerrufsverfahrens. Insbesondere begründete der Verurteilte darin seine Ansicht, dass
ein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Zahlungsauflage mangels
Zahlungsfähigkeit nicht vorgelegen haben könne. Bezüglich der erörterten Änderung der
Zahlungs- in eine Arbeitsauflage trug er vor, dass er angesichts des ihm vom Gericht
nach dem Anhörungstermin mitgeteilten Umfangs der gemeinnützigen Arbeiten
befürchtet habe, seine Geschäftstätigkeit als Immobilienmakler unter einer solchen
Auflage nicht fortsetzen zu können. Auch sei das Gericht nicht auf seinen Vorschlag
eingegangen, die Ratenzahlungen vorübergehend auf 100,- EUR herabzusetzen.
Hinsichtlich der von dem Amtsgericht gesetzten Zahlungsfrist zum 2. Juli 2004 trug er
vor, das gerichtliche Schreiben erst am 5. Juli 2004 erhalten zu haben. Auf seinen Anruf
bei dem Gericht habe ihm die Geschäftsstellenbeamtin mitgeteilt, das Schreiben vom
28. Juni 2004 sei unbeabsichtigt lange liegen geblieben und es sei daher mit der
Richterin abgesprochen, die Zahlungsfrist bis zum 12. Juli 2004 zu verlängern. Er habe
sich dann Geld geliehen und am 9. Juli 2004 den Betrag überwiesen. Die entsprechenden
Nachweise - Überweisungsbeleg, Einzahlungsquittung der Deutschen Post AG und
Sendebericht der Telefaxübermittlung - waren der Beschwerdeschrift beigefügt (Bl. 50,
51). Abschließend enthielt die Beschwerdeschrift weitere Ausführungen zur
Rechtsansicht des Beschwerdeführers, der Widerruf sei zu Unrecht erfolgt.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, die sofortige Beschwerde des Verurteilten „aus den
zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses“ mit der Maßgabe zu verwerfen,
dass die geleisteten Zahlungen mit 30 Tagen auf die Strafe anzurechnen sind.
3. Die 16. große Strafkammer des Landgerichts Berlin, geschäftsplanmäßig mit dem
Vorsitzenden Richter am Landgericht B... und der Richterin am Landgericht Dr. K..., sowie
vertretungsweise durch den Richter am Landgericht Ka... besetzt, erließ daraufhin
folgenden Beschluss:
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Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. September 2004 lehnte der Verurteilte den
Vorsitzenden Richter am Landgericht B..., die Richterin am Landgericht Dr. K... und den
Richter am Landgericht Ka... wegen der Besorgnis der Befangenheit ab und erhob
„weitere sofortige Beschwerde“ gegen den vorstehend wiedergegebenen Beschluss.
Den Ablehnungsantrag begründete er im Wesentlichen damit, die Richter hätten lediglich
einen formularmäßigen Beschluss erlassen, sich aber mit dem ausführlichen
Beschwerdevorbringen des Verurteilten nicht auseinandergesetzt. Das
Ablehnungsgesuch verwarf die 16. große Strafkammer durch Beschluss vom 27.
September 2004 als unzulässig. Hiergegen legte der Verurteilte fristgerecht sofortige
Beschwerde ein. Mit seinem Beschluss vom 17. November 2004 - 5 Ws 582-583/04 -
verwarf der Senat die „weitere Beschwerde“ des Verurteilten, da nicht statthaft, als
unzulässig und die sofortige Beschwerde als unbegründet, da die Richterablehnung nach
Erlass der Entscheidung nicht mehr in Betracht komme. Auf die Einzelheiten der
Beschlussgründe wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
4. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. Dezember 2004 beantragte der Verurteilte
daraufhin bei dem Landgericht die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß
§ 33 a StPO. Zugleich lehnte er die an dem oben zitierten Beschluss beteiligten Richter
B... und Ka... sowie die Richterin Dr. K... unter Bezugnahme auf seine vorangegangene
Ablehnungsbegründung erneut wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. In der
dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Landgericht B... zu dem
Ablehnungsgesuch heißt es:
„Ich fühle mich nicht befangen. Die Berichterstatterin, Frau Ri'inLG Dr. K..., hat
mir die Sache seinerzeit vorgetragen. Wir sind trotz der eingereichten
Beschwerdebegründung zu der Auffassung gelangt, dass die Beschwerde aus den
zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses keinen Erfolg haben kann, mit
Ausnahme der Anrechnung der bezahlten Teilbeträge. Sodann wurden die Akten Herrn
RiLG Ka... zugeleitet“.
Die abgelehnte Richterin Dr. K... und der abgelehnte Richter Ka... erklärten sich jeweils
dahin, dass sie sich nicht befangen fühlten.
Das Landgericht hat das neuerliche Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 27. Januar
2005 als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss ist dem Verurteilten am 22.
Februar 2005 zugestellt worden. Die dagegen gerichtete, am 23. Februar 2005 bei
Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten hat Erfolg.
II.
1. Das Rechtsmittel ist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft und rechtzeitig (§ 311
Abs. 2 StPO) eingelegt. Der Zulässigkeit steht vorliegend nicht entgegen, dass das
Ablehnungsgesuch erst nach dem Erlass des nicht weiter anfechtbaren Beschlusses des
Landgerichts vom 25. August 2004 angebracht worden ist. Denn der Grundsatz, dass
Richter im Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung nicht mehr abgelehnt werden
können, wenn bereits eine abschließende Sachentscheidung getroffen ist (vgl. BGH
NStZ 1993, 600), schließt die Richterablehnung im Hinblick auf den nunmehr noch zu
bescheidenden Antrag nach § 33 a StPO nicht aus (vgl. KG JR 1984, 39; Pfeiffer in KK,
StPO 5. Aufl., § 25 Rdn. 5). Die Neufassung des § 33 a StPO durch Artikel 2 Nr. 1 des am
1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004
(BGBl. I 2004, S. 3220, 3221) hat daran nichts geändert, zumal da der Gesetzgeber die
nachträgliche Anhörung mit dem Ziel der Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten
gegen Gehörsverletzungen zu einem wiedereinsetzungsähnlichen Verfahren
ausgestaltet hat (vgl. allgemein zum Anhörungsrügengesetz Treber in NJW 2005, 97ff.).
2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Ablehnungsgesuch ist für begründet zu erklären. Denn die von dem Verurteilten
bezüglich der drei an dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. August 2005
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bezüglich der drei an dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. August 2005
beteiligten Richter geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit ist nach dem
individuell-objektiven Maßstab des § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt. Die Ablehnung eines
Richters nach dieser Vorschrift ist begründet, wenn der Ablehnungsberechtigte bei
verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat,
der abgelehnte Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen
Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne (vgl. BGHSt 24, 336, 338; Pfeiffer in
KK, StPO 5. Aufl., § 24 Rdn. 3 mit weit. Nachw.). Zwar kommt es dabei auf den
Standpunkt des Ablehnenden an, nicht aber auf dessen möglicherweise unzutreffende
subjektive Vorstellungen; maßgebend ist vielmehr, ob ein am Verfahren Beteiligter bei
vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unparteilichkeit des Richters
zu zweifeln (vgl. Pfeiffer aaO). Nicht erforderlich ist, dass der abgelehnte Richter
tatsächlich parteilich oder voreingenommen ist; auf die eigene Einschätzung des
Abgelehnten als unbefangen kommt es ebenso wenig an (vgl. Meyer-Goßner, StPO 47.
Aufl., § 24 Rdn. 6). Bestehen bei objektiv vorhandenen Anhaltspunkten für eine
Voreingenommenheit Zweifel daran, ob ein Befangenheitsgrund vorliege, so ist
„zuungunsten des abgelehnten Richters“ zu entscheiden (vgl. BayObLG 2 1974, 131,
137; Pfeiffer aaO Rdn. 3).
a) Gemessen an diesen Kriterien ist es zwar anerkannt, dass richterliche Entscheidungen
dem Betroffenen auch dann kein Ablehnungsrecht geben, wenn sie aus tatsächlichen
oder rechtlichen Gründen fehlerhaft sind (vgl. BGH VRS 41, 203, 205; Meyer-Goßner aaO
Rdn. 14 mit weit. Nachw.); etwas anderes gilt jedoch, wenn die Entscheidung, sei es aus
inhaltlichen Gründen, sei es wegen der in der Fassung der Entscheidung erkennbar
gewordenen unvollständigen Sachbearbeitung, unter keinem - einzelfallbezogenen -
Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint und deshalb nach objektiven Maßstäben
geeignet ist, den Anschein sachfremder, willkürlicher Behandlung zu erwecken (vgl. BGH
aaO; Pfeiffer aaO Rdn. 6). Das ist bei dem Beschluss der Strafkammer vom 25. August
2004 angesichts des faktisch vollständigen Unterbleibens einer Begründung der Fall.
b) Der Umstand, dass die Strafkammer trotz des umfangreichen und inhaltlich
beachtlichen Beschwerdevorbringens des Verurteilten und ungeachtet des in einem
Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung liegenden einschneidenden
Grundrechtseingriffs auf sein Vorbringen nicht eingegangen ist, verletzt den Anspruch
des Verurteilten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG NJW 2004,
1519).
Zwar verpflichtet das im Range eines Prozessgrundrechts (vgl. BVerfGE 58, 353, 356)
stehende Gebot des rechtlichen Gehörs das Gericht nicht, ausnahmslos jedes
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu
bescheiden (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. zuletzt in
NJW 2004, 1519); namentlich ist es nicht verpflichtet, sich mit abwegigem Sachvortrag
auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG NJW 1997, 1433; 1996, 2785). Von solchen
Ausnahmen abgesehen, ist das Gericht aber verpflichtet, die Ausführungen zur Kenntnis
zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und den wesentlichen, der Rechtsverfolgung und
Rechtsverteidigung dienenden Vortrag der Beteiligten in den Entscheidungsgründen zu
verarbeiten (vgl. BVerfG aaO; std. Rspr.). Denn das Gebot des rechtlichen Gehörs soll
sicherzustellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die
auf unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvorbringens der
Beteiligten beruhen (BVerfGE 58, 353, 356; 50, 32, 35). Die (materielle) Erwägungspflicht
korrespondiert mit der (formellen) Pflicht, dem Erwogenen in den schriftlichen
Entscheidungsgründen Ausdruck zu geben; denn nur die Begründung gibt die eindeutige
Antwort auf die Frage, was erwogen worden ist, und ermöglicht die Prüfung, ob alles
erwogen wurde, was zu erwägen war (vgl. BVerfGE 54, 86, 91, 92).
Zwar spricht grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass das Gericht das Vorbringen der
Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung zur Kenntnis genommen hat (vgl. BVerfGE
54, 43, 46; 96, 205, 216); diese wird auch nicht notwendig schon dadurch entkräftet,
dass das betreffende Vorbringen in den schriftlichen Entscheidungsgründen unerwähnt
bleibt (vgl. BVerfGE 47, 182, 187). Geht das Gericht aber auf den wesentlichen Kern des
Tatsachenvortrags oder der Rechtsausführungen eines Beteiligten zu einer Frage, die für
das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so
lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vorbringens schließen, sofern es nicht nach
der Rechtsauffassung des Gerichts im konkreten Fall unerheblich oder offensichtlich
unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 86, 133, 146; 47, 182, 189).
c) Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen war vorliegend
nach diesen Rechtsgrundsätzen und angesichts des oben (vor 1.) dargestellten, durch
die rege, auch in der Form angemessene Kommunikation zwischen dem Verurteilten
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die rege, auch in der Form angemessene Kommunikation zwischen dem Verurteilten
und dem Amtsgericht gekennzeichneten Bewährungsverlaufes sachlich unerlässlich.
Denn sowohl das Vorbringen der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss
als auch die vorangegangenen Eingaben des Verurteilten als auch der Anhörungstermin
hatten die Frage der Zahlungsfähigkeit des Verurteilten zum Gegenstand. Für die
Prüfung, ob ein den Bewährungswiderruf nach § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB
rechtfertigender gröblicher oder/und beharrlicher Verstoß gegen die erteilte
Zahlungsauflage vorliegt, war die Frage der Zahlungsfähigkeit des Probanden indes
entscheidend. Denn Voraussetzung für die Annahme eines derartigen
Auflagenverstoßes ist die Zahlungsfähigkeit des Verurteilten; ist er zahlungsunfähig,
scheidet dieser Widerrufsgrund aus und kommt ein Bewährungswiderruf folglich nicht in
Betracht (vgl. OLG Düsseldorf StV 1995, 595; OLG Hamm StV 1993, 259; KG, Beschluß
vom 7. August 2000 - 5 Ws 528/00 - bei juris; Groß in MünchKomm, StGB § 56 f Rdn. 18;
Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 56 f Rdn. 12). Der Widerrufsgrund - hier die Tatsachen
für einen gröblichen und beharrlichen Auflagenverstoß - muss im Übrigen positiv
festgestellt werden, so dass insoweit der Rechtssatz „in dubio pro reo“ gilt (vgl. OLG
Düsseldorf, OLG Hamm und KG aaO; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 13). Es ist Sache des
Gerichts, die insoweit maßgebenden Umstände aufzuklären; den Verurteilten trifft
insofern keine Beweislast (OLG Düsseldorf, OLG Hamm und KG aaO). An der positiven
Feststellung der Zahlungsfähigkeit des Verurteilten fehlt es vorliegend. Der
Beschwerdeführer hat wiederholt schriftlich wie auch im Rahmen seiner mündlichen
Anhörung und schließlich mit der sofortigen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß
eingehende Angaben zu seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
gemacht und dabei - nachvollziehbar - gravierende Zahlungsprobleme behauptet.
Danach sind Zweifel an seiner durchgängigen Zahlungsfähigkeit in der Weise begründet,
dass ein gröblicher oder beharrlicher Auflagenverstoß jedenfalls nicht positiv festgestellt
werden kann.
Dass die Strafkammer das Beschwerdevorbringen aus Rechtsgründen für unerheblich
gehalten oder als offenkundig unsubstantiiert angesehen hätte, hat sie nicht dargelegt.
Eine solche Beurteilung liegt nach dem oben Ausgeführten auch fern.
Einer Erörterung bedurft hätte vor allem auch das Beschwerdevorbringen zu der am 9.
Juli 2004 von dem Verurteilten vorgenommenen Überweisung in Höhe von 500,- EUR, da
es für die Beurteilung der Prognose erheblich war. Insbesondere hätte sich aufgedrängt,
auf den Umstand einzugehen, dass der Verurteilte den Ratenbetrag innerhalb der ihm
vom Amtsgericht zugebilligten Fristverlängerung bis zum 12. Juli 2004 eingezahlt hat,
nachdem das Amtsgericht zuvor, im Schreiben vom 28. Juni 2004, zunächst eine
unrealistisch kurze Frist (bis zum 2. Juli 2004) bestimmt hatte. Da diese Zahlung dem
Amtsgericht bei Erlass des Widerrufsbeschlusses nicht bekannt war, war die
Bezugnahme der Strafkammer auf „die zutreffenden Gründe“ der angefochtenen
Entscheidung insoweit verfehlt und lässt - bei Zugrundelegung der Sichtweise eines
vernünftigen Verfahrensbeteiligten - den Eindruck nachvollziehbar erscheinen, die
Kammer habe bei ihrer Entscheidung den wesentlichen Akteninhalt nicht vollständig
berücksichtigt.
Auch aus der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden Richters am Landgericht B... lässt
sich nicht entnehmen, warum die Strafkammer in ihren Beschlussgründen vom 25.
August 2004 das Beschwerdevorbringen komplett unbeachtet gelassen hat, aus welchen
Gründen es für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen sein sollte.
d) Dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zwangsläufig die Besorgnis der
Voreingenommenheit der an der Entscheidung beteiligten Richter zu begründen
geeignet ist, verkennt der Senat bei alledem nicht. Aufgrund der dargestellten
Besonderheiten des Bewährungsverlaufs, der materiellrechtlich fehlerhaften
Sachbehandlung bereits durch das Amtsgericht und anschließend durch die
Strafkammer sowie maßgeblich wegen der Art und Weise der Bescheidung der
sofortigen Beschwerde rechtfertigt sich aus der Sicht eines verständigen
Verfahrensbeteiligten jedoch der Schluss, dass sich die an der Beschwerdeentscheidung
beteiligten Richter geweigert haben, sich mit seinem Vorbringen inhaltlich zu befassen.
Insbesondere der Umstand, dass die Zahlung der letzten Rate, die der
Beschwerdeführer innerhalb der ihm gesetzten Nachfrist veranlasst hatte, unerörtert
blieb, lässt seine Besorgnis, die entscheidenden Richter verweigerten ihm den nach Art.
19 Abs. 4 GG gewährleisteten gerichtlichen Rechtsschutz, verständlich erscheinen, hatte
er doch mit der Überweisung vom 9. Juli 2004 der gerichtlichen Forderung entsprochen.
Das begründet nach den oben dargelegten Maßstäben die Ablehnung.
e) Das Ablehnungsgesuch bezüglich des Richters am Landgericht Ka... ist nicht deshalb
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e) Das Ablehnungsgesuch bezüglich des Richters am Landgericht Ka... ist nicht deshalb
gegenstandslos, weil er lediglich vertretungsweise an der Beschlussfassung mitgewirkt
hat, regelmäßig aber an Entscheidungen der Strafkammer 16 nicht beteiligt ist. Denn
der Abgelehnte gehört der 1. großen Strafkammer des Landgerichts an, deren Beisitzer
auch nach dem Geschäftsplan des Landgerichts Berlin für 2005 zur Vertretung der
Beisitzer der 16. großen Strafkammer berufen sind (Geschäftsplan 2005 Rdn. 109).
Wenngleich der Abgelehnte als ständiger Vertreter des Vorsitzenden nur nachrangig zur
Vertretung in der Strafkammer 16 berufen ist, wäre danach seine erneute Befassung mit
der vorliegenden Sache im nachträglichen Anhörungsverfahren nach § 33 a StPO nicht
ausgeschlossen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse, weil kein anderer für sie
haftet.
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