Urteil des KG Berlin vom 12.02.2001

KG Berlin: psychische störung, grad des verschuldens, billige entschädigung, schmerzensgeld, kopfschmerzen, wahrscheinlichkeit, fahrzeug, unfallfolgen, körperverletzung, kausalität

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 103/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, § 847 Abs 1
BGB
Schadenersatz bei Verkehrsunfall: Schmerzensgeld bei
Streifunfall zwischen einem Fußgänger und einem
Polizeifahrzeug bei leichter Körperverletzung und
unfallbedingter psychischer Störung
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Februar 2001 verkündete Urteil
des Landgerichts Berlin – 24 O 520/99 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.000,– EUR nebst 4 %
Zinsen seit dem 20. Juli 2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 33 % und der Beklagte
67 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die Klägerin und Berufungsklägerin verlangt Schmerzensgeld für körperliche und
seelische Beeinträchtigungen, die sie durch die Fahrweise eines Polizeiwagens des
Beklagten (Fahrer: Zeuge G) am 18. November 1996 davongetragen haben will
(erwartete Schmerzensgeldhöhe: 7.000,– DM = 3.579,04 EUR). Bei dem fraglichen
Geschehen ist die Klägerin unstreitig zwischen ihr in zweiter Reihe abgestelltes Auto und
einen langsam vorbeifahrenden Polizeiwagen geraten, dessen Fahrer sehenden Auges in
die Engstelle hineingefahren war. Dabei hat sie – unstreitig – jedenfalls eine
Ellenbogenprellung erlitten. Umstritten ist, ob sie darüber hinaus eine
Brustkorbquetschung, einen Schock und psychische Folgeschäden erlitten hat.
Der Zeuge G als Fahrer des Polizeiwagens ist vom Amtsgericht Tiergarten – 299 Ds
213/97 – rechtskräftig wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubten Entfernens
vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 130,– DM verurteilt worden
(§§ 230, 232, 143 Abs. 1, 53 StGB).
Das Landgericht hat nach persönlicher Anhörung der Klägerin und nach
Beweisaufnahme (Zeugen G, D, Y) eine Brustkorbquetschung nicht als bewiesen
angesehen (S. 6 der Urteilsgründe), infolgedessen auch die Folgebeschwerden nicht für
bewiesen gehalten (S. 8 der Urteilsgründe), die Ellenbogenprellung als Bagatelle
eingestuft und die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den erstinstanzlichen Anspruch weiter mit
folgender Begründung:
1. Das Landgericht habe die Aussagen der Zeugen D, Y und G sowie die vorgelegten
ärztlichen Atteste unzutreffend gewürdigt, sich ohne eigene Sachkunde über die
Diagnose des Dr. M hinweggesetzt und sei deswegen zu dem unzutreffenden
Ergebnis gelangt, die Klägerin habe keine Brustkorbquetschung erlitten.
2. Das Landgericht habe ferner verkannt, dass sie – unabhängig von der
Brustkorbquetschung – infolge des Unfallschocks Verspannungen unterhalb der
Halswirbelsäule erlitten habe, mit starken Kopfschmerzen, die sich zu einem
Dauerkopfschmerz entwickelt hätten. Wegen der erlittenen Todesangst leide sie
auch weit über zwei Jahre nach dem Unfall unter massiven Angstzuständen, die sich
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auch weit über zwei Jahre nach dem Unfall unter massiven Angstzuständen, die sich
in Herzrasen bemerkbar machten und zu gravierenden Schlafstörungen,
Kopfschmerzen, Alpträumen, Schwindelanwandlungen und Brechreizsymptomen
geführt hätten.
3. Vorsorglich bestreitet sie ein Mitverschulden am Unfallhergang.
Die Klägerin beantragt,
das am 12. Februar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 24 O
520/99 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes
Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen
Sachverständigengutachtens (Dr. R vom 21. Oktober 2003) sowie eines nervenärztlichen
Gutachtens (Dr. H vom 28. Januar 2004).
B. Die Berufung der Klägerin ist teilweise erfolgreich. Die in der Berufungsinstanz
durchgeführte Beweisaufnahme hat zwar die Behauptungen der Klägerin nicht bestätigt,
sie habe bei der Berührung mit dem Polizeifahrzeug des Beklagten am 18. November
1996 eine Brustkorbquetschung mit beträchtlichen körperlichen Folgebeschwerden sowie
einen Unfallschock erlitten. Mit dem Landgericht sieht es der Senat nur als erwiesen an,
dass es zu einer Berührung zwischen der Klägerin und der linken Seite des
Funkstreifenwagens gekommen ist. Es steht – abweichend vom Landgericht – nach
sachverständiger Begutachtung für den Senat jedoch fest, dass dieses
Berührungsgeschehen bei der Klägerin eine psychische Störung ausgelöst oder eine
vorhandene psychische Störung jedenfalls nachhaltig vertieft hat mit der Folge, dass sie
für den Zeitraum von etwa einem Jahr unfallbedingt Verspannungen unterhalb der
Halswirbelsäule mit starkem Dauerkopfschmerz, sporadisch auftretendem Schwindel
sowie Nackenschmerzen und Schmerzen im gesamten Brustkorbbereich erlitten hat.
Hierfür steht der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,– EUR zu.
Weitergehendes Schmerzensgeld kann die Klägerin, die sich einen Ausgleich in Höhe von
3.579,04 EUR (7.000,– DM) vorgestellt hat, jedoch nicht verlangen.
I. 1) Nach § 847 Abs. 1 BGB a. F. kann das Opfer einer Körper- oder
Gesundheitsverletzung wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine
billige Entschädigung in Geld verlangen. Sache des Geschädigten im Prozess ist es – wie
das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – eine deliktische Körper- oder
Gesundheitsverletzung durch den Anspruchsgegner und deren weitere Folgen
darzulegen und bei erheblichem Bestreiten zu beweisen. Das gilt auch, wenn – wie hier –
das L B im Wege der Amtshaftung nach §§ 823 Abs. 1, 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG für
Schäden in Anspruch genommen wird, die ein Amtsträger in Ausübung seines ihm
anvertrauten öffentlichen Amtes einen Dritten zugefügt hat (vgl. Urteil des Senats vom
8. Juni 2001 – 12 U 7095/99 –).
2) Grundsätzlich haftet ein Schädiger für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die
der Geschädigte durch die Schädigungshandlung erleidet, gleich ob körperlicher oder
seelischer Art. Für den vom Anspruchsteller zu führenden Beweis einer Ursächlichkeit
des Unfalls für die Rechtsgutsverletzung, also den sogenannten "Ersterfolg"
(haftungsbegründende Kausalität), gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Dies bedeutet, dass
das Gericht nicht nur von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, sondern von der
Wahrheit der behaupteten Tatsache zu überzeugen ist; hierfür genügt ein so hoher Grad
von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig
auszuschließen.
Für die Ursächlichkeit zwischen einer feststehenden Verletzung des Rechtsgutes (Körper
oder Gesundheit) und der Weiterentwicklung oder dem Umfang des Schadens
(haftungsausfüllende Kausalität) hingegen gilt § 287 ZPO mit der Folge, dass hierfür der
Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. BGH, NJW
2003, 1116; Senat, KGR 2000, 81 m. w. N.).
Dies betrifft auch psychische Folgewirkungen eines Unfalls. Insoweit hat jedoch die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, der Zurechnung von
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Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, der Zurechnung von
Unfallfolgen in zweifacher Hinsicht Grenzen gezogen. Ein Schädiger muss zum einen
nicht für Folgen einstehen, die dadurch entstehen, dass die Schädigungshandlung zu
einer Renten- und Begehrensneurose führt, wenn also der Geschädigte den Schadensfall
in einem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherung lediglich zum Anlass
nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Zum
anderen haftet ein Schädiger nicht, soweit das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist
(also eine Bagatelle) und die psychische Reaktion des Verletzten im konkreten Fall
wegen ihres groben Missverhältnisses zum Anlass schlechterdings nicht mehr
verständlich ist; für eine vorhandene spezielle Schadensanlage des Geschädigten muss
der Schädiger allerdings einstehen (vgl. zu allem BGH, NJW 2001, 143; NJW 1998, 813;
NJW 1992, 1043, Senat, Urteil vom 23. April 2001 – 12 U 1885/99 –; zur Bagatelle auch
OLG Hamm DAR 2001, 360; zusammenfassend Küppersbusch, Ersatzansprüche bei
Personenschaden, 7. Aufl. 2000, Rn. 8 m. w. N.).
3) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes für eine bewiesene Körperverletzung ist
von seiner Doppelfunktion auszugehen (vgl. BGHZ 18, 149 = NJW 1955, 1675; KG DAR
1987, 151 = VRS 72, 331, 333). Es soll dem Geschädigten einen angemessenen
Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und
zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten
Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Der Entschädigungs- und
Ausgleichsgedanke steht im Vordergrund. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der
Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der
Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen und Leiden
sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, Übersehbarkeit des
weiteren Krankheitsverlaufes, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der
Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles. Dabei ist nicht der aus der
Rechtsprechung ersichtliche Rahmen zu sprengen (vgl. Senat, KGR 2003, 140).
Allerdings kann sich der Umstand einer gesundheitlichen Vorschädigung des Verletzten
anspruchsmindernd auswirken (BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425).
II. Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht der Klägerin ein Schmerzensgeld von 2.000,–
EUR zu.
1) Der vom Zeugen G gesteuerte Polizeiwagen hat die Klägerin im Vorbeifahren
körperlich berührt mit der Folge einer Ellenbogenprellung. Dies hat das Landgericht
zutreffend nach Zeugenvernehmung festgestellt (S. 6 der Urteilsgründe). Der Senat
folgt diesen Feststellungen. Zu ergänzen ist lediglich, dass sich der Zeuge G fahrlässig
verhalten hat, indem er in den Engpass hineingefahren ist, obwohl – für ihn erkennbar –
die Klägerin dort neben ihrem Auto stand. Dies hat auch das Amtsgericht Tiergarten in
dem rechtskräftigen Urteil vom 20. Oktober 1997 – 299 Ds 231/97 – hinreichend
ausgeführt.
2) Die behauptete Brustkorbquetschung als unmittelbare körperliche Folge dieser
Berührung hat die Klägerin im Zivilprozess nicht bewiesen, obwohl sie im
vorbezeichneten Strafurteil festgestellt worden war.
Der Senat hat hierzu ein Gutachten des Orthopäden Dr. R eingeholt. Dieser hat die
Klägerin umfassend orthopädisch untersucht, sie zu ihren aktuellen und früheren
Beschwerden und ihrer Krankheitsgeschichte befragt und die von der Klägerin
vorgelegten ärztlichen Dokumente ausgewertet. Ferner hat er die Schilderung der
Klägerin zur Entstehung der behaupteten Unfallverletzung aus orthopädischer Sicht
überprüft. Danach ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass es – soweit sieben Jahre nach
dem Unfallgeschehen überhaupt noch feststellbar – "bei dem Ereignis am 18.11.1996 zu
einer wohl oberflächlichen Berührung des Brustkorbs der Klägerin gekommen ist, die
aber zu keiner währenden und bleibenden Gesundheitsstörung geführt hat" (S. 16 des
Gutachtens).
Damit hat die Klägerin den ihn obliegenden Beweis für die Brustkorbquetschung nicht
führen können. Der Sachverständige hat seine Informationsgrundlagen sorgfältig
zusammengestellt und sie erkennbar fachkundig verarbeitet – die Klägerbehauptung hat
er nicht bestätigen können. Folglich ist auch nicht bewiesen, dass die behaupteten
Folgeerkrankungen der Brustquetschung auf den Unfall zurückgehen (insbesondere
starke Schmerzen beim aufrechten Gang sowie Herzbeschwerden, die langwierig hätten
behandelt werden müssen).
3) Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, dass sie durch das Unfallgeschehen einen
Schock erlitten hat, der Herzrhythmusstörungen ausgelöst hat.
Diese Klägerbehauptung hat der Senat durch den Neurologen und Psychiater Dr. H
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Diese Klägerbehauptung hat der Senat durch den Neurologen und Psychiater Dr. H
überprüfen lassen. In seinem Gutachten vom 28. Januar 2004 hat dieser – gleichfalls
nach ausführlicher Auswertung des Akteninhaltes sowie nach neurosenpsychologischer
Anamnese der Klägerin – ausgeführt, es sei nach der verstrichenen Zeit nicht mehr
feststellbar, ob die Klägerin bei dem Unfall einen Schock erlitten habe; ihr Verhalten
nach dem Geschehen sei allerdings recht sach- und zweckgerichtet gewesen und
spreche nicht so sehr für einen deutlichen Unfallschock, bei dem doch ein etwas anderes
Verhaltungsmuster zu erwarten gewesen wäre (S. 12 des Gutachtens). Einen
Zusammenhang zwischen dem Unfall und Herzrhythmusstörungen hat der
Sachverständige darüber hinaus eindeutig verneint: Nach seinem Dafürhalten seien
Herzrhythmusstörungen hier nicht ereigniskorreliert zu begründen, also auf einen
Unfallschock zurückführbar, sondern hätten ihre Ursache vermutlich in den
Gefäßveränderungen und dem Hochdruck (a. a. O.).
4) Allerdings hat der Sachverständige – für das Gericht ebenfalls überzeugend –
dargelegt, der Unfall habe bei der Klägerin eine psychische Störung ausgelöst oder
jedenfalls eine vorhandene Störung vertieft. Der Sachverständige führt in diesem
Zusammenhang aus:
"Durch das beschriebene Verhalten des Polizisten ist eine große Enttäuschung
bei ihr eingetreten und auch eine narzißtische Kränkung auf dem Hintergrund ihrer
Persönlichkeitsstruktur, weil sie sich schon immer mit Ungerechtigkeiten und solche
Aspekten speziell gegenüber Nichtdeutschen beschäftigt und auch beruflich offenbar viel
auseinandersetzt" (Seite 15 des Gutachtens).
An anderer Stelle ordnet er das Geschehen in einen größeren Zusammenhang ein:
"Der Unfall hat aufgrund der beschriebenen Persönlichkeitsstruktur zu einer
narzißtischen Kränkung mit ichbezogener Überbewertung geführt, was zusammen mit
dem latent vorhandenen aggressiven Potential zu einem verbissenen Machtkampf um
Akzeptanz und Genugtuung geführt hat. Diese Entwicklung ist nur unter der schon
schwierigen depressiv, vielleicht paranoiden Persönlichkeitsstruktur zu erklären und zu
verstehen. Frau D. ist schwer in der Lage, Abstand zu gewinnen, sich bewußt zu machen,
was sie sich selbst eigentlich damit antut. Hier wird das Ereignis sozusagen zum Anlaß
genommen, um persönlichkeitseigene Probleme zu leben, die ihrerseits nicht einer
gewissen Problematik und Tragik entbehren (Seite 11 des Gutachtens).
Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin als Primärverletzung
aus dem Unfall vom 18. November 1996 eine psychische Störung davongetragen oder
sich eine vorhandene Störung deutlich vertieft hat. Der Umstand, das Letzteres nicht
auszuschließen ist, geht nicht zu Lasten der Klägerin; denn der Schädiger wird dadurch
nicht entlastet, dass er einen gesundheitlich vorgeschädigten Menschen verletzt hat
(vgl. oben unter 2) sowie BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425; Senat, KGR 2003, 27 = NZV
2003, 239 = VRS 104, 81).
5) Diese seelische Primärverletzung, die der Senat gem. § 286 ZPO als bewiesen
ansieht, hat körperliche Folgen für die Klägerin nach sich gezogen. Dies hält der Senat
nach § 287 ZPO für erwiesen.
Der Sachverständige Dr. H hat weiter ausgeführt, es sei "akzeptabel" anzunehmen, dass
bei der beschriebenen psychischen Reaktion auch eine psychosomatische Überlagerung
mitursächlich für die vorhandenen Verspannungen und damit ausgelösten Beschwerden
sein könne (Gutachten S. 16).
Diese eher allgemein gehaltene Feststellung findet eine Bestätigung in der ärztlichen
Erklärung der behandelnden Fachärztin Dr. M R vom 12. Februar 2000, auf die die
Klägerin sich bezogen hat. Diese attestiert der Klägerin ein unfallbedingtes "phobisches
Syndrom mit Panikattacken und kognitiven Störungen" und bestätigt ihr, nach dem
Unfall an Kopfschmerzen, Schulter-Nackenverspannungen und u. a. Schmerzen unter
dem Brustbein gelitten zu haben.
Der Senat hält es danach für hinreichend wahrscheinlich (§ 287 ZPO), dass die geklagten
Beschwerden, also Verspannungen unterhalb der Halswirbelsäule, starke
Kopfschmerzen, die sich zu einem Dauerkopfschmerz entwickelt hätten, sporadisch
auftretende Schwindel, Nackenschmerzen sowie Schmerzen im gesamten
Brustkorbbereich auf den Unfall und dessen seelische Verarbeitung zurückgehen.
Allerdings hat der Sachverständige Dr. H erläutert, die unfallbedingte Symptomatik sei
zeitlich auf etwa ein Jahr zu begrenzen. Längerfristige und schon gar nicht anhaltende
Beschwerden seien durch den Unfall nicht ausgelöst worden (S. 16 des Gutachtens).
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Diese psychische Ursachenkette hat das Landgericht übergangen und – zu Unrecht –
aus der Nicht-Beweisbarkeit einer Brustkorbquetschung abgeleitet, die übrigen
behaupteten Beschwerden könnten nicht unfallbedingt sein (S. 8 der
Entscheidungsgründe).
6) Die Beschwerden der Klägerin stellen auch keine unverhältnismäßige Reaktion auf
eine Bagatellverletzung dar. Die Situation im vorliegenden Fall ist insoweit nicht allein
nach dem eher geringen Kontakt der Klägerin mit dem Polizeiwagen zu beurteilen,
sondern auch nach der für die Klägerin spürbaren Gefährlichkeit der Lage. Diese war
beträchtlich. Ein völliges Mißverhältnis ihrer seelischen Reaktion auf den Unfall ist daher
nicht feststellbar. Der Umstand, dass die Klägerin möglicherweise seelisch vorgeschädigt
war, entlastet den Schädiger nicht (vgl. oben zu 4).
7) Ein unfallursächliches Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls,
das der Beklagte erstinstanzlich behauptet und auf das er sich in der
Berufungserwiderung erneut bezogen hat, kann der Senat nicht erkennen. Zwar ist nicht
auszuschließen, dass die Klägerin dadurch, dass sie ihr Fahrzeug in einer Engstelle
angehalten, gegen ihre Pflichten aus § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO verstoßen hat. Ein
mögliches Verschulden der Klägerin hierdurch tritt jedoch vollständig hinter das
Verschulden des Zeugen G zurück, der ohne Not in die Engstelle hineingefahren ist, in
der sich – für ihn sichtbar – die Klägerin aufhielt; er hat mit ihr während des Vorgangs
sogar aus dem Fahrzeug heraus gesprochen.
Kein Verschulden liegt darin, dass die Klägerin versucht hat, zu ihrem Fahrzeug zu
gelangen, um wegzufahren – dies war vielmehr angesichts des herannahenden
Polizeifahrzeuges ein sinnvolles und gebotenes Verhalten. Mit der Weiterfahrt des
Polizeifahrzeuges trotz ihrer Anwesenheit musste sie nicht rechnen.
8) Unter Berücksichtigung der seelischen Prädisposition der Klägerin, die der
Sachverständige schon durch zeitliche Begrenzung der Unfallfolgen berücksichtigt hat,
der Dauer und der Intensität der Beschwerden, aber auch unter Einbeziehung des
langen Zeitraums, während dessen die Klägerin um das Schmerzensgeld kämpfen
mußte und sich hierfür weiteren Begutachtungen unterziehen musste, hält der Senat ein
Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,– EUR für angemessen. Bei der Bemessung der
Höhe ist neben den Unfallfolgen auch zu berücksichtigen, dass die Geltendmachung des
Anspruchs für die Klägerin ungewöhnlich belastend war. Der Sachverständige Dr. H hat
in diesem Zusammenhang von "Tragik" gesprochen und formuliert, es sei sicher sinnvoll,
wegen der Folgen für die Klägerin den Prozess möglichst bald zu beenden (S. 14 des
Gutachtens). Auch die Genugtuungsfunktion (vgl. dazu BGH, VersR 96, 382) ist aufgrund
des grob fahrlässigen Verhaltens des Polizeibeamten G nicht zu vernachlässigen (vgl.
ebenso AG Tiergarten, a. a. O., vorletzte Seite des Strafurteils). Die Klägerin hat sich
regelrecht von der Staatsmacht "an die Wand gedrückt" gefühlt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m.
§ 26 Nr. 8 EGZPO und § 291 BGB a. F.
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