Urteil des KG Berlin vom 24.03.2006

KG Berlin: zwingende bestimmung, vorläufige festnahme, gebühr, entstehung, bauer, unterbringung, inhaftierung, pflichtverteidiger, verkündung, link

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Gericht:
KG Berlin 4.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 Ws 76/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Teil 4
Vorbem 4 Abs 4 RVG
Rechtsanwaltsvergütung: Entstehung des gebührenrechtlichen
Haftzuschlags; Zahlungsfähigkeit
Leitsatz
Der gebührenrechtliche Haftzuschlag entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte (nur)
vorläufig festgenommen ist (hier: Verteidigung im beschleunigten Verfahren).
Tenor
Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten gegen den
Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. März 2006 wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Rechtsanwalt ... ist dem am 8. November 2005 vorläufig festgenommenen Angeklagten
in der am Folgetag im beschleunigten Verfahren durchgeführten Hauptverhandlung
gemäß § 418 Abs. 4 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt worden. In seinem Antrag auf
Kostenfestsetzung hat er sowohl die Grund- als auch die Verfahrensgebühr und die
Terminsgebühr jeweils mit Zuschlag nach den Nrn. 4101, 4107 und 4109 VV RVG in
Höhe von insgesamt 523,00 € nebst Umsatzsteuer geltend gemacht. Die
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung mit der Begründung, der
Rechtsanwalt habe im vorbereitenden Verfahren keinen Kontakt mit dem damaligen
Beschuldigten gehabt und dessen Hauptverhandlungshaft sei mit dem Beginn der
Hauptverhandlung „beendet“ gewesen, abgelehnt; stattdessen hat sie die Gebühren
nach den Nrn. 4100, 4106, 4108 VV RVG festgesetzt. Auf die Erinnerung des
Rechtsanwalts hat das Amtsgericht die Entscheidung der Urkundsbeamtin insoweit
aufgehoben und die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen vom
Bezirksrevisor des Amtsgerichts eingelegte, gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3
Satz 2 RVG zugelassene Beschwerde hat das Landgericht - nach Übertragung der Sache
vom Einzelrichter auf die Kammer - mit dem angefochtenen Beschluss verworfen.
Zugleich hat es gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere
Beschwerde zugelassen. Das fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach der (amtlichen) Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil 4 VV RVG entsteht die Gebühr
mit Zuschlag, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet. Die
Vorbemerkung hat die Regelung des § 83 Abs. 3 BRAGO dem Grunde nach
übernommen. Anders als bei dieser handelt es sich jedoch nicht um eine Kann-
Regelung, sondern um die zwingende Bestimmung, dass nunmehr bei Inhaftierung oder
Unterbringung des Mandanten die Gebühr immer aus dem erweiterten Rahmen entsteht
(vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 221; Podlech-Trappmann in Bischof/Jungbauer/Podlech-
Trappmann, RVG, Vergütungsverzeichnis Teil 4 S. 633; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG
9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdnr. 13). Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen,
dass die Inhaftierung oder Unterbringung des Mandanten für den Rechtsanwalt auf jeden
Fall zu einem Mehraufwand führt, zumeist in Form eines erheblich größeren
Zeitaufwandes, der in der Regel allein schon durch die erschwerte Kontaktaufnahme mit
dem in einer Justizvollzugsanstalt (oder einer anderen Einrichtung) einsitzenden
Mandanten entsteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971 aaO).
Vorliegend stehen dem Pflichtverteidiger die Gebühren nach den Nrn. 4101, 4107 und
4109 VV RVG zu. Das Landgericht hat hinsichtlich der Grund- und der Verfahrensgebühr
zutreffend ausgeführt, dass Rechtsanwalt ... nach Aktenlage bereits vor der mündlichen
Erhebung der Anklage in der Hauptverhandlung am 9. November 2005, also im
vorbereitenden Verfahren, Kontakt mit dem (späteren) Angeklagten zwecks
Vorbereitung der Hauptverhandlung hatte und dieser sich zum damaligen Zeitpunkt
aufgrund seiner vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 bzw. § 127 b Abs. 1 StPO nicht
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aufgrund seiner vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 bzw. § 127 b Abs. 1 StPO nicht
auf freiem Fuß befand. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers kommt es für
die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag nicht darauf an, ob im
Einzelfall Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des
Rechtsanwalts geführt haben (vgl. Schmahl in Riedel/Sußbauer aaO VV Teil 4 Abschnitt 1
Rdnr. 14). Denn die (amtliche) Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil 4 VV RVG enthält eine
generelle, gerade nicht auf den Einzelfall bezogene Regelung ohne Ausnahmen oder
Einschränkungen ihrer Anwendung.
Auch bezüglich der Terminsgebühr nach Nr. 4109 hat das Landgericht zu Recht bejaht,
dass sich der Angeklagte während der Hauptverhandlung weiterhin nicht auf freiem Fuß
befunden hat. Denn die vorläufige Festnahme diente vorliegend im Sinne des § 127 b
Abs. 1 StPO auch der Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung im
beschleunigten Verfahren nach den §§ 417 ff StPO. Sie ist ausweislich der
Sitzungsniederschrift erst durch die nach Verkündung des Urteils und anschließendem
allseitigem Rechtsmittelverzicht von dem erkennenden Richter getroffene Anordnung,
den Angeklagten freizulassen, beendet worden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
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