Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: entschädigung, strafverfahren, strafrechtspflege, gesundheit, link, quelle, sammlung, ausnahme, rechtseinheit, verwaltungsverfahren

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 126/02 - 5 Ws
63/02, 1 AR 126/02, 5
Ws 63/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 BEGSchlG, Art 9 BEGSchlG,
§ 1 Abs 1 StrEG, § 8 Abs 3 S 1
StrEG, § 1 Abs 2 NSUnrG BE
Strafverfolgungsentschädigung: Ausschluß einer Entschädigung
nach Aufhebung des Strafurteils eines nationalsozialistischen
Sondergerichts auf Grundlage des Berliner Gesetzes zur
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Tochter des Betroffenen, Frau I geborene R, gegen den
Beschluß des Landgerichts Berlin vom 28. November 2001 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Durch Beschluß vom 3. Januar 2000 hat das Landgericht Berlin auf Antrag der Tochter
des Betroffenen das Urteil des Sondergerichts VIII bei dem Landgericht Berlin vom 20.
Mai 1943 - (Sond. VIII) 3 Gew KLs 34.43 (858.43) - im Strafausspruch insoweit
aufgehoben, als der Betroffene zum Tode und zu dauerndem Ehrverlust verurteilt
worden ist und es hat gegen ihn eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren festgesetzt.
Diesem Verfahren lag zugrunde, daß der Betroffene in der Zeit von November 1939 bis
Oktober 1941 als Lagerverwalter große Mengen Butter, Margarine, Käse und Öl ohne
Bezugsberechtigung abgegeben hatte. Die teilweise Aufhebung beruht auf § 1 Abs. 2
des für Berlin geltenden Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts auf dem Gebiete des Strafrechts (NSStrWG) vom 5. Januar 1951.
Mit Antrag vom 4. Oktober 2000, ergänzt durch ein Schreiben vom 5. Februar 2001,
begehrt die Tochter des Betroffenen Entschädigung nach dem Gesetz über die
Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) vom 8. März 1971. Durch
Beschluß vom 28. November 2001, dem Bevollmächtigten der Tochter des Betroffenen
am 14. Dezember 2001 zugestellt, wies das Landgericht Berlin den Antrag auf
Entschädigung mit der Begründung zurück, daß Entschädigung aufgrund von
Entscheidungen nach dem NSStrWG lediglich nach dem Bundesentschädigungsgesetz
(BEG) vom 18. September 1953 (BGBl. I S. 1387) zu leisten war, ein Anspruch auf diese
aber nach Art. VIII des zweiten Gesetzes zur Änderung des
Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965 (BGBl. I
S. 1315) nur bis zum 31. Dezember 1969 angemeldet werden konnte. Die gegen diesen
Beschluß von der Tochter des Betroffenen am 18. Dezember 2001 eingelegte sofortige
Beschwerde (§ 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG) hat keinen Erfolg.
1. Ein Entschädigungsanspruch nach dem StrEG besteht nicht. Bei der teilweisen
Aufhebung des Urteils, verbunden mit der Milderung des Urteilsausspruches nach dem
NSStrWG durch den Beschluß des Landgerichts Berlin, handelt es sich weder um ein
Wiederaufnahmeverfahren noch um ein sonstiges Verfahren im Sinne des § 1 Abs. 1
StrEG. Der Begriff des sonstigen Strafverfahrens ist im Hinblick auf den Grundfall des
Wiederaufnahmeverfahrens nach der Strafprozeßordnung dahingehend zu verstehen,
daß es sich ebenso um ein förmliches Verfahren nach strafverfahrensrechtlichen
Gesichtspunkten handeln muß (vgl. Schätzler, StrEG 2. Aufl., § 1 Rdn. 12). Wie sich aus
der Begründung zum Gesetzesentwurf ergibt, sollen mit dieser Formulierung
Fallgestaltungen, wie sie zum Beispiel beim Strafbefehl vorkommen (vgl. BayOblG VRS
71, 77), oder die Rechtskrafterstreckung von Revisionsentscheidungen auf Mitangeklagte
(§ 357 StPO) abgedeckt werden (vgl. BT-Drucks. VI/460 S. 7). Auch hängt die im StrEG
getroffene Entschädigungsregelung so eng mit dem Strafprozeßrecht zusammen, daß
die Eingliederung in die Strafprozeßordnung erwogen worden war, jedoch wegen der
damals geplanten grundlegenden - und damit zeitaufwendigen - Reform der
Strafprozeßordnung dieser vorgezogen worden ist (vgl. BT-Drucks. VI/460 S. 5). Daraus
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Strafprozeßordnung dieser vorgezogen worden ist (vgl. BT-Drucks. VI/460 S. 5). Daraus
folgt, daß es sich bei den sonstigen Strafverfahren nur um solche handeln kann, die in
der Strafprozeßordnung normiert sind oder in dieser ihren Ursprung finden. Soll das
StrEG auf andere Verfahren als solche der Strafprozeßordnung Anwendung finden,
bedarf es bei einer gesetzlichen Verweisung, wie sie beispielsweise in § 110 Abs. 1 OWiG
enthalten ist.
Daß es sich bei der Milderung des Strafausspruches nach dem NSStrWG nicht um ein
Strafverfahren im Sinne des StrEG handelt, ergibt sich bereits aus dem Zweck des
NSStrWG. Durch dieses Gesetz sollen gerade solche Fälle behandelt werden, in denen
Entscheidungen nicht (mehr) nach den Regeln der StPO, insbesondere des
Wiederaufnahmeverfahrens, aufgehoben werden können, es jedoch - außerhalb der
StPO - einer Aufhebung oder Milderung bedurfte, um eine möglichst umfassende
Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege zu
ermöglichen (Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin, Drucks. II/1016 S. 2; KG
NJW 1997, 953, 954).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Verweisungen des NSStrWG auf einzelne
Regelungen der Strafprozeßordnung bezüglich des Antragserfordernisses, der
Beweiserhebung und der mündlichen Verhandlung oder der Möglichkeit der Beschwerde
gegen einen Beschluß nach diesem Gesetz. Diese dienen lediglich der Vereinfachung
der gesetzlichen Regelung, verändern aber die besondere Qualität des im NSStrWG
festgelegten Verfahrens nicht.
Schließlich kann das NSStrWG als Landesgesetz aus gesetzgeberischen Gründen einem
Strafverfahren nicht gleichgestellt werden, da der Bundesgesetzgeber die Kompetenz
zur Regelung dieser Materie, die Teil der konkurrierenden Gesetzgebung ist (Art. 74 Abs.
1 Nr. 1 GG), bereits mit der umfassenden Normierung durch die Strafprozeßordnung an
sich gezogen hat. Vielmehr handelt es sich bei dem NSStrWG - ebenso wie dem BEG -
um ein Gesetz zur Wiedergutmachung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG (vgl. Oeter
in v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz 4. Aufl., Art. 74 Rdn. 79). Für diesen
Gegenstand bestand zur Zeit des Inkrafttreten des NSStrWG noch keine ausreichende
bundesgesetzliche Regelung (vgl. Begründung zur Gesetzesvorlage des NSStrWG,
Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin Drucks. aaO). Auch durch diese im
Grundgesetz erfolgte Unterscheidung der Regelung des gerichtlichen Verfahrens, also
auch des Strafverfahrens, und derjenigen bezüglich der Wiedergutmachung zeigt sich,
daß ein Wiedergutmachungsverfahren einem Strafverfahren nicht gleichzustellen ist.
Eine folglich für die Anwendbarkeit des StrEG auf Entscheidungen nach dem NSStrWG
erforderliche Verweisungsnorm ist dem StrEG und auch später dem Gesetz zur
Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von
Sterilisationsentscheidungen der Erbgesundheitsgerichte (NS-AufhG) vom 25. August
1998 (BGBl. I. S. 2501) nicht beigefügt worden. Das wäre aber erforderlich und zu
erwarten gewesen, hätte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen wollen, daß nunmehr
das StrEG an die Stelle des BEG treten soll.
Aus § 16 a StrEG kann die Beschwerde nichts für ihre Auffassung herleiten. Denn dessen
Regelungsgehalt macht deutlich, daß das StrEG (auch) für die Wiedergutmachung von
DDR-Unrecht auf strafrechtlichem Gebiet gerade nicht anwendbar ist, sondern (von den
hier nicht in Betracht kommenden, in § 16 a Satz 1 und 2 1. Halbsatz StrEG geregelten
Fallgestaltungen abgesehen) für die "historischen" Fälle das strafrechtliche
Rehabilitierungsgesetz als lex spezialis maßgebend ist. Daß das StrEG eine
entsprechende Regelung bezüglich der Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts nicht vorsieht, hat seinen Grund allein darin, daß das StrEG erst am 8. März
1971, also nach dem BEG-Schlußgesetz geschaffen wurde, das - ebenfalls als lex
spezialis, wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat (vgl. Meyer, StrEG 5. Aufl.,
Einleitung Rdn. 36) - insoweit das Entschädigungsrecht (mit Ausnahme der Regelung des
Art. VIII Abs. 1 Satz 2 BEG-Schlußgesetz; dazu unter 2.) zum 31. Dezember 1969
beendet hatte. Demgegenüber bedurfte es nach der Herstellung der Rechtseinheit der
gesetzlichen Klarstellung, daß das StrEG auf die nunmehr anstehenden
Rehabilitierungsfälle nicht anwendbar ist.
2. Über eine Entschädigung nach dem BEG in Verbindung mit dem BEG-Schlußgesetz
hat der Senat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht zu befinden; denn er ist für
eine solche Entscheidung sachlich nicht zuständig. Die Zuständigkeit ergibt sich aus §§
173 ff. BEG. Nach dem obligatorisch vorangehenden Verwaltungsverfahren bei den
Entschädigungsbehörden (§ 174 Nr. 1 BEG) sind für das gerichtliche Verfahren
besonders besetzte Spruchkörper zuständig (§§ 174 Nr. 2, 208 Abs. 1 und 3 BEG), die
im zivilgerichtlichen Bereich angesiedelt sind. Es sei deshalb nur ergänzend angemerkt,
daß eine Entschädigung nach der allein in Betracht kommenden Ausnahmeregelung des
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daß eine Entschädigung nach der allein in Betracht kommenden Ausnahmeregelung des
Art. VIII BEG-Schlußgesetz ohnehin ausgeschlossen ist. Zwar verweist Art. VIII Abs. 1
Satz 2 BEG-Schlußgesetz auf die Versorgung der Hinterbliebenen gemäß § 29 Nr. 6
BEG. Diese Vorschrift bezieht sich aber nur auf die Entschädigung wegen eines
Schadens an Körper und Gesundheit und enthält keinen Verweis auf die
Entschädigungsregelungen für Schäden am Leben (§§ 15-27 BEG). Die
Entschädigungsansprüche der Hinterbliebenen im Sinne des § 29 Nr. 6 BEG sind von der
Ausschlußfrist nur ausgenommen worden, um Unbilligkeiten zu vermeiden, die sich
dadurch ergeben würden, daß ein an Körper und Gesundheit Geschädigter erst nach
dem 31. Dezember 1969 verstirbt (BT-Drucks. IV/3423 S. 25).
Art. IX BEG-Schlußgesetz gibt für einen fortdauernden Entschädigungsanspruch, zumal
nach dem StrEG nichts her, sondern beseitigt nur die bisherigen Fristen zur Stellung
eines Antrages auf Aufhebung einer strafgerichtlichen Entscheidung und eröffnet die
Möglichkeit erneuter Antragstellung in Fällen bisheriger Zurückweisung wegen
Unzuständigkeit oder Fristversäumnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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