Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: wiederholungsgefahr, zwangsvollstreckung, abgabe, einwendung, willenserklärung, rechtskraft, irreführung, pass, feststellungsklage, link

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Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 93/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 767 Abs 2 ZPO, § 769 ZPO
Unanfechtbare Ablehnung der einstweiligen Einstellung der
Zwangsvollstreckung; Präklusion des Einwandes des Wegfalls
der Wiederholungsgefahr bei Abgabe der
Unterwerfungserklärung nach Rechtskraft des
Unterlassungsurteils
Leitsatz
1. Rechtsmittel gegen eine Entscheidung nach § 769 ZPO (sofortige Beschwerde,
außerordentliche Beschwerde) sind unstatthaft.
2. Wird eine Unterwerfungserklärung nach Eintritt der Rechtskraft des Unterlassungsurteils
abgegeben, ist die darauf beruhende Einwendung (Wegfall der Wiederholungsgefahr)
grundsätzlich nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der Kammer für
Handelssachen 103 des Landgerichts Berlin vom 17. Juni 2005 -103 O 105/05- wird
zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 15.000,-
EUR zu tragen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen die ihren Antrag auf einstweilige Einstellung
der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Senats vom 21. Oktober 2003 (AZ: 5 U
77/03) zurückweisende Entscheidung des Landgerichts ist unzulässig, §§ 769, 707 Abs. 2
Satz 2, 719 Abs. 1 ZPO.
I.
Das Rechtsmittel ist in entsprechender Anwendung der §§ 707 Abs. 2 Satz 2, 719 Abs. 1
ZPO unstatthaft (OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2003, 140; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl., §
769 Rdn. 13).
II.
Seit dem In-Kraft-Treten des ZPO-RG 2001 am 1. Januar 2002 ist auch eine
Ausnahmebeschwerde wegen „greifbarer Gesetzwidrigkeit“ nicht mehr statthaft (BGH,
NJW 2004, 2224; NJW 2002, 1577; BGH, NJW 2004, 2853; OLG Frankfurt/Main, a.a.O.;
Zöller/Herget, a.a.O.; Zöller/Gummer, a.a.O., vor § 567 Rdn. 7ff.; a.A. noch - ohne
nähere Auseinandersetzung mit der h.M.: OLG Naumburg, JurBüro 2004, 208). Nunmehr
ist der dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsklarheit widersprechende
Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1924) in § 321a
ZPO sogar abschließend neu geregelt worden, und zwar im Sinne einer Anhörungsrüge
und Gegenvorstellung vor dem Gericht der Ausgangsentscheidung. Es bleibt der Klägerin
unbenommen, diesen Weg zu wählen, falls sie sich davon Erfolg verspricht.
A.
Auch bei einer Statthaftigkeit des Rechtsmittels wäre dieses vorliegend unbegründet.
I.
Bei der Ermessensentscheidung nach § 769 Abs. 1 ZPO sind die wirtschaftlichen
Auswirkungen einer Einstellung/Fortsetzung der Zwangsvollstreckung und die
Erfolgsaussichten der Zwangsvollstreckungsgegenklage abzuwägen (KG, FamRZ 1978,
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Erfolgsaussichten der Zwangsvollstreckungsgegenklage abzuwägen (KG, FamRZ 1978,
413; OLG Saarbrücken, FamRZ 2002, 556 m.w.N.). Bei der Abwägung der
wirtschaftlichen Auswirkungen haben die Gläubigerinteressen im Zweifel Vorrang (OLG
Köln, OLGZ 1979, 113).
II.
Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die bloße
Änderung des Geschäftsmodells durch die Klägerin - für sich genommen - den Titel nicht
schlechthin entfallen lassen kann. Dies gilt schon deshalb, weil sie ihre vorherige
Geschäftspraxis jederzeit wieder aufnehmen könnte. Deshalb fehlt es insoweit an einer
dauerhaften Änderung der tatsächlichen Voraussetzungen des Unterlassungstitels.
Allein eine solche nachhaltige Änderung der Umstände (wie etwa bei einem Wandel der
Bedeutungsvorstellungen des Publikums im Falle einer untersagten Irreführung, vgl.
Völp, GRUR 1984, 486, 488; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren,
8. Aufl., Kap. 57 Rdn. 51) kann eine Wiederholungsgefahr ausräumen und damit unter
Umständen eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO begründen (vgl. Teplitzky,
a.a.O.).
Sowenig allein die bloße Änderung der Verhältnisse aufgrund eines Sinneswandels des
Vertreters vor oder während eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung geeignet
ist, die Wiederholungsgefahr auszuräumen (vgl. BGH, GRUR 2004, 162, 163 -
Mindestverzinsung; Fezer/Büscher, UWG, § 8 Rdn. 74), sowenig kann dies nach
Abschluss des Unterlassungsrechtsstreits eine Beseitigung des rechtskräftigen Titels
rechtfertigen.
III.
Auch die von der Klägerin unter dem 1. Juni 2005 abgegebene Unterlassungserklärung
(Anlage VGK 1, Bl. 11 d.A.) lässt den Titel nicht insgesamt entfallen.
1.
Zwar kann die Abgabe einer ernsthaften, vertragsstrafenbewehrten
Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr für die Zukunft dauerhaft entfallen
lassen (BGH, GRUR 1982, 688, 691 - Senioren-Pass; Fetzer/Büscher, a.a.O., § 8 Rdn. 64
m.w.N.). Der Wegfall der Wiederholungsgefahr kann als rechtsvernichtende Einwendung
grundsätzlich im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO
erheblich sein (vgl. Völp, GRUR 1984, 486, 488ff.; Teplitzky, a.a.O.).
2.
Gemäß § 767 Abs. 2 ZPO sind aber die Klagegründe (auf denen die Einwendung beruht)
ausgeschlossen, die schon bis zum Schluss der mündlichen Tatsachenverhandlung (im
Unterlassungsverfahren) entstanden waren.
a)
Wird die Rechtswirkung durch eine hinzukommende Willenserklärung ausgelöst
(insbesondere bei Gestaltungsrechten), so ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem die
Willenserklärung abgegeben werden konnte (BGHZ 24, 97; 34, 279; 94, 29; NJW 1994,
2769; Zöller/Herget, a.a.O., § 767 Rdn. 14 m.w.N.).
b)
Die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung hing allein von der freien
Entscheidung der Klägerin ab. Die Rechtsfolgen einer solchen Unterlassungserklärung
unterscheiden sich teilweise von denen einer gerichtlichen Verurteilung; beides hat seine
Vor- und Nachteile für den Schuldner. Da schon die Abgabe der Unterlassungserklärung
(und nicht erst ihre Annahme durch den Gläubiger) grundsätzlich die
Wiederholungsgefahr entfallen lässt (vgl. BGH, a.a.O., Senioren-Pass; Fetzer/Büscher,
a.a.O., 3 8 Rdn. 64 m.w.N.), liegt es nahe, diese Willenserklärung einem
Gestaltungsrecht gleichzustellen.
Die Abgabe der Unterlassungserklärung war der Klägerin schon vor und während des
Unterlassungsklageverfahrens möglich und zumutbar. Für eine Anwendung der
Präklusionsvorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO sprechen auch Sinn und Zweck des
Rechtsinstituts der Unterwerfungserklärung. Denn der Zweck der
Unterwerfungserklärung besteht darin, die Verfolgung des Unterlassungsanspruchs in
einem gerichtlichen Verfahren zu vermeiden oder ein bereits eingeleitetes Verfahren zu
beenden (Fezer/Büscher, a.a.O., § 8 Rdn. 53). Damit soll der Aufwand der gerichtlichen
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beenden (Fezer/Büscher, a.a.O., § 8 Rdn. 53). Damit soll der Aufwand der gerichtlichen
Auseinandersetzung im Interesse insbesondere des Schuldners und der Rechtspflege
vermieden bzw. vermindert werden. Nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen
Unterlassungsverfahrens macht eine Unterwerfungserklärung nachher keinen Sinn
mehr. Das Rechtsinstitut der Unterwerfungserklärung dient gerade nicht (auch) dem
Zweck, den Schuldnern ein Handlungsalternative dahin zu eröffnen, nach eigenem
Belieben die ihnen jeweils genehmeren Rechtsfolgen (einer gerichtlichen Untersagung
oder einer Unterlassungserklärung) wählen zu können. Dies gilt umso mehr nach
Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung.
IV.
Die Zwangsvollstreckung aus dem Unterlassungstitel ist durch die Änderung des
Geschäftsmodells auch nicht teilweise unzulässig geworden.
1.
Die Vollstreckungsabwehrklage aus § 767 Abs. 1 ZPO ist eine prozessuale
Gestaltungsklage gegen eine - unter Umständen auch nur teilweise (vgl. BGH, MDR
1961, 32, 33) - unzweifelhaft mögliche und drohende Vollstreckung aus dem Titel.
Vorliegend macht die Klägerin aber - wie in dem parallelen Ordnungsgeldverfahren -
geltend, ihr geändertes Geschäftsmodell werde vom Verbotsbereich des Titels gerade
nicht erfasst. Eine solche Einwendung zur Auslegung der Reichweite eines Titels kann
nicht Gegenstand einer Vollstreckungsabwehrklage sein, sondern - bei Vorliegen eines
besonderen Rechtsschutzinteresses (vgl. BGH, NJW 1972, 2268; NJW 1962, 109, 110) -
nur einer Feststellungsklage (BGH, NJW 1973, 803, 804; NJW 1997, 2320, 2321).
2.
Neben einer hinreichenden Erfolgsaussicht für die Vollstreckungsabwehrklage fehlt es
auch an einem hinreichenden Anlass für eine einstweilige Anordnung nach § 769 ZPO.
Hinsichtlich der konkret drohenden Vollstreckungsmaßnahmen aus dem
Ordnungsgeldverfahren (103 O 170/02 Landgericht Berlin, 5 W 179/04 KG) ist die Klägerin
durch die Rechtsbehelfe dieses Zwangsvollstreckungsverfahrens ausreichend geschützt.
Sonstige zeitnah drohende Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagten sind weder
vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es sind auch weder existenzgefährdende noch nur
empfindliche wirtschaftliche Einbußen der Klägerin aus einer (weiteren) Umstellung ihrer
Geschäftspraxis (zu noch weitergehender Aufklärung in den Telefonansagen) und einem
Abwarten des Ausgangs der Zwangsvollstreckungsgegenklage dargetan. Soweit
hingegen weiterhin eine Irreführung des Publikums durch eine unzureichende Aufklärung
der Klägerin drohen sollte, blieben die Beklagten bei einer einstweiligen Einstellung der
Zwangsvollstreckung weitgehend schutzlos. Denn etwaige Schadensersatzansprüche
wären - mangels eines nur sehr schwierig gerichtsförmig messbaren Schadens - kaum
durchsetzbar.
B.
Die Nebenentscheidung zu den Kosten und zur Wertfestsetzung ergehen gemäß §§ 97
Abs. 1, 3 ZPO. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist eine eigene
Kostenentscheidung geboten, die unabhängig vom endgültigen Ausgang des
Rechtsstreits zu treffen ist und so sachgerecht auch die Besonderheiten des Verfahrens
der einstweiligen Anordnung erfassen kann. Die Wertfestsetzung berücksichtigt die nur
vorübergehende Wirkung der begehrten einstweiligen Anordnung.
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