Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: bewegliches vermögen, selbsthilfe, eigentümer, nachbar, prozess, ersatzvornahme, unterlassen, reihenhaus, rücknahme, bagatellfall

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Gericht:
KG Berlin 24.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
24 W 115/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 3 WoEigG, § 910 BGB
Wohnungseigentumsanlage: Selbsthilferecht benachbarter
Gartenflächen-Sondernutzungsberechtigter bei Überwuchs;
Ausschluss der Titulierung eines Abwehranspruchs
Leitsatz
Auch im Verhältnis der Gartenflächen-Sondernutzungsberechtigten untereinander besteht
bei überwachsenden Zweigen das Selbsthilferecht der Grundstücksnachbarn nach § 910 BGB.
Die in § 910 BGB gewollte Umkehrung der Parteirollen im Prozess verbietet eine Titulierung
genereller Unterlassungsansprüche zur Abwehr des Selbsthilferechts.
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die
Sache insoweit an das Landgericht zurückverwiesen wird, als noch über den
Schadensersatzanspruch des Antragstellers zu entscheiden ist.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten dritter Instanz zu tragen. Außergerichtliche
Kosten dritter Instanz sind nicht zu erstatten.
Der Geschäftswert dritter Instanz wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer der Anlage. Im vorliegenden Verfahren
nimmt der Antragsteller die Antragsgegner darauf in Anspruch, es zu unterlassen, die
auf seiner Sondernutzungsfläche befindlichen Pflanzen bei einem Überwachsen auf
deren Sondernutzungsflächen im Wege der Selbsthilfe zurückzuschneiden, und ihm
Schadensersatz für den bisher erfolgten Rückschnitt dieser Pflanzen zu leisten.
Auf dem Eckgrundstück stehen acht Reihenhäuser, die sich in zwei rechtwinklig
zueinander stehenden Gebäuderiegeln zu drei bzw. fünf Reihenhäusern aufteilen. Von
der Straße aus gesehen befinden sich hinter den Reihenhäusern Gartenflächen, an
denen Sondernutzungsrechte begründet sind. An das in der Mitte von fünf
Reihenhäusern liegende Reihenhaus des Antragstellers mit der dahinter liegenden
Sondernutzungsfläche grenzen links das Reihenhaus und die anschließende
Sondernutzungsfläche der beiden Antragsgegner zu 1) und 2). An die ca. sechs Meter
lange hintere Grenze des Sondernutzungsrechts des Antragstellers grenzt die
querliegende Sondernutzungsfläche der Antragsgegnerin zu 3).
Nach der notariellen Teilungserklärung vom 9. Dezember 1976 ist in der anliegenden
Gemeinschaftsordnung unter § 4 unter Anderem zu Nr. 3. geregelt:
„Die Gartenfläche wird von der (teilenden) Eigentümerin auf deren Kosten in der
Erstanlage und in der Erstbepflanzung erstellt bzw. angelegt.
Die Zaungestaltung obliegt den Wohnungseigentümern. Sie muss einheitlich erfolgen.
Die jeweiligen Sondernutzungsberechtigten sind berechtigt, die ihnen zugeteilte
Gartenfläche gärtnerisch zu gestalten.
Die jeweiligen Sondernutzungsberechtigten sind verpflichtet, den ihnen zugeordneten
Teil der Gartenfläche auf ihre Kosten zu unterhalten und zu pflegen.“
Der Antragsteller hat an den Grenzen seiner Sondernutzungsfläche Pflanzen gepflanzt,
welche in die Höhe und die Breite wachsen, so dass sie auf die benachbarten
Sondernutzungsflächen hinüberragen. Durch den rechtskräftig gewordenen Beschluss
des Amtsgerichts Charlottenburg vom 26. Juli 1991 ließ der Antragsteller den
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des Amtsgerichts Charlottenburg vom 26. Juli 1991 ließ der Antragsteller den
Antragsgegnern zu 1) und 2) untersagen, dass diese einen Rückschnitt der Sträucher
von ihrer Seite aus bis über die Grenze zur Sondernutzungsfläche des Antragstellers
vornehmen. Im vorliegenden Verfahren geht es um den Rückschnitt der Pflanzen, die
von der Sondernutzungsfläche des Antragstellers auf die Sondernutzungsflächen der
Antragsgegner hinüberwachsen und nach der Behauptung der Antragsgegner bis zu 50
cm oder auch 70 cm hinüberragen. Die Antragsgegner fühlen sich durch den Überwuchs
während der Vegetationsperiode auf ihren schmalen Sondernutzungsflächen
beeinträchtigt und möchten im Laufe der Vegetationsperiode jährlich etwa dreimal
selbst einen Rückschnitt vornehmen. Demgegenüber will der Antragsteller den
Rückschnitt erst nach Abschluss der Vegetationsperiode einmal jährlich im
Oktober/November vornehmen und die gewonnenen Zweige für die Wintereindeckung
auf einem Friedhof benutzen.
Im Spätsommer 2001 forderten sowohl die Antragsgegner als auch die Verwalterin den
Antragsteller zum Rückschnitt der über die Grenzen seiner Sondernutzungsfläche
hinausragenden Pflanzen erfolglos auf. Daraufhin nahmen die Antragsgegner zu 1) und
2)einen Rückschnitt der Pflanzen etwa am 15. Oktober 2001 vor.
Mit der Antragsschrift vom 30. November 2001 hat der Antragsteller beantragt, die
Antragsgegner zu verpflichten, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise
Ordnungshaft, zu unterlassen, die Anpflanzungen auf der Sondernutzungsfläche Nr. 6 zu
beschneiden oder beschneiden zu lassen, auch wenn zeitweise ein geringer Überhang
der Anpflanzungen auf die anderen Gartenflächen besteht. Ferner hat der Antragsteller
beantragt, die Antragsgegner zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 250,00
DM als Ersatz für die abgeschnittenen Zweige zu verpflichten.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 11. Oktober 2002 die Anträge zurückgewiesen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 6. April 2004 hat der
Antragsteller seinen Unterlassungsantrag präzisiert. Das Landgericht hat mit dem
angefochtenen Beschluss vom 6. April 2004 die sofortige Beschwerde des Antragstellers
zurückgewiesen. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg,
soweit das Landgericht über den Unterlassungsanspruch des Antragstellers entschieden
hat, führt jedoch zur Zurückverweisung insoweit, als noch über den
Schadensersatzanspruch des Antragstellers ergänzend zu entscheiden ist.
II. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 27, 29 FGG, 45 WEG
zulässig und hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
Mangels Protokollierung der teilweisen Rücknahme der Erstbeschwerde (vgl. § 160 Abs. 3
Nr. 8 ZPO) muss die weitere Beschwerde insoweit Erfolg haben, als das Landgericht nicht
über den Schadensersatzanspruch des Antragstellers entschieden hat. Aus der
Präzisierung des einen Beschwerdeantrages folgt im Zweifel nicht die Rücknahme eines
weiteren selbstständigen Beschwerdeantrages. Angesichts der identischen
Beschwerdefrist von zwei Wochen kann dahinstehen, ob der Antragsteller ein Verfahren
auf Beschlussergänzung entsprechend § 321 ZPO hätte einleiten müssen. Jedenfalls
kann auch im Rechtsbeschwerdeverfahren insoweit ein Verfahrensfehler des
Landgerichts erfolgreich gerügt werden. Mit der rechtsfehlerfreien Ablehnung des
Unterlassungsanspruchs aus verfahrensrechtlichen Gründen muss der
Schadensersatzanspruch nicht notwendig zugleich entfallen.
Das Landgericht hat unter Zitierung von OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 81 = ZMR 2001,
910 ein Selbsthilferecht nach § 910 BGB verneint. Den vom Antragsteller verfolgten
Unterlassungsanspruch gegen die seitlich und hinten an seine Sondernutzungsfläche
angrenzenden sondernutzungsberechtigten Antragsgegner hat das Landgericht mit der
Begründung abgesprochen, dass der Antragsteller selbst zum Rückschnitt der
übermäßig überwachsenden Zweige verpflichtet sei. Dem vermag der Senat rechtlich
nicht zu folgen. Denn es erhebt sich gerade die Frage, ob die Antragsgegner, wenn der
Antragsteller seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, im Wege der Ersatzvornahme
tätig werden dürfen. Da zur Durchsetzung materieller Ansprüche regelmäßig
Eigenmacht verboten, vielmehr der Rechtsweg zu beschreiten ist, müsste der gegen die
Selbsthilfe der Antragsgegner gerichtete Unterlassungsantrag eher Erfolg haben, wenn
die Selbsthilfe auch bei überwachsenden Zweigen ausgeschlossen ist.
Im Gegensatz zum Landgericht und zum OLG Düsseldorf hält der Senat wegen der völlig
gleich liegenden Interessenlage das Selbsthilferecht benachbarter
Sondernutzungsberechtigter analog § 910 BGB für gegeben und einen vorbeugenden
Unterlassungsanspruch für ausgeschlossen, weil damit die vom Gesetzgeber aus guten
Gründen gewollte Umkehrung der Parteirollen im Prozess wieder zunichte gemacht
würde. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf veranlasst eine Vorlage an den
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würde. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf veranlasst eine Vorlage an den
Bundesgerichtshof gemäß § 28 FGG nicht, weil zwar im Leitsatz die Nichtanwendbarkeit
des § 910 BGB im Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer dekretiert wird,
der dortige Sachverhalt aber mit dem vorliegenden im entscheidenden Punkt nicht
vergleichbar ist. Von Sondernutzungsrechten ist in dem dortigen Fall nicht die Rede. Es
ging vielmehr um benachbarte Terrassen, die das OLG Düsseldorf als Sondereigentum
qualifiziert. Dies würde die Vergleichbarkeit mit ausschließlichen bloßen Nutzungsrechten
vielleicht noch nicht ausschließen. Der rechtliche Unterschied besteht aber darin, dass
es um Pflanzenkübel ging, die mit Edeltannen bestückt waren, die von dem
Terrassennachbarn eigenmächtig beschnitten wurden. Die Pflanzenkübel stellen
zweifellos bewegliches Vermögen dar, auf das § 910 BGB („Eigentümer eines
Grundstücks“) überhaupt nicht anwendbar ist. Bei beweglichen Sachen setzt die
Selbsthilfe nach § 229 BGB voraus, dass obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen
ist und unmittelbar eine Gefahr droht, wobei übrigens nach § 231 BGB auch bei
irrtümlicher Selbsthilfe eine schuldunabhängige Schadensersatzpflicht besteht. Die
inzwischen ergangene und in der Kommentarliteratur in diesem Zusammenhang zitierte
Entscheidung des BayObLG ZMR 2004, 841 befasst sich nicht mit dem Überwuchs,
sondern mit der Verwilderung einer ganzen Sondernutzungsfläche, die im Wege der
Ersatzvornahme ausgelichtet wurde, wobei freilich nicht ganz klar wird, weshalb aus einer
positiven Forderungsverletzung nicht durch Verzug mit der Naturalherstellung auch auf
Geld gerichtete Schadensersatzansprüche werden können.
Der Entscheidung BayObLG ZMR 2004, 841, die mangels Überwuchses keine
Veranlassung hatte, auf § 910 BGB einzugehen, ist allerdings darin beizupflichten, dass
zur Durchsetzung materiellrechtlicher Ansprüche regelmäßig der Rechtsweg zu
beschreiten ist und das Recht zur Selbsthilfe (wie etwa in §§ 229, 910 BGB, vgl. aber
auch die gesetzlich zulässigen Ersatzvornahmen) ausdrücklich normiert sein muss. Auch
wenn OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 81 = ZMR 2001, 910 Mobiliarvermögen betraf und
dennoch § 910 BGB (negativ) erörtert wurde, ist auf die dort erwähnten angeblich gegen
das Selbsthilferecht sprechenden Argumente einzugehen. Die Unterscheidung, dass
nach § 903 BGB der Eigentümer andere von „jeder Einwirkung ausschließen“, nach § 13
WEG der Wohnungseigentümer (nur) „andere von Einwirkungen ausschließen“ kann,
überzeugt nicht, weil dieses Argument mit angeblichen Quantitäten arbeitet, es hier
aber um Qualitäten geht, wenn das Sondernutzungsrecht gerade ausschließliche
Nutzungsrechte gewährt und insoweit ebenso wie das Eigentum negatorisch wirkt, wie
auch die Anwendung des § 1004 BGB im Rahmen von § 15 Abs. 3 WEG zeigt. Die
Abgrenzungen in § 14 Nr. 1 und Nr. 3 WEG enthalten sicher eine allgemeine Pflicht zur
gegenseitigen Rücksichtnahme, beantworten aber nicht in Konfliktfällen die Frage nach
dem Vorrang vereinbarter Ausschließlichkeitsrechte. Soweit das „intensivierte
Nachbarschaftsverhältnis“ der Wohnungseigentümer herangezogen wird, erklärt dies
nicht, warum die vom Gesetzgeber im Grundstücksnachbarschaftsverhältnis aus guten
Gründen aufgestellten Regeln nicht darauf übertragen werden dürfen. Überhaupt bewegt
sich die ganze Argumentation auf der materiellrechtlichen Ebene, ob der Rückschnitt
überwachsender Zweige verlangt werden kann oder geduldet werden muss.
Selbstverständlich kann zur Klärung dieser Ansprüche auch der Rechtsweg (über §§ 15
Abs. 3, 1004 BGB) beschritten werden (BGHZ 60, 235; BGHZ 97, 231; BGH NJW 2004,
603; zur Anwendung des § 1004 BGB auf herüberwachsende Zweige BGHZ 157, 33 =
NJW 2004, 1037; BGH NZM 2005, 318). Fraglich ist nur, ob ausnahmsweise das
Selbsthilferecht der Grundstücksnachbarn wegen der völlig identischen Interessenlage
auf benachbarte Gartenflächen-Sondernutzungsberechtigte übertragen werden kann.
Das Bestehen einer wie immer gearteten (engeren oder ferneren) „Gemeinschaft“ unter
den „Nachbarn“ ist rechtlich unerheblich, solange das Gemeinschaftsverhältnis nicht für
diesen spezifischen Fall eine Sonderregelung trifft. Im vorliegenden Verfahren ist in einer
reihenhausähnlichen Anlage die Sondernutzung an den den Terrassen vorgelagerten
Flächen mit dem Recht zur gärtnerischen Gestaltung und sogar zur Zaunziehung (unter
dem Vorbehalt der Einheitlichkeit) bestimmt. Äußerlich ist ein Unterschied zu einer
echten Reihenhausanlage mit getrennten Grundstücksflächen nicht oder kaum zu
erkennen.
Die gesetzliche Regelung für Grundstücksnachbarn in § 910 BGB bestimmt offenkundig
auch zur Schonung der Ressourcen der Justiz in einem keineswegs seltenen typischen
Bagatellfall (vgl. MüKomm-Säcker BGB § 910 Rn. 8 unter Hinweis auf Prot.III S. 142) die
Abkehr von der sonst statuierten verbotenen Eigenmacht (§§ 858 ff. BGB), indem es
nach Fristsetzung die Selbsthilfe des beeinträchtigten Nachbarn gestattet. Auch dieses
Recht besteht nicht uneingeschränkt. Denn nach § 910 Abs. 2 BGB ist das
Selbsthilferecht nicht gegeben, wenn die überwachsenden Zweige die Benutzung des
Nachbargrundstücks nicht beeinträchtigen. Der auf dem Rechtsweg auszutragende
Streit über das Ausmaß der Beeinträchtigung wird also nicht ausgeschlossen. Durch das
Selbsthilferecht wird auch die gerichtliche Geltendmachung des
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Selbsthilferecht wird auch die gerichtliche Geltendmachung des
Störungsbeseitigungsanspruches nach § 1004 BGB nicht untersagt (BGH NJW 2004,
603). Der beeinträchtigte Eigentümer hat aber wahlweise auch das Selbsthilferecht. Bei
einem Streit über das Ausmaß der Beeinträchtigung ordnet das Gesetz eine Umkehr der
Parteirollen im Prozess an. Der Nachbar, der eine Fristsetzung hat verstreichen lassen,
muss seinerseits tätig werden und ein gerichtliches Verfahren einleiten, wobei er nach
der Fassung des § 910 Abs. 2 BGB auch die Beweislast dafür hat, dass die
Beeinträchtigung unerheblich war (MüKomm-Säcker a.a.O. Rn.7). Da es sich um typische
Bagatellfälle handelt, wird der Nachbar sich überlegen, ob er deshalb, weil der Nachbar
auf seiner Seite überhängende Zweige gestutzt hat, das Prozessrisiko mit Kosten und
Beweislast eingeht.
Der Senat sieht kein Hindernis, § 910 BGB mit der Umkehr der Parteirollen auch bei
Wohnungseigentümern anzuwenden, die über benachbarte Sondernutzungsflächen mit
der Möglichkeit der Zaunziehung und Grenzbepflanzung verfügen und dem naturgemäß
ständigen Konflikt ausgesetzt sind, dass Sträucher über die Sondernutzungs-Grenze
wachsen. Aus dem Gemeinschaftsverhältnis und insbesondere dem Gebot der
gegenseitigen Rücksichtnahme ist zwar materiellrechtlich abzuleiten, welche
Beeinträchtigungen hinzunehmen sind und welche nicht. Wie der Konfliktfall aber
verfahrensrechtlich – Störungsbeseitigungsanspruch oder Selbsthilferecht – zu lösen ist,
ergibt sich aus diesen Regelungen nicht. Die Gründe, die im Grundstücksnachbarrecht
für die Selbsthilferegelung des § 910 BGB sprechen, sind gleichermaßen bei bepflanzten
Grenzen zwischen Sondernutzungsrechten gegeben. Das illustriert der vorliegende Fall
in besonderer Weise. Die Beteiligten streiten nicht einmal um die Pflicht zum Rückschnitt
eines erheblichen Überwuchses, sondern über den Zeitpunkt des angemessenen
Rückschnitts. Der Antragsteller möchte die überwachsenden Zweige möglichst lang
werden lassen und sie erst nach Abschluss der Vegetationsperiode im November
abschneiden. Die Antragsgegner fühlen sich gerade während der Vegetationsperiode auf
ihrer schmalen Sondernutzungsfläche belästigt und wollen den Überwuchs bis zu dreimal
in dieser Zeit zurückstutzen. Wären die Antragsgegner mit OLG Düsseldorf NJW-RR 2002,
81 auf den Rechtsweg beschränkt, müssten sie notfalls dreimal pro Jahr wegen des
Rückschnitts das WEG-Gericht anrufen. Wegen der Dauer des Verfahrens wäre der
Rückschnitt inzwischen erfolgt und das Verfahren in der Hauptsache erledigt, ohne dass
die Belästigung in der Vegetationsperiode erfolgreich abgewehrt werden dürfte. Bei
Anwendung des § 910 BGB können die Antragsgegner hingegen den Rückschnitt nach
erfolgloser Fristsetzung vornehmen, während der Antragsteller ein gerichtliches
Verfahren einleiten müsste, wenn er die Beeinträchtigung der Antragsgegner bestreitet,
die den Rückschnitt immerhin nur auf ihrer Seite und Fläche vorgenommen haben.
Im Ergebnis rechtlich einwandfrei hat das Landgericht es abgelehnt, einen
Unterlassungsanspruch des Antragstellers auf eigenmächtigen Rückschnitt gegen die
Antragsgegner zu gewähren. Wenn im Rahmen analoger Anwendung des § 910 BGB ein
Selbsthilferecht der Antragsgegner besteht, kann der Antragsteller weder generell noch
etwa mit der Begründung fehlender Beeinträchtigung der Antragsgegner einen
Unterlassungsanspruch mit Ordnungsmittelandrohung titulieren lassen. Denn damit
würde die von § 910 BGB in diesem typischen Bagatellfall angeordnete und gewollte
Umkehr der Parteirollen durch einen gerichtlichen Titel wieder rückgängig gemacht
werden. Die Antragsgegner müssten bis zu dreimal während der Vegetationsperiode das
Gericht anrufen, was vermutlich wegen des Zeitablaufes zu einer
Hauptsachenerledigung führen würde, ohne dass die Antragsgegner die
Beeinträchtigung auf den schmalen Sondernutzungsflächen jemals faktisch abwenden
könnten. Der zu titulierende Unterlassungsanspruch kann auch nicht auf die Fälle des §
910 Abs. 2 BGB eingeschränkt werden, weil der Ausschluss des Selbsthilferechts im
Einzelfall erst vom Gericht zu prüfen ist und dies auch nicht dem
Vollstreckungsverfahren zu überlassen ist.
Mit dem Wegfall eines titulierbaren Unterlassungsanspruches gegen die Antragsgegner
entfällt aber nicht auch ein möglicher Schadensersatzanspruch des Antragstellers, wenn
die Antragsgegner im Verlauf des Sommers 2001 das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1
BGB überschritten haben sollten. Nach der Regelung des § 910 Abs. 2 BGB liegt die
Feststellungslast für die fehlende Beeinträchtigung bei dem Antragsteller. Dieser
behauptet einen Überwuchs von nur 10 bis 20 cm, während die Antragsgegner von 50
bis 70 cm sprechen und dies mit Fotos belegt haben. Hierzu fehlen bisher Feststellungen
des Landgerichts. Aus dem Akteninhalt ergibt sich streitiges Vorbringen der Beteiligten.
Da dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht Beweiserhebungen versagt sind, ist die
Sache wegen des Schadensersatzanspruches an das Landgericht zurückzuverweisen.
Da bisher nur über den Unterlassungsanspruch in dritter Instanz zu befinden war, kann
bereits ausgesprochen werden, dass die Gerichtskosten dritter Instanz dem
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bereits ausgesprochen werden, dass die Gerichtskosten dritter Instanz dem
Antragsteller wegen der Erfolglosigkeit seines Rechtsmittels aufzuerlegen sind (§ 47 Satz
1 WEG). Dagegen besteht kein hinreichender Anlass, die Erstattung außergerichtlicher
Kosten anzuordnen (§ 47 Satz 2 WEG).
Den Geschäftswert dritter Instanz hat der Senat nur nach dem Unterlassungsanspruch
bemessen, allerdings etwas höher, als vom Landgericht veranschlagt. Über den
Schadensersatzanspruch konnte noch keine Entscheidung in der Sache ergehen. Infolge
der Nichtbehandlung in zweiter Instanz erschien eine Einbeziehung in den Geschäftswert
dritter Instanz nicht angebracht. Damit entfällt auch für das Landgericht die
Veranlassung, wegen dieses Teils des Verfahrensgegenstandes noch eine
Kostenentscheidung für die dritte Instanz zu treffen.
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