Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: fahrzeug, anhalten, kollision, vorrang, spekulation, passivlegitimation, link, sammlung, quelle, offenkundig

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 59/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 1 StVO, § 823 BGB
Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall: Ansprüche eines
aus einem Fahrzeug Aussteigenden wegen der Kollision mit
einem Müllfahrzeug
Leitsatz
Die erhöhten Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs.1 StVO werden regelmäßig nur dann
gewahrt, wenn ein Öffnen der Tür während der Annäherung eines Fahrzeuges von hinten, das
vor Beendigung des Ein- oder Aussteigevorgangs herangekommen sein kann, unterbleibt.
Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der
Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden.
Es besteht kein Vertrauensgrundsatz, dass das Anhalten eines Müllfahrzeuges stets der
Entsorgungstätigkeit dient und diese so lange dauert, dass Zeit zum Aussteigen zur
Fahrbahnseite bleibt.
Der Kläger kann nur dann Nutzungsausfallentschädigung für einen außergewöhnlich langen
Zeitraum von über einem Jahr verlangen, wenn er die Beklagten darauf hinweist, dass er zur
Finanzierung eines Ersatzwagens nicht in der Lage ist und deshalb einen Vorschuss benötigt
(vgl. LG Frankfurt NJW-RR 1992, 1183; OLG Naumburg DAR 2005, 158; OLG Nürnberg DAR
1981, 14).
Tenor
1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach
Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine
Aussicht auf Erfolg hat.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
II.
angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet
werden.
1. Eine Haftung der Beklagten für Schäden aus der Kollision eines Müllfahrzeuges am 11.
August 2003 mit der vom Kläger geöffneten Türe seines am Straßenrand der
Berlinickestraße 9 in Berlin geparkten Pkw scheidet bereits dem Grunde nach aus.
a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht ausgeführt, dass der Kläger den gegen ihn als
Aussteigenden sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert hat, so dass er die auf
seiner Sorgfaltspflichtverletzung beruhenden Folgen selbst zu tragen hat. Den
ausführlichen und mit Rechtsprechungshinweisen versehenen Darlegungen auf Seite 5
bis 7 UA schließt sich der Senat an.
Die in der Berufungsbegründung vorgetragene Rechtsauffassung des Klägers, er habe
nach dem Anhalten des Müllfahrzeuges nicht damit rechnen müssen, dass dieses
umgehend wieder anfahren würde, ist mit den Sorgfaltspflichten nach § 14 Abs. 1 StVO
nicht vereinbar. Dem Kläger war bewusst, dass von hinten auf der Fahrbahn ein
Müllfahrzeug herangefahren kam und dass es bei Weiterfahrt seinen geparkten Pkw
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Müllfahrzeug herangefahren kam und dass es bei Weiterfahrt seinen geparkten Pkw
passieren würde. Dann musste er sich nach dem Gesetz so verhalten, dass eine
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.
Keineswegs durfte er darauf vertrauen, dass das Müllfahrzeug nur wegen einer
Entsorgungstätigkeit angehalten hatte und diese Tätigkeit soviel Zeit in Anspruch
nehmen würde, dass ihm Zeit blieb, sein Fahrzeug zur Fahrbahnseite hin zu verlassen,
denn es kommt eine Vielzahl von Gründen für ein nur kurzes Anhalten in Betracht. Der
Kläger durfte nicht annehmen, dass er - zumal aus seiner Sitzposition im geparkten
Fahrzeug - die Situation so vollständig überblicken konnte, dass er gefahrlos die
Fahrzeugtüre öffnen konnte. Erst recht durfte er dies nicht annehmen aufgrund eines
Blickes allein in den Rückspiegel, auf den er in der Berufungsbegründung verweist. Er
musste vielmehr den Vorrang des fließenden Verkehrs respektieren und notfalls im
Fahrzeug die Vorbeifahrt abwarten, bis die rückwärtige Verkehrssituation ein gefahrloses
Aussteigen ermöglichte.
b) Anhaltspunkte für eine auch nur anteilige Haftung der Beklagten hat das Landgericht
zu Recht verneint.
Die Auffassung des Klägers, der Fahrer des Müllfahrzeuges hätte nach Wahrnehmung
der bereits ausgestiegenen Ehefrau des Klägers und des Klägers im Auto auf dessen
beabsichtigtes Aussteigen schließen und entweder zügig vorbeifahren oder anhalten
müssen, ist schon im rechtlichen Ausgangspunkt offenkundig falsch. Der fließende
Verkehr hat Vorrang und muss nicht Personen am Fahrbahnrand ermöglichen, aus
ihrem Fahrzeug auszusteigen.
Darüber hinaus bleiben die tatsächlichen Ausführungen zur Wahrnehmung oder
Wahrnehmbarkeit des Klägers und seiner Frau im Bereich der Spekulation.
2. Auf die weiter streitigen Fragen der Passivlegitimation des Beklagten zu 1. sowie der
Schadenshöhe im Einzelnen kommt es daher für die Entscheidung nicht an.
a) Der Senat teilt allerdings die Auffassung des Landgerichts, nach der der Kläger in
eklatanter Weise gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB verstoßen
hat, indem er die Beklagte nicht darauf aufmerksam gemacht hat, dass er nicht in der
Lage war, die Mittel für ein neues Fahrzeug aufzubringen mit der Folge, dass er jetzt im
Rechtsstreit Nutzungsausfallentschädigung für 382 Tage à 40,00 EUR geltend macht. Mit
der in der Berufungsbegründung erörterten Frage, ob die Klageforderung bestritten
worden ist, hat das nichts zu tun.
b) Gleichfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Kosten des Selbständigen
Beweisverfahrens als nicht erstattungsfähig angesehen, weil seine Einleitung von
vornherein nicht geboten war. Auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite 8 UA wird
verwiesen. Soweit der Kläger dem entgegenhält, es sei nicht ihm anzulasten, dass das
Selbständige Beweisverfahren trotz seiner Mahnungen an das Amtsgericht so lange
gedauert habe, ist das unerheblich.
III.
Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken. Der
Berufungsstreitwert soll auf 16.658,49 EUR festgesetzt werden.
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