Urteil des KG Berlin vom 16.07.2003

KG Berlin: vollstreckung der strafe, beschränkung, erschwerende umstände, strafzumessung, bewährung, diebstahl, drogenabhängigkeit, aussetzung, besitz, geldstrafe

1
2
3
4
5
Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(5) 1 Ss 404/03
(69/03)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 46 Abs 2 StGB, § 47 StGB, §
264a Abs 1 StGB, § 267 StPO
Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe wegen
Schwarzfahrens in der U-Bahn
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16.
Juli 2003 im gesamten Strafausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung –
auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen
zu Einzelfreiheitsstrafen von je einem Monat unter Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Monaten verurteilt. Auf seine Berufung hat das Landgericht die Vollstreckung
der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft, die ihre Revision auf die
Bewilligung der Strafaussetzung beschränkt hat, wendet sich mit der Sachrüge gegen
diese Entscheidung. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten
Strafausspruchs und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Der Senat hat vorab von Amts wegen zu prüfen, ob die Revision wirksam auf den
Ausspruch über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe beschränkt worden ist (vgl.
BGHSt 27, 70, 72). Die Prüfung ergibt, daß die Revision den gesamten Strafausspruch
des Urteils vom 16. Juli 2003 erfaßt und die weitergehende Beschränkung des
Rechtsmittels unwirksam ist.
Daß die Revision grundsätzlich auf den Aussetzungsausspruch beschränkt werden kann,
unterliegt keinem Zweifel. Unbestritten ist aber auch, daß die Beschränkung nicht
ausnahmslos wirksam ist, über die Wirksamkeit vielmehr – wie bei allen
Rechtsmittelbeschränkungen – aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu
befinden ist (vgl. BGHSt 19, 46, 48). In dem von der Revision zitierten Urteil vom 27. Juni
2001 – (5) 1 Ss 13/99 (10/99) – hat der Senat unter Zusammenfassung der
Rechtsprechung zu dieser Frage die Grundsätze dargelegt, nach denen die Wirksamkeit
der Beschränkung zu beurteilen ist. Nach diesen Grundsätzen ist die Beschränkung im
vorliegenden Verfahren unwirksam.
a) Die Beschränkung der Revision auf den Ausspruch über die Strafaussetzung zur
Bewährung setzt voraus, daß die tatsächlichen Feststellungen und die Erwägungen zu
der Bemessung der Strafe eine ausreichende Grundlage für die
Bewährungsentscheidung bilden (vgl. OLG Köln VRS 61, 365, 367 und NStZ 1989, 90, 91;
OLG Frankfurt VRS 59, 106, 109; Senat aaO), die Ausführungen zur Art und Höhe der
Strafe also erkennen lassen, daß die Strafe eine angemessene Sanktion für die
geahndete Tat darstellt. Bereits an dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die nach § 47
Abs. 1 StGB nur in Ausnahmefällen zulässige Verhängung einer Freiheitsstrafe unter
sechs Monaten bedarf einer umfassenden Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter
kennzeichnende Umstände (vgl. nur BGH StV 1994, 370). Demgegenüber erschöpft sich
die Begründung für die Verhängung von Freiheitsstrafen hier in einem einzigen Satz. Sie
läßt sich auch nicht ausreichend dem Gesamtzusammenhang des Urteils (vgl. OLG Köln
VRS 59, 104, 105; KG, Urteil vom 27. Juni 2001 – (5) 1 Ss 365/00 (3/01) – insoweit in
NStZ 2003, 208 nicht abgedruckt) entnehmen.
b) Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, daß das Landgericht in unzulässiger Weise
die Entscheidung über die Bemessung der Strafen mit derjenigen über die
Strafaussetzung vermengt hat (vgl. hierzu BGH NStZ 2001, 311 m. weit. Nachw.). Die
6
7
8
9
10
11
Strafaussetzung vermengt hat (vgl. hierzu BGH NStZ 2001, 311 m. weit. Nachw.). Die
unzureichende Begründung der Verhängung von Freiheitsstrafen erweckt den Eindruck,
daß das Landgericht gemeint hat, diese Entscheidung nicht näher erläutern zu müssen,
weil es den Interessen des Angeklagten und dem von ihm im Berufungsverfahren
erstrebten Ziel mit der Strafaussetzung ausreichend Rechnung getragen habe. Für diese
Annahme spricht, daß das Landgericht Umstände, die hauptsächlich für die
Entscheidung über Art und Ausmaß der Strafen von Bedeutung sind – insbesondere das
sehr geringe Gewicht der Taten – nur zur Begründung der Aussetzung herangezogen
hat.
c) Die Bindung des Revisionsgerichts an die Beschränkung entfällt schließlich auch dort,
wo sowohl für die Strafzumessung als auch für die Entscheidung über die
Strafaussetzung bedeutsame Umstände miteinander verknüpft, also doppelrelevant
sind und die Revision sich auch dagegen wendet, daß der Tatrichter einen solchen
Umstand angenommen oder nicht angenommen hat (vgl. BGHSt 29, 359, 366; OLG
Frankfurt NStZ-RR 1996, 309). Eben dies tut hier die Revision, indem sie vor allem
beanstandet, daß das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen
hat, inwieweit der Angeklagte seine langjährige Drogenabhängigkeit überwunden und
seine Lebensgestaltung stabilisiert hat. Diese von der Revision vermißten Feststellungen
sind nicht allein für die Entscheidung über eine Strafaussetzung, sondern bereits für die
vorrangige Frage, ob die Verhängung von kurzzeitigen Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf
den Angeklagten unerläßlich im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB ist, von wesentlicher
Bedeutung.
Der Senat hat der Generalstaatsanwaltschaft Gelegenheit gegeben, sich zu der
Wirksamkeit der Beschränkung der Revision zu äußern. Die daraufhin eingegangene
Stellungnahme liegt neben der Sache. Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft
darauf, daß die Beschränkung nicht schon dann unwirksam ist, wenn bei der
Strafzumessung einerseits und der Aussetzungsentscheidung andererseits dieselben –
doppelrelevanten – Tatsachen zugrunde gelegt werden, ist an sich richtig, läßt aber die
hier einer wirksamen Beschränkung entgegenstehenden Umstände gänzlich außer acht.
2. Die demnach den gesamten Strafausspruch erfassende rechtliche Überprüfung
ergibt, daß die Festsetzung der Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe
keinen Bestand haben kann, da die in § 47 Abs. 1 StGB bestimmten besonderen
Voraussetzungen für die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nicht
ausreichend dargetan sind.
Kurze Freiheitsstrafen sind kriminalpolitisch unerwünscht, sollen weitestgehend
zurückgedrängt werden und kommen deshalb nur noch in Ausnahmefällen als letzte
Ahndungsmöglichkeit zur Anwendung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl., § 47 Rdn. 1).
Sie dürfen nach dem Willen des Gesetzgebers allein verhängt werden, wenn dies aus
ganz besonderen Gründen bei einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls
unverzichtbar erscheint (vgl. BGH StV 1994, 370 und NStZ 1996, 429; KG StV 1998,
427, 428; OLG Düsseldorf StV 1991, 264). Bleiben Zweifel daran, ob eine Freiheitsstrafe
unerläßlich ist, so ist auf Geldstrafe zu erkennen (vgl. Tröndle/Fischer, § 47 Rdn. 7). Diese
bisher unterbliebene Gesamtwürdigung muß das Landgericht nachholen.
Auf die hierbei zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht fallenden Tatsachen – Vorstrafen
auch einschlägiger Art, Bewährungsversagen, Drogenabhängigkeit – hat die
Staatsanwaltschaft hingewiesen. Dabei kann es jedoch nicht sein Bewenden haben. Die
gebotene Gesamtschau erfordert jedenfalls auch die Berücksichtigung nachstehender
Umstände.
a) Für die Entscheidung, ob die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe unerläßlich
ist, um den Angeklagten zu einem gesetzmäßigen Leben anzuhalten, ist der Zeitpunkt
des tatrichterlichen Urteils maßgeblich. Darum kommt einer positiven Entwicklung des
Angeklagten nach der Tat erhebliche Bedeutung zu, sofern sie Rückschlüsse auf seine
künftige Lebensführung ermöglicht (vgl. OLG Zweibrücken StV 1992, 323, 324; OLG
Saarbrücken NStZ 1994, 192). Daran ändert nichts, daß es geboten sein kann, eine
Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zu verhängen und zugleich deren Vollstreckung zur
Bewährung auszusetzen, wenn die in § 47 Abs. 1 StGB vorausgesetzten besonderen
Umstände nicht in der Persönlichkeit des Täters, sondern in der Tat liegen oder die
Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich ist oder die bloße
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe ohne deren Vollstreckung das geeignete Mittel
ist, um den Täter von künftigen Straftaten abzuhalten (vgl. BGHSt 24, 164). Denn das
nimmt hier auch die Staatsanwaltschaft nicht an. Das Landgericht hat die Tatsachen, die
für eine Stabilisierung des Angeklagten sprechen, nur bei der Entscheidung über die
Aussetzung der Vollstreckung berücksichtigt. Es wird sie bereits in die Erörterung des §
12
13
14
15
16
Aussetzung der Vollstreckung berücksichtigt. Es wird sie bereits in die Erörterung des §
47 Abs. 1 StGB einzubeziehen haben.
b) Die Tatvorwürfe erfordern es ferner zu prüfen, ob die Verhängung von Freiheitsstrafen
das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt. § 47 Abs. 1 StGB stellt zwar nicht auf
die Schwere der Tat ab. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist jedoch im gesamten
Bereich der Strafzumessung zu beachten und deckt sich dort in seinen die Strafe
begrenzenden Auswirkungen mit dem Schuldgrundsatz (vgl. BVerfG NJW 1979, 1039,
1040). Eine kurze Freiheitsstrafe belastet den Täter regelmäßig weitaus stärker als eine
Geldstrafe. Das gebietet es, in Fällen, in denen der Unrechtsgehalt der Tat und die
Schuld des Täters gering erscheinen, zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern,
ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe als Sanktion unangemessen hart ist (vgl. OLG
Stuttgart NJW 2002, 3188; OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825).
Anlaß für eine derartige Prüfung bildet im vorliegenden Verfahren zunächst der
besonders geringe Schaden, den der Angeklagte durch die Taten angerichtet hat. Er
beträgt jeweils höchstens 2,20 Euro. Ob ein außergewöhnlich geringfügiger Schaden als
Folge der Tat der Verhängung einer Freiheitsstrafe entgegensteht, wird in der jüngeren
Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (verneinend: OLG Braunschweig NStZ-RR
2002, 75 für den Diebstahl von Zigaretten im Wert von 5 DM; BayObLG NJW 2003, 2926
für den Diebstahl von Waren im Wert von 31,26 DM; bejahend OLG Stuttgart NJW 2002,
3188 für den Diebstahl einer Milchschnitte im Wert von 26 Cent; vgl. dazu auch OLG
Karlsruhe NJW 2003, 25: Unverhältnismäßigkeit einer Freiheitsstrafe für den Besitz
geringster Mengen eines Betäubungsmittels).
Hier geht es aber nicht allein um den geringen Tatschaden. Zu berücksichtigen ist auch,
daß das Maß der Pflichtwidrigkeit, das in § 46 Abs. 2 StGB als allgemeines
Strafzumessungskriterium hervorgehoben ist, bei Taten, wie sie der Angeklagte verübt
hat, besonders niedrig ist. Das unbefugte Benutzen eines städtischen Verkehrsmittels,
bei dem der Täter keine Kontrollmaßnahmen umgeht oder ausschaltet und sich auch
sonst keine Manipulation zuschulden kommen läßt, sondern lediglich keinen Fahrschein
kauft, erfüllt diejenige Tatbestandsalternative des § 265 a Abs. 1 StGB, der der geringste
Unrechtsgehalt zukommt. Sie liegt, wie der Senat bereits in seinem Beschluß vom 27.
Juni 2003 – 5 Ws 321/03 – ausgeführt hat, nach ihrem objektiven Gewicht an der
untersten Grenze desjenigen Bereichs menschlichen Verhaltens, den die Rechtsordnung
mit Strafe bedroht. Das Bundesverfassungsgericht hat die – im Schrifttum nach wie vor
in Zweifel gezogene – Verfassungsmäßigkeit dieser Tatbestandsalternative des § 265 a
Abs. 1 StGB zwar bejaht (vgl. BVerfG NJW 1998, 1135). Irgendwelche Schlüsse darauf,
wie das sogenannte Schwarzfahren zu ahnden ist, lassen sich aus dieser Entscheidung
aber nicht ziehen. Ob es, wenn erschwerende Umstände fehlen, überhaupt strafrechtlich
sanktioniert bleiben soll, ist kriminalpolitisch sehr umstritten (vgl. Tiedemann in LK, StGB
11. Aufl., § 265 a Rdn. 7).
Was die Generalstaatsanwaltschaft hierzu vorbringt, ist verfehlt. Daß das Schwarzfahren
in Berlin ein großes Ausmaß angenommen hat, ist bekannt. Dies ist jedoch
hauptsächlich eine Folge der aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen getroffenen
Entscheidung der Verkehrsunternehmen, auf Zugangskontrollen weitestgehend zu
verzichten. Es kann nicht Aufgabe der Strafgerichte sein, durch Verhängung
schuldunangemessener Strafen die Unternehmen vor den finanziellen Nachteilen zu
bewahren, die ihnen aus dieser Entscheidung erwachsen. Zudem ist selbst die BVG als
der hier betroffene Verkehrsbetrieb an einer strafrechtlichen Verfolgung der
Schwarzfahrer nur in begrenztem Maße interessiert. Obgleich der Angeklagte einschlägig
vorbestraft ist, hat sie gegen ihn erst Anzeige erstattet, nachdem und weil er das
erhöhte Beförderungsentgelt nicht entrichtet hat. Dazu war der Angeklagte aufgrund
seiner desolaten finanziellen Verhältnisse wahrscheinlich nicht in der Lage. Einem
wirtschaftlich besser gestellten Täter wäre eine Strafverfolgung ganz erspart geblieben.
Mit Zweifeln daran, ob unter solchen Umständen unbefugtes U-Bahnfahren mit
Freiheitsentzug geahndet werden muß, ist der Senat von einer Verharmlosung und
Bagatellisierung des Schwarzfahrens, wie sie die Generalstaatsanwaltschaft ihm
anlasten zu müssen meint, weit entfernt. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft darauf,
daß der Senat Farbschmierereien an U-Bahnwagen nicht als geringfügig einschätzt (vgl.
Beschluß vom 05. April 2002 – 5 Ws 84/02 –), ist in diesem Zusammenhang
unverständlich. Täter derartiger Delikte handeln aus Zerstörungswut, Vandalismus,
Langeweile oder auch aus Feindseligkeit gegen die bestehende Gesellschaftsordnung.
Sie verschandeln das Stadtbild in schwer erträglichem Ausmaß, und die Beseitigung der
von ihnen angerichteten Schäden ist oft sehr kostenintensiv. Sie auf eine Stufe zu
stellen mit einem drogenabhängigen Sozialhilfeempfänger, der sich aus Geldmangel
entschließt, eine U-Bahnfahrt nicht zu bezahlen, ist für den Senat nicht mehr
17
18
19
20
21
22
23
24
25
entschließt, eine U-Bahnfahrt nicht zu bezahlen, ist für den Senat nicht mehr
nachzuvollziehen.
Diese Ausführungen sind nicht dahin zu verstehen, daß der Senat die Verhängung einer
Freiheitsstrafe wegen Erschleichens von Leistungen in der Form des Schwarzfahrens in
jedem Fall als unverhältnismäßig ansieht. In Betracht kommt eine Freiheitsstrafe aber
nur, wenn im Einzelfall die objektiv geringe Bedeutung der Tat durch das Hinzutreten
ganz besonderer Umstände das Gewicht erlangt, das erst einen Freiheitsentzug
rechtfertigt. Zu denken ist etwa an Schwarzfahrer, die bewiesen haben, daß alle bisher
gegen sie ergriffenen milderen staatlichen Maßnahmen sie unbeeindruckt gelassen
haben (vgl. Beschluß des Senats vom 25. Juli 2003 – 5 Ws 288/03 –), wobei auch eine
Rolle zu spielen hat, ob der Täter aus Mangel an finanziellen Mitteln oder aus einem
anderen Motiv handelt.
Die hiernach erforderliche Gesamtabwägung aller für die Entscheidung nach § 47 Abs. 1
StGB relevanten Umstände obliegt dem Landgericht.
3. Falls sich in der erneuten Verhandlung die Frage, ob eine Strafaussetzung zu
verantworten ist, nochmals stellt, gilt folgendes.
Unbestritten ist, daß der Tatrichter besonders sorgfältig prüfen muß, ob eine weitere
Bewährungschance zu verantworten ist, wenn der Angeklagte die Tat innerhalb einer
laufenden Bewährungszeit begangen hat (vgl. BGH NStZ 1983, 454). Dieselbe
Verpflichtung trifft ihn bei einschlägigen oder gewichtigen, noch nicht lange
zurückliegenden Vorverurteilungen (vgl. Tröndle/Fischer, § 56 Rdn. 6 m. Rsprnachw.). Das
hat das Landgericht nicht verkannt.
Ebenso steht nicht in Zweifel, daß der Tatrichter die für die Entscheidung über die
Strafaussetzung bedeutsamen Tatsachen in ihrer Gesamtheit zu würdigen und in den
Urteilsgründen darzulegen hat. Auch insoweit findet allerdings die für die
Strafzumessung geltende Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO Anwendung, nach der
die Urteilsgründe nur diejenigen Umstände anführen müssen, die für die Entscheidung
bestimmend gewesen sind. Nicht außer Betracht bleiben können in diesem
Zusammenhang die Art der Straftat und die Höhe der Strafe. Denn je stärker ein
mögliches Rückfallrisiko Sicherheitsbelange der Allgemeinheit berührt, desto
eingehender muß der Richter begründen, warum es in Kauf genommen werden kann.
Welche Ausführungen hiernach geboten sind, hängt von den Besonderheiten des
Einzelfalls ab. Schematische Anforderungen erweisen sich als verfehlt. So beanstandet
die Revision in der vorliegenden Sache, daß das Landgericht keine Einzelheiten zu den
Straftaten mitgeteilt hat, die den Vorverurteilungen des Angeklagten vom 27. Juni 1996,
30. Juni 1998, 30. November 1999 (das in dem angefochtenen Urteil und der
Revisionsbegründung genannte Datum 30. November 1998 ist falsch) und 26. Juni 2002
zugrunde gelegen haben. Die Bedeutung derartiger Feststellungen für die Prognose
erschließt sich aber allenfalls bei dem Urteil vom 27. Juni 1996, das offensichtlich
Beschaffungskriminalität zum Gegenstand gehabt hat. Die Geldstrafen in den Urteilen
vom 30. Juni 1998 und 30. November 1999 sind wegen Erschleichens von Leistungen
ergangen. Hier fehlt allenfalls der Hinweis, daß es sich auch dabei um "Schwarzfahren"
gehandelt hat. Zum Urteil vom 26. Juni 2002, zu dem das Landgericht mitgeteilt hat,
daß es gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Heroin – Tatzeit 13.
April 2001 – ergangen ist, bedurfte es keiner ergänzenden Beschreibung der Tat. Nach
den Umständen kann es sich nur um den Besitz einer geringen Menge zum
Eigenverbrauch gehandelt haben.
Zu fordern ist demgegenüber, wie allgemein bei Bewährungsprognosen, daß sich der
Tatrichter mit den Umständen eingehend auseinandersetzt, die für das Straffälligwerden
und das Bewährungsversagen ausschlaggebend waren. Das sind bei dem Angeklagten
die Drogenabhängigkeit und die damit einhergehenden labilen sozialen Verhältnisse.
Darzulegen sind daher Umstände, die den Schluß zulassen, daß es dem Angeklagten
anders als in den zurückliegenden Jahren jetzt wahrscheinlich gelingen wird, seine
Heroinabhängigkeit zu überwinden und zu einem sozial eingeordneten Leben zu finden.
Die dazu bisher getroffenen Feststellungen sind ergänzungsbedürftig. Von Bedeutung ist
insoweit vor allem, ob und gegebenenfalls welche Entziehungsbemühungen der
Angeklagte früher unternommen hat, warum sie gescheitert sind und aus welchen
Gründen die Chancen für ein Gelingen diesmal besser einzuschätzen sind.
4. Der Verfahrensgang macht abschließend eine Anmerkung erforderlich.
Der Senat hat nach dem Eingang der Revision der Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt,
daß er die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Strafaussetzung für unwirksam hält,
26
27
daß er die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Strafaussetzung für unwirksam hält,
und darauf hingewiesen, daß wegen der Bedenken gegen die Verhängung kurzer
Freiheitsstrafen das Verfahren bei einer Zurückverweisung anders enden könne, als es
die Revision erstrebe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat diesen Hinweis als "entbehrlich"
bezeichnet und bemerkt, er könne Anlaß zu Mißverständnissen geben. Dazu ist
klarzustellen, daß der beanstandete Hinweis dem Zweck gedient hat, die
Staatsanwaltschaft nicht mit einer Überraschungsentscheidung zu konfrontieren. Das
Bundesverfassungsgericht mahnt einen derartigen dem Fairneßgebot entsprechenden
Umgang zwischen den Verfahrensbeteiligten auch dort an, wo ein Hinweis nicht bereits
aus Rechtsgründen geboten ist.
Die Bemerkung der Generalstaatsanwaltschaft am Schluß der Übersendungsverfügung,
die Entscheidung des Senats scheine bereits getroffen zu sein, enthält die befremdliche
Unterstellung, der Senat sei in Mißachtung der ihm obliegenden Pflichten bereits nach
einer ersten Durchsicht der Sache nicht mehr bereit, Rechtsausführungen anderer
Verfahrensbeteiligter zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen.
Dem fehlt jegliche Grundlage. Bislang ist von der Staatsanwaltschaft niemals in Zweifel
gezogen worden, daß Äußerungen zu Rechtsfragen, die ein Strafsenat während eines
laufenden Verfahrens abgibt, ausnahmslos vorläufiger Natur sind und der Senat
Entscheidungen jeweils erst auf der Grundlage der Schlußberatung trifft. Auch die
vorliegende Sache bietet keinerlei Anlaß, dies in Frage zu stellen.
Der Senat verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere
Strafkammer des Landgericht zurück.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum