Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: einstweilige verfügung, tod, gegendarstellung, ratio legis, höchstpersönliches recht, schwerer eingriff, persönlichkeitsrecht, ausnahmefall, vererblichkeit, wettbewerbsrecht

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
KG Berlin 9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 U 251/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 823 BGB
Gegendarstellung: Vererblichkeit eines noch zu Lebzeiten
titulierten Anspruchs
Leitsatz
Der Gegendarstellungsanspruch stellt einen untrennbar mit der Person des Betroffenen
verbundenen nicht vermögensrechtlichen Anspruch dar, der nicht vererblich ist.
Der Gegendarstellungsanspruch erlischt auch dann mit dem Tod des Betroffenen, wenn der
Anspruch noch zu dessen Lebzeiten tituliert worden war. Nach dem Tod des Betroffenen kann
der in Anspruch genommene Verlag die Aufhebung der die Veröffentlichung der
Gegendarstellung anordnenden einstweiligen Verfügung verlangen.
Tenor
1. Die Berufung des Antragstellers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21.
November 2006 – 27 O 860/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat der Antragsteller zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin begehrt die Aufhebung der noch von der - am 9. August 2006
verstorbenen - vormaligen Antragstellerin, Frau J. G., erwirkten einstweiligen Verfügung
vom 1. August 2006 auf Abdruck einer Gegendarstellung.
Der Antragsteller ist Ehemann, Erbe und Bevollmächtigter der vormaligen
Antragstellerin. Auf ihren Antrag vom 28. Juli 2006 erließ das Landgericht Berlin am 1.
August 2006 eine einstweilige Verfügung, durch die der Antragsgegnerin aufgegeben
wurde, eine Gegendarstellung zu einer Behauptung in der von ihr herausgegebenen
„Welt am Sonntag“ zu veröffentlichen. Die von der vormaligen Antragstellerin
unterzeichnete Gegendarstellung vom 27. Juli 2006 war zuvor der Antragsgegnerin
zugeleitet worden.
Die einstweilige Verfügung wurde der Antragsgegnerin am 3. August 2006 zugestellt.
Nachdem Frau G. verstorben war, veranlasste der Antragsteller die Titelumschreibung
auf sich, die am 8. November 2006 erfolgte.
Am 13. November 2006 beantragte die Antragsgegnerin, die einstweilige Verfügung vom
1. August 2006 gemäß § 927 ZPO wegen veränderter Umstände aufzuheben.
Das Landgericht Berlin hat die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 21. November 2006
aufgehoben.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts, der in erster Instanz gestellten Anträge und
der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil erster Instanz Bezug genommen, § 540
Absatz 1 Nr. 1 ZPO.
Das Urteil wurde den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 27. November
2006 zugestellt. Mit der am selben Tag eingelegten und begründeten Berufung wendet
sich der Antragsteller gegen die Aufhebung.
Er meint, das Landgericht habe in unzulässiger Weise das Höchstpersönliche der
Erklärung eines Gegendarstellungstextes mit der Frage der Durchsetzung dieser
Erklärung vermengt. Das Landgericht habe dem Gegendarstellungsanspruch ein
weiteres Tatbestandsmerkmal beigefügt, nämlich, dass der Betroffene den Abdruck der
Gegendarstellung noch selbst erleben muss. Wäre dies so zutreffend, wäre nicht nur ein
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Gegendarstellung noch selbst erleben muss. Wäre dies so zutreffend, wäre nicht nur ein
Betroffener nach seinem Tod gegendarstellungsmäßig „vogelfrei“, sondern auch
derjenige, der in absehbarer Zeit versterben wird. Er befände sich in einem Wettlauf mit
dem Tod, da der Gegendarstellungsverpflichtete alles daran setzen würde, das
Verfahren zu verzögern. Eine Irreführung der Leser sei durch das mitabzudruckende
Datum der Gegendarstellung (27.07.2006) ausgeschlossen.
Vorliegend ginge es nicht darum, dass der Rechtsnachfolger bzw.
Wahrnehmungsberechtigte den Anspruch auf Gegendarstellung erbt, sondern um die
Durchsetzung eines bestehenden Titels.
Im Übrigen folge aus der Ratio des § 847 BGB a.F., dass ein rechtshängig gemachter
Anspruch, aus dem der Wille des Verletzten folge, den höchstpersönlichen Anspruch
geltend machen zu wollen, vererbbar und damit auch weiter durchsetzbar sei.
Der Antragsteller beantragt,
das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27.11.2006, Az.: 27 O 860/06, dahingehend
abzuändern, dass der Aufhebungsantrag der Antragsgegnerin und Antragstellerin im
Aufhebungsverfahren zurückgewiesen wird.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält daran fest, dass durch den Tod von Frau G. der – im Aufhebungsverfahren allein
zu prüfende - materiell – rechtliche Anspruch erloschen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorgetragenen Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug
genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist ohne Erfolg.
1. Die einstweilige Verfügung ist vom Landgericht zu Recht aufgehoben worden.
Vorliegend stellt der Tod der vormaligen Antragstellerin einen „veränderten Umstand“
im Sinne des § 927 ZPO dar, da ihr Tod den Verfügungsanspruch entfallen ließ und
damit zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung führt (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO,
26. Aufl., § 927 Rn. 5; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25.
Aufl., § 12 Rn. 3.56; Berneke, Die einstweilige Verfügung im Wettbewerbsrecht, 2. Aufl.,
Rn. 277 ff).
a) Der Gegendarstellungsanspruch (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BlnrLPG) ist durch den Tod der
vormaligen Antragstellerin erloschen.
aa) Einer Vererblichkeit steht entgegen, dass es sich bei dem - im allgemeinen
Persönlichkeitsrecht wurzelnden (vgl. BVerfG NJW 1983, 1179) -
nichtvermögensrechtlichen und daher nicht von § 1922 Absatz 1 BGB erfassten
Gegendarstellungsanspruch (vgl. BGH GRUR 1963, 83 = NJW 1963, 151) um ein
höchstpersönliches Recht handelt, welches ausschließlich dem Betroffenen zusteht (vgl.
Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Aufl., Rn. 55) und folglich
mit dem Tod des Inhabers erlischt (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort - und
Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 11 Rn. 72; Marotzke in Staudinger, BGB, Bearbeitung
2000, § 1922 Rn. 116). Daran ändert nichts, dass im Streitfall - anders als in den
Fallgestaltungen der vom Landgericht zitierten Entscheidungen (OLG Stuttgart NJW – RR
1996, 599; Hans OLG Hamburg AfP 1994, 322) - die zwischenzeitlich verstorbene
Antragstellerin noch selbst zu ihren Lebzeiten die einstweilige Verfügung auf
Veröffentlichung der Gegendarstellung erwirkte und diese der Antragsgegnerin zustellen
ließ. Diese tatsächlichen Umstände ändern nichts daran, dass mit dem Tod der
Antragstellerin der Gegendarstellungsanspruch und somit der Verfügungsanspruch
untergegangen ist. Mit dem Wegfall des Anspruches tritt ein veränderter Umstand i.S.v.
§ 927 ZPO ein. § 927 ZPO unterliegt vorliegend nicht aufgrund der vom Antragsteller
geltend gemachten Bedenken Einschränkungen. Entgegen der Meinung des
Antragstellers stellt es keinen dogmatischen Formalismus dar, aus der besonderen
Natur des Gegendarstellungsanspruches jegliches Fortbestehen über den Tod des
Betroffenen hinaus zu versagen, unabhängig davon, ob der Anspruch bereits zu
Lebzeiten tituliert war oder - wie in den den Entscheidungen der vorzitierten OLG
Stuttgart und HansOLG Hamburg zugrunde liegenden Fällen - erst von den Angehörigen
21
22
23
24
25
26
Stuttgart und HansOLG Hamburg zugrunde liegenden Fällen - erst von den Angehörigen
bzw. Erben aufgrund einer Jahre nach dem Tod des Betroffenen erfolgten
Berichterstattung geltend gemacht wird. Die Gegendarstellung ist eine untrennbar mit
der Person des Erklärenden verbundene höchstpersönliche Erklärung (vgl.
Seitz/Schmidt/Schoener a.a.O. Rn. 699), deren Wirksamkeit mit dem Tod endet und
daher auch nicht mehr Gegenstand eines Anspruches auf Abdruck sein kann.
Diese Auffassung steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach
der die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht innewohnenden ideellen Bestandteile des
Persönlichkeitsrechts (anders als die vermögensrechtlichen) nach dem Tod des
Rechtsträgers nicht fortbestehen (vgl. BGH NJW 2000, 2195; Burkhardt a.a.O., Kap. 5 Rn.
116 und Kap. 10 Rn. 48). Der Gegendarstellungsanspruch betrifft ausschließlich das
ideelle Interesse des Betroffenen, mit eigenen Worten einer Tatsachenbehauptung
entgegenzutreten (vgl. Sedelmeier in Löffler, Presserecht, 5. Aufl., § 11 Rn. 66). In der
formalen Ausgestaltung des Anspruches, nach der es auf die Wahrheitsfrage
grundsätzlich nicht ankommen soll, kommt zum Ausdruck, dass es bei seiner
Durchsetzung nicht um den Schutz von Vermögensinteressen, oder sonstigen
spezifischen Rechtsgütern geht, sondern nur darum, dem von der Verbreitung einer
Tatsachenbehauptung Betroffenen das Recht zu sichern, sich vor der Öffentlichkeit in
seiner Angelegenheit persönlich Gehör zu verschaffen. Das unterscheidet den
Gegendarstellungsanspruch maßgeblich von den Ansprüchen, in denen es auf den
Wahrheitsgehalt einer verbreiteten Tatsachenäußerung ankommt wie insbesondere den
Ansprüchen auf Unterlassung und Widerruf von Tatsachenbehauptungen, die je nach Art
der angegriffenen Äußerungen Streitigkeiten vermögensrechtlicher Art bilden können
(vgl. BGH GRUR 1963, 83 = NJW 1963, 151) und damit ggf. im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben übergehen können
Die vom Antragsteller betonte ratio legis des § 847 BGB a.F., wonach bei
Rechtshängigkeit und damit dem Vorliegen einer auf die Geltendmachung des
Schmerzensgeldes gerichteten persönlichen Entscheidung des Verletzten (vgl. Mertens
in Münchener Kommentar, BGB, 2. Aufl., § 847 Rn. 51) trotz der höchstpersönlichen
Natur des Schmerzensgeldanspruches (vgl. Schäfer in Staudinger, BGB, 12. Aufl., § 847
Rn. 103) der Anspruch auf den Erben übergehen soll, steht dem nicht entgegen. Dem
Schmerzensgeldanspruch wohnt als Materialisierung einer vorausgegangenem
Rechtsverletzung eine wirtschaftliche Komponente inne. Geldzahlungen sind - losgelöst
von der Verletzung und dem Verletzten - Vermögenswerte und stellen als solche einen
wirtschaftlichen Wert dar, der wie andere Vermögenswerte vererbbar ist. Dagegen ist -
wie ausgeführt - die Gegendarstellung eine untrennbar mit der Person des Erklärenden
verbundene höchstpersönliche Erklärung (vgl. Seitz/Schmidt/Schoener a.a.O. Rn. 699),
die mit den eigenen Worten des Betroffenen seine eigene Darstellung enthält (vgl.
Sedelmeier in Löffler a.a.O.). § 10 LPG drängt die Pressefreiheit deshalb zurück, um dem
Betroffenen das Recht zu geben, sich unabhängig vom Wahrheitsgehalt (insofern anders
als der Richtigstellungsanspruch) schnell mit eigenen Worten gegen die
Presseveröffentlichung zu wenden, um seine Sicht der Dinge darzulegen.
Das Recht, die eigene Sicht der Antragstellerin zu verbreiten, kann dem Antragsteller
nicht zustehen, weil es sich auch dann um seine Sicht der Dinge handelt, wenn er über
den Tod hinaus bevollmächtigt ist. Die Vertretungsbefugnis kann nicht die eigene
Erklärung der Antragstellerin ersetzen oder aufrechterhalten.
bb) Da der Gegendarstellungsanspruch mit dem Tod des Betroffenen erlischt,
kommt es nicht darauf an, ob vorliegend ein schwerer Eingriff in den postmortalen
Achtungs– und Geltungsanspruch erfolgte.
b) Der Antragsteller unterstellt unzutreffend, das Landgericht habe ein weiteres
Tatbestandsmerkmal (das Erleben des Abdrucks der Gegendarstellung) „erfunden“. Der
Antragsteller verkennt, dass das Landgericht nicht etwa den Gegendarstellungsanspruch
von einem weiteren Tatbestandsmerkmal abhängig gemacht hat, sondern zu Recht
umgekehrt geprüft hat, ob der Tod der vormaligen Antragstellerin zum Erlöschen des
Gegendarstellungsanspruches (Verfügungsanspruches) geführt hat.
c) Die Ansicht des Antragstellers, ein Verstorbener werde nachträglich „vogelfrei“, wenn
man ihm nicht gestatte, den Gegendarstellungsanspruch zu vollstrecken, greift schon
deshalb nicht, weil es im Aufhebungsverfahren nicht um die Vollstreckung geht. Das
Argument überzeugt auch deshalb nicht, weil der Verstorbene bei seinem Tod immer
„vogelfrei“ wird, da es auch einen postmortalen Gegendarstellungsanspruch nicht gibt
(vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.; Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn.
13.9b; Seitz/Schmidt/Schoener a.a.O. Rn. 71; kritisch: Prinz/Peters, Medienrecht, Rn.
134).
27
28
d) Auch das Problem des „Wettlaufs mit dem Tod“ vermag der Senat nicht in dem vom
Antragsteller befürchteten Ausmaß zu sehen. Aufgrund des Umstandes, dass
Gegendarstellungsansprüche ausschließlich im einstweiligen Verfügungsverfahren
geltend gemacht werden können und daher stets als eilbedürftig behandelt werden
(anders als Ansprüche nach § 847 BGB a.F., die nur im Hauptsacheverfahren erstritten
werden können), ist nur im Ausnahmefall zu erwarten, dass der Anspruchsteller die
Durchsetzung seines Anspruches nicht mehr erlebt. Dass vorliegend ein solcher
Ausnahmefall eingetreten ist, belegt noch kein allgemeingültiges Prinzip des „Wettlaufs
mit dem Tod“.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum