Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: öffentliches interesse, ddr, ausgrenzung, gesellschaft, persönlichkeitsrecht, öffentliches amt, pressefreiheit, resozialisierung, beitrag, privatsphäre

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Gericht:
KG Berlin 9. Zivilsenat
Entscheidungsname:
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 U 32/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 Abs 1 BGB, Art 2 Abs 1 GG
Leitsatz
Zur Interessenabwägung zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Recht auf
Pressefreiheit anlässlich einer Berichterstattung über die Stasi-Vergangenheit des
Lebenspartners einer bekannten Schauspielerin.
Es besteht grundsätzlich ein Berichterstattungsinteresse an der Person eines neuen Partners
einer der Öffentlichkeit bekannten, prominenten Persönlichkeit, wenn diese Person in deren
Beisein und mit deren Billigung öffentlich als neuer Partner vorgestellt wird.
Das Wirken des MfS der DDR wie auch der Umgang mit ehemaligen (inoffiziellen wie
hauptamtlichen) Mitarbeitern des MfS der DDR in unserer heutigen Gesellschaft stellt eine die
Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage dar.
Eine frühere Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR ist der Sozialsphäre des
Betroffenen zuzuordnen.
Nicht jede negative Darstellung einer Person führt automatisch zu einer Stigmatisierung,
sozialen Ausgrenzung oder Prangerwirkung. Vielmehr bedarf es hierfür schwerwiegender
Auswirkungen der Berichterstattung für die Person und das soziale Umfeld des Betroffenen.
Bei der Berichterstattung über die Stasi-Vergangenheit eines Betroffenen kommt dem
Gesichtspunkt der Resozialisierung neben dem Umstand, dass eine Berichterstattung zu
einer Stigmatisierung, sozialen Ausgrenzung oder Prangerwirkung führen kann, keine
eigenständige Bedeutung zu.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. Februar
2009 (27.O.1113/08) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger, auch in der Öffentlichkeit vorgestellter Partner der Schauspielerin I. B.,
verlangt von der Beklagten die Unterlassung der Berichterstattung über eine Tätigkeit
des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR („IMS W.“).
Das Landgericht Berlin hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt.
Der Beklagten ist das Urteil des Landgerichts vom 5. Mai 2009 am 12. Februar 2009
zugestellt worden. Mit ihrer am 24. Februar 2009 eingelegten und nach Fristverlängerung
bis zum 14. Mai 2009 am 29. April 2009 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihren
Klageabweisungsantrag weiter.
Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug
genommen. Die Parteien wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte beantragt,
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das am 5. Februar 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin
(27.O.1113/08) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Unterlassung einer Berichterstattung über eine
Tätigkeit des Klägers als „IMS W.“ aus § 823 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Art. 2
Absatz 1, 1 Absatz 1 GG nicht zu, weil die angegriffene Berichterstattung in der Ausgabe
vom 5. Juni 2008 der von der Beklagten verlegten Zeitschrift „S.“ das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht in rechtswidriger Weise verletzt hat.
1.
Ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers vorliegt,
ist anhand einer Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der Beklagten, hier
also der Presse- und Meinungsfreiheit zu bestimmen, denn wegen der Eigenart des
Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest,
sondern muss grundsätzlich erst durch eine Güterabwägung mit den schutzwürdigen
Interessen der anderen Seite bestimmt werden (BGH NJW 2004, 596).
Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, insbesondere einer selbst nicht in der
Öffentlichkeit stehenden Person, gehört das Selbstbestimmungsrecht über die
Darstellung ihrer Person in der Öffentlichkeit. Es gibt dem Betroffenen u.a. einen
Anspruch dagegen, persönliche Lebenssachverhalte gegen seinen Willen zu offenbaren
und seine Person so der Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Danach kann der Einzelne
grundsätzlich selbst darüber entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine
persönlichen Lebensumstände in die Öffentlichkeit gebracht werden. Dieses Recht ist
allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute,
uneingeschränkte Herrschaft über „seine“ Daten. Er entfaltet seine Persönlichkeit
innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt eine Information, auch soweit sie
personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht ausschließlich dem
Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage
zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -
gebundenheit der Person zu entscheiden. Deshalb muss der Einzelne Einschränkungen
seines Selbstbestimmungsrechtes hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen
von berechtigten Gründen getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen
der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze
des Zumutbaren noch gewahrt ist (BGH NJW 1991, 1532; Senat NJW-RR 2005, 350; vgl.
auch BGH NJW-RR 2007, 619).
Gleichermaßen umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor
Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person,
insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (BVerfG NJW 2006, 207).
Derartige Äußerungen gefährden die von Artikel 2 Absatz 1 GG gewährleistete freie
Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine
sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben
können. Auch dieses Recht reicht allerdings nicht so weit, dass es dem Einzelnen einen
Anspruch darauf verliehe, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich
selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte (BVerfG NJW 1999, 1322). Ein
allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person
enthält Artikel 2 Absatz 1 GG nicht (BVerfG NJW 2000, 1021).
Im Einzelfall können deshalb das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die
Meinungsfreiheit Vorrang haben.
Diese Interessenabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers
(Artikel 1 und 2 Absatz 1 GG) einerseits sowie dem Recht der Beklagten auf
Pressefreiheit (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG) andererseits führt im vorliegenden Fall zu
dem Ergebnis, dass der Kläger die Berichterstattung der Beklagten über seine frühere
Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
hinnehmen muss. Alles in allem haben im Ergebnis der Abwägung zwischen dem
Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und dem Interesse des Klägers an
dem Schutz seiner Lebensumstände andererseits die Belange des Klägers hinter den
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dem Schutz seiner Lebensumstände andererseits die Belange des Klägers hinter den
Informationsinteressen der Öffentlichkeit sowie den Interessen der Beklagten
zurückzustehen. Insoweit genießt die aktuelle Berichterstattung Vorrang vor den
Interessen des Klägers.
2.
Es bestand ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der
Berichterstattung über diesen Aspekt der Vergangenheit des Klägers als neuem Partner
der in Deutschland überaus bekannten und nicht nur für ihre schauspielerischen
Leistungen, sondern gleichermaßen für ihr politisches und gesellschaftliches
Engagement honorierten Schauspielerin B..
a)
Zunächst ist bereits ein nicht unerhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit an
der Person des Klägers anzuerkennen, weil dieser der Öffentlichkeit als neuer Partner der
Schauspielerin B. vorgestellt worden ist.
Es entspricht der Rechtsprechung des Senates, dass grundsätzlich ein
Berichterstattungsinteresse an der Person eines neuen Partners einer der Öffentlichkeit
bekannten, prominenten Persönlichkeit besteht, wenn diese Person in deren Beisein und
mit deren Billigung öffentlich als neuer Partner vorgestellt wird (vgl. Senat Urteil vom 18.
Juli 2008 - 9 U 131/07 – nicht veröffentlicht).
Es interessiert weite Teile der Bevölkerung, was für eine Person ein Prominenter als
Partner wählt, was für ein Mensch dieser ist. Insoweit geht es nicht allein um die
Befriedigung bloßer Neugier. Vielmehr entspringt dieses Interesse auch der Anteilnahme
am Leben einer Identifikations- oder auch Kontrastfigur. Nicht zuletzt geht es hierbei
darum, ob eine solche prominente Persönlichkeit ihrem öffentlich verkörperten Anspruch
gerecht wird, ob das öffentlich vermittelte und wahrnehmbare Bild einer solchen Person
mit deren Auftreten jenseits der Öffentlichkeit übereinstimmt, ob öffentlich artikulierte
Ansichten dem Handeln der Person auch im persönlichen Bereich entsprechen.
Insoweit handelt es sich zwar um ein lediglich abgeleitetes Interesse der Öffentlichkeit
(vgl. ähnlich die Begleiterrechtsprechung zu § 23 Absatz 1 Nr. 1 KUG, wonach vertraute
Begleiter eines Prominenten wegen des abgeleiteten Interesses der Öffentlichkeit, das
nicht um des Begleiters sondern der prominenten Person wegen besteht, relative Person
der Zeitgeschichte - im herkömmlichen Sinne des § 23 Absatz 1 Nr. 1 KUG - sein können
- vgl. Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap.
8, Rn. 25). Das Interesse der Öffentlichkeit besteht nicht in erster Linie um der Person
des neuen Partners willen, sondern wegen des Interesses an der prominenten
Persönlichkeit, das aber auf die Person des in der Öffentlichkeit präsentierten neuen
Partners ausstrahlt.
Andererseits wirkt sich in der hier erörterten Fallkonstellation jedoch aus, dass der neue
Partner als bloße Begleitperson eines Prominenten selbst daran mitwirkt, seine Person
der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zum Entstehen des öffentlichen Interesses an der
Person des Partners der prominenten Persönlichkeit trägt so gerade der Umstand
maßgeblich bei, dass sie mit dessen Wissen und Wollen in der Öffentlichkeit als neuer
Partner der prominenten Persönlichkeit vorgestellt wird. Bereits dieser Umstand erweckt
ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an der Person dieses neuen Partners.
Zwar mag es sich insoweit lediglich um bloße Unterhaltungsinteressen handeln.
Allerdings darf der Begriff des öffentlichen Interesses nicht zu eng verstanden werden. Er
umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz
allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem
Interesse. Auch durch unterhaltende Beiträge kann Meinungsbildung stattfinden. Solche
Beiträge können die Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und
beeinflussen als ausschließlich sachbezogene Informationen. Hierbei gehört es zum Kern
der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit, dass die Presse in den gesetzlichen
Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, innerhalb dessen sie nach ihren
publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und
dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von
öffentlichem Interesse ist. Insoweit ist ein weites Verständnis geboten, damit die Presse
ihren meinungsbildenden Aufgaben gerecht werden kann. (vgl. BGH NJW 2007, 1977).
b)
Darüber hinaus entsteht vorliegend ein besonderes Berichterstattungsinteresse daraus,
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Darüber hinaus entsteht vorliegend ein besonderes Berichterstattungsinteresse daraus,
dass der neue Partner einer derart bekannten und öffentlich sich engagierenden
Schauspielerin früher einmal inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR gewesen ist.
aa) Zum einen stellt das Wirken des MfS der DDR und hierbei insbesondere die Tätigkeit
von inoffiziellen Mitarbeitern nach wie vor eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende
Frage dar.
Hierzu führte das BVerfG in seiner Entscheidung NJW 2000, 2413 aus: „Das MfS ragte
aus den staatlichen Einrichtungen und Institutionen in der DDR in besonderer Weise
heraus. Es war ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparats der DDR. Es
fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten
Bevölkerung und diente insbesondere dazu, politisch Andersdenkende oder
Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken oder auszuschalten (...). Die Frage, wie
die inoffiziellen Mitarbeiter in das MfS eingebunden und welche Rolle ihnen dabei von der
Staatssicherheit zugedacht war, wurde noch 1996 als weit gehend unerforscht
bezeichnet (...). An ihrer Beantwortung existierte aber jedenfalls im Juli 1992 ein
nachhaltiges öffentliches Interesse, das im Prinzip auch heute noch bestehen dürfte.
Denn die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit
nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument
des Einparteiensystems (...). ... Überdies vermag die historische Erfahrung mit einer
Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten eine Anschauung darüber vermitteln,
welchen Gefahren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die
Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt sind.“
Dies hat an Aktualität nichts verloren.
bb) Zum anderen ist ein weiterer Aspekt in der öffentlichen Diskussion hinzugekommen,
nämlich die Frage nach dem Umgang mit ehemaligen (inoffiziellen wie hauptamtlichen)
Mitarbeitern des MfS der DDR in unserer heutigen Gesellschaft.
Vor allem im politischen Bereich stellte sich in der Vergangenheit immer wieder die
Frage, ob inoffizielle Mitarbeiter des MfS der DDR als Politiker in Parlamenten oder
anderen Gremien Interessen der Bürger vertreten dürfen. Aktuell beschäftigt die
Öffentlichkeit beispielsweise der Fall des Sprechers der Stadt Brandenburg, der wegen
seiner Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR seines Amtes enthoben
worden ist. Man denke ferner an die Enthüllungen zur Stasi-Vergangenheit von
Abgeordneten des Brandenburgischen Landtages nach der Landtagswahl 2009.
Die Frage des Umgangs mit inoffiziellen Mitarbeitern des MfS der DDR stellt sich aber
gleichermaßen im gesellschaftlichen Zusammenleben schlechthin. Soll man diese
Mitbürger ihrer Vergangenheit wegen ausgrenzen („auf ewig verdammen“), sie in Ruhe
lassen oder ihnen zubilligen, sich zu verändern, Lehren zu ziehen, sich zu wandeln? Darf
man ihnen auch zugestehen, an ihren früheren Auffassungen festzuhalten? Soll man sie
deswegen bekämpfen, tolerieren oder sie einbeziehen und ihnen ermöglichen, in der
Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen?
Der vorliegende Fall vermag diese gesellschaftlich relevante Problematik, die in der
Öffentlichkeit nach wie vor kontrovers diskutiert wird, anschaulich zu verdeutlichen. Die
Entwicklung des Klägers kann insoweit als Beleg dafür dienen, dass ehemalige inoffizielle
Mitarbeiter des MfS der DDR in unserer Gesellschaft Fuß fassen und ein „normales
Leben“ führen können. Zudem belegt der vorliegende Fall, dass diese Thematik sich
gleichermaßen in Prominentenkreisen stellen kann. Gerade durch die Beziehung des
Klägers als ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter des MfS der DDR mit der in besonderem
Maße gesellschaftlich und politisch engagierten Schauspielerin wird die Konfliktlage der
Thematik zugespitzt deutlich gemacht. Müssen sich doch die Werte und Überzeugungen,
für die die Schauspielerin öffentlich eintritt, und die früheren Auffassungen eines
inoffiziellen Mitarbeiters des MfS der DDR diametral entgegenstehen. Vor diesem
Hintergrund stellt die Tatsache, dass der neue Partner einer prominenten Person früher
einmal inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR gewesen ist, durchaus einen Umstand
dar, der für ein bedeutendes öffentliches Interesse spricht.
Soweit das Landgericht seine Entscheidung damit begründet hat, die Berichterstattung
trage zu einer Sachdebatte nichts bei, es finde keine differenzierte Bewertung statt, zu
einer Aufarbeitung werde kaum Sachdienliches beigetragen, überzeugt dies nicht.
Der Bericht schildert unter Abbildung der schriftlichen Verpflichtungserklärung des
danach (wohl) 27-jährigen Klägers vom 28. April 1987 konkrete Einzelheiten der früheren
Tätigkeit des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter des MfS. Es wird sein Einsatzbereich
dargestellt und es wird informiert, über welche Einzelheiten der Kläger als informeller
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dargestellt und es wird informiert, über welche Einzelheiten der Kläger als informeller
Mitarbeiter berichtet hat. Zudem wird ein exemplarischer Eindruck über die Tätigkeit
informeller Mitarbeiter des MfS innerhalb anderer zum Machtapparat der DDR
gehörender Organe, hier der Volkspolizei (Bereitschaftspolizei), vermittelt. Darüber
hinaus beschäftigt sich der Beitrag mit der Frage, wie der Kläger selbst und auch dessen
Partnerin mit der Vergangenheit des Klägers umgehen, indem deren Äußerungen
gegenüber der B.-Zeitung zitiert worden sind. Schließlich wird durch eine Betrachtung
des näheren familiären und beruflichen Umfeldes des Klägers dessen Sozialisierung
beleuchtet.
Eine Beschäftigung mit der Tätigkeit eines informellen Mitarbeiters und deren
Auswirkungen in Vergangenheit und Gegenwart in dem angegriffenen Bericht kann der
Beklagten mithin nicht abgesprochen werden. Die Art und Weise der Befassung mit
einem Thema von öffentlichem Interesse unterliegt zudem gleichermaßen der
verfassungsmäßig geschützten Pressefreiheit (vgl. BVerfG NJW 2000, 2413: nicht nur
Inhalt, sondern auch Form einer Äußerung).
cc) Darüber hinaus wird das öffentliche Berichterstattungsinteresse im vorliegenden Fall
dadurch verstärkt, dass es sich bei der Partnerin des Klägers nicht schlechthin um eine
berühmte Schauspielerin handelt, sondern dass diese eine Persönlichkeit ist, die sich in
der Öffentlichkeit zu politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Themen äußert und in
vielfältiger Weise engagiert. Öffentlich bekannt ist vor allem ihr Einsatz für Toleranz und
Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel. Sie tritt gegen Gewalt in Familien auf,
gegen Rechte und Neonazis, sie engagiert sich gegen die Unterdrückung der
Meinungsfreiheit in Russland und setzt sich für bürgerliche Zivilcourage ein. Ihr
Engagement wurde in vielfältiger Weise anerkannt und honoriert.
Der Beklagten ist deshalb darin zuzustimmen, dass es die Öffentlichkeit interessiert,
wenn sich die Partnerin des Klägers nach außen hin öffentlich und mit politischem
Anspruch zu Werten wie Toleranz, Bürgerrechten usw. äußert, geschichtliches
Vergangenheitsbewusstsein propagiert, für Minderheiten und gegen Verfolgung eintritt,
gleichzeitig aber mit einem Mann liiert ist, der in der Vergangenheit dem deutlich
widersprechende Werte vertreten haben muss, indem er bewusst und willentlich Teil
eines Spitzel-Apparates war, der die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen trat und
Existenzen vernichtete.
Der Umgang mit der Tatsache, dass ihr neuer Partner früher als inoffizieller Mitarbeiter
des MfS der DDR Spitzeldienste geleistet hat, lässt insoweit durchaus Rückschlüsse auf
die Person und Ansichten der Schauspielerin zu. Ihre Haltung zur Tätigkeit eines
inoffiziellen Mitarbeiters des MfS der DDR wird beleuchtet. Aus der Art und Weise des
Umgangs mit diesem Teil der Vergangenheit ihres Partners kann sich der Leser auch ein
Bild über Charakter und Ansichten der Schauspielerin machen.
Insoweit sind – entgegen der Auffassung des Klägers – die öffentlichen Äußerungen und
das gesellschaftliche Engagement der Partnerin des Klägers keineswegs unerheblich.
Vielmehr begründet dies gerade ein besonderes Informationsinteresse, wenn es darum
geht, ob ein Idol oder Leitbild seinem öffentlich verkörperten Anspruch gerecht wird, ob
das öffentlich vermittelte und wahrnehmbare Bild einer Person mit ihrem privaten
Auftreten jenseits der Öffentlichkeit übereinstimmen sowie ob öffentlich artikulierte
Ansichten dem Handeln der Person auch im privaten Bereich entspricht (vgl. BVerfG NJW
2000, 2021). Auch die Prominenz der Partnerin des Klägers ist mithin keineswegs
unerheblich, wie der Kläger meint. Dass sie kein offizielles öffentliches Amt bekleidet und
keine wichtige Funktion in Staat oder Gesellschaft inne hat, ist hierbei unerheblich.
Dass im hier erörterten Zusammenhang ein öffentliches Interesse an der
Auseinandersetzung der Partnerin des Klägers mit der Stasi-Vergangenheit des Klägers
tatsächlich besteht, belegen eindrucksvoll die von der Beklagten als Anlage B9
eingereichten Zuschauerreaktionen zu einem Beitrag aus dem A.-Magazin „K." vom 2.
Oktober 2008 (Anlage B8), der die Berichterstattung der Beklagten und die gerichtliche
Auseinandersetzung der Parteien über die Zulässigkeit dieser Berichterstattung vor dem
Landgericht Berlin thematisierte.
Dem steht nicht entscheidend entgegen, dass sich der Beitrag der Beklagten mit der
Frage nach der Glaubwürdigkeit der Persönlichkeit der Partnerin des Klägers nicht
konkret auseinandersetzt.
Dem Kläger ist zuzugeben, dass sich der Bericht auf die Vermittlung einzelner Fakten
über die frühere Tätigkeit des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter des MfS sowie auf die
Schilderung der Reaktion des Klägers und dessen Partnerin auf die öffentliche
Konfrontation mit diesem Thema beschränkt. Konkrete Wertungen werden nicht
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Konfrontation mit diesem Thema beschränkt. Konkrete Wertungen werden nicht
vorgenommen. Allenfalls aus der Einleitung („Stasi-Schatten“, „Dunkle Wolken“) folgt
eine negativ besetzte Charakterisierung. Insbesondere wird aber kein Bezug zum
sonstigen öffentlichen Auftreten und Wirken der Partnerin des Klägers hergestellt. Der
nun von der Beklagten als wesentlich angesehene Widerspruch zwischen dem öffentlich
vermittelten und wahrnehmbaren Bild der Partnerin des Klägers und deren Auftreten
jenseits der Öffentlichkeit bzw. zwischen den öffentlich artikulierten Ansichten und dem
Handeln im persönlichen Bereich wird in der angegriffenen Berichterstattung nicht
thematisiert.
Dennoch steht dies der Zulässigkeit der Berichterstattung nicht entgegenstehen. Die
Presse darf nicht nur nach eigenen publizistischen Kriterien entscheiden, was sie des
öffentlichen Interesses für wert hält. Gleichermaßen ist auch die Art und Weise der
Vermittlung und Darstellung eines Themas von der Pressefreiheit geschützt. („Im
Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art
und Ausrichtung sowie Inhalt und Form des Publikationsorgans frei zu bestimmen.“,
BVerfG NJW 2008, 1793). Es muss deshalb grundsätzlich der Presse überlassen werden,
ob sie sich darauf beschränkt, lediglich über Tatsachen zu informieren und Bewertungen
sowie Schlussfolgerungen dem Leser zu überlassen, oder ob sie selbst einen
Sachverhalt bewertet, dazu Stellung nimmt, Kritik übt usw. Auch die bloße Vermittlung
von Informationen tatsächlicher Art stellt einen Beitrag zur Meinungsbildung dar und
kann Anlass zu Diskussionen und Auseinandersetzungen in für die Öffentlichkeit
bedeutsamen Angelegenheiten geben.
dd) Schließlich besteht vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ein
zusätzliches öffentliches Berichterstattungsinteresse daran, wie eine prominente
Schauspielerin, die öffentlich damit konfrontiert wird, dass ihr Partner früher als
inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR tätig war, mit der Stasi-Vergangenheit ihres
Partners in der Öffentlichkeit umgeht. Insoweit ist von Bedeutung, dass der angegriffene
Bericht der Beklagten auch die Reaktionen des Klägers und dessen Partnerin auf die
öffentliche Konfrontation mit diesem Thema schildert. Auch dieser Gesichtspunkt kann
bei der Beantwortung der oben bereits erörterten Frage nach dem Umgang mit
ehemaligen Mitarbeitern des MfS der DDR in unserer heutigen Gesellschaft von
Bedeutung sein und so Anlass zu Diskussionen und Auseinandersetzungen in für die
Öffentlichkeit bedeutsamen Angelegenheiten bieten.
c)
Für das Bestehen dieses Berichterstattungsinteresses ist es unerheblich, dass die
frühere Tätigkeit des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR keinen Bezug
zu seinem heutigen politischen, kulturellen oder beruflichen Leben hat. Ebenso ist nicht
ausschlaggebend, dass der Kläger keine exponierte Stellung im System des MfS hatte
oder dass er auch heute keine herausgehobene (etwa berufliche) Stellung inne hat. Dies
steht dem Berichterstattungsinteresse nicht entgegen und ist auch nicht etwa
unabdingbare Voraussetzung für eine Berichterstattung über die Person des Klägers.
Angesicht des festgestellten öffentlichen Informationsinteresses bedarf es dieser
zusätzlichen Umstände vorliegend nicht.
3.
Erhebliche, diesem Berichterstattungsinteresse der Öffentlichkeit entgegenstehende
Interessen des Klägers greifen demgegenüber nicht durch.
a)
Der Kläger ist nicht – wie das Landgericht meint – in seinem Recht auf Anonymität
verletzt.
Eine Verletzung seiner Anonymitätsinteressen macht der Kläger ebenfalls nicht geltend.
Er hat beantragt, es der Beklagten zu verbieten, über seine Tätigkeit als „IMS W.“ zu
berichten. Es geht ihm also darum, dass die Öffentlichkeit nicht über diese Tatsache
informiert wird. Betroffen ist der Kläger hiernach in seinem Selbstbestimmungsrecht
über die Darstellung seiner Person in der Öffentlichkeit.
Auf seinen Anonymitätsschutz hat der Kläger durch seine öffentlichen Auftritte an der
Seite seiner Partnerin ohnehin verzichtet. Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher
Kenntnisnahme entfällt, wenn sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, dass
bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden
(BGH NJW 2000, 1021 – Caroline). Unstreitig ist der Kläger in der Vergangenheit stets als
Partner der Schauspielerin B. vorgestellt worden und aufgetreten.
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b)
Der Kläger ist auch nicht in seiner Privatsphäre betroffen.
Soweit er geltend macht, durch einzelne Formulierungen („Stasi-Schatten über ihrem
Liebesglück“, „Dunkle Wolken über I. B. Liebesglück“) würden private Gefühle des
Klägers bzw. seiner Partnerin thematisiert, ist dies unerheblich. Abgesehen davon, dass
es bei diesen Textpassagen nicht um Gefühle des Klägers, sondern seiner Partnerin
geht, wendet sich der Kläger seinem Antrag nach im vorliegenden Rechtsstreit gegen die
öffentliche Erörterung seiner Stasi-Vergangenheit und nicht zum Schutz seiner
Privatsphäre gegen die eingangs zitierten Formulierungen.
c)
Vielmehr ist die in der Berichterstattung thematisierte Tätigkeit des Klägers als
inoffizieller Mitarbeiter des MfS der DDR seiner Sozialsphäre zuzuordnen.
Es ist dies der außerhalb des Privaten liegende Bereich, der nach Außen grundsätzlich
von jedermann, jedenfalls aber von Menschen wahrgenommen werden kann, zu denen
keine rein persönlichen Beziehungen bestehen, der aber der Öffentlichkeit nicht bewusst
zugekehrt ist (vgl. Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5.
Auflage, Kap 5., Rn. 65). In diesem Bereich tritt der Mensch in Kontakt zu seinen
Mitmenschen und zeigt sich als Glied der sozialen Gemeinschaft.
Insoweit ist maßgeblich, dass die Sozialsphäre betreffende Äußerungen über eine Person
nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen
Sanktionen verknüpft werden dürfen, so etwa dann, wenn Stigmatisierung, soziale
Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind. Tritt der Einzelne als ein in der
Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen, wirkt er durch sein
Verhalten auf andere ein und berührt er dadurch die persönliche Sphäre von
Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens, dann ergibt sich auf Grund des
Sozialbezuges eine Einschränkung des Bestimmungsrechts desjenigen, über den
berichtet wird (BGH NJW-RR 2007, 619; Senat NJW 2004, 3637).
Im vorliegenden Fall sind schwerwiegende Auswirkungen der Berichterstattung der
Beklagten auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers, die das Berichterstattungsinteresse
der Öffentlichkeit hinter den Belangen des Klägers zurücktreten lassen könnten, nicht
feststellbar.
aa) Allerdings ist die Berichterstattung über eine frühere Tätigkeit für das MfS der DDR
durchaus geeignet, sich abträglich auf das Ansehen einer Person in der Öffentlichkeit
auszuwirken. Nach wie vor wird es in großen Teilen der Gesellschaft als moralisch
verwerflich und anstößig angesehen, wenn jemand als inoffizieller Mitarbeiter für das MfS
der DDR tätig gewesen ist. Die Unterstellung, eine Person habe als inoffizieller
Mitarbeiter des MfS gewirkt, diskreditiert die Person in ihrer Redlichkeit und persönlichen
Integrität und setzt sie der Gefahr aus, von ihrer Umwelt argwöhnisch betrachtet zu
werden. Die kompromittierte Person wird mit dem Unrecht, das vom MfS ausgegangen
ist, gleichsam identifiziert (BVerfG NJW 2000, 2413). Die angegriffenen Informationen der
Berichterstattung der Beklagten sind deshalb geeignet, den Kläger in der Öffentlichkeit
negativ darzustellen.
Diese durchaus nachteiligen Auswirkungen auf sein Ansehen hat der Kläger jedoch
angesichts des Informationsinteresses der Öffentlichkeit hinzunehmen.
bb) Von schwerwiegenden Auswirkungen im Sinne einer Stigmatisierung, sozialen
Ausgrenzung oder Prangerwirkung kann in diesem Zusammenhang vorliegend jedoch
nicht gesprochen werden.
Nicht jede negative Darstellung einer Person führt automatisch zu einer Stigmatisierung,
sozialen Ausgrenzung oder Prangerwirkung. Mit einer solchen Argumentation ließe sich
zu Geschehnissen, die der Sozialsphäre zuzuordnenden sind, jegliche Kritik, die
regelmäßig damit verbunden ist, dass eine Person in einem negativen Licht erscheint,
schlechthin unterbinden. Es bedarf daher schwerwiegender Auswirkungen und Folgen der
Berichterstattung für die Person und das soziale Umfeld des Betroffenen.
So führt auch die Offenbarung einer inoffiziellen Mitarbeit beim MfS der DDR nicht ohne
weiteres zu einem Entzug sozialer Anerkennung oder einer Abstempelung (wie etwa die
Behauptung, eine Person habe die eigenen Kinder sexuell missbraucht – vgl. BVerfG NJW
2000, 2413). Strafrechtlich ist die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS irrelevant.
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2000, 2413). Strafrechtlich ist die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS irrelevant.
Zudem wird die Rolle der inoffiziellen Mitarbeiter mittlerweile durchaus differenziert
bewertet. Ohne nähere Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass
allein der Umstand, dass eine Person als inoffizieller Mitarbeiter bezeichnet wird, zu
sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung führt (BVerfG NJW 2000, 2413).
Derartige Feststellungen waren vorliegend nicht möglich. Der Kläger hat zwar
Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung und Prangerwirkung pauschal behauptet, konkrete
Anhaltspunkte für negative Folgen der Berichterstattung der Beklagten Folgen für die
Person des Klägers oder dessen soziales Umfeld hat er jedoch nicht vorgetragen. Der
Senat hat sich in der mündlichen Verhandlung bemüht, das Vorliegen derart
schwerwiegender Auswirkungen im Sinne einer Stigmatisierung, sozialen Ausgrenzung
oder Prangerwirkung aufzuklären. Der Kläger war trotz zum Zwecke der Sachaufklärung
erfolgter Anordnung seines persönlichen Erscheinens zum Termin zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat unentschuldigt nicht erschienen, so dass er hierzu nicht
befragt werden konnte. Seine Prozessbevollmächtigte war zu konkreten Angaben hierzu
in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage.
d)
Dem vom Landgericht unter Berufung auf das Lebach-Urteil des BVerfG (NJW 1973,
1226) herangezogenen Gesichtspunkt der Resozialisierung kommt neben dem bereits
erörterten Gesichtspunkt, dass eine Berichterstattung nicht zu Stigmatisierung, sozialer
Ausgrenzung oder Prangerwirkung führen darf, vorliegend keine eigenständige
Bedeutung zu.
Freilich war bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass eine Berichterstattung den
Betroffenen nicht auf Dauer ins gesellschaftliche Abseits stellt, ohne Chance soziale
Bindungen aufrechtzuerhalten oder aufzubauen und wieder einen Platz in der
Gesellschaft zu finden. Jeder Bürger, mag er aus welchem Grunde auch immer das
Interesse der Öffentlichkeit auf sich gezogen und allgemeine Missachtung erweckt
haben, „bleibt dennoch ein Glied dieser Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen
Anspruch auf Schutz seiner Individualität“ (BVerfG NJW 1973, 1226). Das gilt nicht nur für
den Täter, der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten ist.
Zu berücksichtigen ist vorliegend mithin nicht der Gesichtspunkt der Resozialisierung,
sondern der Umstand, dass eine Berichterstattung zu einer Gefahr der sozialen
Ausgrenzung führen kann.
Im Übrigen sind die Grundsätze der Lebach-Entscheidung des BVerfG (NJW 1973, 1226)
auf den vorliegenden Fall nicht ohne weiteres schematisch übertragbar. Dabei ist nicht
der von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Aspekt, es gebe einen
Resozialisierungsanspruch nur für Straftäter, ausschlaggebend. Vielmehr stellt die
Entscheidung des BVerfG entscheidend darauf ab, dass die Resozialisierung eines zu
langjähriger Freiheitsstrafe verurteilen Straftäters ein schwieriger Prozess ist, der sowohl
im Interesse des Verurteilten als auch der Gesellschaft liegt und nicht an Missachtung
und Ablehnung der Umwelt, die der aus der Strafhaft Entlassene vorfindet, scheitern soll.
Darüber hinaus erkennt das BVerfG ein Recht darauf, "allein gelassen zu werden", nur im
Zusammenhang mit dem Umstand an, dass „die das öffentliche Interesse
veranlassende Tat mit der Strafverfolgung und strafgerichtlichen Verurteilung die im
Interesse des öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion der Gemeinschaft
erfahren“ hat und „die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden“ ist. Eine
dem vergleichbare öffentliche Reaktion gab es vorliegend jedoch nicht. Eine
Auseinandersetzung mit der Tätigkeit des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter des MfS der
DDR findet erst durch die aktuelle Berichterstattung statt.
Unabhängig davon steht in Bezug auf die Person des Klägers dessen Sozialisierung
jedoch ohnehin außer Frage. Dass der Kläger durch seine frühere Tätigkeit als inoffizieller
Mitarbeiter des MfS der DDR außerhalb der Gesellschaft stünde, macht er selbst nicht
geltend. Der Kläger ist sozialisiert. Einer Resozialisierung bedarf er nicht.
e)
Unerheblich ist der Einwand des Klägers, die Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter des MfS
der DDR liege schon über zwanzig Jahre zurück.
Maßgeblich ist allein das nach wie vor bestehende und hier konkret überwiegende
Berichterstattungsinteresse an der Aufklärung der Tätigkeit und des Einflusses
inoffizieller Mitarbeiter für die Aufrechterhaltung der politischen Ordnung in der DDR.
Der Zeitabstand zwischen einer Äußerung und ihrem Gegenstand schränkt die
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Der Zeitabstand zwischen einer Äußerung und ihrem Gegenstand schränkt die
Meinungs- und Pressefreiheit insoweit grundsätzlich nicht ein. Dies gilt vor allem dann,
wenn Gegenstand der Äußerung die Aufarbeitung historischer Vorgänge ist. Es ist nicht
die Aufgabe staatlicher Gerichte, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen
oder eine Debatte für beendet zu erklären (BVerfG NJW 2000, 2413).
f)
Ebenso ist es unerheblich, dass der Kläger gegenüber den Medien deutlich gemacht hat,
dass er keine Berichterstattung zu dieser Thematik wünscht. Der Schutz vor
Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf dessen Bild in der Öffentlichkeit
auszuwirken, reicht nicht soweit, dass es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verleiht,
in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von
anderen gesehen werden will (BVerfG NJW 2000, 1021).
g)
Erheblich und besonders zu berücksichtigen ist dagegen, dass die Beklagte in ihrer
Berichterstattung über den Kläger ausschließlich wahre Tatsachen verbreitet hat.
Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes des Klägers durch Verbreitung von
Unwahrheit findet nicht statt. Wahre Äußerungen sind aber grundsätzlich auch dann
hinzunehmen, wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind. Dies gilt jedenfalls, wenn die
Information nicht die Intim- oder Privatsphäre, sondern die Sozial- oder gar die
Öffentlichkeitssphäre betrifft.
h)
Die Berichterstattung selbst enthält schließlich auch keinen eigenständigen
Verletzungseffekt.
Sie ist sachlich und eher ausgewogen. Über den Kläger wird hierbei durchaus neutral, mit
Wertungen zurückhaltend und ohne diesen zu verurteilen berichtet. Die
Berichterstattung mag für den Kläger lästig und peinlich gewesen sein. Dass der Artikel
selbst verletzend auf den Kläger wirkte, kann jedoch nicht festgestellt werden.
Auch war eine solche Wirkung – entgegen der Ansicht des Klägers – erkennbar nicht das
Anliegen der Berichterstattung der Beklagten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Revision war zuzulassen (§ 543 Absatz 2 ZPO).
Im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des 10. Zivilsenates des Kammergerichts
(Beschluss vom 2. November 2009 - 10 U 16/09) erfordert die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Im Übrigen hat
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage, ob und in welchem Umfang
ein Berichterstattungsinteresse an der Person eines neuen Partners einer der
Öffentlichkeit bekannten, prominenten Persönlichkeit grundsätzlich anzuerkennen ist, -
soweit ersichtlich - bislang obergerichtlich noch nicht geklärt ist.
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