Urteil des KG Berlin vom 14.03.2002

KG Berlin: fristlose kündigung, gefährdung der gesundheit, geschäftsführung ohne auftrag, negative feststellungsklage, umkehr der beweislast, geldwerter anspruch, positive feststellungsklage, luft

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Gericht:
KG Berlin 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 124/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 544 BGB
Wohnraummiete: Konkrete Gesundheitsgefährdung durch
Schimmelbildung
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 14. März 2002 verkündete Urteil der
Zivilkammer 32 des Landgerichts Berlin wird zurückgewiesen.
Die im Berufungsrechtszug von den Beklagten erhobene Feststellungswiderklage wird
zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen jedoch die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 24.000,00 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die am 15. Mai 2002 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
bis 17. Juli 2002 am 16. Juli 2002 begründete Berufung der Beklagten richtet sich gegen
das am 14. März 2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 32 des Landgerichts Berlin,
das den Beklagten am 16. April 2002 zugestellt worden ist. Auf den Tatbestand und die
Entscheidungsgründe dieses Urteils wird Bezug genommen.
Die Beklagten verfolgen mit ihrer Berufung die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter
und begehren darüber hinaus die Feststellung, dass das Mietverhältnis durch die
außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1) vom 28. Mai 2001 mit Ablauf des 31.
Mai 2001 beendet worden sei. Sie begründen ihre Berufung wie folgt:
Der Beklagte zu 1) habe zu Recht durch anwaltliches Schreiben vom 28. Mai 2001 das
Mietverhältnis wegen erheblicher Gefährdung der Gesundheit gekündigt. Nach § 544
BGB a.F. müsse die Gesundheitsgefährdung zwar konkret drohen, jedoch noch nicht
eingetreten sein. Der Beklagte zu 1) habe nicht abzuwarten brauchen, bis die
mykotoxischen Wirkungen von Pilzsporen tatsächlich eingetreten seien, denn Mykotoxine
könnten durch jede Art Schimmelpilz entstehen. Das Landgericht sei zu Unrecht davon
ausgegangen, dass die gesundheitsgefährdende Beschaffenheit der Räume zum
maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 31. Mai 2001 nicht mehr
feststellbar sei. Die Durchfeuchtung der Räume sei offensichtlich eine Dauererscheinung.
Auch der vom Kläger beauftragte Sachverständige P S habe in seiner Stellungnahme
vom 1. November 2001 feuchte Schäden und Schimmelpilzbildungen festgestellt. Mit
dem bloßen Entfernen der Schimmelpilze sei die objektiv konkrete
Gesundheitsgefährdung nicht gebannt; eine Intoxikation könne bereits eintreten, bevor
der Pilzbefall so deutlich hervortrete, dass er beseitigt werden müsse.
Der Kläger habe die mit Schreiben vom 26. April 2002 erbetene kurzfristige Überlassung
der Schlüssel für das Mietobjekt verweigert, nachdem er das Mietverhältnis mit
Schreiben vom 3. Mai 2002 fristlos gekündigt gehabt habe. Damit habe der Kläger
vereitelt, dass sie, die Beklagten, den Zustand der ehemals gemieteten Gewerberäume
nochmals in Gegenwart hinzugezogener Sachverständiger oder behördlicher Vertreter
hätten in Augenschein nehmen können.
Die außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1) werde auch nicht durch § 23 Ziff. 5
des Mietvertrages ausgeschlossen. Denn die Schäden an den streitrelevanten
Mieträumen rührten von außen her, sie lägen in der defekten oder gar nicht
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Mieträumen rührten von außen her, sie lägen in der defekten oder gar nicht
vorhandenen Außenisolierung des Mauerwerks. Jedenfalls könne nicht Inhalt der
getroffenen Vereinbarung sein, dass der Mieter zwecks Behebung solcher Schäden eine
komplette Außensanierung durchführen müsse.
Wegen der erheblichen Gesundheitsgefährdung sei der Beklagte zu 1) auch nicht
verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der fristlosen Kündigung eine Nachfrist zu setzen.
Dies sei auch deshalb entbehrlich, weil der Kläger sich unter Hinweis auf § 23 Nr. 7 des
Mietvertrages darauf berufe, nicht zur Mängelbeseitigung verpflichtet zu sein.
Gegenüber den Mietzinsforderungen des Klägers sei wirksam die Aufrechnung erklärt
worden. Der Kläger sei nach Beendigung des Mietverhältnisses zur Freigabe der
geleisteten Mietsicherheit verpflichtet. Der Anspruch auf Freigabe des als Kaution
verwendeten Sparguthabens sei ein geldwerter Anspruch; komme der Kläger der
Freigabe nicht nach, könne Schadensersatz in Geld verlangt werden. Jedenfalls bestehe
gegenüber den Mietzinsforderungen im Hinblick auf das Kautionsguthaben ein
Zurückbehaltungsrecht.
Der ebenfalls zur Aufrechnung gestellte Anspruch wegen Erstattung der
Gutachterkosten ergebe sich aus Geschäftsführung ohne Auftrag. Sie, die Beklagten,
hätten die gesundheitsgefährdende Eigenschaft der vermieteten Räume feststellen
lassen müssen; dabei habe es sich um eine Pflicht des Klägers als Geschäftsherrn
gehandelt, die im öffentlichen Interesse bestanden habe. Der Anspruch bestehe auch
als Schadensersatzanspruch wegen Verzugs; dabei sei eine Fristsetzung entbehrlich
gewesen, weil der Kläger als Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert
habe oder besondere Umstände vorgelegen hätten, die unter Abwägung der
beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs
gerechtfertigt hätten.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 14. März 2002
1. die Klage abzuweisen,
2. auf die Widerklage festzustellen, dass das Mietverhältnis zwischen dem Kläger und
dem Beklagten zu 1) durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten zu 1) vom 28.
Mai 2001 mit Ablauf des 31. Mai 2001 beendet worden sei,
3. auf die Widerklage den Kläger zu verurteilen, an sie, die Beklagten, 12,35 EUR nebst 5
% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Widerklageanträge abzuweisen.
Der Kläger ist dem Berufungsvorbringen der Beklagten mit Schriftsatz vom 31. Januar
2003 entgegengetreten, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird. Im Übrigen wird
hinsichtlich des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der eingereichten
Schriftsätze und Unterlagen verwiesen.
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache erfolglos; auch die im
Berufungsrechtszug erhobene weitere Widerklage der Beklagten ist als unbegründet
zurückzuweisen.
Die negative Feststellungsklage des Klägers ist aus den im angefochtenen Urteil
angegebenen zutreffenden Gründen zulässig; sie ist auch begründet, weil die fristlose
Kündigung des Beklagten zu 1) vom 28. Mai 2001 das Mietverhältnis nicht beendet hat.
Die fristlose Kündigung nach § 544 BGB a.F. setzt eine erhebliche Gefährdung der
Gesundheit voraus, d.h. es muss eine konkrete Gefahr bestehen. Das Landgericht hat
im angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in dem
Gutachten des TÜV vom 10. Mai 2001 zur Darlegung einer derartigen Gefährdung nicht
ausreichen können, weil in dem Gutachten zwar das Vorhandensein von Schimmel
festgestellt wurde, jedoch bezüglich der gesundheitlichen Gefahr durch diesen Schimmel
nur allgemeine Ausführungen in dem Gutachten enthalten sind. Unstreitig ist keine
Messung bezüglich des Vorhandenseins von Schimmelsporen bzw. toxischen Stoffen
durchgeführt worden. Demnach steht noch nicht einmal fest, ob sich überhaupt
Schimmelsporen in der Luft befunden haben, wogegen sprechen könnte, dass es sich
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Schimmelsporen in der Luft befunden haben, wogegen sprechen könnte, dass es sich
um verhältnismäßig kleine Stellen handelt, an denen Feuchtigkeit eingedrungen ist, wie
sich aus den Lichtbildern ergibt. Allein die Möglichkeit, dass auf Grund der beobachteten
Schimmelbildung sich einmal Schimmelsporen und toxische Stoffe in der Atemluft
befinden könnten, stellt jedenfalls noch keine konkrete Gesundheitsgefährdung dar, die
eine fristlose Kündigung im Sinne von § 544 BGB a.F. hätte rechtfertigen können.
Das Landgericht hat im Übrigen zu Recht die Einholung eines
Sachverständigengutachten insoweit abgelehnt, da durch ein derartiges Gutachten nicht
mehr festgestellt werden kann, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen Kündigung
vom 28. Mai 2001 eine derartige Gefährdungslage vorlag. Insoweit reicht es nicht aus,
dass die Beklagten sich im Berufungsverfahren darauf berufen, die Feuchtigkeit und
Schimmelbildung seien in den genannten Räumen ein "Dauerzustand" gewesen.
Auch der Senat sieht keine Veranlassung, ein derartiges Gutachten einzuholen. Die
Beklagten behaupten selbst nicht substantiiert, dass der derzeitige Zustand, der allein
den Feststellungen eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen zugänglich wäre,
Rückschlüsse darauf zulassen könnte, welche Anhäufung von Schimmelsporen bzw.
sonstigen Stoffen sich bei Messungen zum Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen
Kündigung vom 28. Mai 2001 ergeben hätten. Denn es liegt auf der Hand, dass die
Kontamination der Luft durch derartige Schadstoffe ständigen Veränderungen unterliegt,
zumal das Eindringen von Feuchtigkeit in das Mauerwerk ein langfristiger Vorgang ist,
der sich steigern, aber auch nachlassen kann und häufig auch von der jeweiligen
Witterung abhängig ist. Der bloße Hinweis auf einen "Dauerzustand" kann demzufolge
nicht für die Darlegung ausreichen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der fristlosen
Kündigung vom 28. Mai 2001 bereits eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit
vorgelegen hat.
Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass diesbezüglich eine Umkehr
der Beweislast stattgefunden habe, weil der Kläger sich geweigert hat, der Bitte der
Beklagten mit Schreiben vom 26. April 2002 um Überlassung der Schlüssel zwecks
Untersuchung der Räume nachzukommen. Den Beklagten ist allein dadurch jedenfalls
nicht der von ihnen zu führende Beweis vereitelt worden, denn die Beklagten hätten es in
der Hand gehabt, die für sie erforderlichen Feststellungen in einem gegen den Kläger
gerichteten Beweissicherungsverfahren durch einen gerichtlich beauftragten
Sachverständigen treffen zu lassen.
Die fristlose Kündigung des Beklagten zu 1) konnte auch nicht auf § 542 BGB a.F.
gestützt werden, da jedenfalls der Beklagte zu 1) dem Kläger keine Frist zur
Mängelbeseitigung insoweit gesetzt hat. Eine derartige Fristsetzung wäre nicht
entbehrlich gewesen, denn die Beklagten behaupten selbst nicht, dass der Kläger sich
vor Ausspruch der fristlosen Kündigung geweigert hätte, diesbezüglich zur
Mängelbeseitigung tätig zu werden; auf die Bestimmung des § 23 Ziff. 7 des
Mietvertrages hat sich der Kläger erst im Mietprozess, d.h. nach Zugang der fristlosen
Kündigung vom 28. Mai 2001 berufen.
Die im Berufungsrechtszug von den Beklagten erhobene positive Feststellungsklage ist
nach § 533 ZPO n.F. zulässig, auch wenn der Kläger seine Einwilligung nicht erklärt hat.
Der Senat hält die Zulassung der Klage insoweit für sachdienlich, weil die Widerklage der
Beklagten denselben Tatsachenstoff betrifft, wie die negative Feststellungsklage des
Klägers und die Widerklage der Beklagten demnach auf Tatsachen gestützt wird, die der
Senat ohnehin nach § 529 ZPO n.F. zu Grunde zu legen hat. Das Feststellungsinteresse
der Beklagten besteht darin, dass im Falle einer Abweisung der negativen
Feststellungsklage des Klägers keine bindende Feststellung vorläge, dass die fristlose
Kündigung vom 28. Mai 2001 wirksam war. Insoweit haben die Beklagten für die ab Juli
2001 bis zur fristlosen Kündigung des Klägers geschuldeten Mieten ein
Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO.
Die auf Feststellung gerichtete Widerklage der Beklagten ist jedoch aus denselben
Gründen unbegründet, wie der negativen Feststellungsklage des Klägers zu entsprechen
war.
Der Mietzinsanspruch des Klägers ist nach § 535 BGB begründet. Eine Minderung des
Mietzinsanspruchs wird vom Kläger selbst nicht geltend gemacht, obwohl das
Landgericht im angefochtenen Urteil diese Frage angesprochen hat. Es ist auch nicht
ersichtlich, ob insoweit eine erheblich Tauglichkeitsminderung für den maßgeblichen
Zeitraum vorlag.
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Die Aufrechnung des Beklagten zu 1) mit Gegenansprüchen greift nicht durch:
Ein Anspruch auf Rückzahlung der Kaution bestand zum Zeitpunkt der
Aufrechnungserklärung der Beklagten im Schriftsatz vom 3. Januar 2002 schon deshalb
nicht, weil das Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht beendet war. Darüber
hinaus hätte dem Beklagten zu 1) selbst bei Beendigung des Mietverhältnisses kein zur
Aufrechnung geeigneter gleichartiger Anspruch insoweit zugestanden, weil er dem
Kläger lediglich ein Guthaben verpfändet hatte und daraus sich nur ein Anspruch auf
Freigabe des Guthabens hätte ergeben können. Ein solcher Anspruch ist nicht im Sinne
von § 387 BGB gleichartig mit dem Anspruch auf Zahlung des Mietzinses. Aus der
verweigerten Freigabe würde sich auch nicht ein Schadensersatzanspruch in Höhe des
Guthabens ergeben, da die Freigabe nicht unmöglich ist, sondern durch Urteil
erzwungen werden könnte.
Der Beklagte zu 1) hat darüber hinaus auch keinen Schadensersatzanspruch bezüglich
der Kosten für das Gutachten des TÜV. Insbesondere bestand kein Anspruch aus § 538
BGB a.F. wegen Verzugs des Klägers mit der Mängelbeseitigung. Die Beklagten haben
jedenfalls nicht substantiiert vorgetragen, dass und inwieweit sie den Kläger vor
Auftragserteilung bezüglich des Guthabens wegen der Mängelbeseitigung in Verzug
gesetzt hätten. Insoweit wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Beklagten selbst
nicht behaupten, der Kläger habe sich bereits vor Ausspruch der fristlosen Kündigung auf
§ 23 Ziff. 7 des Mietvertrages berufen. Ein Schadensersatzanspruch wäre auch nur in
Betracht gekommen, wenn das Gutachten eingeholt worden wäre, um die akute
Gesundheitsgefährdung durch Schimmelpilzsporen und toxische Stoffe festzustellen;
gerade dies hat das Gutachten (bautechnisches Gutachten) – wie bereits ausgeführt –
nicht ergeben. Zur Feststellung der reinen Feuchtigkeitsschäden bedurfte es im Übrigen
keines Gutachtens. Ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach den §§ 677,
678, 679, 670 BGB scheitert daran, dass die Einholung des Gutachtens nicht dem Willen
des Klägers entsprach; der Beklagte erfüllte damit auch keine Verpflichtung des Klägers,
deren Erfüllung im öffentlichen Interesse gelegen hätte. Dies wäre allenfalls in Betracht
gekommen, wenn deutliche Anzeichen für eine konkrete Gesundheitsgefährdung
bestanden, woran es, wie dargelegt, fehlt.
Hiernach scheitert auch die im Hinblick auf die Aufrechnung mit Gegenansprüchen
erhobene, auf Zahlung gerichtete Widerklage der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung hinsichtlich der
vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO und § 711 ZPO. Die
Revision war nicht zuzulassen, da Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
543 Abs. 2 ZPO nicht ersichtlich sind.
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