Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: sicherungsverwahrung, eigenes verschulden, unterbringung, unterbrechung, befangenheit, vollzug, fortdauer, säumnis, einwendung, gutachter

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Gericht:
KG Berlin 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 719/07 - 2 Ws
360, 373 - 377,
381/07, 1 AR 719/07,
2 Ws 360/07, 2 Ws
373/07, 2 Ws 374/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 305 StPO, § 458 Abs 1 StPO, §
458 Abs 3 S 1 StPO, § 67c Abs 1
StGB, Art 2 Abs 2 S 2 GG
Sicherungsverwahrung: Vollzug der Sicherungsverwahrung nach
Strafende bei verzögerter Erforderlichkeitsprüfung
Leitsatz
1. Der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur dann zulässig,
wenn mit der
gemäß § 67c Abs. 1 StGB gebotenen Prüfung der Erforderlichkeit rechtzeitig vor Strafende
begonnen
und das Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung binnen angemessener Frist zum Abschluß
gebracht
worden ist (Bestätigung von OLG Düsseldorf NJW 1993, 1087).
2. Unzulässig ist der Vollzug jedenfalls dann, wenn sich der Verurteilte aufgrund vermeidbarer
Verzögerungen bereits mehr als zwei Jahre im Maßregelvollzug befindet, ohne daß die
Entscheidung nach
§ 67c Abs. 1 StGB getroffen worden ist. Eine Abwägung mit der aktuellen Gefährlichkeit des
Verurteilten
findet bei einer derartig starken Verzögerung nicht mehr statt.
Tenor
1. a) Auf die sofortigen Beschwerden des Verurteilten werden die Beschlüsse des
Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 2. Mai 2007 und vom 4. Juni
2007 aufgehoben, soweit sie die Einwendungen des Untergebrachten gegen die
Zulässigkeit der Vollstreckung der faktisch vollzogenen Sicherungsverwahrung betreffen.
b) Die Vollstreckung der faktisch vollzogenen Sicherungsverwahrung ist bis zur
Entscheidung darüber, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert (§
67c StGB), unzulässig.
c) Die Unterbrechung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung wird angeordnet (§
458 Abs. 3 Satz 1 StPO).
d) Insoweit hat die Landeskasse Berlin die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die
dem Beschwerdeführer in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
2. a) Die sofortigen und einfachen Beschwerden gegen die weiteren in dem Beschluß des
Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 2. Mai 2007 getroffenen
Entscheidungen werden als unzulässig verworfen.
b) Insoweit hat der Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Berlin hat den Beschwerdeführer am 1. Oktober 1998 wegen
gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs
Monaten verurteilt und die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet. Die
Freiheitsstrafe war am 27. Februar 2005 vollstreckt. Als Ablaufdatum von zehn Jahren
der Sicherungsverwahrung ist (unter Berücksichtigung des während der Strafhaft
entstandenen Arbeitszeitguthabens nach § 43 Abs. 9 StVollzG) der 20. Februar 2015
vermerkt.
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A.
Die nach § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Strafe gebotene Prüfung, ob
der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert, ist nicht abgeschlossen; der
Beschwerdeführer befindet sich seit mehr als zwei Jahren in sogenannter faktischer
Sicherungsverwahrung.
Der Senat hat mit Beschluß vom 12. April 2007 – 2 Ws 186/07 – der
Untätigkeitsbeschwerde des Untergebrachten stattgegeben und dem Landgericht eine
Frist zur Entscheidung bis zum 12. Juni 2007 gesetzt. Zur Frage der Fortdauer der
Unterbringung hat er ausgeführt:
„Der Senat ist auf die in der Beschlußformel niedergelegten Entscheidungen
beschränkt. Die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG führt nicht
automatisch zur Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherungsverwahrung (vgl.
BVerfGK 4, 176 = NStZ-RR 2005, 92, 94). Die Prüfung durch die
Strafvollstreckungskammer ist im Streitfall zwar in weitaus größerem Maße verzögert
worden als in dem von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall. Ferner hat
eine gerichtlich verschuldete Verzögerung von zehn Monaten schon einmal zu einer
Unterbrechung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung geführt, weil die Abwägung
der Grundrechte des Verurteilten gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit
den Vorrang der Grundrechte ergab (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1993, 1087). Die
Unterbrechung der Sicherungsverwahrung darf aber nur in dem für sie vorgesehenen
Verfahren angeordnet werden. Sie wäre nur nach § 458 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz StPO
möglich. Voraussetzung dafür wäre, daß der Senat mit einer sofortigen Beschwerde (§
462 Abs. 3 Satz 1 StPO) gegen eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in
einem Verfahren nach § 458 Abs. 1 StPO befaßt wäre (vgl. Senat, Beschluß vom 26. Juli
1996 – 5 Ws 383/96 -). Das ist hier nicht der Fall. Der Verurteilte hat zu keinem Zeitpunkt
gegenüber der Vollstreckungsbehörde die Unzulässigkeit der Vollstreckung geltend
gemacht.“
I.
1. Daraufhin beantragte der Verteidiger des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 18.
April 2007 – unter Setzung einer Frist von drei Tagen - bei dem Landgericht Berlin –
Strafvollstreckungskammer - die Unterbrechung der Vollstreckung „gemäß § 458 Abs. 3
Satz 1 StPO“. Zur Begründung führte er aus, daß die weitere Vollstreckung der
Unterbringung aus den Gründen des vorgenannten Beschlusses des Senats unzulässig
sei. Mit Schriftsatz vom 24. April 2007 wiederholte er diesen Antrag – einschließlich der
Fristsetzung. Das Landgericht, dem das Vollstreckungsheft nicht vorlag, erforderte
dessen Übersendung und wartete ab, bis es am 30. April 2007 bei ihm eintraf. Mit dem
angefochtenen Beschluß vom 2. Mai 2007 hat es den Antrag auf Unterbrechung der
faktischen Sicherungsverwahrung abgelehnt; die Staatsanwaltschaft war mit dem Antrag
bis dahin nicht befaßt.
2. Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2007 wandte sich der Verteidiger nunmehr an die
Vollstreckungsbehörde und beantragte, die Vollstreckung zu beenden; sie sei aus den
Gründen des Beschlusses des Senats unzulässig. Mit Verfügung vom 16. Mai 2007
lehnte die Staatsanwaltschaft den Antrag ab. Die Einwendungen des Verteidigers gegen
diese Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit dem ebenfalls – insoweit -
angefochtenen Beschluß vom 4. Juni 2007 zurückgewiesen.
3. Die sofortigen Beschwerden (§ 462 Abs. 3 Satz 1 StPO in Verbindung mit §§ 458 Abs.
1 Satz 2, 462 Abs. 1 Satz 1 StPO) gegen diese Entscheidungen sind zulässig – diejenige
gegen den Beschluß vom 2. Mai 2007 deshalb, weil er inhaltlich nicht nur einen Antrag
nach § 458 Abs. 3 Satz 1 StPO ablehnt (vgl. zur Unanfechtbarkeit insoweit OLG Nürnberg
NStZ 2003, 390; Senat, Beschluß vom 12. Mai 2005 – 5 Ws 218/05 -), sondern auf die
gegenläufigen Antragsgründe des Beschwerdeführers hin die fortdauernde Zulässigkeit
der Vollstreckung feststellt. Die Rechtsmittel sind auch begründet.
II.
Der Verurteilte persönlich hat (soweit hier Gegenstand des Beschwerdeverfahrens) seit
dem Beschluß des Senats vom 12. April 2007 folgende Anträge gestellt:
1. am 22. April 2007: Beauftragung des Arztes Dr. L. als weiteren
Sachverständigen (Nr. III im Beschluß der Strafvollstreckungskammer),
2. am 23. April 2007: Ablehnung des Arztes Prof. Dr. Dr. B. als Sachverständigen
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2. am 23. April 2007: Ablehnung des Arztes Prof. Dr. Dr. B. als Sachverständigen
wegen der Besorgnis der Befangenheit (Nr. V),
3. am 23. April 2007: Ablehnung des Psychologen Sch. als Sachverständigen
wegen der Besorgnis der Befangenheit (Nr. IV),
4. am 27. April 2007: Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht G.,
des Richters am Landgericht L. und der Richterin am Landgericht B. wegen der Besorgnis
der Befangenheit (Nr. I),
5. am 27. April 2007: Beschwerde wegen Untätigkeit der Kammer hinsichtlich des
Antrages nach § 458 Abs. 3 StPO (Nr. VI).
Die Strafvollstreckungskammer wies diese Anträge mit den angefochtenen
Entscheidungen in dem Beschluß vom 2. Mai 2007 sämtlich zurück, die Beschwerde zu II.
5. im Wege der Nichtabhilfe. Die sofortigen Beschwerden zu den Punkten 1. und 4. und
die (einfachen) Beschwerden zu 2. und 3. sind unzulässig.
B.
I.
1. Der Beschluß des Landgerichts vom 2. Mai 2007 muß schon deshalb aufgehoben
werden, weil die Strafvollstreckungskammer das gebotene Verfahren nicht eingehalten
hat, bevor sie den Antrag zurückgewiesen hat.
a) Eine Unterbrechung der Vollstreckung nach § 458 Abs. 3 StPO ist auch von Amts
wegen möglich; sie setzt nicht notwendig einen Antrag nach dieser Vorschrift, jedoch
immer das Vorhandensein eines Verfahrens nach § 458 Abs. 1 oder 2 StPO voraus. Ein
auf § 458 Abs. 3 StPO gestützter Antrag – wie der vom 18. April 2007 - hätte keine
sachliche Grundlage, wenn sein Gegenstand nicht in einem der beiden anderen Absätze
der Vorschrift wurzelte. In Betracht kam hier – dessen Begründung zufolge eindeutig –
eine Einwendung gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung. Als solche – und nicht
ausschließlich nach § 458 Abs. 3 StPO - hätte sie auch behandelt werden müssen. Diese
Einwendung ist gemäß § 458 Abs. 1 Satz 2 StPO aber als „Einwendung gegen die
Entscheidung der Vollstreckungsbehörde“ ausgestaltet. Der Verurteilte muß sich also
zunächst immer an diese wenden. Geschieht das nicht, so muß das Gericht, bei dem der
Antrag eingeht – hier: das Landgericht -, den Antrag zunächst der
Vollstreckungsbehörde zuleiten, um dieser deren Entschließung zu ermöglichen. Zuvor
ist es nicht zur Entscheidung berufen; denn es handelt sich bei seinem Beschluß um
eine Überprüfungsentscheidung (vgl. OLG Stuttgart OLGSt § 458 StPO Nr. 1; Die Justiz
1984, 288; OLG Koblenz RPfleger 1978, 148; Fischer in KK-StPO 5. Aufl., § 458 Rdn. 3;
Stöckel in KMR, § 458 Rdn: 15). Diese Zusammenhänge haben sowohl der Antragsteller
als auch das Gericht verkannt. Die Strafvollstreckungskammer hat auf die Rückkehr des
Vollstreckungshefts von der Staatsanwaltschaft gewartet, anstatt ihr zunächst den
Antrag des Verteidigers zuzuleiten. Dem Beschluß vom 2. Mai 2007 liegt mithin keine
Entschließung der Staatsanwaltschaft zugrunde.
b) Zur Entscheidung berufen war die Strafvollstreckungskammer jedoch bei ihrem
Beschluß vom 4. Juni 2007, nachdem zuvor das vorgeschriebene Verfahren eingehalten
worden war.
2. Die Vollstreckung der faktischen Sicherungsverwahrung ohne eine Entscheidung nach
§ 67c Abs. 1 StGB ist unzulässig geworden.
a) Das gesetzliche Leitbild des Verfahrens über die nach § 67c Abs. 1 StGB gebotene
Prüfung sieht grundsätzlich vor, daß rechtzeitig vor dem Ende der zugleich mit der
Anordnung der Maßregel verhängten Strafe rechtskräftig über den Beginn der
Sicherungsverwahrung entschieden wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 67c Rdn.
4 mit weit. Nachw.). Für die zeitliche Komponente des Beginns der Prüfung und ihrer
Durchführung sind zwei Begrenzungen von Bedeutung: Zum einen soll nicht zu früh vor
dem Ende der Strafe entschieden werden, weil sonst möglicherweise ein Teil der
Entscheidungsgrundlage fehlt (vgl. BVerfGE 42, 1 = NJW 1976, 1736, 1737; BVerfG
NStZ-RR 2003, 169; OLG Stuttgart NStZ 1988, 45). Zum anderen birgt das zu nahe
Heranrücken der Entscheidung an das Strafende die Gefahr, die Entscheidung aus
verfahrenstechnischen Gründen nicht mehr rechtzeitig treffen zu können. Wegen der
Unwägbarkeiten des Verfahrens, insbesondere der Verfahrenshandlungen des
Verurteilten, auf die das Gericht keinen Einfluß hat (etwa die Geltendmachung seiner
Verhandlungsunfähigkeit oder eine unüblich hohe Anzahl von Anträgen; vgl. Senat,
Beschluß vom 19. Januar 2007 – 2/5 Ws 688/06 -), sind die Strafvollstreckungskammern
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Beschluß vom 19. Januar 2007 – 2/5 Ws 688/06 -), sind die Strafvollstreckungskammern
nicht immer in der Lage, ihre Entscheidung rechtzeitig vor dem Strafende zu treffen. Die
Allgemeine Verfügung der Senatsverwaltung für Justiz über die Mitwirkung der
Justizvollzugsanstalten bei Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern (gemäß § 6
Abs. 2 b AZV) vom 5. Dezember 2000 sehen daher in § 4 Abs. 1 Buchstabe a) vor, daß
die Justizvollzugsanstalt der Staatsanwaltschaft die erforderlichen Unterlagen neun
Monate vor dem voraussichtlichen Strafende vorlegt, was der Senat für sachgerecht
hält.
Kommt es nicht rechtzeitig zu einer rechtskräftigen Entscheidung, so ist der
Untergebrachte allerdings aufgrund der Fortwirkung der im Urteil angeordneten
Sicherungsverwahrung zunächst in faktischer Sicherungsverwahrung zu halten.
Grundsätzlich begründet § 67c Abs. 1 StGB keine gesetzliche Pflicht, den Verurteilten auf
freien Fuß zu setzen, falls die Strafvollstreckungskammer (geschweige denn das
Beschwerdegericht) nicht rechtzeitig zum Strafende entscheiden. Das
Bundesverfassungsgericht hat in dem vorgenannten Beschluß vom 9. März 1976 – 2 BvR
618/75 – (BVerfGE 42, 1 = NJW 1976, 1736, 1737) zu Recht darauf hingewiesen, daß die
Auslegung, eine nicht rechtzeitige Entscheidung führe automatisch zur Unzulässigkeit
der weiteren Vollstreckung mit den Interessen einer geordneten Strafrechtspflege nicht
vereinbar wäre. Denn aus Sicht des Verurteilten böte sich diesem ein verstärkter Anreiz
zur Verfahrensverzögerung, während das Gericht sich zunehmend der Versuchung
ausgesetzt sähe, unter Hintanstellung sachlicher Erwägungen auf jeden Fall zeitgerecht
zu entscheiden (vgl. BVerfG aaO). Gegen den Vollzug der Sicherungsverwahrung
bestehen bei nicht zeitgerechter Entscheidung mithin nur dann verfassungsrechtliche
Bedenken, wenn die Strafvollstreckungskammer entweder bei Strafende noch nicht mit
der Prüfung begonnen oder aber trotz rechtzeitigen Beginns aufgrund vermeidbarer
Fehler oder Verzögerungen nicht binnen angemessener Frist entschieden hat (vgl.
BVerfG aaO). Ferner führt selbst die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG durch die vermeidbare Verzögerung der Entscheidung (nach § 67c Abs. 1 StGB oder
im Verfahren nach § 67e StGB) nicht automatisch zur Freilassung des Untergebrachten.
Denn das mit dem Maßregelvollzug verfolgte Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor
zu erwartenden Rechtsgutverletzungen tritt noch nicht zurück, wenn das grundrechtlich
gebotene Verfahren nur um einige Monate verzögert wurde (vgl. BVerfGK 4, 176 = RuP
2005, 198 mit Anm. Pollähne = NStZ-RR 2005, 92, 93).
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze läßt sich die Vollstreckung der faktischen
Sicherungsverwahrung gegen den Beschwerdeführer nicht mehr rechtfertigen. Dieser
Zustand war bereits erreicht, als der Senat am 12. April 2007 die
Untätigkeitsbeschwerde des Verurteilten für begründet erachtete, mangels einer
passenden Verfahrenslage aber keine Entscheidung nach § 458 Abs. 1 oder 3 StPO
treffen konnte. Der Verfahrensgang nach dem vorbezeichneten Beschluß des Senats,
der sich durch verstärkte Bemühungen der Strafvollstreckungskammer einerseits sowie
ein äußerst reges Antragsverhalten und eine im bisherigen Verfahrensverlauf nicht
vorhanden gewesene Verweigerungshaltung des Verurteilten andererseits auszeichnet,
ändert daran nichts mehr. Daher ist es für die Beurteilung der Ursachen der
Verfahrensverzögerung auch ohne Belang, daß es der Strafvollstreckungskammer nicht
gelungen ist, die von dem Senat gesetzte Frist zur Entscheidung einzuhalten; denn
daran ist sie – seit April 2007 – nicht durch eigenes Verschulden gehindert gewesen.
c) Feste zeitliche Grenzen zur Entscheidung der Frage, von welchem Grad der
Überschreitung des in § 67c Abs. 1 StGB vorgegebenen Zeitpunkts die Vollstreckung
unzulässig wird, gibt es nicht. Das OLG Düsseldorf hat in dem Beschluß vom 28. Juli 1992
– 2 Ws 303/92 – (NJW 1993, 1087) die Auffassung Horstkottes (vgl. LK-StGB 10. Aufl., §
67c Rdn. 28) nicht übernommen, dies sei immer nach drei Monaten der Fall. Es hat
jedoch eine zehnmonatige Überschreitung, die ausschließlich im Bereich der Justiz zu
verantworten war, für unvereinbar mit der weiteren Vollstreckung erachtet, ohne daß es
eine prognostische Abwägung mit der Gefährlichkeit des Verurteilten getroffen hat. Der
Senat teilt die Auffassung, daß die Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung nicht von
festen Zeiträumen oder Zeitpunkten abhängen kann. Die Unwägbarkeiten des
Verfahrensverlaufs sind zu groß; dem Verurteilten stehen Verfahrensrechte wie
dasjenige auf ausreichende Gewährung des rechtlichen Gehörs, die Ablehnung von
Gerichtspersonen oder die Verteidigung durch den von ihm gewählten Rechtsanwalt zu,
die eine Bestimmung der zeitlichen Abläufe ausschließlich durch das Gericht nicht
zulassen. Die Geschehnisse seit dem Beschluß des Senats vom 12.April 2007 geben
dafür ein beredtes Beispiel. Die Überschreitung des vom Gesetz vorgesehenen
Zeitpunkts ist deshalb umso mehr von einem Verurteilten hinzunehmen, je mehr er
selbst oder sein Verteidiger zu der Verzögerung beigetragen haben (vgl. Beschlüsse des
Senats vom 6. Juni 2007 – 2 Ws 327/07 - und 19. Januar 2007 – 2/5 Ws 688/06 -).
Hingegen kann die Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung nicht von einer Abwägung mit
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Hingegen kann die Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung nicht von einer Abwägung mit
der Gefährlichkeitsprognose abhängen. Ob Verfahrensmängel die Grundrechte des
Untergebrachten in einer Weise verletzt haben, aus denen sich der Zwang zur (ggf.
vorübergehenden) Freilassung ergibt, ist eine verfahrensrechtliche Frage, die von der
sachlich-rechtlichen der Gefährlichkeitsprognose zu scheiden ist. Insoweit liegen die
Dinge ähnlich wie im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO, in dem Bearbeitungsmängel
ebenfalls auch dann zur Aufhebung des Haftbefehls führen, wenn der Beschuldigte
gefährlich ist.
d) Im vorliegenden Fall ist die Fortdauer der Unterbringung ohne Entscheidung in der
Sache auf keinen Fall mehr vertretbar. Eine Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren
hat der Senat in Rechtsprechung und Schrifttum bislang nicht finden können. Sie ist
extrem ungewöhnlich und rechtfertigt den Schluß, die Strafvollstreckungskammer habe
die zeitlichen Grenzen der Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB und deren grundrechtliche
Bedeutung grundlegend aus den Augen verloren (vgl. BVerfGK 4, 176). Dafür, daß es bei
einer Verfahrensdauer ab zwei Jahren keiner vertieften Abwägung mehr bedarf, spricht
der gesetzliche Auftrag, nach zwei Jahren bereits die turnusmäßige Überprüfung der
Unterbringung vorzunehmen (§ 67e StGB). Daraus läßt sich zwar keine starre Regel
ableiten, daß nach zwei Jahren – unabhängig von dem Verschulden an der Verzögerung,
das ja theoretisch vollständig bei einem Verurteilten liegen kann – der weitere Vollzug
immer unzulässig wäre. Denn die Zwei-Jahres-Frist beginnt erst mit der Rechtskraft der
Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB. Der Gedanke des Gesetzgebers eines
regelmäßigen Prüfungsturnus von zwei Jahren gibt aber einen Hinweis darauf, daß die
Fortdauer einer nur faktischen Unterbringung über diese Zeitspanne hinaus einen ganz
ungewöhnlichen, durch massive Verfahrenssabotage des Verurteilten geprägten,
Verfahrensverlauf voraussetzt. Davon kann hier – jedenfalls bis zum April 2007, worauf
es hier ankommt – keine Rede sein.
Die Auffassung der Vollstreckungsbehörde, das Verteidigungsverhalten des
Beschwerdeführers habe maßgeblich zu der Verzögerung beigetragen, teilt der Senat
nicht.
Wegen des Ablaufs des Verfahrens nimmt der Senat auf die Darstellung in seinem
Beschluß vom 12. April 2007 – 2 Ws 186/07 – Bezug, den er an dieser Stelle nicht in
Gänze wiederholt. Besonders starke Verzögerungen traten durch folgende Abläufe ein:
aa) Zwischen der Anhörung am 27. Oktober 2004, nach der Einigkeit bestand,
daß zur Entscheidung ein neues Gutachten erstellt und herangezogen werden müsse,
dauerte es bis zum 17. Dezember 2004, daß die Kammer den Sachverständigen Prof.
Dr. Dr. B. mit der Begutachtung des Verurteilten beauftragte. Eine vorherige Absprache
über die zeitliche Gestaltung der Gutachtenerstattung fand nicht statt.
bb) Erst am 15. September 2005 lag das Gutachten vor, obwohl der Verurteilte
sich der Begutachtung gestellt hatte. Die Begründung, die Verzögerung sei dadurch
verursacht worden, daß der Gutachter längere Zeit auf die Zustimmung des
Beschwerdeführers zu einem Gespräch mit dessen Mutter gewartet habe, rechtfertigt
die Verzögerung nicht; denn die Endgültigkeit der Weigerung stand recht früh fest. Das
Gericht sah von der Leitung des Gutachters in zeitlicher Hinsicht ausdrücklich ab.
cc) Am 22. September 2005 leitete der Vorsitzende das Gutachten dem
Verteidiger und der Staatsanwaltschaft zu. Der Verteidiger bat am 4. Oktober 2005
erfolgreich um Fristverlängerung, beantragte am 21. Oktober 2005 Akteneinsicht und die
Beiziehung weiterer Akten. Am 12. Dezember 2005 nahm er umfangreich Stellung. Er
setzte sich inhaltlich kritisch mit dem Gutachten auseinander und beantragte die
Erstellung eines weiteren Gutachtens. Nachdem die Justizvollzugsanstalt Tegel am 11.
Januar 2006 erneut über den Verurteilten berichtet hatte, beschloß die
Strafvollstreckungskammer am 1. Februar 2006, der Gutachter solle sachverständig –
wegen der Eilbedürftigkeit bevorzugt - zu den Einwendungen des Verteidigers Stellung
nehmen, was Prof. Dr. Dr. B. am 20. April 2006 in einer umfangreichen Schrift tat. Hierzu
äußerte sich der Verteidiger am 14. Juni 2006.
Zu dieser insgesamt neunmonatigen Dauer der schriftlichen
Auseinandersetzung mit dem Gutachten haben die ungewöhnlich langen
Einlassungsfristen für den Verteidiger nur mit vier Monaten beigetragen. Daß er dem
Gutachten mit eingehenden Ausführungen entgegengetreten ist, rechtfertigt nicht die
Bewertung durch die Vollstreckungsbehörde, daß derjenige, der sich intensiv verteidigt,
Verzögerungen hinnehmen müsse.
dd) Am 29. Juli 2006, knapp anderthalb Jahre nach dem Strafende, griff erstmals
der Verurteilte schriftlich ins Verfahren ein. Er erhob eine Untätigkeitsbeschwerde, die er
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der Verurteilte schriftlich ins Verfahren ein. Er erhob eine Untätigkeitsbeschwerde, die er
am 8. August 2006 ergänzte. Ebenfalls am 29. Juli 2006 lehnte er mit einem weiteren
Schreiben die Richter der Strafvollstreckungskammer wegen der Besorgnis der
Befangenheit ab. Über das Ablehnungsgesuch entschied die Kammer erst fast fünf
Monate später, am 16. Dezember 2006.
Die Bearbeitung der Untätigkeitsbeschwerde dauerte noch länger:
Am 22. Januar 2007 beschloß die Kammer, der Beschwerde nicht abzuhelfen.
Erst am 9. März 2007 ging sie bei dem Senat ein.
Das sind Bearbeitungszeiten, die mit einem geordneten Verfahrensgang
grundlegend unvereinbar sind, wenn es um die Fortdauer einer freiheitsentziehenden
Maßregel geht. Die Begründung der Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluß vom
2. Mai 2007, die Vorlage der Untätigkeitsbeschwerde an den Senat binnen der in § 306
Abs. 2 2. Halbsatz StPO sei nicht möglich gewesen, weil zunächst über das
Ablehnungsgesuch hätte entschieden werden müssen, bevor sicher gewesen wäre,
welche Richter zur Entscheidung über die Abhilfe berufen gewesen wären, ist nicht
vertretbar. Sieht man die Abhilfeentscheidung als Eilentscheidung an, dann sind die
abgelehnten Richter dafür zuständig. Vertritt man die Gegenansicht, so müssen die zur
Vertretung Berufenen über die Abhilfe beschließen. Auf keinen Fall aber kann der
gesetzliche Befehl des § 306 Abs. 2 2. Halbsatz StPO durch das Vorhandensein eines
Ablehnungsgesuchs (dessen Zurückweisung dann auch noch mehr als vier Monate
gedauert hat) beseitigt werden.
Diese Verfahrensgestaltung war insgesamt so ungewöhnlich verzögerlich, daß das Maß
der Verletzung des Grundrechts des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zur
Unzulässigkeit der Vollstreckung der faktischen Sicherungsverwahrung führt.
Der Senat hebt daher die angefochtenen Beschlüsse insoweit auf und trifft die
erforderliche Anordnung nach § 458 Abs. 3 Satz 1 StPO.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs.
1, 473 Abs. 3 StPO.
II.
Die übrigen Rechtsmittel sind unzulässig.
1. Antrag auf Bestellung des Arztes Dr. L. als weiteren Sachverständigen: Die sofortige
Beschwerde (richtig wäre: Beschwerde) ist unzulässig; denn vorbereitende
Entscheidungen und Verfügungen eines erkennenden Gerichts können nach § 305 StPO
Satz 1 StPO grundsätzlich nicht und nach § 305 Satz 2 StPO nur dann mit der
Beschwerde angefochten werden, wenn sie Verhaftungen, die einstweilige
Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das
vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln
betreffen. Die Strafvollstreckungskammer ist ein erkennendes Gericht; denn sie hat die
für ihre Entscheidung bedeutsamen Umstände in eigener Verantwortung zu ermitteln
(vgl. ThürOLG Jena NJW 2006, 3794, 3796; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 29 = StraFO
1998, 429 = StV 1998, 670 Ls; StV 1987, 30, 31; OLG Hamm NStZ 1987, 93; KG NStZ
2001, 448; Beschlüsse vom 19. April 2006 – 5 Ws 105/06 -; 9. März 2001 – 5 Ws 104-
105/01 - und 20. März 2000 – 5 Ws 207/00 -; Fischer in KK-StPO, § 454 Rdn. 34; Meyer-
Goßner, StPO 49. Aufl., § 454 Rdn. 43). Eine der in § 305 Abs. 2 StPO aufgeführten
Ausnahmen liegt nicht vor. Die Bestellung eines Sachverständigen und dessen Auswahl
sind Entscheidung, durch welche die endgültige sachliche Bewertung vorbereitet wird und
die daher der gesonderten Anfechtung nicht unterliegen (vgl. OLG Düsseldorf NStE Nr. 1
zu § 28 StPO = NStZ-RR 1999, 29 = StraFO 1998, 429 = StV 1998, 670 Ls; MDR 1986,
256 = JMBlNW 1987, 70 = StV 1987, 30; JMBlNW 1986, 32; OLG Hamm NStZ 1987, 93;
KG aaO).
2. und 3. Soweit der Verurteilte die Zurückweisung seiner Ablehnungsgesuche gegen die
Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. und den Psychologen Sch. angreift, ist die Beschwerde
ebenfalls aus denselben Gründen wie zu 1. nach § 305 StPO unzulässig (vgl. Meyer-
Goßner, § 74 StPO Rdn. 20 mit weit. Nachw.).
4. Beschlüsse, mit denen Anträge auf Ablehnung von Richtern einer
Strafvollstreckungskammer wegen der Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen
worden sind, können nur zusammen mit der Endentscheidung angefochten werden, weil
die Strafvollstreckungskammer im Vollstreckungsverfahren ein erkennendes Gericht ist
(vgl. OLG Brandenburg NStZ 2005, 296; OLG Düsseldorf JMBlNW 1987, 70 = NStZ 1987,
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(vgl. OLG Brandenburg NStZ 2005, 296; OLG Düsseldorf JMBlNW 1987, 70 = NStZ 1987,
290 mit abl. Anm. Chlosta NStZ 1987, 292; Senat NStZ 2001, 448 und Beschluß vom
22. Januar 2003 – 5 Ws 39-40/03 -; a.A. OLG Saarbrücken, Beschluß vom 6. Februar 2007
– 1 Ws 18/07 – juris; OLG München, Beschluß vom 18. März 1988 – 2 Ws 87/88 -; weit.
Nachw. bei Meyer-Goßner, § 28 Rdn. 6). Die Rechtslage mag anders zu beurteilen sein,
wenn die Strafvollstreckungskammer ausschließlich mit einem Verfahren nach § 458
Abs. 1 StPO befaßt ist. Denn dann ist ihr eine Überprüfungsentscheidung aufgegeben,
die eine eigenständige Ermittlung eines Lebenssachverhalts nicht notwendig erfordert.
Das kann hier aber dahingestellt bleiben; denn die Kammer war während ihrer Befassung
mit in § 458 StPO geregelten Rechtsfragen gleichzeitig immer erkennendes Gericht, weil
das Verfahren nach § 67c StGB bei ihr anhängig war und eine Trennung der
Ablehnungsgründe nach beiden Verfahrensarten nicht möglich ist.
5. Der Verurteilte hat mit der Untätigkeitsbeschwerde keinen Erfolg. Auch dieses
Rechtsmittel ist unzulässig.
Denn die Unterlassung einer rechtlich gebotenen Entscheidung kann zwar ebenso
angefochten werden, wie eine für den Beschwerdeführer ungünstige Entscheidung (vgl.
Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 304 Rdn. 3). Da bei einer Beschwerde gegen eine
Unterlassung eine nachprüfbare Entscheidung fehlt, findet das Beschwerdegericht aber
nur dann einen Verfahrensgegenstand vor, über den es entscheiden könnte, wenn das
Untätigbleiben einer beschwerdefähigen stillschweigenden (ablehnenden) Entscheidung
gleichkommt (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2002, 188; Meyer-Goßner, § 309
StPO Rdn. 5). So ist es hier nicht. Denn die Strafvollstreckungskammer hat mit der
Entscheidung auf die Anträge „nach § 458 Abs. 3 StPO“ nur zugewartet, weil sie auf die
Akten wartete. Nach deren Eintreffen hat sie sogleich ihren Beschluß gefaßt. Daß sie
dabei eine gesetzlich gebotene Reihenfolge des Prozedierens nicht eingehalten hat,
begründet keine stillschweigende ablehnende Entscheidung.
Die Untätigkeitsbeschwerde wäre ferner dann zulässig, wenn die Säumnis zwar nicht
einer endgültigen Entscheidung gleichkommt, die durch die Säumnis möglicherweise
verursachte Verletzung eines Grundrechts aber von gleichem Gewicht wie eine
endgültige Ablehnung ist (vgl. BVerfGK 4, 176 = NStZ-RR 2005, 92, 94; ThürOLG Jena
NJW 2006, 3794, 3796). Angesichts dessen, daß es hier um wenige Tage ging, trifft auch
diese Begründung der Zulässigkeit im Streitfall nicht zu. Hinsichtlich der Förderung des
Verfahrens nach § 67c Abs. 1 StGB hat die Strafvollstreckungskammer nach dem
Beschluß des Senats vom 12. April 2007 – 2 Ws 186/07 – die erforderliche Zügigkeit an
den Tag gelegt. Daß sie noch nicht zu einer Sachentscheidung gefunden hat, lag nicht
an ihrer Säumnis.
6. Die Kostenentscheidung folgt in diesem Teil der Entscheidung aus § 473 Abs. 1 Satz 1
StPO.
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