Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: kündigung zur unzeit, wichtiger grund, behandlung, zahnarzt, schmerzensgeld, therapie, dienstvertrag, ausbildung, sammlung, herausforderung

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Gericht:
KG Berlin 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 U 49/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 253 Abs 2 BGB, § 627 Abs 2 S
2 BGB, § 823 Abs 1 BGB
Arztvertrag: Schadensersatzpflicht des Arztes bei Kündigung
des Behandlungsvertrages zur Unzeit bzw. bei einer
Monopolstellung
Leitsatz
1. Der Arztbehandlungsvertrag kann als Dienstvertrag höherer Art grundsätzlich von beiden
Seiten jederzeit gekündigt werden, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt.
2. Eine Schadensersatzpflicht des Arztes kann in Betracht kommen, wenn eine Kündigung zur
Unzeit vorliegt und die vom Patienten benötigten Dienste nicht anderweitig beschafft werden
können, etwa bei einer Monopolstellung des Arztes.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. November 2006 verkündete Urteil des
Landgerichts Berlin – 6 O 62/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt im Berufungsverfahren vom Beklagten noch Schmerzensgeld
(8.000 EUR), weil dieser nach einem siebenjährigen Behandlungsverhältnis den
Arztvertrag gekündigt hat.
Die Klägerin leidet seit 1967 u.a. an einer Schädigung ihres linken Kieferngelenks.
Sie begab sich am 2. April 1997 in die Behandlung des Beklagten; auf dessen Vorschlag
ließ sie sich eine Regulierungsschiene anfertigen, welche dafür sorgen sollte, dass die
Klägerin den Kiefer normal und beschwerdefrei belasten und normal zubeißen kann. Der
Sitz der – lebenslang zu tragenden - Schiene war alle zwei bis drei Monate zu
kontrollieren und gegebenenfalls zu justieren. Die Maßnahme war erfolgreich.
Am 6. Dezember 2004 kündigte der Beklagte das Behandlungsverhältnis.
Die Klägerin hat mit der Behauptung, es gebe im Raum Berlin - Brandenburg keinen
Zahnarzt, der die Schienentherapie fortsetze, und sie sei durch die Kündigung, auch
wegen der drohenden Verschlimmerung des Leidens, einer erheblichen psychischen
Belastung ausgesetzt, die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld
verlangt.
Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte zur Zahlung von
Schadensersatz wegen des Behandlungsabbruchs verpflichtet sei.
Ihren Antrag auf Feststellung, dass die Kündigung des Beklagten unzulässig und der
Beklagte verpflichtet sei, die Behandlung fortzusetzen, hat die Klägerin bereits in der
mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 30. November 2006
zurückgenommen (Sitzungsprotokoll Bl. 72 d.A.).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin teilweise, nämlich gegen die Abweisung des auf die
Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld gerichteten Antrages, Berufung
eingelegt.
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Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe auf dem
streitgegenständlichen Gebiet eine Monopolstellung und sei wegen daraus folgender
Fürsorgepflichten an einer wirksamen Kündigung gehindert gewesen. Aufgrund der bei
ihr vorliegenden besonderen Kiefergelenksverhältnisse finde sich im Raum
Berlin/Brandenburg kein Zahnarzt der willens und fachlich in der Lage sei, die vom
Beklagten begonnene Schienentherapie fortzusetzen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 30.11.06 –
6 O 62/06 – zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld von 8.000 EUR
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung
der Klage zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte macht u.a. geltend, er sei nicht der einzige Zahnarzt, der die Klägerin
behandeln könne.
Der Senat hat zunächst eine Auskunft der Zahnärztekammer Berlin gemäß
Beweisbeschluss vom 13. Oktober 2008 (Bl.147 d.A.) eingeholt. Die Zahnärztekammer
hat eine umfangreiche Liste mit Zahnärzten in Berlin, die funktionsanalytisch tätig sind,
eingereicht; jeder dieser Zahnärzte sei fachlich in der Lage, die Behandlung bei der
Klägerin durchzuführen (Schreiben vom 29. Oktober 2008, Bl. 151 d.A.).
Der Senat hat ferner Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18. Dezember 2008
(Bl. 163 d.A.) durch Einholung eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. P. vom 21.
März 2009. Wegen der von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen wird auf Bl.
187 bis 196 d.A. Bezug genommen.
Im Übrigen wird von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO) abgesehen.
II.
1.
Die Berufung ist unbegründet.
Das Landgericht zu Recht einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin verneint. Ein
solcher besteht weder nach §§ 627 Abs. 2, Satz 2, 253 Abs. 2 BGB noch aus unerlaubter
Handlung nach §§ 823, 253 Abs. 2 Abs. 2 BGB.
a.
Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Arztbehandlungsvertrag ein
(typischer) Dienstvertrag im Sinne des § 627 Abs. 1 BGB. d.h., es werden „Dienste
höherer Art“ geschuldet, die aufgrund eines besonderen Vertrauens übertragen werden
(Palandt-Weidenkaff, BGB-Kommentar, 68. Auflage, § 627 Rdnr. 2 m.w.N.).
Ein solcher Vertrag kann daher grundsätzlich von beiden Seiten jederzeit und auch ohne
dass ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB vorliegt, gekündigt werden.
b.
Ein Schadensersatzanspruch wäre allerdings möglicherweise begründet, wenn der
Beklagte der Klägerin eine lebenslange Behandlung zugesagt hätte.
Insoweit fehlt es aber bereits an einer entsprechenden Behauptung der Klägerin. Selbst
wenn man eine solche annähme, fehlt es jedenfalls an einem ausreichend
substanziierten Vortrag und darüber hinaus an einem Beweisangebot.
Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 5. April 2007 (Bl. 107, 108 d.A.) insoweit
lediglich angegeben,
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Aus dem nachfolgenden Absatz ergibt sich aber nach dem Verständnis des Senats auch
deutlich, dass die Klägerin damit nicht einmal eine entsprechende Erklärung des
Beklagten behaupten will, sondern sie den Umstand, dass für sie eine „der einzigartigen
Gebisssituation der Klägerin angepasste Schienentherapie“ eingeleitet wurde, die
lebzeitig periodisch notwendige Anpassungsarbeiten erforderte, nur dahin interpretiert ,
dass der Beklagte damit auch zugesagt habe, sie das ganze Leben behandeln zu wollen.
Deutlich kommt dieses auf Seite 1 Abs. 2 des Schriftsatzes vom 10. Oktober 2007, Bl.
127 d.A., zum Ausdruck:
Letztlich geht die Klägerin daher nicht über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinaus,
wonach der Beklagte die von ihm begonnene „lebenslange Therapie“ nicht „ohne
weiteres abbrechen“ könne.
c.
Eine Schadensersatzpflicht bei Dienstverträgen „höherer Art“ im Sinne von § 627 BGB
besteht auch dann, wenn die Kündigung zur „Unzeit“ erfolgt ist, d.h. wenn sich der
Dienstberechtigte (hier: Patient) die von ihm benötigten Dienste nicht (mehr)
anderweitig beschaffen kann, was vor allem auch dann der Fall ist, wenn der
Dienstverpflichtete (hier: Zahnarzt) hinsichtlich der betreffenden zahnärztlichen
Behandlung eine Art „Monopolstellung“ hat.
Dieses ist jedoch vorliegend ausweislich des vom Senat eingeholten Gutachtens der
Sachverständigen Dr. P. vom 21. März 2009 (Bl. 187 ff. d.A.) nicht der Fall.
Danach hat die Klägerin aufgrund des fehlenden linken Gelenkkopfes eine seltene
Störung der der Kiefergelenksfunktion, wodurch die Funktion auch des rechten
Kiefergelenks beeinträchtigt wird.
Da die Entfernung des Gelenkkopfes heute eine völlig unübliche chirurgische Therapie
bei vorliegenden Kiefergelenksbeschwerden bzw. bei Einschränkung der Mundöffnung
darstellt, sind Erfahrungen bei der Behandlung derartiger Beschwerden bei Zahnärzten
selten anzutreffen. Aufgrund der Grundproblematik muss also empirisch in Kooperation
mit dem Patienten eine Bisslage erarbeitet werden, die eine möglichst schmerzarme
oder schmerzfreie Funktion gewährleistet. Die vom Beklagten zur Schienenherstellung
durchgeführten Behandlungsmaßnahmen sowie die Schienentherapie selbst stellen
jedoch keine speziellen Behandlungsmaßnahmen dar, die nur er allein durchführen kann.
Eine klinische Funktionsanalyse stellt die Basisdiagnostik jeder Funktionstherapie dar.
Die instrumentelle Okklusionsanalyse, die der Beklagte durchgeführt hat, gehört zu
Standardmaßnahmen, die im Rahmen der Ausbildung auch gelehrt werden.
Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die Gebisssituation der Klägerin
einen funktionsanalytisch- und therapeutisch behandelnden Zahnarzt in fachlicher
Hinsicht zwar vor eine gewisse Herausforderung stellt, der Beklagte insoweit aber
keineswegs eine „Monopolstellung“ hat.
Wie die Sachverständige in ihrem Gutachten ebenfalls ausgeführt hat, handelt es sich
bei Klägerin um eine dysfunktionale chronische Schmerzpatientin mit hoher
Schmerzintensität (Seite 9 des Gutachtens). Aus diesem Grunde stellt sich die Frage, ob
die Klägerin mit einer zahnärztlichen Behandlung allein überhaupt zufrieden stellend
ärztlich versorgt werden kann. Für die hier zu treffende Entscheidung spielt diese Frage
allerdings keine Rolle, so dass von weiteren Ausführungen abgesehen wird.
d.
Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2009 (Bl. 209 d. A.) die Ladung der
Sachverständigen zum Termin am 4. Juni 2009 beantragt hat, war dem Antrag nicht zu
entsprechen.
Den Ausführungen in dem Schriftsatz lässt sich in keiner Weise entnehmen, in welcher
Richtung Klärungsbedarf bei der Klägerin bestanden hat, vielmehr findet sich der Antrag
am Ende des Schriftsatzes ohne jegliche Erläuterung dazu.
Das Recht einer Partei, den Sachverständigen mündlich zu befragen, besteht zwar
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Das Recht einer Partei, den Sachverständigen mündlich zu befragen, besteht zwar
grundsätzlich uneingeschränkt und zwar auch dann, wenn das Gericht die schriftliche
Begutachtung für ausreichend und überzeugend hält und deshalb selbst keinen
Erläuterungsbedarf sieht. Allerdings muss die Partei zumindest allgemein angeben, in
welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht,
auch wenn es ist nicht erforderlich ist, die Fragen schon konkret zu formulieren (BGH
NJW-RR 2003, 208 [209, II.1.] unter Bezug auf BGHZ 24, 9 [14f.] = NJW 1957, 870).
Dieses (eingeschränkte) Begründungserfordernis ergibt sich aus § 411 Abs. 4 ZPO und
trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Prozessbeteiligten angemessen
vorbereiten können müssen.
e.
Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe eine Reihe von Zahnärzten aufgesucht, es
habe sich jedoch niemand bereit gefunden, sie zu behandeln, kann dieses als wahr
unterstellt werden, ohne dass deswegen eine andere Entscheidung zu treffen wäre.
Zum einen ergibt sich angesichts der Vielzahl der funktionsanalytisch tätigen Zahnärzte
in Berlin und Brandenburg (vgl. die von der Zahnärztekammer Berlin mit Schreiben vom
13. Oktober 2008, Bl. 151 d.A., eingereichte Liste) hieraus noch nicht, dass es überhaupt
keinen Zahnarzt gibt, der sich in der Lage sieht, die Klägerin zu betreuen.
Unabhängig davon kann es nicht dem Beklagten im Sinne eines Schuldvorwurfs
angelastet werden, wenn sich unter den von der Klägerin angesprochenen Zahnärzten –
aus welchen Gründen auch immer - keiner bereit erklärt hat, die Behandlung der
Klägerin zu übernehmen. Dass dieses - jedenfalls aus objektiver Sicht - nicht auf rein
fachlichen Gründen beruhen kann, ist von der Sachverständigen Dr. P. überzeugend
ausgeführt worden. Danach ist die Behandlung der Klägerin aufgrund ihrer besonderen
Gebissproblematik zwar insofern „schwierig“, als der Zahnarzt in gewisser Weise
„Neuland“ betritt, aber in fachlicher Hinsicht zu bewältigen. Wird gleichwohl eine
Behandlung der Klägerin abgelehnt, begründet dieses Verhalten für den Beklagten
keinen Kontrahierungszwang in Bezug auf die Klägerin und folglich auch keine
Schadensersatzverpflichtung. Dieses könnte nur bei einer „Monopolstellung“ des
Beklagten in fachlicher Hinsicht sein, was - wie ausgeführt - nicht der Fall ist.
2.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil keine Rechtsfragen von grundsätzlicher
Bedeutung zu klären waren, sondern die Entscheidung auf einer Tatsachenwürdigung im
Einzelfall beruht und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (vgl. §
543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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