Urteil des FG Saarland vom 17.06.2008

FG Saarbrücken: berechnung der steuer, zweiseitiges rechtsgeschäft, gestaltung, gesellschafter, nennwert, eltern, umzug, missbrauch, einkünfte, erfüllung

FG Saarbrücken Urteil vom 17.6.2008, 2 K 1179/04
Verkauf objektiv wertloser Anteile an den Ehegatten regelmäßig nicht missbräuchlich -
Zeitpunkt der Verlustrealisierung
Leitsätze
Verkauft ein Stpfl. einen wertlos gewordenen Anteil an einer Aktiengesellschaft an seinen
Ehegatten, so ist darin auch dann kein Gestaltungsmissbrauch zu sehen, wenn die
Veräußerung kurz vor dem Umzug nach Frankreich erfolgt.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die beim Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt
werden. Sie erzielen u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kläger sind zum 1.
Februar 2002 nach Frankreich verzogen.
In der Einkommensteuererklärung 2002 machte der Kläger in der Anlage GSE einen
Veräußerungsverlust nach § 17 EStG i.H.v. 36.494 EUR geltend. Er gehörte zu den
Gründungsmitgliedern der am 20. Juli 2000 gegründeten X-AG – künftig: AG - . Der
Nennwert seiner Anteile betrug 37.500 EUR (= 7,5 % der gesamten Anteile der AG). Am
8. Januar 2002 veräußerte er diese Anteile (inklusive Zinsen) für 1.006,25 EUR an die
Klägerin. Der Beklagte erkannte den Verlust nicht an und erließ am 9. Dezember 2003
einen dementsprechenden Steuerbescheid. Nach der erfolglosen Durchführung eines
Einspruchsverfahrens erhoben die Kläger am 28. Juni 2004 Klage.
Sie beantragen, unter Änderung des Bescheides vom 9. Dezember 2003 i.F.d.
Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2004 die Einkommensteuer 2002 unter
Berücksichtigung des Veräußerungsverlustes aus der Beteiligung an der AG i.H.v. 36.494
EUR festzusetzen.
Die Verluste seien gem. § 17 Abs. 2 S. 4b, Abs. 1 S. 1 EStG abzugsfähig. Weder der
Wortlaut des Gesetzes noch sein Regelungszweck ließen erkennen, dass die Vorschrift nur
für hinzuerworbene Anteile gelte (Bl. 4 f.).
Der Verkauf sei zivilrechtlich wirksam gewesen. Die Aktionäre der AG hätten in ihrer
Vereinbarung vom 20. Juli 2000 (Konsortialvertrag) zwar eine Mindesthaltepflicht und eine
Andienungspflicht vereinbart. Bereits in 2001 hätte aber einer der fünf
Gründungsgesellschafter seine Anteile an den Gesellschafter D verkauft. Wie bereits beim
Verkauf der Aktien durch Herrn Y im Jahre 2001 hätten alle Gesellschafter auch beim
Verkauf durch den Kläger am 8. Januar 2002 nicht auf der Einhaltung der in § 1 des
Konsortialvertrages vereinbarten Mindesthaltepflicht bestanden.
Der Verkauf der Aktien an die Klägerin halte auch einem Fremdvergleich stand. Denn die
anderen Aktionäre hätten nicht nur im Vorfeld des Verkaufes ihr Desinteresse am Kauf der
Aktien geäußert, sondern auch nicht von ihrem in § 2 Nr. 3 des Konsortialvertrages
festgelegten Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Dass auch diese fremden Dritten die
Aktien nicht zu dem zwischen den Klägern vereinbarten Preis gekauft hätten, zeige, dass
dieser Preis jedenfalls nicht zu niedrig gewesen sei.
Die Minderung des gemeinen Wertes der Aktien auf 1/40 ihres Nennwertes zum
Jahresende 2001 ergebe sich auch aus den Gewinn- und Verlustrechnungen 2000 bis
2002 der AG. Bereits die Veräußerung der Anteile des Gründungsgesellschafters Y- etwa
Mitte 2001 – sei weit unter dem Nennwert erfolgt, obwohl zu diesem Zeitpunkt die
Geschäftsleitung noch versucht habe, der negativen Entwicklung entgegen zu wirken. In
der zweiten Jahreshälfte 2001 habe sich jedoch immer deutlicher gezeigt, dass die
erzielbaren Umsätze weit hinter den Erwartungen zurück bleiben würden. Bei der
Festlegung des Kaufpreises der Aktien habe sich die Größenordnung des Jahresfehlbetrages
2001 (lt. GuV 1.077.866 DM) bereits deutlich abgezeichnet.
§ 42 AO greife nicht ein. Der Verkauf sei schon deshalb nicht ausschließlich wegen des
Wegzugs der Kläger nach Frankreich erfolgt, weil der Verlust auch in Frankreich steuerlich
hätte geltend gemacht werden können. Der Verkauf sei aus folgenden nichtsteuerlichen
Gründen erfolgt:
Einige Zeit vor dem Wegzug nach Frankreich sei der Kläger zu der Auffassung gelangt,
dass seine Beteiligung auf einen Totalverlust zusteuere. Nachdem die Aktien den
Mitaktionären erfolglos angeboten worden seien, sei ihm jeder Verkauf der Aktien zu einem
Preis von mehr als einem EUR wirtschaftlich sinnvoll erschienen.
Es habe Probleme mit einem anderen Gesellschafter gegeben. Der Kläger habe durch den
Verkauf Berührungspunkte mit diesem Aktionär so schnell wie möglich reduzieren wollen.
Im Gegensatz zum Kläger habe die Klägerin die langfristigen Chancen des Unternehmens
etwas positiver eingeschätzt. Zudem sei ihr persönliches Verhältnis zu den
Mitgesellschaftern nicht belastet gewesen.
Weil sie den Kläger nicht davon habe überzeugen können, die Aktien zu halten, habe sie die
Aktien übernommen, bevor sie an einen fremden Dritten verkauft würden.
Die verbleibenden Gesellschafter hätten signalisiert, dass sie einem Verkauf an die Klägerin
positiver gegenüber stehen würden als an einen fremden Dritten.
Wäre es alleine um eine Steuerminderung gegangen, hätten die Anteile auch an einen
Mitgesellschafter zu einem geringeren Preis verkauft werden können. Die Anteile seien in
der Tat später von der Klägerin für einen Euro an einen Mitgesellschafter veräußert
worden.
Der Beklagte beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Er habe den Verlust im Hinblick auf die Verlustausgleichsbeschränkung des § 17 Abs. Abs.
2 S. 4 EStG nicht zum Abzug zugelassen. Daran werde nicht mehr festgehalten.
Des weiteren sei zuzugestehen, dass sich aus den mit dem Schriftsatz vom 22.
September 2004 vorgelegten Gewinnermittlungen der AG deutliche Anhaltspunkte für die
Wertlosigkeit der Aktien im Veräußerungszeitpunkt ergäben (Jahresfehlbeträge 2000:
93.547 DM, 2001: 1.171.414 DM und 2002: 154.248 EUR). Auch lasse das Verhalten der
übrigen Anteilseigner nicht auf eine Werthaltigkeit der Aktien schließen (Bl. 58 f.).
Selbst bei Annahme der vorgenannten Voraussetzungen sei aber von einem Missbrauch
rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten auszugehen. Die Kläger seien zum 1. Februar 2002
nach Frankreich verzogen. Durch die Grenzgängerregelung des DBA-Frankreich unterlägen
die Arbeitslöhne der Kläger seither nicht mehr der inländischen Besteuerung. Da andere
inländische Einkünfte nicht ersichtlich seien, entfalle ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit
einer Verrechnung des Verlustes aus der Veräußerung der Beteiligung. Durch die von den
Klägern gewählte Gestaltung komme über § 10d Abs. 1 EStG eine vollständige steuerliche
Ausnutzung eines Veräußerungsverlustes letztmals in Betracht. Die am 8. Januar 2002
veräußerten Aktien seien zu diesem Zeitpunkt offenkundig wertlos gewesen. Die Aktien
hätten nicht an einen fremden Dritten (insb. an die Mitaktionäre) veräußert werden
können. An die Klägerin habe nur veräußert werden können, weil bei den Ehegatten der
zwischen fremden Dritten übliche Interessengegensatz nicht bestanden habe. Bei der
Gestaltung habe offensichtlich die sofortige steuermindernde Realisierung der im Streitjahr
eingetretenen Wertminderung der Aktien im Vordergrund gestanden.
Der Senat hat der Klage durch Gerichtsbescheid vom 14. März 2008, zugestellt am 1.
April 2008, stattgegeben. Am 21. April 2008 hat der Beklagte Antrag auf mündliche
Verhandlung gestellt. Seiner Auffassung nach liegt ein Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO)
vor. Bei der Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 29. September 2004, EFG
2005, 712 habe es sich um einen Einzelfall gehandelt (BFH vom 18. Juli 2007 VIII B 63/06).
Entscheidend sei vorliegend, dass es sich um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft handele, an
dem Ehegatten beteiligt seien. Die Klägerin habe keine wirtschaftlichen oder sonst
beachtlichen Gründe für den Anteilserwerb gehabt. Die von der Klägerin vorgebrachten
Gründe seien unsubstantiiert und lebensfremd. Die Kläger hätten den Vertrag über die
Veräußerung der Anteile zum Preis von 1 EUR an einen Mitgesellschafter - so ihre
Behauptung im Schriftsatz vom 29. November 2004 - bisher nicht vorgelegt.
Durch Schriftsatz vom 27. Mai 2008 hat der Berichterstatter die Kläger aufgefordert,
umgehend den Vertrag über die Veräußerung der Anteile der Klägerin zum Preis von 1 EUR
an einen Mitgesellschafter vorzulegen. Dies ist – auch in der mündlichen Verhandlung –
nicht geschehen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des
Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen
des § 42 AO liegen nicht vor.
1.
unstreitig geworden, dass
- die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 EStG für den begehrten Verlust vorliegen,
- der Verkauf der Aktien an die Klägerin rechtswirksam erfolgt ist und
- dieser auch einem Fremdvergleich stand hält.
Streitig ist lediglich geblieben, ob der Verkauf wegen eines Gestaltungsmissbrauchs gem. §
42 AO steuerlich nicht anzuerkennen ist.
2.
gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten
Zieles unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder
sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 8. Juli
1998 I R 112/97, BStBl II 1999, 123). Zwar ist es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich
nicht verwehrt, seine rechtlichen Verhältnisse in einer Weise zu gestalten, dass sich die
steuerliche Belastung verringert. Die hierfür gewählte Gestaltung ist jedoch der
Besteuerung dann nicht zu Grunde zu legen, wenn sie ausschließlich der Steuerminderung
dient und bei einer sinnvollen, die Zwecke und Ziele der Rechtsordnung berücksichtigenden
Auslegung des Gesetzes missbilligt wird (Urteile des BFH vom 29. Juni 1995 VIII R 68/93,
BStBl II 1995, 722; vom 27. Juli 1999 VIII R 36/98, BStBl II 1999, 769). Der Steuerpflichtige
kann die Steuerminderung i.S.d. § 42 AO nicht nur durch Umgehung einer
steuerbegründenden Norm, sondern auch durch die Erfüllung steuermindernder
Vorschriften erreichen (Urteil des BFH vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BStBl II 1993, 426).
Liegen die Voraussetzungen eines Gestaltungsmissbrauches vor, entsteht der
Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen
Gestaltung entstanden wäre (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Kein Gestaltungsmissbrauch ist
normalerweise anzunehmen, wenn objektiv wertlose GmbH-Anteile zu einem symbolischen
Preis auf die Ehefrau übertragen werden (FG Baden-Württemberg vom 29. September
2004 12 K 72/02, EFG 2005, 712).
Einem Steuerpflichtigen steht es hiernach grundsätzlich frei, seine Lebens- und
Rechtsverhältnisse so einzurichten, wie es steuerlich für ihn am günstigsten ist. Diese
Freiheit wird durch § 42 AO nur insoweit eingeschränkt, als die Gestaltungen ungewöhnlich
erscheinen und dem Gesetzeszweck widersprechen. Ob eine Gestaltung
rechtmissbräuchlich i.S.d. § 42 AO ist, ist unter Abwägung aller o.g. Aspekte festzustellen.
Der Aspekt, ob es noch andere als steuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung gibt, ist
nicht das alleinige Entscheidungskriterium, sondern – wie gesagt - lediglich einer von
mehreren Gesichtspunkten im Zuge der Prüfung des Gestaltungsmissbrauchs. Es gibt im
Gegenteil zahlreiche Beispiele dafür, dass kein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, obwohl
bestimmte Vorgänge ausschließlich vor dem Hintergrund ihrer steuerlichen Auswirkungen
verwirklicht werden (z.B. Eheleute heiraten Ende Dezember, um vom Splittingtarif zu
profitieren; vermögende Eltern schenken ihren Kindern im 10-Jahres-Rhythmus Geldbeträge
im Rahmen der vermögensteuerlichen Freibeträge; ein Unternehmer investiert in einem
Jahr mit hohen Gewinnen; der Vermieter führt eine Instandsetzung, die noch warten
könnte, wegen hoher Überschüsse im Veranlagungszeitraum durch; Eltern übertragen
Kapitalvermögen auf ihre Kinder, damit diese ihren Unterhalt selbst bestreiten; ein
Arbeitnehmer unterbricht seine Tätigkeit für ein Jahr vom 1.7. bis zum 30.6. des
Folgejahres).
3.
Rechtsgrundsätze angeführt, er hat sie jedoch im Entscheidungsfall nicht zutreffend
angewandt. Er hat bei seiner Abwägung zu sehr den Aspekt in den Vordergrund gestellt, es
gebe keine außersteuerlichen Gründe für die Anteilsveräußerung an die Klägerin. Hierbei hat
er nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger keineswegs gehalten ist, seine
Verhältnisse steuerlich so ungünstig wie möglich zu gestalten. Unstreitig war der Wert der
verkauften Aktien der AG fast vollständig verloren. In einer solchen Situation schreibt es §
17 EStG einem Anteileigner nicht vor, wann er seinen Verlust steuerwirksam zu realisieren
hat. Die Kläger haben eine Reihe von Gründen aufgezählt, die den Verkauf im Streitjahr
veranlasst haben. Diese hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung wiederholt und
ergänzt. Hierzu hat sich der Beklagte nicht im Einzelnen geäußert und konnte diese auch in
der mündlichen Verhandlung nicht widerlegen. Selbst wenn es aber zutreffen würde, dass
die Kläger durch den Verkauf im Hinblick auf ihren alsbaldigen Umzug nach Frankreich die
letzte Möglichkeit genutzt hätten, den Verlust steuerwirksam zu realisieren, so ist dies kein
Verhalten, das aus der Sicht des deutschen Steuerrechts zu missbilligen ist. Wer nach
deutschem Steuerrecht einen Verlust nach 17 EStG erlitten hat, kann diesen auch geltend
machen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der ihm steuerlich am günstigsten erscheint. Dies
hat der Kläger getan.
Im übrigen hat der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG eine spezielle Missbrauchsregel
aufgenommen. Die Existenz dieser Regelung zeigt auf, welche Vorgänge von Gesetzes
wegen steuerlich nicht anzuerkennen sind. Sie führt dazu, dass darüber hinausgehend § 42
AO allenfalls in extremen Ausnahmefällen angewandt werden kann. Um einen solchen
handelt es sich vorliegend nicht.
Hierbei hat es der Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung als unschädlich angesehen,
dass der Vertrag über die Veräußerung der streitigen Anteile von der Klägerin an den
Mitgesellschafter D für 1 EUR - trotz mehrfacher Nachfragen – nicht vorgelegt wurde. Auch
der Beklagte hat im Hinblick hierauf nicht bezweifelt, dass der streitige Kaufpreis dem
damaligen Teilwert der Anteile entsprach. Die Abläufe, die der Kläger in der mündlichen
Verhandlung nachvollziehbar und glaubhaft geschildert hat, enthielten keine Anhaltspunkte
für einen anderen Wert. Schließlich war zu berücksichtigen, dass es sich um Vorgänge
gehandelt hat, an denen auch fremde Dritte (mit gegenläufigen Interessen) mitgewirkt
haben und die Werte, um die es geht, relativ überschaubar waren.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO.
Der Beklagte wird zur Berechnung der Steuer nach § 100 Abs. 2 S. 2 FGO verpflichtet.
Zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung.