Urteil des FG Saarland vom 15.07.2003

FG Saarbrücken: versicherung, abgabe, verfügung, vorladung, abnahme, vollstreckung, ermessensausübung, form, einspruch, vollziehung

FG Saarbrücken Urteil vom 15.7.2003, 1 K 52/03
Rechtmäßigkeit, einer Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur
Ableistung der eidesstattlichen Versicherung
Leitsätze
Das Angebot des Steuerpflichtigen, eine eidesstattliche Versicherung nach § 95 Abs. 1 AO
abzulegen, macht die Vorladung zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach §
284 Abs. 3 AO nicht ermessensfehlerhaft.
Tatbestand
Der Kläger war Mitgesellschafter/Mitgeschäftsführer der L und L GmbH, über deren
Vermögen am 1. August 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Dok; Lesezeichen
VollstrA Bd. 1), sowie Mitgesellschafter der L und L Besitzgesellschaft des bürgerlichen
Rechts (GbR).
Durch getrennte Haftungsbescheide vom 5. Juni und 19. September 2002 wurden die
beiden Gesellschafter der GbR wegen Umsatzsteuerschulden dieser Gesellschaft für
November 2001 bis Februar 2002 sowie von März bis Mai 2002 nebst jeweiligen
Nebenforderungen in Höhe von insgesamt 67.586,03 bzw. 74.101,93 EUR in
gesamtschuldnerische Gesellschafterhaftung genommen (HaftA). Während der an den
Kläger gerichtete Haftungsbescheid vom 5. Juni 2002 nicht angefochten wurde, ist über
den Einspruch des Klägers gegen den nicht in der Vollziehung ausgesetzten
Haftungsbescheid vom 19. September 2002 noch nicht entschieden (Vorhefter in VollstrA
Bd. 2).
Nachdem Vollstreckungsversuche wegen der den Haftungsforderungen zugrunde liegenden
Umsatzsteuerschulden bei der GbR (VollstrA Bd. 1; Bl. 9 FG) sowie wegen der
bestandskräftigen Haftungsforderung des Haftungsbescheides vom 5. Juni 2002 beim
Kläger erfolglos geblieben waren, forderte ihn der Beklagte wegen ungetilgter
Haftungsschulden für Gesellschaftsumsatzsteuer und Umsatzsteuernebenforderungen
2001 über insgesamt 33.945,44 EUR am 27. November 2002 auf, ein
Vermögensverzeichnis vorzulegen und dessen inhaltliche Richtigkeit an Finanzamtsstelle
eidesstattlich zu versichern. Den Einspruch des Klägers, in welchem dieser seine
Verpflichtung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nicht grundsätzlich in Abrede
stellte, sofern sich der Beklagte mit einer nicht zur Eintragung in das Schuldnerverzeichnis
führenden eidesstattlichen Versicherung nach § 95 AO begnüge (alles VollstrA Bd. 2 und
dortiger Vorhefter), wies der Beklagte durch am 20. Januar zugestellte
Einspruchsentscheidung vom 14. Januar 2003 als unbegründet zurück (Bl. 8 ff., 13).
Mit am 20. Februar 2003 erhobener Klage beantragt der zur mündlichen Verhandlung
ordnungsgemäß geladene, jedoch nicht erschienene Kläger sinngemäß (Bl. 1),
die Aufforderung zur Vorlage eines
Vermögensverzeichnisses und die Vorladung zur Abgabe
der eidesstattlichen Versicherung vom 27. November
2002 in Form der Einspruchsentscheidung vom 14. Januar
2003 aufzuheben.
Durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 8. Mai 2003 (Bl. 20) ist der Kläger mit
Ausschlussfrist bis 10. Juni 2003 und gleichzeitiger Belehrung über die Folgen der
Nichtbeachtung dieser Frist nach § 79b Abs. 1 FGO aufgefordert worden, diejenigen
Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im
Verwaltungs-verfahren er sich beschwert fühlt. Hierauf hat der Kläger nicht reagiert.
Für weitere Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, auf das
Sitzungsprotokoll und den Inhalt der beigezogenen Steuerakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Aufforderung des Beklagten zur Vorlage eines
Vermögensverzeichnisses sowie zur Ableistung der eidesstattlichen Versicherung ist
rechtmäßig.
I. Zulässigkeit der Klage
Die Klage bleibt als Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) zulässig, obwohl der in der
Verfügung vom 27. November 2002 für den 13. Januar 2003 vorgesehene Termin zur
Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
durch Zeitablauf gegenstandslos geworden ist, ohne dass dieser Termin in der
Einspruchsentscheidung förmlich aufgehoben wurde und auch nicht förmlich aufgehoben
werden musste (vgl. Finanzgericht Berlin, Urteil vom 29. Januar 2001 9 K 9392/00,
Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 612). Ob die Vorladung dem Grunde
nach Bestand behalten kann oder aber aufzuheben ist, ist Klagegegenstand des
finanzgerichtlichen (Anfechtungs-)Verfahrens.
II. Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 27. November 2002
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet.
1. Rechtsgrundlagen
Gemäß § 251 Abs. 1 AO können Steuerverwaltungsakte vollstreckt werden, soweit ihre
Vollziehung nicht ausgesetzt ist. Unter dieser Voraussetzung sind mithin auch
Steuerverwaltungsakte vollstreckbar, die noch nicht bestandskräftig sind.
Hat die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Vollstreckungsschuldners zu einer
vollständigen Befriedigung nicht geführt oder ist anzunehmen, dass eine vollständige
Befriedigung nicht zu erlangen sein wird, so hat der Vollstreckungsschuldner der
Vollstreckungsbehörde auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für
seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen (§ 284 Abs. 1 Nr. 1 und
2 AO). Alsdann hat der Vollstreckungsschuldner zu Protokoll an Eides Statt zu versichern,
dass er die von ihm verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und
vollständig gemacht hat (§ 284 Abs. 3 Satz 1 AO). Die Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung zieht als zwangsläufige Folge die Eintragung des Vollstreckungsschuldners in
das amtsgerichtliche Schuldnerverzeichnis nach sich (§§ 284 Abs. 7 Satz 1 AO, 915 Abs. 1
Satz 2 ZPO).
Die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses einerseits ("auf Verlangen"
der Vollstreckungsbehörde) und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung andererseits
(die Vollstreckungsbehörde "kann" von ihrer "Abnahme absehen", § 284 Abs. 3 Satz 2 AO)
stellt eine zweistufige Ermessensentscheidung der Finanzbehörde dar, die von der Behörde
jedoch auch in einer einzigen zusammenfassenden Verfügung getroffen werden kann und
regelmäßig auch in dieser Form ergeht (s. z.B. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2000 VII
B 206/00, BFH/NV 2001, 577). Als ausgeübtes Verwaltungsermessen unterliegt die jeweils
getroffene Verwaltungsentscheidung gemäß § 102 Satz 1 FGO nur einer eingeschränkten
finanzgerichtlichen Kontrolle dahin, ob sich das gesonderte oder einheitliche Verlangen der
Finanzbehörde nach Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und/oder zur Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung im konkreten Einzelfall als Ermessensüberschreitung oder -
fehl-gebrauch darstellt (BFH-Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90, BStBl II 1992,
57). Ihre Ermessenserwägungen kann die Finanzbehörde erforderlichenfalls auch noch im
gerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO), sofern dadurch die
Ermessensausübung keine grundlegende Änderung erfährt.
Die Ermessensausübung auf der zweiten Stufe, d.h. die Entscheidung, dem
Vollstreckungsschuldner die eidesstattliche Versicherung abzuverlangen, ist nicht
unverhältnismäßig, wenn das Finanzamt von dem Angebot des Steuerpflichtigen, die
eidesstattlichen Versicherung nach Maßgabe der §§ 249 Abs. 2, 95 Abs. 1 AO freiwillig
abzugeben, keinen Gebrauch macht. Diese Bestimmungen treten als allgemeine
Vollstreckungsvorschriften hinter die Spezialregelung des § 284 AO bei der Vollstreckung in
das bewegliche Vermögen wegen Geldforderungen zurück. Anders als die gemäß § 95 Abs.
6 AO nicht erzwingbare eidesstattliche Versicherung nach § 95 Abs. 1 AO soll die
zwangsweise durchsetzbare eidesstattliche Versicherung nach § 284 AO (s. dort Abs. 8)
eine Benachteiligung des Fiskus gegenüber privaten Gläubigern des Abgabenschuldners
verhindern. Denn bei Vorrangigkeit des Angebots einer freiwilligen sanktionslosen
eidesstattlichen Versicherung nach § 95 Abs. 1 AO könnte der Vollstreckungsschuldner
versucht sein, seine eventuell verborgenen Vermögenswerte vorzugsweise zur
Befriedigung privater Gläubiger statt des Steuergläubigers zu verwenden, um die
gravierende Konsequenz einer mit der Eintragung in das amtsgerichtliche
Schuldnerverzeichnis sanktionierten Versicherung an Eides statt, welche die Privatgläubiger
jederzeit sofort erzwingen könnten, zu vermeiden (BFH-Urteile vom 24. September 1991
VII R 34/90, BStBl II 1992, 57; vom 22. September 1992 VII R 96/91, BFH/NV 1993, 220).
Kann daher der Steuerpflichtige das Finanzamt auf der zweiten Ermessensstufe nicht auf
eine vorrangig anzustrebende eidesstattliche Versicherung nach § 95 AO verweisen, so
handelt es sich nach der Rechtsprechung des Senats bei der Ermessensausübung auf
dieser Stufe wegen § 284 Abs. 3 Satz 2 AO, wonach die Finanzbehörde von der Abnahme
der Versicherung "absehen" kann, um sog. intendiertes Verwaltungsermessen, das im
Regelfall nur dann einer besonderen Ausübungsbegründung bedarf, wenn im Einzelfall,
insbesondere aus dem vorzulegenden Vermögensverzeichnis, Hinweise auf eventuelle
Absehensgründe ersichtlich sind (Urteil vom 31. Mai 2001 1 K 322/00, EFG 2001, 1174).
2. Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall
Vorliegend hat sich der Beklagte auf die Vollstreckung der wegen Umsatzsteuerschulden
2001 der GbR verbliebenen Haftungsteilforderung des bestandskräftigen
Haftungsbescheides vom 5. Juni 2002 beschränkt. Verschiedene Vollstreckungsversuche in
das bewegliche Vermögen des Klägers hinsichtlich dieser - mit rd. 34.000 EUR ihrem
Betrage nach auch erheblichen - vollstreckbaren Teilforderung sind, ebenso wie vorherige
Vollstreckungsversuche bei der GbR, ausweislich der vorgelegten Vollstreckungsakten des
Beklagten erfolglos geblieben. Auch steht nach Aktenlage nicht zu erwarten, dass künftige
Vollstreckungsversuche beim Kläger erfolgversprechend sein könnten, nachdem über das
Vermögen der von ihm und seinem Mitgesellschafter betriebenen L und L GmbH am 1.
August 2002 das Insolvenz-verfahren eröffnet werden musste. Indem damit die
Tatbestandsvoraussetzungen der Nrn. 1 und 2 des § 284 Abs. 1 AO erfüllt sind, ist es
unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn sich der Beklagte für die
Aufforderung des Klägers zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses entschieden hat.
Wenn der Kläger dieses Verzeichnis trotz grundsätzlicher Anerkennung der Berechtigung
des Vorlageverlangens nicht vorgelegt hat, weil er im Falle der Vorlage dieses
Verzeichnisses die im Vergleich mit § 95 AO nachteiligeren Folgen einer eidesstattlichen
Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO befürchtet, so verkennt er, dass der Gesetzgeber die
schwerwiegenden Folgen einer eidesstattlichen Versicherung nach dieser Vorschrift gerade
beabsichtigt hat, wenn - wie hier nach Aktenlage - keine besonderen Absehensgründe von
der Abnahme einer solchen Versicherung erkennbar sind und sich deshalb nur aus einem
überzeugenden Vermögensverzeichnis hätte ergeben können.
Mithin ist es insgesamt ermessensfehlerfrei, wenn der Beklagte in der Verfügung vom 27.
November 2002 die Aufforderung zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses mit der
Vorladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO verbunden
und diese Verbindung sowohl in seiner Einspruchsentscheidung als auch im Klageverfahren
(vgl. § 284 Abs. 6 Satz 2 AO) weiter aufrecht erhalten hat. Tatsachen, die eine andere
Beurteilung erfordern würden, hat der Kläger trotz der ihm nach § 79b Abs. 1 FGO bis 10.
Juni 2003 gesetzten Ausschlussfrist weder innerhalb dieser Frist noch danach und auch
nicht in der von ihm nicht wahrgenommenen mündlichen Verhandlung vorgetragen, so
dass die Klage als unbegründet abgewiesen werden musste.
Damit hat der Kläger nunmehr einem vom Beklagten neu zu bestimmenden Termin zur
Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und Ableistung der eidesstattlichen Versicherung
Folge zu leisten und die Versicherung in diesem Termin abzugeben, falls das
Vermögensverzeichnis keine weitere erfolgversprechende Vollstreckungsmöglichkeit
offenbart und auch sonst keine zweifelsfreie Beurteilung der Vermögensverhältnisse des
Klägers erlaubt.
3. Nebenentscheidungen
Die Kosten des nach allem erfolglosen Klageverfahrens waren gemäß § 135 Abs. 1 FGO
dem unterlegenen Kläger aufzuerlegen.
Für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO bestand keine
Veranlassung.