Urteil des FG Saarland vom 12.08.2008

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FG Saarbrücken Urteil vom 12.8.2008, 2 K 2024/03
Keine Bindung des Gerichts an rückwirkend anzuwendende Verständigungsvereinbarung
gem. Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich - Berechnung der sog. schädlichen Nichtrückkehrtage
im Rahmen der Grenzgängerregelung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich: Dienstreisen in das
Drittland, Anreisetag, Abreisetag, Berücksichtigung gegenüber dem Arbeitgeber nicht
geltend gemachter Krankheitstage, Tage mit Taifunwarnung - Wiedereinsetzung bei
Weiterleitung einer beim FA eingegangenen Klageschrift an das Finanzministerium
Leitsätze
Die Grenzgängereigenschaft nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nicht verloren, wenn der
Arbeitnehmer an nicht mehr als 45 Arbeitstagen außerhalb der Grenzregion tätig wird. Bei
Berechnung dieser 45 Tage zählen solche Tage nicht mit, an denen der Arbeitnehmer nicht
ganztägig abwesend ist. Die im BMF-Schreiben vom 3.4.2006, DStR 2006, 845)
getroffene anders lautende Verständigungsvereinbarung bindet nicht die Gerichte.
Tatbestand
Der Kläger streitet mit dem Beklagten um dessen Berechtigung zur
Nachforderung von Lohnsteuern im Rahmen der Grenzgängerregelung nach
dem deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA-Frankreich).
Der Kläger war in den Streitjahren 1999 bis 2002 bei der Firma X in Y, als
Arbeitnehmer u.a. im Außendienst beschäftigt. Zum 1. Januar 1997 hatte er
seinen Wohnsitz vom Inland (H) nach Frankreich (S) verlegt. Der Arbeitgeber hat
ihn seitdem als Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich von der
deutschen Lohnsteuer freigestellt.
Bei einer Lohnsteueraußenprüfung bei dem Arbeitgeber des Klägers im Jahre
2001 wurde an Hand der Dienstreisebelege des Klägers festgestellt, dass dieser
in den Jahren 1997 bis 2000 Dienstreisen außerhalb des Grenzgebietes von
mehr als 12 Stunden durchgeführt hatte. Nach den Berechnungen des Prüfers
handelte sich 1997 um 67, 1998 um 72, 1999 um 67 und 2000 um 54 Tage.
Die Abrechnungen betrafen überwiegend mehrtägige Dienstreisen. Samstage
und Sonntage waren bei der Aufstellung des Prüfers nicht mitgerechnet worden.
Auf die entsprechenden Aufzeichnungen und Kopien der Dienstreisebelege wird
verwiesen (Bl. 16-121 LStAP).
Mit Bescheid vom 12. November 2001 forderte der Beklagte die Lohnsteuer und
Solidaritätszuschlag für die Jahre 1997 bis 2000 i.H. von insgesamt 193.487,96 DM vom
Kläger als Steuerschuldner nach (Bl. 5 LohnStA). Am 22. November 2001 legte der Kläger
gegen den Nachforderungsbescheid Einspruch ein (Bl. 1 RbA I). Mit Einspruchsentscheidung
vom 18. Dezember 2002 (Bl. 4) wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2003 hat der Kläger Klage erhoben (Bl. 1). Das
Schreiben war an das „
“ adressiert und ging am 20. Januar 2003 zuerst beim Finanzamt
Saarbrücken Am Stadtgraben ein, wo es als „Irrläufer“ erkannt und am selben
Tag an das Ministerium für Finanzen in Saarbrücken weiter geleitet wurde. Nach
Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am Nachmittag des
22. Januar 2003 erfolgte eine (erneute) Weiterleitung der Klageschrift an das
Finanzgericht, wo sie am 22. Januar 2003 einging (Bl. 1).
Der Kläger beantragt, den Nachforderungsbescheid vom 12. November 2001 in
Form der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2002 aufzuheben.
Der Kläger macht hinsichtlich des verspäteten Klageeingangs beim Finanzgericht
geltend, dieser beruhe auf einem entschuldbaren Büroversehen. Sein
Prozessbevollmächtigter habe einer Angestellten im Anwaltsbüro die zutreffende
Adresse diktiert. Dieser Angestellten sei dann bei Fertigung des Schriftsatzes
der Fehler unterlaufe, statt „Finanzgericht des Saarlandes“ „Finanzamt des
Saarlandes“ zu schreiben. Insoweit sei ihm Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren (Bl. 19 ff.).
In der Sache selbst macht der Kläger geltend, der Beklagte habe die 45-Tage-
Regelung unrichtig angewandt. Die Berechnung der schädlichen Tage durch das
Finanzamt sei unzutreffend, weil eine Vielzahl unschädlicher Dienstreisen
berücksichtigt worden sei. So sei übersehen worden, dass der Kläger bei einigen
Dienstreisen am selben Tag noch nach Hause (Frankreich) zurückgekehrt sei.
Zu berücksichtigen sei überdies, dass der Kläger auf den Dienstreisen mehrfach
erkrankt gewesen sei. Insoweit handele es sich um „unschädliche“ Tage im
Sinne des DBA-Frankreich.
Die Richtigkeit der Berechnungen des Finanzamtes sei auch im Übrigen nicht
nachvollziehbar. So sei generell zweifelhaft, ob Dienstreisen in Drittländer den
schädlichen Tagen zuzurechnen seien (Bl. 64 f.).
Bei der Beantragung der Freistellung sei der Kläger auf die Rechtslage von
keiner Seite aufmerksam gemacht worden. Die 45-Tage-Regelung bei
Dienstreisen sei willkürlich und verstoße gegen das Grundgesetz und
Europäisches Recht (Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot).
Die Inanspruchnahme per Lohnsteuernachforderungsbescheid sei rechtswidrig.
Insoweit fehle es an einer Rechtsgrundlage.
Der Beklagte beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Arbeitgeber habe den Kläger zu Unrecht als Grenzgänger i.S. des Art. 13
Abs. 5 DBA-Frankreich von der deutschen Lohnsteuer freigestellt. Denn der
Kläger habe die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regelung deshalb
nicht erfüllt, weil er in sämtlichen Streitjahren mehr als 45 Arbeitstage im Jahr
außerhalb der Grenzzone tätig geworden sei. Den diesbezüglichen
Berechnungen des Klägers könne nicht gefolgt werden. Sie stünden im
Widerspruch zu der Verständigungsvereinbarung vom 3. April 2006, die auf
sämtliche noch offenen Fälle, und damit auch den des Klägers, anzuwenden sei.
Schädlich seien danach insbesondere auch die Tage der Hinreise und der
Rückreise im Zuge mehrtätiger Dienstreisen. Auch zweifelt der Beklagte die vom
Kläger behaupteten Erkrankungen während der fernöstlichen Dienstreisen an.
Mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2008, dem Beklagten zugestellt am 19. Mai
2008 (Bl. 205) hat der Senat dem Klagebegehren entsprochen. Mit Schriftsatz
vom 16. Juni 2008, am selben Tag eingegangen, hat der Beklagte die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beklagte verweist
dabei darauf, dass im Falle des Klägers zwischen der deutschen und der
französischen Finanzverwaltung am 1. September 2006 eine Verständigung
zustande gekommen sei, der jedoch der Kläger seine Zustimmung verweigert
habe. Im Übrigen hätten die deutschen und die französischen Finanzbehörden
am 3. April 2006 in Ausführung von Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich eine
Verständigungsvereinbarung getroffen, die auch die Gerichte binde. Der
Beklagte äußert außerdem Zweifel an der Richtigkeit der vom Kläger
vorgelegten (ausländischen) Atteste.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen
Verwaltungsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Dem Kläger ist hinsichtlich der Versäumung der Klagefrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren. Die Klage ist auch
begründet. Der streitige Nachforderungsbescheid ist rechtswidrig, weil er dem Kläger zu
Unrecht die Grenzgängereigenschaft abspricht.
1. Zulässigkeit
1.1. Rechtsgrundlagen
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nach § 56 Abs. 1 FGO gewährt werden, wenn
die Versäumung der Frist unverschuldet war. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf
ein Prozessvertreter gewisse minder bedeutsame Routineaufgaben einer als zuverlässig
erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen, wie z.B. die Berechnung
einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen, die Eintragung in das
Fristenkontrollbuch und die weitere Kontrolle der Fristen (BFH vom 9. Juli 1992 V R 62/91,
BFH/NV 1993, 251, m.w.N.). Unterläuft der Bürokraft hierbei ein Versehen, braucht der
Prozessvertreter dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle
Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine
Fristversäumnis auszuschließen, und wenn er durch regelmäßige Belehrung und
Überwachung seiner Bürokräfte für die Befolgung seiner Anordnungen sorgt (vgl. BFH vom
11. Januar 1983 VII R 92/80, BStBl II 1983, 334).
Gibt ein Rechtsbehelfsführer die Behörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist,
fehlerhaft an, begründet dies nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte
regelmäßig die Annahme subjektiv vorwerfbarer Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt
(vgl. die Nachweise im Beschluss des BVerfG vom 2. September 2002, 1 BvR 476/01,
BStBl II 2002, 835). Andererseits besteht aber für die Behörden grundsätzlich die
Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Schreiben erkennbare
Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern
an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Hat die unzuständige Behörde die Übermittlung
schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, kommt im Falle willkürlichen, offenkundig
nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde die Gewährung von
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (BVerfG vom 2. September 2002, 1
BvR 476/01, BStBl II 2002, 835).
1.2. Anwendung im Streitfall
Im Streitfall ging die bereits am 15. Januar 2003 abgesandte Klageschrift am
20. Januar 2003 -und damit einen Tag vor Fristablauf- beim Finanzamt
Saarbrücken - Am Stadtgraben ein. Dort hätte ohne Weiteres anhand des
Charakters des Schriftsatzes („Klageschrift“) und auch der Adressangabe
(„Hardenbergstraße 3“) erkannt werden können, wohin das Schreiben
tatsächlich gerichtet war. Insoweit war der Weg zum Ministerium der Finanzen
zwar eine Möglichkeit, das offenkundig falsch adressierte Schreiben zurück auf
den (behördeninternen) Postweg zu bringen. Es war jedoch sicherlich nicht die
zutreffende. Es hätte vielmehr nahe gelegen, die Klageschrift bereits am 20.
Januar 2003 an das Finanzgericht weiterzuleiten, wo sie dann auch noch
rechtzeitig eingegangen wäre. Dies belegt der Umstand, dass die Klageschrift
das Finanzgericht am 22. Januar 2003 erreichte, nachdem am Nachmittag
dieses Tages der zuständige Beamte des Finanzministeriums die Weiterleitung
dorthin initiierte.
Wäre dies bereits von dem Finanzamt Saarbrücken - Am Stadtgraben (am 20.
Januar 2003) in gleichem Sinne betrieben worden, wäre die Klageschrift –trotz
des Adressierungsfehlers- noch innerhalb der regulären Klagefrist beim
Finanzgericht eingegangen.
Mithin war bereits aus diesem Grund die Fristversäumnis entschuldbar. Insoweit
erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, inwieweit auch das Schreibversehen
(isoliert) eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerechtfertigt hätte.
Insgesamt war jedenfalls von der Zulässigkeit der Klage auszugehen.
2. Rechtmäßigkeit des streitigen Nachforderungsbescheides
2.1. Rechtsgrundlagen
2.1.1.
gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich nur in dem anderen Vertragsstaat besteuert
werden. Grenzgänger i.S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich sind gemäß dessen Buchst. a
Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige
Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen
Vertragsstaates haben.
Die Grenzgängereigenschaft geht nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1980, 88 (dort unter
2.), das auf einer Verständigungsvereinbarung mit der französischen Steuerverwaltung
beruht, bei einem Arbeitnehmer, der -wie im Streitfall der Kläger- nicht während des
ganzen Kalenderjahres in der Grenzzone beschäftigt ist, nicht verloren, wenn er in dieser
Zeit höchstens an 20 v.H. der gesamten Werk- bzw. Arbeitstage, jedoch in keinem Fall an
mehr als 45 Tagen, nicht zum Wohnsitz zurückkehrt oder außerhalb der Grenzzone für
seinen Arbeitgeber tätig ist. Andernfalls steht das Besteuerungsrecht für die
Arbeitseinkünfte dem Staat der Arbeitsausübung zu. Der BFH hat ebenso wie der Senat in
Auslegung des Merkmals „in der Regel jeden Tag zurückkehren“ (Art. Art. 13 Abs. 5 DBA-
Frankreich) die 45-Tage-Regelung als solche unbeanstandet übernommen (BFH vom 25.
November 2002 I B 136/02, BStBl II 2005, 375; FG Saarland, Urteil vom 29. April 2004, 2
K 305/00, EFG 2004, 1060).
Zur Anwendung dieser Verständigungsregelung vertrat die Finanzverwaltung in
Abstimmung mit der französischen Finanzverwaltung (Erlass des FinMin Saarland vom 11.
Juni 1981, vgl. auch FinMin Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 8. Juli 1981, wiedergegeben in
Handbuch des Außensteuerrechts 2002, S. 856) die Auffassung, zu den Tagen der
Tätigkeit außerhalb der Grenzzone zählten auch solche, an denen ein Arbeitnehmer sich
auf einer Dienstreise außerhalb der Grenzzone befinde. Halte er sich dort nicht während
des ganzen Tages auf, so zählten solche Tage als Tage der Tätigkeit außerhalb der
Grenzzone, wenn der Arbeitgeber dem Grenzgänger hierfür ein volles Tagegeld gewähre.
Dies gelte jedoch nicht, wenn sich die Dienstreise außerhalb der Grenzzone über Sonn- und
Feiertage erstrecke. Auch wenn für diese Tage vom Arbeitgeber volles Tagegeld gezahlt
werde, zählten sie nicht zu den Tagen der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone.
2.1.2.
136/02, BStBl II 2005, 375 entgegen getreten. Danach zählen zu den Tagen
der Tätigkeit außerhalb der Grenzzone nur ganze Arbeitstage. Es kommt
danach weder darauf an, in welchem Umfang der Arbeitnehmer außerhalb der
Grenzzone tätig ist, noch ob und in welchem Umfang ihm der Arbeitgeber für
eine Dienstreise außerhalb der Grenzzone ein Tagegeld gewährt. Der Senat hat
sich dieser Auffassung angeschlossen (FG des Saarlandes, Urteil vom 29. April
2004 2 K 305/00, EFG 2004, 1060). Auf den Beschluss des BFH vom 25.
November 2002 sowie auf das Urteil des Senats vom 29. April 2004 wird zur
näheren Begründung Bezug genommen.
2.1.3.
im Anschluss an die Veröffentlichung des BFH-Beschlusses vom 25. November
2002 im BStBl II 2005, 375 mit dem französischen Wirtschafts- und
Finanzministerium am 16. Februar 2006 eine Verständigungsvereinbarung zur
183-Tage-Regelung (Artikel 13 Abs. 4) und zur Anwendung der
Grenzgängerregelung (Artikel 13 Abs. 5) des DBA-Frankreich getroffen (vgl.
BMF-Schreiben vom 3. April 2006, DStR 2006, 845; Bl. 155 f.). Als Arbeitstage
gelten danach die vertraglich vereinbarten Arbeitstage (Kalendertage abzüglich
der Tage, an denen der Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag nicht zu arbeiten
verpflichtet ist, wie z. B. Urlaubstage, Wochenendtage, gesetzliche Feiertage)
sowie alle weiteren Tage, an denen der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt.
Daneben gelten auch Krankheitstage nicht als Tage der Nichtrückkehr. Bei
mehrtägigen Dienstreisen gelten die Tage der Hinreise sowie der Rückreise stets
zu den Nichtrückkehrtagen. Die Regelung soll nach dem Willen der
Vertragsparteien auf alle noch nicht bestandskräftigen Fälle Anwendung finden.
2.1.4.
Verständigungsvereinbarung vom 16. Februar 2006 bindet entgegen der Auffassung des
Beklagten den Senat nicht. Der BFH hat sich zu Recht dahingehend geäußert, dass
derartige Vereinbarungen –trotz ihrer möglichen völkerrechtlichen Bindung- das nach Art.
59 Abs. 2 GG zwingend vorgeschriebene Zustimmungsgesetz nicht ändern können und
daher innerstaatlich gesehen unverbindlich seien (BFH vom 10. Juli 1996 I R 4/96, BStBl II
1997, 15; vom 1. Februar 1989 I R 74/86, BStBl II 1990, 4; s.a. Finanzgericht Köln vom
30. Januar 2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593).
Diese fehlende Bindungswirkung wird auch durch Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich nicht
beseitigt. Nach dieser Regelung haben sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Fällen, die in dem DBA nicht geregelt sind,
sowie zur Beseitigung von Schwierigkeiten und Zweifeln, die bei der Anwendung des DBA
auftreten, zu verständigen. Der Senat schließt sich diesbezüglich dem Finanzgericht Köln
(Beschluss vom 30. Januar 2008, 4 V 3366/07, EFG 2008, 593) an. Danach berechtigt
diese Klausel die Verwaltungsbehörden lediglich zur Auslegung und Lückenfüllung, nicht
aber zu einer inhaltlich substantiellen Änderung. Und um eine solche handelt es sich, wenn
eine Verständigungsvereinbarung einer innerstaatlichen Rechtsprechung entgegen wirken
soll. Schon vor dem Hintergrund dieser Überlegung verbietet sich eine Bindung der Gerichte
an Verständigungsvereinbarungen, mögen diese seitens der Verwaltung auch auf
Regelungen wie die des Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich gestützt werden. Verträte man eine
hiervon abweichende Auffassung, wäre als Konsequenz festzustellen, dass die
Finanzgerichte, also die dritte Gewalt, an Akte der Verwaltung, also der zweiten Gewalt,
gebunden wären. Dies würde dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) und
der Bindung der Rechtsprechung (lediglich) an „Gesetz und Recht“ (nicht aber an
Verwaltungsregelungen) widersprechen (Art. 20 Abs. 3 GG). Insoweit erübrigen sich aus
der Sicht des Senats weitere Ausführungen auch zu der im Übrigen mangels Zustimmung
des Klägers nicht wirksam gewordenen (individuellen) Verständigungsvereinbarung vom 1.
September 2006.
Es kann deshalb desweiteren dahin gestellt bleiben, ob die rückwirkende Anwendung der
Verständigungsvereinbarung –würde man ihre Bindungswirkung bejahen- nicht dieselben
Zweifel aufwerfen würde, wie dies ein entsprechendes Gesetz tut (vgl. dazu den
Vorlageschluss des BFH vom 19. April 2007 IV R 4/06, BStBl II 2008, 140).
2.2. Anwendung auf den Entscheidungsfall
Der Senat vermag sich der Auffassung des Klägers, wonach Reisen in Drittländer generell
nicht zu „schädlichen“ Tagen i.S. des DBA-Frankreich führen können, nicht anzuschließen.
Im Allgemeinen muss ein Steuerpflichtiger, um als Grenzgänger zu gelten, im Grenzbereich
eines Staates wohnen und im Grenzbereich des anderen Staates arbeiten. Insoweit wird
es für unschädlich angesehen, wenn dieser Arbeitnehmer in eingeschränktem Umfang den
Grenzbereich verlässt. Demzufolge kann es keine Rolle spielen, ob dieses (unschädliche)
Verlassen des Grenzbereichs sich im Inland (also im Tätigkeitsstaat) vollzieht oder in einem
Drittland. Andererseits würde etwa dann, wenn ein Arbeitnehmer in Frankreich wohnt, er
bei einem inländischen Arbeitgeber (im Grenzbereich) angestellt ist, aber ständig -etwa auf
ausländischen Baustellen- außerhalb der Grenzregion und außerhalb Deutschlands arbeitet,
noch als Grenzgänger gelten, selbst wenn er während des gesamten Jahres unter diesen
Umständen seiner Tätigkeit nachgeht. Insoweit verweist der Senat auf den Beschluss des
BFH vom 10. Dezember 2001 I B 94/01, BFH/NV 2002, 479. Der Senat schließt sich
diesbezüglich der Auffassung des Beklagten an, wonach auch in Drittländern verbrachte
Arbeitstage dem Grunde nach zu den „schädlichen“ Nichtrückkehrtagen im Sinne des DBA-
Frankreich rechnen.
Dies führt indessen nicht dazu, sämtliche Reisetage des Klägers als „schädliche“ Tage zu
betrachten. Der Beklagte mag seine diesbezüglichen Berechnungen der „schädlichen“ Tage
(unter Einbeziehung der An- und Abreisetage) auf die ihn bindende Anweisung im BMF-
Schreiben vom 3. April 2006 stützen. Diese Berechnung ist indessen nach den
Ausführungen unter Tz. 2.1.4. dieser Entscheidung für den Senat nicht bindend. Vielmehr
folgt der Senat bei der Entscheidung der unter Tz. 2.1.2. zitierten Rechtsprechung, wonach
insbesondere bei der Feststellung der „schädlichen“ Tage im Falle mehrtägiger
Dienstreisen die Tage der An- und Abreise als Tage der Rückkehr (und damit als „nicht
schädliche“ Tage) gelten.
Im Streitfall hat der Beklagte überdies zu Unrecht die vom Kläger angegebenen
Krankheitstage nicht als „unschädliche“ Tage im Sinne des DBA-Frankreich gewertet (dazu
BFH vom 16. März 1994 I B 186/93, BStBl II 1994, 696; FG Baden-Württemberg vom 1.
April 2008 11 K 90/06, EFG 2008, 1181, 1185). Insoweit hat der Kläger zur Überzeugung
des Senats nachgewiesen, dass er tatsächlich an den betreffenden Reisetagen erkrankt
war. Der Senat sieht keinen Anhalt dafür, an der Richtigkeit der vom Kläger vorgelegten
ärztlichen Bescheinigungen zu zweifeln. Die vom Beklagten hiergegen im
Verwaltungsverfahren erhobenen Einwände (fehlende Übersetzung) greifen spätestens seit
dem Zeitpunkt nicht mehr, zu dem der Kläger entsprechende Übersetzungen vorgelegt hat
(Bl. 81 ff.) und die Bescheinigung von drei unterschiedlichen Stellen stammen. Und auch
der bloße Hinweis auf den ungewöhnlichen Vortrag, wonach der Kläger auf jeder der
insgesamt 13 Fernost-Reisen erkrankt sei, reicht nicht aus, um die Überzeugung des
Senats zu erschüttern. Gerade auf Fernost-Reisen besteht -nicht zuletzt aufgrund der
meist anderen Ernährung- ein erhöhtes Gesundheitsrisiko (http://www.auswaertiges-
amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/China/Sicherheitshinweise.html#t7). Ob der Kläger
die Krankheitstage auch gegenüber seinem Arbeitgeber geltend gemacht hat, spielt für die
steuerliche Betrachtung im Übrigen keine Rolle. Ohne weiteres nachvollziehbar ist
angesichts der Position des Klägers, dass dieser seine Krankheitstage als solche nicht
gegenüber dem Arbeitgeber in Ansatz gebracht hat, zumal die tatsächlichen Konsequenzen
angesichts der Abwesenheit des Klägers im Fall der Krankmeldung und bei Nicht-
Krankmeldung nicht differieren. Letztlich sind damit die Schlussfolgerungen des Beklagten
aus diesem Umstand (arbeitsrechtlich nicht geltend gemachter Krankheitstag =
Arbeitstag) jedenfalls nicht zwingend. Insoweit ist vielmehr nach Auffassung des Senats der
diesbezüglichen Berechnung des Klägers zu folgen.
Dies gilt im Übrigen auch für die vom Kläger angesetzten Nicht-Arbeitstage wegen Taifun-
Warnung. Insoweit ist für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar, dass an diesen Tagen
eine Arbeit (gerade im Bereich von Schiffswerften) nicht möglich war. Sonst bedürfte es
keiner solchen Warnung. Letztlich kann indessen die Berücksichtigung dieser „Taifun-
Warnungs-Tage“ dahinstehen, da selbst bei Nichtansatz dieser Tage (es geht lediglich im
Streitjahr 1998 um vier Nicht-Arbeitstage) die Grenzgängereigenschaft des Klägers nicht in
Frage stünde.
Insgesamt folgt damit der Senat den Berechnungen des Klägers (Bl. 76 ff.) und gelangt auf
diese Weise in den jeweiligen Streitjahren zu einer Zahl „schädlicher“ Tage, die unter dem
„Grenzwert“ von 45 liegt.
3.
Grenzgänger anzusehen war. Demzufolge war der streitige Nachforderungsbescheid, der
dem Kläger zu Unrecht die Grenzgängereigenschaft abspricht, aufzuheben.
Die Kosten des Verfahrens waren dem Beklagten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO zuzulassen. Der Senat misst der Frage,
inwieweit die Regelung des Art. 25 Abs. 3 DBA-Frankreich eine Bindung der Gerichte im
Falle einer Verständigungsvereinbarung bewirkt, grundsätzliche Bedeutung bei (dazu auch
Herlinghaus, EFG 2008, 595).