Urteil des FG Saarland vom 22.09.2008

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FG Saarbrücken Beschluß vom 22.9.2008, 2 V 1368/08
Öffentliche Zustellung eines Verwaltungsakts nur als letztes Mittel der Bekanntgabe
Leitsätze
Die öffentliche Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes ist als „letztes Mittel“ erst dann
zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in
anderer Weise zu übermitteln. Hieran fehlt es, wenn der Behörde möglich gewesen wäre,
den Weg des § 3 VwZG -also der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde- zu
beschreiten oder aber bei der zuständigen Poststelle nachzufragen, warum eine
Bekanntgabe des Bescheides -trotz zutreffender Adressangabe- nicht möglich war.
Tatbestand
I. Die Antragstellerin ist die Mutter des am 23. Januar 1990 geborenen Sohnes A. Sie
streitet mit der Antragsgegnerin um die Wirksamkeit des Bescheides vom 23. Mai 2006
(KiG, Bl. 65), mit dem die Antragsgegnerin die Festsetzung des Kindergeldes ab Mai 2003
aufgehoben hat.
Dieser Bescheid wurde von der Antragsgegnerin mit einfachem Brief zur Post gegeben.
Nachdem ein Rücklauf des Briefes unter der Postanschrift der Antragstellerin „B“ mit dem
Vermerk des Zustellers „Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“
erfolgte (KiG, Bl. 70), richtete die Antragsgegnerin eine Wohnsitzanfrage an das zuständige
Meldeamt. Diese ergab, dass die Antragstellerin nach wie vor unter dieser Anschrift
gemeldet war (KiG, Bl. 72). Daraufhin unternahm die Antragsgegnerin -wiederum mit
einfachem Brief (KiG, Bl. 73)- einen erneuten Bekanntgabeversuch. Auch dieses Mal
erfolgte ein Rücklauf des Briefes mit dem Vermerk des Zustellers „Empfänger unter der
angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“. Daraufhin verfügte die Antragsgegnerin die
öffentliche Zustellung des Bescheides (KiG, Bl. 74).
Am 14. Mai 2008 erhob die Antragstellerin Klage (2 K 1212/08), die u.a. darauf gerichtet
ist, die Nichtigkeit des streitigen Bescheides mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe
festzustellen.
Die Antragsgegnerin betreibt die Vollstreckung aus diesem Bescheid (Bl. 16).
Am 11. August 2008 (Bl. 1) stellte die Antragstellerin beim Finanzgericht den Antrag, die
Vollziehung des Bescheides vom 23. Mai 2006 auszusetzen.
Die Antragstellerin macht geltend, der Bescheid sei nicht wirksam bekannt gegeben
worden. Er sei damit unwirksam und dürfe von der Antragsgegnerin nicht vollstreckt
werden.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß (Bl. 15), den Antrag zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass der Bescheid wirksam öffentlich bekannt gegeben worden sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene
Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides ist zulässig
und auch begründet.
1.
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung
für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 2 FGO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH bestehen ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Steuerbescheides dann, wenn eine summarische
Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige
gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit
oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der
Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes
sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen, d.h. ein Erfolg des Steuerpflichtigen braucht
nicht wahrscheinlicher zu sein als ein Misserfolg (BFH, Beschlüsse vom 30. Juni 1967 III B
21/66, BStBl. III 1967, 533; vom 28. November 1974 V B 52/73, BStBl. II 1975, 239).
2.
Rückforderungsbescheides (§ 10 VwZG) ist unwirksam, weil die von der Antragsgegnerin
angenommenen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 VwZG -unbekannter Aufenthalt-
nicht vorlagen.
2.1.
Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 VwZG). Dies ist der Fall,
wenn der Aufenthaltsort allgemein unbekannt ist. Es reicht nicht aus, dass nur die
betreffende Behörde die Anschrift nicht kennt. Ob diese Voraussetzung der öffentlichen
Zustellung vorliegt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen (BFH vom 6. Juni 2000 VII R 55/99,
BStBl II 2000, 560). Hierfür sind gründliche und sachdienliche Bemühungen um Aufklärung
des gegenwärtigen Aufenthaltsorts erforderlich (vgl. BVerwG vom 18. April 1997 8 C
43.95, BVerwGE 104, 301), denn die Zustellungsvorschriften dienen auch der
Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Sie sollen
gewährleisten, dass der Adressat Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen
und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Der Erfüllung
der Zustellungsvoraussetzungen des § 10 VwZG kommt insbesondere deshalb eine
besondere Bedeutung zu, weil das öffentlich ausgehängte Schriftstück nach dem Ablauf
einer bestimmten Frist als zugestellt "gilt" (§ 10 Abs. 2 Satz 5 VwZG), dem Empfänger
also nicht übergeben und regelmäßig auch inhaltlich nicht bekannt wird. Die
Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der
Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (BVerfG vom
26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361). Sie ist nur als "letztes Mittel" der
Bekanntgabe zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem
Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (BFH vom 10. Dezember 1991 VII B 25/91,
BFH/NV 1992, 610, m.w.N.; BGH vom 6. April 1992 II ZR 242/91, BGHZ 118, 45).
2.2.
vielmehr lediglich unter der zutreffenden Anschrift der Antragstellerin zwei Zustellversuche
mit einfachem Brief unternommen. Ohne Weiteres wäre es der Antragsgegnerin möglich
gewesen, den Weg des § 3 VwZG -also der Zustellung durch die Post mit
Zustellungsurkunde- zu beschreiten oder aber bei der zuständigen Poststelle nachzufragen,
warum eine Bekanntgabe des Bescheides –trotz zutreffender Adressangabe- nicht möglich
war. Dies hätte möglicherweise ergeben, dass die Antragstellerin unter der angegebenen
Anschrift zwar noch gemeldet, aber tatsächlich nicht mehr postalisch erreichbar gewesen
war.
Solange diese Umstände aber unaufgeklärt waren, durfte die Antragsgegnerin nicht zum
Mittel der öffentlichen Zustellung greifen, um die Bekanntgabe des Bescheides vom 23. Mai
2006 zu bewirken. Demzufolge ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass eine
wirksame Bekanntgabe nicht erfolgt ist. Infolgedessen war der Bescheid von der
Vollziehung auszusetzen.
3.
Die Entscheidung ergeht unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 Satz 1 FGO). Zur Zulassung der
Beschwerde in entsprechender Anwendung von § 115 Abs. 2 FGO sah der Senat keine
Veranlassung. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft.