Urteil des FG Saarland vom 14.02.2007

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FG Saarbrücken Urteil vom 14.2.2007, 1 K 1350/03
Aufwendungen für einen Motorschaden als außergewöhnliche Belastung
Leitsätze
Wird der Motor eines gemieteten KFZ dadurch zerstört, dass der Fahrer versehentlich vom
fünften in den zweiten Gang herunterschaltet, so kann hierin eine außergewöhnliche
Belastung liegen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die beim Beklagten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt
werden. Der Kläger, der bei X beschäftigt ist, erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
und "kennt sich mit Autos gut aus" (Bl. 25).
Im Oktober des Jahres 2000 hatte der Kläger anlässlich des Umzuges seines Sohnes einen
LKW (Mercedes, 7,5-Tonner) gemietet. An diesem Fahrzeug hat er durch einen
Bedienungsfehler ("Verschalten") einen Motorschaden verursacht. Der hierdurch
entstandene Schaden war als Bedienungsfehler nicht durch die Vollkaskoversicherung
gedeckt (Bl. 2, 25). Nach dem Gutachten vom 18. Oktober 2000 "muss ein Fahrfehler die
Schäden verursacht haben" (Bl. 16 ff.; Rbh Bl. 36). Der Motor musste ausgetauscht
werden. Insgesamt hat der Kläger im Jahre 2001 19.300 DM Schadensersatz an die
Mietwagenfirma geleistet (Bl. 2).
In der Einkommensteuererklärung 2001 machte der Kläger diesen Betrag als
außergewöhnliche Belastung geltend (Bl. 8 ff. Rbh). Bei der Durchführung der Veranlagung
ließ der Beklagte insofern keine Einkommensminderung zu und erließ am 27. November
2002 einen dementsprechenden Einkommensteuerbescheid, den er im
Einspruchsverfahren aus anderen Gründen am 20. Mai 2003 änderte. Mit
Einspruchsentscheidung vom 23. September 2003 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück.
Am 27. Oktober 2003 erhoben die Kläger Klage. Sie beantragen, unter Änderung des
Bescheides vom 20. Mai 2003 in Form der Einspruchsentscheidung vom 23. September
2003 die Einkommensteuer 2001 unter Berücksichtigung einer außergewöhnlichen
Belastung i.H.v. 19.300 DM festzusetzen.
Das Geschehen sei von der Sache und der Höhe des Schadens her gesehen ein
außergewöhnliches Ereignis, das zur Anwendung des § 33 EStG führe. Es liege kein
typischer Unfall vor. Die Zwangsläufigkeit sei zu bejahen. Alle Versicherungsmöglichkeiten
seien genutzt worden. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Klägers liege nicht vor (Bl. Bl.
2, 44 f., 55 f). Der Schaden sei dadurch entstanden, dass der Kläger versehentlich vom
fünften in den zweiten Gang heruntergeschaltet habe.
Der Beklagte beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Aufwendungen seien nicht zwangsläufig gewesen, da der Kläger die entscheidende
Ursache hierfür selbst gesetzt habe (Bl. 37 f.). Er habe nicht glaubhaft gemacht, dass er
den Schaden nicht selbst verschuldet habe. Sein Verschulden sei vielmehr unbestritten (Bl.
52 f.).
Durch Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2006 hat der Senat die Klage als unbegründet
abgewiesen. Am 4. Dezember 2006 haben die Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung
gestellt (Bl. 72).
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen
Akten des Beklagten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch begründet. Der Beklagte
hat zu Unrecht die streitigen Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung i.S.d. §
33 EStG anerkannt.
1. Rechtliche Grundlagen
Eine außergewöhnliche Belastung liegt vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig
größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands
erwachsen. "Zwangsläufig" sind Aufwendungen, wenn sich der Steuerpflichtigen ihnen aus
rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die
Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag
nicht übersteigen (§ 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit von
Aufwendungen nicht auf die Zwangsläufigkeit der Zahlungsverpflichtung selbst abzustellen,
sondern darauf, ob das Ereignis, durch das diese Verpflichtung veranlasst worden ist, für
den Steuerpflichtigen zwangsläufig war (z.B. BFH vom 23. Mai 2001 III R 33/99, BFH/NV
2001, 1391 m.w.N.). Daher ist im Grundsatz die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen zu
verneinen, denen sich der Steuerpflichtige durch ein entsprechendes Verhalten hätte
entziehen können. Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass in jedem Fall, in dem ein
schadensstiftendes Verhalten als vermeidbar zu beurteilen ist, den
Schadensersatzzahlungen das Merkmal der Zwangsläufigkeit fehlt. Aufwendungen zur
Schadensbeseitigung können vielmehr eine außergewöhnliche Belastung darstellen, wenn
das schadenbegründende Ereignis durch eine kurze, auch bei gewissenhaften Menschen
vorkommende Unachtsamkeit herbeigeführt wurde (BFH vom 5.Juli 1963 VI 272/61 S,
BStBl. III 1963, 499 ). Dagegen ist bei vorsätzlichem oder leichtfertigem Verhalten die
Zwangsläufigkeit der Aufwendungen zu verneinen (BFH vom 3. Juni 1982 VI R 41/79,
BStBl. II 1982, 749). Diese Grundsätze gelten nicht nur für Unfälle im Straßenverkehr,
sondern für alle zu Schadensersatzzahlungen führenden Ereignisse.
2. Anwendung auf den Entscheidungsfall
Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze kommt der Senat aufgrund der detaillierten
Schilderung der Vorgänge durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu der
Überzeugung, dass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 EStG vorliegen.
Dem Kläger ist zunächst darin zuzustimmen, dass es sich bei dem Vorgang um ein
außergewöhnliches Ereignis handelt, das bei der überwiegenden Mehrzahl der
Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und
gleichen Familienstands nicht vorkommt. Denn auch den Mitgliedern des Senats ist bisher
kein Fall bekannt geworden, in dem der Motor eines KFZ aufgrund eines bloßen
Bedienungsfehlers (Verschalten) völlig zerstört worden ist.
Der Kläger hat die Vorgänge am Schadenstag in der mündlichen Verhandlung eingehend
und für den Senat nachvollziehbar geschildert. Er habe wegen des Unwohlseins seines
Sohnes das ihm unbekannte Fahrzeug lenken müssen. Die Gänge des Fahrzeugs hätten
dicht beieinander gelegen. Versehentlich habe er deshalb bei der Ausfahrt von einer
Autobahn vom fünften in den zweiten Gang heruntergeschaltet, so dass der Motor
kurzfristig mit einer überhöhten Drehzahl gefahren sei. Dies habe ausgereicht, um den
Motor zu zerstören. Der Senat ist der Auffassung, dass es sich hierbei um einen
Schadenseintritt handelt, wie er jedem anderen Fahrer auch hätte passieren können und
deshalb allenfalls von einer leichteren Fahrlässigkeit auszugehen ist.
3. Der Klage war demnach stattzugeben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten gemäß § 135 Abs 1 FGO auferlegt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.
10, 711 ZPO. Die Verpflichtung des Beklagten zur Neuberechnung der Steuer beruht auf §
100 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO.
Zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO bestand keine Veranlassung.