Urteil des FG Saarland vom 04.03.2008

FG Saarbrücken: wohnfläche, grundstück, einheit, bvo, einfamilienhaus, gestaltung, ertragswert, zugang, wohnraum, einspruch

FG Saarbrücken Urteil vom 4.3.2008, 2 K 2146/04
Anwendung des Sachwertverfahrens bei Überschreiten der Wohnfläche von 220 qm -
Steuerberatungsbüro im Einfamilienhaus als Geschäftsraum
Leitsätze
Ein Einfamilienhaus, dessen Wohnfläche die Grenzgröße von 220 qm überschreitet, weist
eine besondere Gestaltung i.S. des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG auf und ist deshalb im
Sachwertverfahren zu bewerten. Die Wohnflächenberechnung erfolgt in Anlehnung an die II.
BVO. Nach § 42 Abs. 4 Nr. 4 II. BV gehören Geschäftsräume nicht zur Wohnfläche.
Geschäftsräume können auch Räume mit einer indifferenten baulichen Anlage sein, die in
gleicher Weise für Wohnraum oder zu Geschäftszwecken genutzt werden können. Solche
Räume sind jedoch nur dann Geschäftsräume im Sinne des § 42 Abs. 4 Nr. 4 II. BVO, wenn
sie tatsächlich zu geschäftlichen oder gewerblichen Zwecken benutzt werden und vom
Wohnbereich in ausreichender Weise getrennt sind. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie in
räumlicher, wirtschaftlicher und funktioneller Beziehung so von den Wohnräumen getrennt
sind, dass sie nicht mit diesen als Einheit angesehen werden können. Dazu ist erforderlich,
dass die Geschäftsräume keine Verbindung zu den Wohnräumen haben und einen
selbständigen Zugang besitzen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute. Sie streiten mit dem Beklagten um die zutreffende
Bewertungsmethode (Ertragswert- oder Sachwertverfahren) für das von ihnen mit
notariellem Vertrag vom 13. Juni 1996 zum Preis von 935.000 DM erworbene Grundstück
in V
Für das vorerwähnte Grundstück war vom Beklagten im Sachwertverfahren ein
Einheitswert von 338.000 DM festgestellt worden (Bescheid vom 24. Juni 1987, BewA, Bl.
64). Begründet wurde dies u.a. mit der Feststellung, dass die Wohnfläche des auf dem
Grundstück errichteten Einfamilienhauses mehr als 220 qm betrage (BewA, Bl. 45, 91).
Am 10. März 1997 stellten die Kläger wegen bestehender Baumängel einen Antrag auf
Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1997 (BewA, Bl. 90). Hierauf ermäßigte der Beklagte
mit Bescheid vom 3. Juni 1997 den Einheitswert auf 309.900 DM (BewA, Bl. 94).
Am 10. Oktober 2002 beantragten die Kläger die Nachfeststellung auf den 1. Januar 2003
wegen der Abtrennung und Veräußerung einer Teilfläche (BewA, Bl. 98). Gleichzeitig
stellten sie den Antrag auf Wertfortschreibung (Anwendung des Ertragswert- statt des
Sachwertverfahrens). Sie gaben an, das Haus werde zu 20 % zu freiberuflichen Zwecken -
der Kläger betreibt in dem Gebäude auf einer Fläche von rd. 50 qm eine
Steuerberaterpraxis- genutzt (Gebäudeplan, BewA, Bl. 101).
Mit Bescheid vom 25. Juni 2003 (BewA, Bl. 105) lehnte der Beklagte insbesondere unter
Hinweis auf die Wohnfläche von mehr als 220 qm die Bewertung des Grundstücks im
Ertragswertverfahren ab. Die für den Betrieb der Steuerberatungspraxis genutzte Fläche
sei in die anrechenbare Wohnfläche mit einzubeziehen. Wegen Veränderung in der
Grundstücksfläche erging am selben Tag ein geänderter Einheitswertbescheid, der
hinsichtlich der Anwendung des Sachwertverfahrens keine Abweichung aufwies.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 29. Juli 2003 Einspruch ein (BewA).
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 2004 wurde der Einspruch insoweit als
unbegründet zurückgewiesen, als die Kläger die Anwendung des Ertragswertverfahrens
beansprucht hatten (Bl. 8).
Am 30. April 2004 erhoben die Kläger Klage (Bl. 1).
Sie beantragen (sinngemäß, Bl. 1), den Einheitswertbescheid vom 25. Juni 2003
(Wertfortschreibung auf den 1. Januar 2003) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.
März 2004 dahingehend zu ändern, dass für das Grundstück in V statt des Sach- das
Ertragswertverfahren zur Anwendung kommt.
Die Kläger machen geltend (Bl. 19), das streitige Grundstück sei nicht besonders gestaltet.
In die Wohnflächenberechnung seien die Räume nicht mit einzubeziehen, die vom Kläger für
freiberufliche Zwecke genutzt werden. Da die hierfür genutzte Fläche unstreitig 24 qm
ausmache, ergäbe sich insgesamt eine anrechenbare Fläche von noch 212 qm,
demzufolge also eine Fläche, der unter dem entscheidenden Wert von 220 qm liege.
Entscheidend sei die tatsächliche Nutzung und nicht die mögliche (zu Wohnzwecken). § 42
Abs. 4 Nr. 4 der II. Berechnungsverordnung (II. BV) regele ausdrücklich die
Nichteinbeziehung von Geschäftsräumen.
Der Beklagte beantragt (Bl. 11), die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass eine Wertfortschreibung allein nach § 22 BewG erreicht
werden könne. Dies setze entweder eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse voraus
oder aber eine fehlerhafte Bewertung, die es zu korrigieren gelte. Beides sei nicht der Fall.
Die Einbeziehung der unstreitig zum Zwecke der Steuerberatungspraxis genutzten Räume
mit insgesamt 24 qm sei bereits Gegenstand der Wertfortschreibung auf den 1. Januar
1997 gewesen. Insoweit sei keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten.
Auch läge kein korrekturbedürftiger Fehler vor, da die freiberuflich genutzten Flächenanteile
in die Berechnung der Wohnfläche eingehen müssten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen
Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Für das Grundstück der Kläger in V hat der
Beklagte zu Recht das Sach- und nicht das Ertragswertverfahren zur Anwendung gebracht.
1. Rechtsgrundlagen
Nach § 22 Abs. 1, 3 BewG findet eine Wertfortschreibung auch zur Beseitigung eines
Fehlers der letzten Feststellung statt. Eine Fortschreibung ist vorzunehmen (§ 22 Abs. 4
BewG), wenn dem Finanzamt bekannt wird, dass die Voraussetzungen für sie vorliegen.
Der Fortschreibung werden vorbehaltlich des § 27 BewG die Verhältnisse im
Fortschreibungszeitpunkt zugrunde gelegt. Fortschreibungszeitpunkt ist
1. bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beginn des Kalenderjahrs, das auf
die Änderung folgt;
2. in den Fällen des Absatzes 3 der Beginn des Kalenderjahrs, in dem der Fehler dem
Finanzamt bekannt wird, bei einer Erhöhung des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn
des Kalenderjahrs, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird.
Ein Fehler wäre anzunehmen, wenn das Finanzamt statt des Ertragswertverfahrens
unzutreffender Weise das Sachwertverfahren zur Anwendung gebracht hätte.
Nach der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BFH weist ein Einfamilienhaus, dessen
Wohnfläche die Grenzgröße von 220 qm überschreitet, eine besondere Gestaltung i.S. des
§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG auf und ist deshalb im Sachwertverfahren zu bewerten (zuletzt
BFH vom 23. August 2007 II B 71/06, BFH/NV 2007, 2247 m.w.N. zur ständigen
Rechtsprechung). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt darin
nicht (BVerfG vom 16. Juli 2004 1 BvR 1139/04).
Die Wohnflächenberechnung erfolgt in Anlehnung an die II. BVO (BFH vom 12. Februar
1986 II R 192/78, BStBl II 1986, 320). Nach § 42 Abs. 4 Nr. 4 II. BV gehören
Geschäftsräume nicht zur Wohnfläche. Geschäftsräume im Sinne dieser Vorschrift sind
grundsätzlich nur solche Räume, die nach ihrer baulichen Anlage und Ausstattung auf die
Dauer anderen als Wohnzwecken, insbesondere gewerblichen oder beruflichen Zwecken zu
dienen bestimmt sind und solchen Zwecken dienen. Allerdings können Geschäftsräume
auch Räume mit einer indifferenten baulichen Anlage sein, die in gleicher Weise für
Wohnraum oder zu Geschäftszwecken genutzt werden können. Solche Räume sind jedoch
nur dann Geschäftsräume im Sinne des § 42 Abs. 4 Nr. 4 II. BVO, wenn sie tatsächlich zu
geschäftlichen oder gewerblichen Zwecken benutzt werden und vom Wohnbereich in
ausreichender Weise getrennt sind. Dies ist der Fall, wenn sie in räumlicher, wirtschaftlicher
und funktioneller Beziehung so von den Wohnräumen getrennt sind, dass sie nicht mit
diesen als Einheit angesehen werden können (FG Köln vom 18. August 1992 4 K 3856/89,
EFG 1993, 504). Dazu ist erforderlich, dass die Geschäftsräume keine Verbindung zu den
Wohnräumen haben und einen selbständigen Zugang besitzen (Pergande / Heix in Fischer-
Dieskau / Pergande / Schwender, Wohnungsbaurecht, II. BV, § 42 Anm. 11 m.w.N.).
Allein eine solche Betrachtung erfüllt nach Meinung des Senats die Grundsätze des
Bewertungsrechts, wonach ein nicht abgetrennter Teil einer wirtschaftlichen Einheit eben
keiner besonderen Bewertung bzw. Betrachtungsabweichung zugänglich ist.
2. Anwendung im Streitfall
Im Streitfall kommt eine Korrektur (Wertfortschreibung) jedenfalls deswegen nicht in
Betracht, weil der streitige Bescheid keinen korrekturfähigen Fehler ausweist. Die
Bewertung des Grundstücks der Kläger im Sachwertverfahren ist rechtmäßig, da der
Beklagte zu Recht die freiberuflich genutzten Flächen des Hauses in die
Wohnflächenberechnung einbezogen und damit zu einer Wohnfläche von mehr als 220 qm
gelangt ist, die alleine bereits die Anwendung des Sachwertverfahrens rechtfertigt.
Im Streitfall fehlt es –ungeachtet der speziellen Nutzung zum Zwecke einer freiberuflichen
Tätigkeit- an der wirtschaftlichen und funktionellen Selbständigkeit der als Geschäftsraum
geltend gemachten Flächen im Verhältnis zu den Wohnräumen. Die streitigen
Räumlichkeiten („Bauernzimmer“, „Arbeitszimmer“) können allein deshalb benutzt werden,
weil sie die Verkehrsflächen („Garderobe“, „Diele“) gemeinsam mit den unstreitig zu
Wohnzwecken genutzten sonstigen Räumlichkeiten haben (Bl. 103). Das „Arbeitszimmer“
kann sogar nur dann erreicht werden, wenn das Wohnzimmer der Kläger durchquert wird.
Umgekehrt sind auch das im Eingangsbereich gelegene WC sowie die Garderobe ohne
Weiteres sowohl für Arbeitnehmer und Mandanten der Steuerberatungskanzlei wie auch
für die sonstigen Bewohner und Gäste des Hauses erreich- und nutzbar.
Ein gedachter Erwerber des Hauses könnte ohne jedweden Umbau die Räume des Hauses
insgesamt für Wohnzwecke nutzen. Das äußere Erscheinungsbild des Hauses ist -schon
vom Umfang der freiberuflich genutzten Räume her- keinesfalls unterschiedlich (hier
Steuerberatungspraxis, dort Wohnräume) geprägt, sondern stellt sich im Sinne einer
Einheit dar (dazu auch BFH vom 9. November 1988 II R 61/87, BStBl II 1989, 135).
Dies alles rechtfertigt die Einbeziehung der streitigen Büroflächen in die Wohnfläche des
Hauses, mit der Folge, dass gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG eine Bewertung nach dem
Sachwertverfahren zu erfolgen hat.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, da er der hier
streiterheblichen Frage, unter welchen Umständen freiberuflich genutzte Flächen in die
Wohnflächenberechnung einzubeziehen sind, grundsätzliche Bedeutung beimisst.