Urteil des FG Saarland vom 30.10.2008

FG Saarbrücken: berufsausbildung, abschlussprüfung, verwaltung, berufsschule, eltern, begriff, berufsbildungsgesetz, beendigung, vollstreckbarkeit, insolvenz

FG Saarbrücken Urteil vom 30.10.2008, 2 K 1217/08
Kindergeld bei Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung durch bloßes Selbststudium
Leitsätze
Nach der Verwaltungsanweisung (DA-Fam EStG 63.3.2.6. Abs. 5) ist ein Auszubildender,
der die Abschlussprüfung nicht besteht, weiter als Kind in Ausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2a EStG) zu berücksichtigen, wenn sich das Ausbildungsverhältnis auf sein Verlangen
hin bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlängert, das Kind zur Prüfung
weiterhin zugelassen wird und es seine Berufsausbildung nicht durch die Aufnahme einer
Vollzeiterwerbstätigkeit unterbricht. Diese Auffassung ist zu eng. Auch ein Selbststudium
kann zumindest dann, wenn es dazu führt, dass die (wiederholungs-) Prüfung bestanden
wird, die an eine Ausbildung zu stellenden Anforderungen erfüllen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter der am 5. März 1986 geborenen Tochter J. Sie streitet mit der
Beklagten um die Berechtigung zum Erhalt von Kindergeld für den Zeitraum August 2007
bis Januar 2008.
J absolvierte ab 2. August 2004 eine Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation
(KiG, Bl. 14). Der Ausbildungsbetrieb stellte im Mai 2007 seine Tätigkeit als Folge der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein (KiG, Bl. 30). Nachdem J im Juni 2007 die
Abschlussprüfung nicht bestanden hatte (KiG, Bl. 30), erließ die Beklagte am 19. Februar
2008 einen Bescheid, in dem sie die Festsetzung des Kindergeldes ab Juli 2007 aufhob
(KiG, Bl. 38).
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein (KiG, Bl. 44), den die Beklagte mit
Einspruchsentscheidung vom 15. April 2008 (Bl. 8) als unbegründet zurückwies.
Am 19. Mai 2008 erhob die Klägerin Klage (Bl. 1). Nachdem zwischenzeitlich die Beklagte
mit Bescheid vom 10. Juli 2008 für den Zeitraum Juni/Juli 2007 Kindergeld bewilligt hat (Bl.
42), beantragt die Klägerin sinngemäß (Bl. 2), die Beklagte unter Aufhebung des
Bescheides vom 10. Juli 2008 zu verpflichten, für J Kindergeld für den Zeitraum August
2007 bis Januar 2008 zu gewähren.
Die Klägerin macht geltend, J habe im Januar 2008 die (Wiederholungs-) Prüfung absolviert
und auch bestanden. Ab August 2007 habe sie zweimal wöchentlich die Berufsschule
besucht und sich durch Nachhilfe und im Eigenstudium entsprechend auf die Prüfung
vorbereitet. Auch ohne entsprechenden Schulbesuch müsse in der Phase zwischen
Nichtbestehen der ersten Prüfung und Absolvierung der Wiederholungsprüfung Kindergeld
gezahlt werden.
Die Beklagte beantragt sinngemäß (Bl. 52), die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass nicht nachgewiesen sei, dass J regelmäßig die Berufsschule
besucht habe. Dies jedoch sei nach internen Anweisungen der Beklagten grundsätzlich
erforderlich, um weiterhin Kindergeld zu erhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene
Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Klägerin hat für den Streitzeitraum von
August 2007 bis einschließlich Januar 2008 einen Anspruch auf Kindergeld für ihre sich in
dieser Zeit noch in Ausbildung befindliche Tochter J.
1.
das sich in Berufsausbildung befindet.
In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber
ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen,
bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt,
die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die
Ausbildungsmaßnahme muss nicht in einer Ausbildungs- oder Studienordnung
vorgeschrieben sein. Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist auch dann gemindert,
wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden
und von ihren Eltern unterhalten werden (vgl. dazu BFH vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BStBl
II 1999, 701; VI R 34/98, BStBl II 1999, 705; VI R 50/98, BStBl II 1999, 706; VI R 92/98,
BStBl II 1999, 708; VI R 143/98, BStBl II 1999, 710, und VI R 16/99, BStBl II 1999, 713).
Die Berufsausbildung endet regelmäßig mit dem Erreichen des Ausbildungsziels, d.h. mit
Bekanntgabe des Ergebnisses der für den Abschluss der jeweiligen Berufsausbildung
vorgesehenen Prüfung (vgl. DA-Fam EStG 63.3.2.6. Abs. 4), es sei denn, das Kinder hätte
bereits vorher eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen (BFH vom 24. Mai 2000 VI R
143/99, BStBl II 2000, 473).
Wird eine solche Abschlussprüfung nicht bestanden, so kann sich die Berufsausbildung um
die Zeit bis zu der nach der betreffenden Ausbildungsordnung vorgesehenen
Wiederholungsprüfung, das heißt bis zum endgültigen Bestehen oder Nichtbestehen der
letztmöglichen Wiederholungsprüfung, verlängern. § 21 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz (BBiG)
bestimmt hierzu, dass sich im Falle des Nichtbestehens einer Abschlussprüfung das
Berufsausbildungsverhältnis bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um
ein Jahr verlängert (vgl. hierzu auch FG Baden-Württemberg vom 22. April 1999, 6 K
137/98, juris).
Nach dem Wortlaut der Verwaltungsanweisungen (DA-Fam EStG 63.3.2.6. Abs. 5) ist ein
Auszubildender, der die Abschlussprüfung nicht besteht, weiter als Kind in Ausbildung zu
berücksichtigten, wenn sich das Ausbildungsverhältnis auf sein Verlangen hin bis zur
nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlängert (so wie es nach § 21 Abs. 3
Berufsbildungsgesetz möglich ist), das Kind zur Prüfung weiterhin zugelassen wird und es
seine Berufsausbildung nicht durch die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit unterbricht.
Bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses etwa durch Insolvenz des
Ausbildungsbetriebes -ohne Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses in o.a. Sinne- sieht
die Verwaltung nach Abs. 7 ihrer oben zitierten Anweisungen die Berufsausbildung dann als
fortbestehend an, wenn die zuständigen Kammern das Kind auch ohne Nachweis eines
Anschluss-Ausbildungsverhältnisses zur Prüfung bzw. zur Wiederholungsprüfung zulassen.
Ansonsten verlangt die Verwaltung, dass das Kind bis zur Prüfung die Berufsschule besucht
(vgl. dazu auch Hessisches Finanzgericht vom 23. Februar 2006, 2 K 644/03,
DStRE 2006, 1452; FG Düsseldorf vom 10. Juli 2007, 10 K 4278/06 Kg, EFG 2007,
1529).
Der Senat kann der Auffassung der Verwaltung, wonach eine „ausbildungsverhältnisfreie
Ausbildung“ den Besuch der Berufsschule voraussetzt und damit ein bloßes Selbststudium
generell nicht genügen lässt, nicht folgen. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, die
Vorbereitung auf eine Wiederholungsprüfung im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses
anders zu behandeln als die Vorbereitung auf eine solche Prüfung ohne Fortbestehen des
Ausbildungsverhältnisses. Eine solche einschränkende, rein formalistische Sicht trägt dem
weiten Begriff der „Ausbildung“ nicht Rechnung. Überdies berücksichtigt diese Sichtweise
nicht, dass auch ohne die Fortführung des Ausbildungsverhältnisses die generell den
Abschluss der Ausbildung bildende Prüfung möglich ist. Hinzu kommt, dass die enge Sicht
der Verwaltung der ansonsten gesellschaftlich geäußerten Forderung nach Förderung der
Ausbildung zuwiderläuft. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Ausbildung schließlich mit
dem gewünschten Erfolg, nämlich einem entsprechenden Abschluss, endet.
Demzufolge besteht kein Grund, steuerlich den Begriff „Ausbildung“ in Abweichung von der
berufsrechtlichen und gesellschaftlichen Sichtweise auszulegen.
2.
Rechtslage- erst mit dem Bestehenden der Wiederholungsprüfung und nicht schon mit
dem Nichtbestehen der Erstprüfung ihre Ausbildung beendet.
Der Klage war danach antragsgemäß stattzugeben.
3.
Abs. 1 FGO).
Der Urteilsausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 155 Abs. 3 FGO i.V. mit
§§ 707 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Die Rechtssache besitzt
grundsätzliche Bedeutung, dies nicht zuletzt im Hinblick auf das beim BFH unter III R 70/07
anhängige Revisionsverfahren