Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 26.11.2008

FG Neustadt: veranlagung, einkünfte, abgabe, steuerfestsetzung, festsetzungsverjährung, zustellung, wahlrecht, erfüllung, einspruch, verjährungsfrist

FG
Neustadt
26.11.2008
2 K 2118/08
Verspätete Wahl der getrennten Veranlagung
Im Namen des Volkes
Urteil
2 K 2118/08
In dem Finanzrechtsstreit
1. des Herrn,
2. der Frau
- Kläger -
Proz.-Bev.:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenEinkommensteuer 2000, 2001 und 2002
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 2. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. November
2008 durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht Anträge auf getrennte Veranlagungen für die Jahre 2000, 2001 und
2002 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt hat.
Der 1928 geborene Kläger war in den hier streitbefangenen Jahren mit der am 10. November 2004
verstorbenen, 1921 geborenen K. G. verheiratet. Die 1954 geborene gemeinsame Tochter - Klägerin zu 2.
- ist gemeinsam mit ihrem Vater (Kläger zu 1.) Erbin.
Mit beim beklagten Finanzamt am 08. Januar 2007 eingegangenem Schreiben beantragten die Kläger,
die vorgenannten Eheleute Ginder für die Jahre 2000, 2001 und 2002 erstmalig zur Einkommensteuer zu
veranlagen, und zwar zwecks Anrechnung einbehaltener Zinsabschlagsteuer und Solidaritätszuschlag.
Die entsprechenden Steuererklärungen, in denen das Wahlrecht nach § 26 Abs. 1 S. 1 EStG nicht
ausgeübt worden war, wurden dem Finanzamt am 25. Juli 2007 vorgelegt. Hieraus ergibt sich, dass der
Kläger und seine Ehefrau in den hier maßgeblichen Jahren aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit
1986 bzw. 1991 jährliche Leibrenteneinkünfte zwischen 5.750,00 DM (2000) und 3.035,00 € (2002) sowie
jährliche Einkünfte aus Kapitalvermögen zwischen 3.961,00 DM (2000) und 1.757,00 € (2002), erzielt
hatten; sie blieben damit jährlich unter dem Grundfreibetrag (§ 32 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG) auch für
Alleinstehende (13.499,00 DM im Jahr 2000 bzw. 7.235,00 € im Jahr 2002).
Mit beim Finanzamt am 1. Dezember 2007 eingegangenem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten
vom 17. Dezember 2007 übersandten die Kläger erneut inhaltsgleiche Einkommensteuererklärungen für
die Streitjahre, allerdings unter Beantragung der getrennten Veranlagung für alle Jahre (Bl. 84 - 114, im
Folgenden jeweils: ESt-Akte).
Unter Hinweis auf Eintritt der Festsetzungsverjährung für alle Jahre lehnte das Finanzamt mit Bescheiden
vom 21. Februar 2008 die Zusammenveranlagung (Bl. 77 ff.) und vom 22. Februar 2008 die zuletzt
beantragte getrennte Veranlagung der Eheleute ab (Bl. 120 ff.). Die Eheleute seien mangels einer
entsprechenden finanzamtlichen Aufforderung sowie mangels entsprechender Höhe des Gesamtbetrags
der Einkünfte nicht zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen verpflichtet gewesen (Hinweis auf § 56
EStDV). Daher sei die 4-jährige Verjährungsfrist für das jüngste Jahr 2002 bereits mit Ablauf des 31.
Dezember 2006 und für die vorangegangenen Jahre jeweils ein Jahr zuvor abgelaufen.
Mit ihrem gegen die Ablehnungsbescheide vom 22. Februar 2008 eingelegten Einspruch machten die
Kläger geltend, dass Eheleute bei getrennter Veranlagung nicht von der den § 25 Abs. 3 EStG
einschränkenden Regelung des § 56 EStDV zur Abgabe von Steuererklärungen betroffen seien; es gelte
vielmehr vorbehaltlich des hier nicht einschlägigen § 46 EStG die allgemeine Steuererklärungspflicht
gem. § 25 Abs. 3 S.1 EStG, und zwar unabhängig von der Einkunftshöhe (Hinweis auf Schmidt/Seeger
EStG, § 25 Tz. 5 letzter Satz). Bei Ausübung des Wahlrechts auf getrennte Veranlagung folge die
uneingeschränkte Erklärungspflicht beider Ehegatten aus § 25 Abs. 3 S. 3 EStG.
Mit Entscheidung vom 18. Juli 2008 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 140).
Es vertrat unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 21. Juni 2006 – VI R 80/04 (BStBl. II 2007, 11) die
Meinung, dass die Prüfung des § 56 EStDV der Frage des Veranlagungswahlrechts von Eheleuten
vorgehe. Da die dort aufgezeigten Grenzen bei den Eheleuten weder im Fall der Zusammenveranlagung
noch bei einer Einzelveranlagung überschritten seien, habe keine gesetzliche Steuererklärungspflicht
bestanden. Eine Aufforderung durch das Finanzamt sei gleichfalls nicht erfolgt. Somit sei bereits vor
Antragstellung auf Steuerfestsetzung Verjährung eingetreten; die von den Klägern genannte Vorschrift
des § 171 Abs. 3 AO greife nicht.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Steuerfestsetzung (auf jeweils 0,00 DM
bzw. Euro) unter Hinweis u.a. auf R 172 EStR 2000 bzw. R 25 EStR 2007 weiter. Da die diesbezüglichen
gesetzlichen Einschränkungen (§§ 46 EStG, 56 EStDV) nicht greiften, bleibe es bei der allgemeinen
Steuererklärungspflicht nach § 25 Abs. 3 S. 1 EStG. Werde hiernach die getrennte Veranlagung gewählt,
schreibe das Gesetz klar vor, dass beide Ehegatten zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet seien.
Dies ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 25 EStG, 56 EStDV.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der ablehnenden Verfügungen vom 22. Februar 2008 und der hierzu ergangenen
Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 2008 das Finanzamt zu verpflichten, den Kläger und seine damalige
Ehefrau K. für die Jahre 2000, 2001 und 2002 entsprechend den eingereichten Einkommen-
steuererklärungen unter Anrechnung von Zinsabschlagsteuer und des Solidaritätszuschlags getrennt zur
Einkommensteuer zu veranlagen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält unter Hinweis auf seine Einspruchsentscheidung an seiner Auffassung fest.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der begehrten Durchführung getrennter Veranlagungen steht der Eintritt der Festsetzungsverjährung (§
169 Abs. 1 S. 1 AO) für alle streitbefangenen Jahre entgegen.
Bereits
vor
Januar 2007 (vgl. 171 Abs. 3 AO) war Festsetzungsverjährung eingetreten, und zwar für das jüngste Jahr
2002 mit Ablauf des 31. Dezember 2006, für die älteren Jahre jeweils ein Jahr zuvor (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr.
2 Hs. 1 AO). Die 4-Jahresfrist begann gem. §§ 170 Abs. 1, 38 AO, 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des
entsprechenden Veranlagungszeitraums, für 2002 also mit Ablauf des 31. Dezember 2002, da
Einkommensteuererklärungen nicht einzureichen waren (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alternative 1 AO) und
endete - da auch andere Tatbestände zur Ablaufhemmung (§ 171 AO) nicht vorliegen - jeweils 4 Jahre
später, für 2002 mithin mit Ablauf des 31. Dezember 2006.
Entgegen klägerischer Auffassung bestand im Streitfall auch bei Ausübung der Wahl zur getrennten
Veranlagung keine Verpflichtung zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen. Denn ein Wahlrecht zur
Veranlagungsart (Zusammenveranlagung, getrennte Veranlagung oder besondere Veranlagung) kann
bei unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten i.S.d. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG nur dann bestehen, wenn eine
Veranlagung überhaupt durchzuführen ist bzw. noch durchgeführt werden darf. Scheidet nämlich wegen
zwischenzeitlichem Eintritts der Festsetzungsverjährung eine (erstmalige) Steuerfestsetzung bzw. deren
Aufhebung/Änderung aus, kann ein Wahlrecht nicht mehr bestehen; es ist mit Ablauf der Verjährungsfrist
weggefallen. Vorrangig ist daher die Steuerpflicht bzw. die Steuererklärungspflicht zu prüfen, und zwar
ohne Berücksichtigung
80/04, BStBl. II 2007, 11, m.w.N.).
Eine Steuererklärungspflicht für den Kläger und seine damalige Ehefrau bestand im Streitfall nicht.
Zwar sieht § 25 Abs. 3 S. 1 EStG generell eine Steuererklärungspflicht für unbeschränkt steuerpflichtige
Personen vor, allerdings hat § 51 Abs. 1 Nr. 1 a EStG den Verordnungsgeber berechtigt, Regelungen zu
erlassen u.a. über die
Beschränkung
kommt
Dies ist durch § 56 EStDV geschehen. Dort wird in Anknüpfung an den Grundfreibetrag (§ 32 a Abs. 1 S. 2
Nr. 1 EStG) zuzüglich des Sonderausgaben-Pauschbetrags (§ 10 c Abs. 1 EStG) zwischen zusammen zu
veranlagenden Ehegatten (verdoppelter Grundfreibetrag und verdoppelter Sonderausgaben-
Pauschbetrag; für 2002: 14.542,00 €) und Einzelpersonen (keine diesbezügliche Verdoppelung)
unterschieden sowie jeweils danach, ob (teilweise) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erwirtschaftet
wurden (Vorrang des § 46 EStG mit Abgeltungswirkung gem. § 46 Abs. 4 EStG).
Dies bedeutet letztlich:
Pauschbetrag nicht überschritten und entfällt daher eine Steuerfestsetzung, besteht - unbeschadet des
hier nicht einschlägigen § 46 Abs. 2 EStG - (für Ehegatten) keine Steuererklärungspflicht. In diesem Sinne
ist auch § 56 S. 1 Nr. 2 a EStDV zu verstehen, nämlich dahin, dass bei nicht zusammen veranlagten
Ehegatten (unscharf: „Bei denen im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 des
Gesetzes nicht vorgelegen haben“), die letztlich - mit Ausnahme der außergewöhnlichen Belastungen -
bei der getrennten Veranlagung wie Ledige veranlagt werden, die Erklärungsgrenze mit dem Betrag
identisch ist, der auch bei Alleinstehenden gilt (in diesem Sinne auch: Korn, EStG, § 25 Rd. 11.2.;
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 25 Rd. 29; Blümich, EStG, § 25 Rd. 71 sowie
Bordewin/Brandt, EStG, § 25 Rd. 22, 35, 60). Denn für die Frage der Steuererklärungspflicht als solche
kann es
nicht
veranlagt werden oder ob es sich um Personen handelt, die nicht als Eheleute veranlagt werden.
Entscheidend ist vielmehr, ob bei wenigstens einem der Eheleute wegen der Höhe nur seiner Einkünfte
Einkommensteuer festzusetzen sein könnte. Dies bestimmt sich nach dem Grundfreibetrag, der jedem
Steuerpflichtigen zukommt. Übersteigt aber bei
keinem
den in § 56 EStDV aufgezeigten Grundfreibetrag, scheidet eine Steuererklärungspflicht mangels zu
erfassender Einkünfte aus. Die Verknüpfung zwischen Grundfreibetrag und Steuererklärungspflicht zeigt
sich auch daran, dass bei den jeweiligen Änderungen zur Grundfreibetragshöhe die Beträge in § 56
EStDV entsprechend angepasst wurden (Fundstellen bei Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach EStG, § 25
Anm. 30).
Die Regelungen in § 25 Abs. 3 S. 1 u. 3 EStG zur Erklärungspflicht von Ehegatten sind erst dann
anzuwenden, wenn die Steuererklärungspflicht
zumindest
Zusammenveranlagung wegen § 26 b EStG (die Ehegatten werden wie
ein
also Abgabe einer
gemeinsamen
Veranlagung wegen § 26 a EStG bzw. § 26 c EStG (die Ehegatten werden - mit Einschränkungen - als
zwei
Die diesbezüglichen Regelungen in § 25 Abs. 3 EStG sind also
Folge
Steuererklärungspflicht erst dann ausübbaren und ausgeübten - Ehegattenveranlagungswahlrechts nach
§ 26 Abs. 1 S. 1 EStG. In diesem Sinne sind auch die Ausführungen in R 172 und R 25 EStR 2000 bzw.
2007 sowie bei Schmidt/Seeger, EStG, § 25 Rdnr. 5 zu verstehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei herunter geladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26.November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.