Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 22.02.2011

FG Neustadt: steuererklärung, treu und glauben, wohnung, berufliche tätigkeit, reisekosten, bezirk, revisor, erfüllung, mitwirkungspflicht, zahl

FG
Neustadt
22.02.2011
3 K 2208/08
Änderung wegen neuer Tatsachen
Im Namen des Volkes
Urteil
3 K 2208/08
In dem Finanzrechtsstreit
des Herrn
- Kläger -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenEinkommensteuer 2003 bis 2005
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. Februar
2011 durch
den Präsidenten des Finanzgerichts als Vorsitzenden,
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
die ehrenamtliche Richterin
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 vom
05.07.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 werden aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2003 bis 2005 geändert werden konnten.
Der Kläger erzielt aus nichtselbständiger Arbeit als Bezirksverkaufsleiter (BVL) der P
Warenhandelsgesellschaft mbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In den Streitjahren machte er in
Zeile 4 des Mantelbogens der Steuererklärungen für 2003 und 2005 keine Angaben zum ausgeübten
Beruf. In der Steuererklärung für 2004 gab er zum ausgeübten Beruf „Verkaufsleiter“ an (vgl. jeweils Bl. 1
Einkommensteuerakten – EStA – 2004 bis 2005).
Bei den Werbungskosten beantragte er in den Streitjahren u.a. die Berücksichtigung der
folgenden Aufwendungen:
2003
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte
199 Tage x 20 km x
Entfernungspauschale
1.513 €
Verpflegungsmehraufwendungen
für Dienstreisen
66 Tage über 24 Std. à 24 €
78 Tage über 14 Std. à 12 €
1.584 €
936 €
58 Tage über 8 Std. à 6 €
202 Tage
936 €
348 €
2.868 €
2004
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte
172 Tage x 30 km x
Entfernungspauschale
1.548 €
Verpflegungsmehraufwendungen
für Dienstreisen
59 Tage über 24 Std.à 24 €
82 Tage über 14 Std. à 12 €
64 Tage über 8 Std. à 6 €
205 Tage
1.416 €
984 €
384 €
2.784 €
Er fügte jeweils eine „Anlage Reisekosten“ bei und gab an, die Reiskosten ergäben sich anhand der
Tagesberichte. Die Anlage ist vom Veranlagungsbeamten abgehakt (2003) bzw. mit dem Vermerk
versehen: „Nachweise lagen vor“.
Für 2005 fügte er eine „Anlage zu den Werbungskosten“ bei und vermerkte darauf: „Reiskosten als
Revisor lt. Wochenberichte“:
2005
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte
181 Tage x 30 km x
Entfernungspauschale
1.629 €
Verpflegungsmehraufwendungen
für Dienstreisen
36 Tage über 24 Std. à 24 €
162 Tage über 14 Std. à 12€
24 Tage über 8 Std. à 6 €
222 Tage
864 €
1.944 €
144 €
2.952 €
Die genannte Anlage ist vom Veranlagungsbeamten abgehakt.
In Bezug auf die Erhöhung der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ab 2004 verwies der
Kläger in der Einkommensteuererklärung für 2004 auf ein Schreiben seines Arbeitgebers, welches „An
alle Bezirksverkaufsleiter" gerichtet war. Darin wies der Arbeitgeber darauf hin, dass ab 2004 die
Besteuerung für die Benutzung der Dienstwagen zu ändern sei und die Entfernung auf die erklärten 30
km zu erhöhen sei. In allen Anlagen vermerkte der Kläger, die Spesen seien durch seinen Arbeitgeber voll
versteuert worden. Die Veranlagungen erfolgten zunächst den Erklärung gemäß (Bescheid für 2003 vom
17.06.2004, Bl. 9 EStA 2003; für 2004 vom 22.07.2005, Bl. 11 EStA 2004; für 2005 vom 28.06.2006, Bl. 9
EStA 2005). Dabei ist aus dem Verfügungsteil der Erklärungsformulare ersichtlich, dass die Erklärungen
jeweils am Tage ihres Eingangs vom Veranlagungsbeamten zur maschinellen Verarbeitung freigegeben
wurden.
Das für den Arbeitgeber zuständige Betriebsstättenfinanzamt D führte bei diesem eine Lohnsteuer-
Außenprüfung durch. In einer Kontrollmitteilung vom 13.06.2007 (Bl. 1 EStA – „KM“ -) teilte es daraufhin
dem Beklagten mit, dass der Kläger als BVL einen festen Filialbezirk mit durchschnittlich 5-9 Filialen zu
betreuen habe. Er suche arbeitstäglich immer die gleichen Filialen auf, um die ihm als BVL übertragenen
Aufgaben zu erledigen. Aufgrund dessen lägen die Voraussetzungen für eine Einsatzwechseltätigkeit
nicht vor und die verschiedenen Filialen seien dementsprechend als regelmäßige Arbeitsstätte des
Klägers zu beurteilen, so dass VMA nicht zu berücksichtigen seien. Die Kontrollmitteilung nahm Bezug auf
ein BFH-Urteil vom 07.06.2002, BStBI II, 878.
Daraufhin erließ der Beklagte am 05.07.2007 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderte
Einkommensteuerbescheide für 2003 – 2005 und ließ die VMA nicht mehr zum Abzug zu. Dadurch
wurden die Werbungskosten in 2003 um 2.868,- €, in 2004 um 2.784,- € und in 2005 um 2.952,- € gekürzt
(Bl. 15 EStA 2003, Bl. 17 EStA 2004, Bl. 15 EStA 2005).
Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Einspruchs (Bl. 1, 17 EStA „Einspruchsverfahren“ –EV -)
machte der Kläger geltend:
Die Änderung der Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufgrund neuer Tatsachen sei nicht
zulässig. Das BFH-Urteil, auf welches sich die Änderungen stützten, sei aus dem Jahre 2002 und der
Beklagte habe dieses Urteil bei dem ursprünglichen Erlass der Bescheide für 2003-2005 kennen und
anwenden müssen. Das Nichtkennen und Nichtanwenden dieses Urteils könne nicht zu seinem Nachteil
ausgewertet werden. Er habe seine Steuererklärungen mit den erforderlichen Angaben vollständig und
richtig eingereicht. Jeder Erklärung seien Schreiben seines Arbeitgebers beigefügt gewesen, aus denen
seine Tätigkeit als BVL erkennbar gewesen sei. Aus dieser Bezeichnung sei es dem Finanzamt möglich
gewesen, die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen. Zwar seien auf Grund der bei seinem
Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung bei vielen seiner Kollegen ebenfalls
Änderungsbescheide seitens anderer Finanzämter ergangen. Den Einsprüchen seiner Kollegen sei aber
abgeholfen worden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 (Bl. 50 EV) wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück. Dazu heißt es im Wesentlichen: Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO könnten
Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt würden, die
zu einer höheren Steuer führten. Die Änderung eines Bescheides sei aber ausgeschlossen, wenn dem
Finanzamt die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner
Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Allerdings müsse der Steuerpflichtige seinerseits
seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben.
Danach sei eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zulässig. Der Kläger sei
seiner Steuererklärungs- und Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Aus den Angaben in
den Steuererklärungen bezüglich seiner Berufsbezeichnung sei nicht zu schließen gewesen, welche
Tätigkeit er tatsächlich bei seinem Arbeitgeber ausübe, nämlich die Betreuung eines festen Filialbezirks,
den er arbeitstäglich aufsuchen müsse. Das der Steuererklärung für 2004 beigefügte
Arbeitgeberschreiben lasse keine Rückschlüsse auf den Aufgabenbereich des Klägers zu.
Die Anzahl der Arbeitstage, die bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angegeben seien,
seien geringer als die Tage, an denen der Kläger VMA beantragt habe. Daraus habe das Finanzamt
durchaus schließen können, dass der Kläger neben seinen Fahrten zu seiner Arbeitsstätte noch
Dienstreisen durchgeführt habe und damit im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine umfangreiche
Reisetätigkeit ausübe. Auch der Hinweis des Klägers darauf, dass die Spesen durch seien Arbeitgeber
voll versteuert worden seien, habe keinen Anlass gegeben, die Reisetätigkeit und damit die
Rechtmäßigkeit der VMA anzuzweifeln. Dem Finanzamt sei es demzufolge nicht möglich gewesen, aus
den vom Kläger angegebenen Erläuterungen zu erkennen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als BVL
mehrere regelmäßige Arbeitsstätten habe. Die dafür erforderlichen Angaben lägen alle in der
Informations- und Tätigkeitssphäre des Klägers und diese Angaben habe er nicht hinreichend dargelegt.
Das arbeitstägliche Aufsuchen eines festen Filialbezirks führe dazu, dass die Filialen des Klägers zu
regelmäßigen Arbeitsstätten würden und ein Abzug von VMA nicht mehr möglich sei. Diese Tatsache sei
dem Finanzamt erst nachträglich durch die Kontrollmitteilung bekannt geworden.
Dem Einwand des Klägers, das Finanzamt hätte bei ordnungsgemäßer Ermittlung den Sachverhalt richtig
beurteilen können, könne nicht gefolgt werden. Das Finanzamt habe die beantragten VMA zwar bei der
erstmaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 2003-2005 übernommen. Es habe aber auf die
Richtigkeit der Angaben in der Steuererklärung vertrauen können und es seien keine Umstände
erkennbar gewesen, aus denen sich weitere Ermittlungsmaßnahmen hätten aufdrängen müssen.
Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus:
Die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO lägen
nicht vor. Er habe in seinen Steuererklärungen für die Jahre 2003 bis 2005 vollständige Angaben zu
seiner Tätigkeit gemacht. Er habe bei den Reisekosten nicht lediglich angegeben, an welchen Tagen er
wie lange abwesend gewesen sei. Er habe in einer Aufstellung vielmehr genau angegeben, wann er
welche Filiale besucht habe und wann ihm bei welcher Tätigkeit welche Verpflegungsmehraufwendungen
entstanden seien. Weitere Unterlagen habe der Beklagte nicht sehen wollen, auch seien weitere
Informationen nie erbeten worden. Er reiche seine Steuererklärungen bei dem Beklagten bereits seit dem
Jahr 1994 ein, der also genau über die Tätigkeit als Bezirksverkaufsleiter und darüber informiert sei, dass
er regelmäßig dieselben Filialen – die in seinem Bezirk liegenden Frankfurter Filialen 8, 9, 4, 15, 14 und 2
- aufsuche und dass er daneben auch andere Filialen, die nicht zu seinem Bezirk gehörten, besuche.
Dazu hätte es nicht erst der Kontrollmitteilung des Finanzamts Dresden I bedurft. Der Beklagte habe den
Steuererklärungen alle Informationen entnehmen können, um festzustellen, ob es sich um eine
Reisetätigkeit handelt oder nicht. Auch das Urteil des BFH aus dem Jahr 2002, welches der Beklagte als
Begründung für die Änderungsbescheide heranziehe, sei dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits
bekannt gewesen bzw. hätte ihm bekannt sein müssen.
Er habe seine Mitwirkungspflicht nicht dadurch verletzt, dass er seine Berufsbezeichnung
"Bezirksverkaufsleiter" nicht angegeben habe. Der Beklagte führe selbst aus, dass in der Steuererklärung
2004 angegeben sei, er sei Verkaufsleiter und in der Steuererklärung 2005, dass ihm die VMA durch
seine Tätigkeit als Revisor entstanden seien. Der Beklagte habe gewusst, welchen Beruf bzw. welche
Tätigkeit er ausübe, zumal "Bezirksverkaufsleiter“, „Verkaufsleiter“ und „Revisor" ein und dasselbe sei.
Auch habe sich als Anlage zur Steuererklärung 2004 ein Schreiben seines Arbeitgebers an alle
Bezirksverkaufsleiter befunden. Zwar sei dieses nicht an ihn persönlich gerichtet gewesen. Der Umstand
aber, dass er dieses Schreiben als Anlage zu seiner eigenen Steuererklärung beigefügt habe, zeige, dass
er der Auffassung gewesen sei, dass es auch ihn betroffen habe, er also Bezirksverkaufsleiter sei. Für den
Beklagten hätte dieses Schreiben ein Signal dafür sein müssen, dass die Steuererklärung möglicherweise
nicht eindeutig war und Unklarheiten in Bezug auf seine Tätigkeit bestanden und er zu einem Tun
verpflichtet war.
Der Kläger beantragt,
die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 vom 05.07.2007 und die hierzu ergangene
Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er führt noch aus:
Es sei nicht zutreffend, dass der Kläger in den Streitjahren vollständige Angaben zu seiner konkreten
beruflichen Tätigkeit gemacht und genau angegeben habe, wann er welche Filiale besucht habe und
wann ihm bei welcher Tätigkeit welche Verpflegungsmehraufwendungen entstanden seien. In den
Steuererklärungen 2003 und 2005 habe er wie auch in den Jahren zuvor keine Angabe zu dem
ausgeübten Beruf gemacht. Aus den Steuererklärungen hätten nicht alle Informationen entnommen
werden können, um festzustellen, ob es sich um eine Tätigkeit mit mehreren Arbeitsstätten handelt. Im
Jahr 2004 habe er lediglich „Verkaufsleiter“ eingetragen. Bei den Reisekosten habe er lediglich
angegeben, an welchen Tagen er über 24, 14 und 8 Stunden abwesend gewesen sei.
Auf Grund der Kontrollmitteilung des Betriebsstättenfinanzamts D vom 11.06.2007 sei der Inhalt der
Tätigkeit des Klägers bekannt geworden. Erst dann habe beurteilt werden können, ob das BFH-Urteil aus
2002 Anwendung finde. Dem Beklagten sei durch die Kontrollmitteilung die Tatsache bekannt geworden,
dass der Kläger für die Betreuung eines festen Filialbezirkes mit durchschnittlich 5 - 9 Filialen zuständig
gewesen sei und er diese Filialen in zeitlichem Abstand immer wieder aufgesucht habe und dass er in
diesen Filialen nachhaltig und dauerhaft tätig gewesen sei. Aus der Bezeichnung „Verkaufsleiter“,
„Bezirksverkaufsleiter“ oder „Revisor“ lasse sich nicht ableiten, dass der Kläger einen Filialbezirk mit
durchschnittlich 5 - 9 Filialen betreut habe. Nicht die Verwendung der genannten sei als Tatsache i.S. des
§ 173 AO anzusehen, sondern die konkreten Tätigkeitsmerkmale, aus denen steuerrechtliche
Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Diese den steuergesetzlichen Tatbestand bildenden
Tatsachen seien dem Beklagten erst durch die Kontrollmitteilung bekannt geworden; diese Tatsachen
seien auch neu.
Der Beklagte habe auch seine Ermittlungspflicht nicht in einer die Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 AO ausschließenden Weise verletzt. hat. Eine Verletzung der Ermittlungspflicht könne nicht darin
gesehen werden, dass die Angaben über die Verpflegungsmehraufwendungen ungeprüft übernommen
worden seien bzw. dass nach Vorliegen des Schreibens der Firma P vom 22.04.2004 eine Überprüfung
der Tätigkeit bzw. der steuerrechtlichen Zulässigkeit der Verpflegungsmehraufwendungen hätte erfolgen
müssen. Denn es sei zu berücksichtigen, dass die Steuererklärung des Klägers als Arbeitnehmerfall im
Rahmen eines Masseverfahrens einer eingeschränkten Ermittlungsdichte unterliege. Zwar habe das
Finanzamt bei Erstellen der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide die angesetzten
Verpflegungsmehraufwendungen unbesehen als Werbungskosten übernommen. Darauf lasse sich aber
kein Vorwurf einer mangelhaften Sachverhaltsaufklärung stützen. Denn einerseits habe der
Veranlagungsbeamte auf die Richtigkeit der erklärten Angaben vertrauen können und andererseits seien
keine Umstände erkennbar gewesen, aus denen sich ihm weitere Ermittlungsmaßnahmen hätten
aufdrängen müssen.
Mit Verfügung vom 10.02.2011 (Bl. 126 PA) hat das Gericht den Kläger aufgefordert, die Tages- und
Wochenberichte vorzulegen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Prozessbevollmächtigte des
Klägers hierzu, die Unterlagen hätten in der Kürze der Zeit nicht beschafft werden können.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Einkommensteueränderungsbescheide für 2003 bis 2005 vom 05.07.2007
und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 sind rechtswidrig und verletzen den
Kläger in seinen Rechten, weshalb sie aufzuheben sind
(§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO).
1.
Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit über die Frage, dass es sich bei den dem Kläger als
Bezirksverkaufsleiter der P Warenhandelsgesellschaft mbH in seinem Bezirk zugewiesenen Frankfurter
Filialen Nummern 8, 9, 4, 15, 14 und 2 um regelmäßige Arbeitsstätten handelt und dass es sich bei dem
Aufsuchen dieser Filialen nicht um eine Reisetätigkeit handelt, Verpflegungsmehraufwendungen also
insofern grundsätzlich nicht anzusetzen sind (vgl. BFH-Urteil vom 07.06.2002 VI R 53/01, BStBl II 2002,
878).
2.
Streitig ist aber, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der
Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 vorliegen.
Zu Unrecht hat der Beklagte angenommen, dass die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert
werden konnten.
a)
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder
Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Unter einer Tatsache im Sinne des §
173 AO ist das zu verstehen, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein
kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Als
Beweismittel sind diejenigen Erkenntnismittel anzusehen, die der Aufklärung des steuerrechtlich
erheblichen Sachverhalts dienen, d.h. die geeignet sind, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von
Tatsachen zu beweisen (st. Rspr., z. B. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 – VIII R 121/83, BStBl II 1989,
585 und vom 27. Oktober 1992 – VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569). Demgegenüber sind rechtliche
Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen keine Tatsachen im Sinne
des § 173 Abs. 1 AO. Auch eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere
rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, ist keine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift (st.
Rspr., z. B. BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 – X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144).
b)
Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die
nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht
verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt
haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt
aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der
Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 24.01.2002 XI R 2/01, BStBl II 2004, 444).
c)
Die an die Ermittlungen der Finanzbehörde nach
§ 88 AO
zu stellenden Anforderungen sind nicht
allgemein festzulegen. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht dann, wenn sie
offenkundigen Zweifelsfragen oder Unklarheiten nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt,
deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (vgl.
BFH-Urteile vom 12.07.2001 VII R 68/00
,
BStBl
II 2002, 44
und vom 28.06.2006
XI R 58/05
,
BStBl II 2006, 835
; Beschluss vom 22.08.2007
VIII
B 220/06 –
juris -). Grundsätzlich darf die Finanzbehörde zwar davon ausgehen, dass der steuerliche erhebliche
Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich angegeben worden ist. Sie muss den Angaben des
Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen begegnen. Werden Steuererklärungen abgegeben, so muss sie
aber eventuellen Unklarheiten und Zweifelsfragen nachgehen, die sich aus der Erklärung oder den dazu
eingereichten Unterlagen aufdrängen.
2.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Änderung nach §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor.
Die im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserhebliche Tatsache, dass nämlich der Kläger als
Bezirksverkaufsleiter einen Bezirk von 5 bis 9 Filialen zu betreuen hat – mit der rechtlichen
Schlussfolgerung, dass diese Filialen regelmäßige Arbeitsstellen darstellen - war dem Beklagten im
Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zwar nicht
bekannt, wäre ihm bei ordnungsgemäßer Erfüllung der behördlichen Ermittlungspflicht aber bekannt
geworden.
a)
Bei den Fragen, welche berufliche Tätigkeit der Steuerpflichtige ausübt und ob von ihm im Rahmen dieser
Tätigkeit Aufwendungen für Reisekosten (hier: Verpflegungsmehraufwendungen) entstanden sind,
handelt es sich um die Mitteilung von Tatsachen, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner
Steuererklärung anzugeben hat, während die Subsumtion, also die Prüfung der Frage, ob die rechtlichen
Voraussetzungen für die steuerliche Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen vorliegen,
von der Behörde bei der Veranlagung vorzunehmen ist.
aa)
In seinen Steuererklärungen für 2003 und 2005 hat der Kläger zwar die jeweils in den Zeilen 4 des
Mantelbogens gestellte Frage nach dem ausgeübten Beruf nicht beantwortet und in der Steuererklärung
für 2004 lediglich „Verkaufsleiter“ angegeben. Auch konnte der Veranlagungsbeamte aus der
Bezeichnung „Verkaufsleiter“ nicht ohne weiters schließen, dass der Kläger einen Bezirk, bestehend aus
mehreren Filialen, zu leiten hat. Nichts anderes gilt in Bezug auf die Angabe „Revisor“ in der Anlage zur
Einkommensteuererklärung für 2005.
bb)
Die übrigen Angaben des Klägers in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre hinsichtlich der
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und zu Reisekosten andererseits waren aber
widersprüchlich und boten dem Veranlagungsbeamten hinreichend Anlass, den sich daraus ergebenden
Zweifeln in Bezug auf die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nachzugehen, weitere
Ermittlungen anzustellen und etwa bei dem Kläger nachzufragen.
So hat der der Kläger einerseits auf Seite 2 der Anlage N (unter „Werbungskosten“) zur
Einkommensteuererklärung bei den Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die Zahl der Tage mit
199 (für 2003), 172 (für 2004) und 181 (für 2005) angegeben. Gleichzeitig hat er aber Aufstellungen mit
der Überschrift „Anlage Reisekosten“ eingereicht und darin in Bezug auf
Verpflegungsmehraufwendungen für Dienstreisen die Zahl der Tage angegeben, an denen er über 24,
über 14 bzw. über 8 Stunden von seiner Wohnung entfernt tätig gewesen sein will, nämlich - am Beispiel
des Jahres 2003 – an 66 Tagen über 24 Stunden, an 78 Tagen über 14 Stunden und an 58 Tagen über 8
Stunden. Bei diesen widersprüchlichen Angaben drängten sich Zweifel an dem angegebenen Verhältnis
der Fahrten Wohnung/Arbeitsstätte einerseits zu den Dienstreisen andererseits auf. Dabei stellte sich
insbesondere die Frage, wie eine so hohe Anzahl von Fahrten (199) zwischen Wohnung und
regelmäßiger Arbeitsstätte angefallen sein können, wenn gleichzeitig eine Zahl von Tagen mit
Dienstreisen mit 268 (66 Tage über 24 Stunden = 132 Tage + 78 Tage über 14 Stunden + 58 Tage über 8
Stunden) angeben wird.
b)
Der Beklagte ist den beschriebenen offenkundigen Unklarheiten und Zweifelsfragen nicht nachgegangen
und hat Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt, deren Ergiebigkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen.
Denn der Veranlagungsbeamte hat trotz der offensichtlich in sich nicht stimmigen Angaben allein aus dem
Umstand, dass die Anzahl der Arbeitstage, die bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
angegeben sind, geringer war als die Tage, an denen der Kläger VMA beantragt hatte, den falschen
rechtlichen Schluss gezogen, der Kläger habe neben seinen Fahrten zu seiner Arbeitsstätte noch
Dienstreisen durchgeführt und im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine umfangreiche Reisetätigkeit
ausgeübt. Es hätte sich aber aufgedrängt, dass der Veranlagungsbeamte bei dem Kläger nachfragt und
ihn auffordert, eine schlüssige Erklärung zu seinen widersprüchlichen Angaben abzugeben. Dies aber ist
unterblieben, womit der Beklagte seine Amtsermittlungspflichten verletzt hat.
c)
Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten auf Seiten des Klägers ist demgegenüber nicht zu erkennen. Der
Kläger hat die notwendigen Angaben gemacht und Unterlagen, wie etwa die erwähnten Berichte,
eingereicht. Wenn der Kläger auch im Klageverfahren die vom Gericht angeforderten Unterlagen nicht hat
vorlegen können, ist nach Aktenlage jedenfalls davon auszugehen, dass er dem Veranlagungsbeamten
seinerzeit bei der Abgabe der Steuererklärungen tatsächlich jeweils sämtliche Belege zu den als
Reisekosten geltend gemachten Beträgen vorgelegt hat. Denn die jeweiligen Anlagen sind „abgehakt“
(2003 und 2005) bzw. mit dem Vermerk „Nachweise lagen vor“ (2004) versehen. Weitere Unterlagen oder
Erläuterungen hat der Veranlagungsbeamte nicht angefordert, wie er auch keine Rückfragen gestellt hat.
Er hat die Erklärungen vielmehr jeweils noch am Tage ihres Eingangs zur maschinellen Verarbeitung
freigegeben.
Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide
für 2003 bis 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
4.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf
§§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.