Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 07.01.2011

FG Neustadt: eugh, stillen, mitgliedstaat, niederlassungsfreiheit, sicherheitsleistung, realisierung stiller reserven, beschränkung, sitzverlegung, vollziehung, aussetzung

FG
Neustadt
07.01.2011
1 V 1217/10
Zur Wegzugsbesteuerung in einen anderen EU-Mitgliedstaat
Beschluss
1 V 1217/10
In dem Verfahren
der Firma
- Antragstellerin -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Antragsgegner -
wegenKörperschaftsteuer 2007, Solidaritätszuschlag, gesonderte Feststellung des verbleibenden
Spendenvortrags auf den 31.12.2007
hier: Aussetzung der Vollziehung
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - am 07. Januar 2011 durch
die Vizepräsidentin des Finanzgerichts als Vorsitzende,
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
beschlossen:
I. Die Vollziehung des Bescheids über Körperschaftsteuer für 2007 vom 19. November 2008 wird bis
zum Eintritt von dessen Bestandskraft ausgesetzt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
III. Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig sind die ertragsteuerlichen Folgen einer grenzüberschreitenden Verlegung von Sitz und
Geschäftsleitung einer SE nach Österreich.
Die Antragstellerin ist eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft.
Unternehmensgegenstand im Inland (X) war die Beteiligungsverwaltung (Beteiligung an der ... Holdings
BV) und der Betrieb eines „Family Office“. Mit Datum vom 07. Februar 2007 reichte die Antragstellerin dem
Firmengericht in Y, Österreich die Sitzverlegung innerhalb der EU zur Eintragung im Firmenbuch Y ein, die
Eintragung erfolgte am 08. Februar 2007. Sodann wurde die Eintragung der Antragstellerin im
Handelsregister X gelöscht, am Ort des bisherigen Sitzes und der Geschäftsleitung verblieb nichts zurück.
In der der Körperschaftsteuererklärung für das Rumpf-Wirtschaftsjahr 01.01.-07.02.2007 beigefügten
Steuerbilanz führte die Antragstellerin folgendes aus (Bl. 25 KSt-Akten):
„ ... nach § 12 Abs. 1 KStG soll die Sitzverlegung die Aufdeckung der in den Wirtschaftsgütern befindlichen
stillen Reserven zur Folge haben. Diese Vorschrift verstößt nach Auffassung der Steuerpflichtigen gegen
die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU und ist damit als EU-rechtswidrig anzusehen. Der Vorgang
wurde daher wie folgt in der Steuerbilanz abgebildet:
Die Wirtschaftsgüter wurden in der Steuerbilanz zum 07.02.2007 zu Dokumentationszwecken mit ihren
gemeinen Werten angesetzt. In Höhe des sich daraus ergebenden Ertrags wurde ergebniswirksam ein
steuerlicher Ausgleichsposten gebildet, sodass sich der Vorgang ergebnisneutral darstellt. Es ist
klarzustellen, dass es sich bei der gebildeten Position um keinen Ausgleichsposten i.S. von § 4g EStG
handelt. Ziel der Vorgehensweise ist es, den Vorgang in der Steuererklärung durch Ansatz der gemeinen
Werte transparent darzustellen und den aus Ansatz des gemeinen Wertes resultierenden Betrag zu
dokumentieren, jedoch die Ergebniswirkung aufgrund der EU-Rechtswidrigkeit von § 12 Abs. 1 KStG zu
eliminieren.
Steuerliche Buchwerte zum 07.02.2007:
Beteiligung an der ... Holdings BV 3.151.883.369,17
Pensionsrückstellung 3.164.587,00
Gemeine Werte zum 07.02.2007:
Beteiligung an der ... Holdings BV
4.226.183.741,17
Pensionsrückstellung 9.175.891,05
Ertrag aus der Aufdeckung stiller Reserven 1.068.289.067,95
Aufwand aus der Bildung eines steuerlichen Ausgleichspostens -1.068.289.067,95.“
Der Antragsgegner folgte dieser Sachbehandlung im Bescheid über Körperschaftsteuer für das Streitjahr
2007 vom 19. November 2008 nicht. Nach der dem Bescheid beigefügten Anlage ging er von einem
Anwendungsfall des § 12 Abs. 1 KStG aus. Danach werde eine Veräußerung der von der Antragstellerin
gehaltenen Beteiligung an der ... Holdings BV fingiert. Auf den Entstrickungsgewinn sei § 8b Abs. 2 KStG
anzuwenden, allerdings mit der Folge der Versteuerung von 5% nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Daher sei
von einem vorläufigen Entstrickungsgewinn iHv 1.068.289.067 Euro auszugehen, von dem 53.414.453
Euro (=5%) zu versteuern seien.
Über den hiergegen erhobenen Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden. Den
gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids ohne
Sicherheitsleistung hat er mit Schreiben vom 12. Februar 2009 (Bl. 22 f Rechtsbehelfsakten) und 30.
November 2009 (Bl. 65 ff Rechtsbehelfsakten) abgelehnt. Hiergegen hat die Antragstellerin Einspruch
erhoben.
Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2010 hat die Antragstellerin bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung
des Körperschaftsteuerbescheids beantragt. Streitig sei nicht das Besteuerungsrecht für im Inland
erwirtschaftete Wertzuwächse als solches. Es lägen aber gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheids sprechende Gründe dahingehend vor, dass deren sofortige Besteuerung
bereits im Zeitpunkt der Sitzverlegung ohne ein Realisationsgeschäft nicht mit den europarechtlichen
Grundfreiheiten in Einklang stehe. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Deutschland als Reaktion auf ein
von der Kommission geführtes Vertragsverletzungsverfahrens (Nr. 1999/4371) die Norm des § 6 AStG
dahingehend geändert habe, dass im Wegzugsfall innerhalb der EU/EWR eine Steuerfestsetzung bei
gleichzeitiger zinsloser Stundung der fälligen Steuer auf die Wertzuwächse erfolge.
Es sei bereits zweifelhaft, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG erfüllt seien. Der BFH
habe unter Aufgabe der Theorien zur finalen Entnahme und zur finalen Betriebsaufgabe in mehreren
grundlegenden Entscheidungen für die Rechtslage vor dem SEStEG in der Verlegung eines Betriebs in
das Ausland, ohne dass in Deutschland eine Betriebsstätte zurückbleibe, keinen die stillen Reserven
betreffenden Realisationstatbestand erkannt. Auch die Entstrickungsregeln der durch das SEStEG
eingeführten § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG liefen aufgrund dieser geänderten
Rechtsprechung des BFH ins Leere. Denn weil Deutschland danach das Besteuerungsrecht hinsichtlich
der allein relevanten im Entstrickungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven selbst dann behalte, wenn
nach dem Wegzug bzw. der Betriebsverlegung keine inländische Betriebsstätte verbleibe, komme es
gerade nicht zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts. Die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG (Entstrickung) seien daher bereits nach nationalem
Recht nicht erfüllt.
Aber selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 1 KStG als erfüllt angesehen und damit
sämtliche Wirtschaftsgüter unter Aufdeckung der stillen Reserven fiktiv als zum gemeinen Wert veräußert
gelten würden, bestünden im Hinblick auf eine sich sodann ergebende sofortige Steuerzahlung anlässlich
eines Wegzugs ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht,
eines Wegzugs ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht,
insbesondere der SE-VO, der Fusionsrichtlinie (RL 90/434/EWG) und vor allem der Niederlassungsfreiheit
nach Art. 49 EG, 54 EG.
Art. 10b Abs. 1 der Fusionsrichtlinie verbiete eine Besteuerung anlässlich des Wegzugs einer SE, soweit
Wirtschaftsgüter weiterhin einer Betriebsstätte im Wegzugsstaat zuzurechnen seien. Darüber hinaus
gehende Regelungen zur Sitzverlegung einer SE, insbesondere ein Besteuerungsgebot für die
Wirtschaftsgüter, die keiner zurückbleibenden Betriebsstätte zugerechnet werden könnten, enthalte die
Vorschrift nicht. Bei der Ausge-staltung der damit verbleibenden planmäßigen Regelungslücke durch
nationales Steuerrecht hätten die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die
Grundfreiheiten, zu beachten. Dabei verstoße eine sofortige Besteuerung stiller Reserven gegen die
Niederlassungsfreiheit, § 12 Abs. 1 KStG sei insoweit unanwendbar.
Für natürliche Personen sei durch die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen de Lasteyrie du
Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) geklärt, dass eine Sofortbesteuerung stiller Reserven anlässlich des
Wegzugs eine nicht rechtfertigungsfähige, weil unverhältnismäßige Beschränkung der Grundfreiheiten
darstelle. Jede steuerliche Benachteiligung einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung führe zu einer
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Weil bei einer SE, die ihren Sitz nicht oder nur innerhalb
Deutschlands verlege, eine Aufdeckung stiller Reserven nicht drohe, könnten die deutschen
steuerrechtlichen Regelungen eine SE davon abhalten, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu
verlegen und damit von ihrem Recht auf freie Niederlassung Gebrauch zu machen.
Dem stehe auch die EuGH-Entscheidung in der Rs. Daily Mail (C-81/87), auf die der Antragsgegner sich
berufe, nicht entgegen. Zwar besitze danach eine juristische Person nur innerhalb der Rechtsordnung,
nach der sie gegründet worden sei, eine Persönlichkeit mit der Folge, dass ihr Gründungsstaat
Bedingungen an die Genehmigung des Wegzugs stellen oder diesen sogar vollständig untersagen dürfe.
Dies sei mit der Entscheidung in der Rs. Cartesio (C-210/06) bestätigt worden, allerdings habe der EuGH
auch bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat nicht befugt sei, eine Sitzverlegung, bei der sich das anwendbare
Recht ändere, zu behindern. Insbesondere für den Fall der Sitzverlegung einer nach
gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Rechtsordnung gegründeten SE als einer genuin europäischen
Rechtsform nach Maßgabe von Art. 8 SE-VO - wie im Streitfall - ändere sich das auf die Gesellschaft
anwendbare Recht. Darüber hinaus gelte eine SE auch nach einer - ausdrücklich erlaubten -
identitätswahrenden Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat als
wirksam gegründet und fortbestehend, ein Übergang von Wirtschaftsgütern auf einen neuen Rechtsträger
finde nicht statt. Eine SE könne sich dementsprechend auch und insbesondere nach den Grundsätzen in
der Cartesio-Entscheidung auf die Niederlassungsfreiheit berufen. An ihren Wegzug in einen anderen
Mitgliedstaat dürfe die Rechtsfolge einer Auflösung und Liquidation der Gesellschaft nicht geknüpft
werden. Auch die Verweisung in der SE-VO auf das nationale Aktienrecht führe nicht dazu, dass deren
Wegzug steuerlich wie ein nicht identitätswahrender Wegzug zu behandeln sei. Behindere daher
Deutschland als Wegzugsstaat durch die Sofortbesteuerung der stillen Reserven den Wegzug der
Antragstellerin in einen anderen Mitgliedstaat, stelle dies eine grundsätzlich unzulässige Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit dar. Der EG-rechtliche effet-utile-Grundsatz verbiete es, die Ziele der Fusions-
Richtlinie und der SE-VO durch beschränkende steuerliche Regelungen zu konterkarieren. Für die
Beschränkung einer Grundfreiheit reiche es aus, wenn eine (hier: steuerliche) Regelung deren Ausübung
(hier: den Wegzug einer SE in einen anderen Mitgliedstaat) weniger attraktiv machen oder der
Steuerpflichtige von der Ausübung der Grundfreiheiten abgehalten werden könnte.
Insgesamt ergäben sich, auch wenn derzeit noch keine Urteile des EuGH zu der Wegzugsbesteuerung
juristischer Personen vorlägen, insoweit zumindest ernstliche Rechtmäßigkeitszweifel an einer
Sofortversteuerung. Die Auslegung der Niederlassungsfreiheit durch den EuGH in den Rechtssachen de
Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) habe nach Auffassung der EU-Kommission direkte
Auswirkungen auf eine auf Unternehmen erhobene Wegzugssteuer der Mitgliedstaaten. Steuerpflichtige,
die ihre Niederlassungsfreiheit wahrnähmen, indem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat
verlegten, dürften weder früher noch höher besteuert werden als jene, deren Wohnsitz in demselben
Mitgliedstaat blieben (KOM 2006-825 endg., S. 6 und S.7). Überdies habe die Kommission
Vertragsverletzungsverfahren gegen verschiedene Mitgliedstaaten (Schweden Az. 2007/2372, nach
Anpassung des schwedischen Rechts eingestellt; Spanien Az. 2007/2365; Portugal Az. C-38/10 und
Belgien) eingeleitet, deren steuerrechtliche Regelungen in einer dem § 12 Abs. 1 KStG vergleichbaren
Weise stille Reserven anlässlich des Wegzugs eines Unternehmens einer sofortigen Besteuerung
unterwerfen würden. Bereits die darin zum Ausdruck kommende Auffassung der Kommission lasse
Zweifel an der EG-Rechtmäßigkeit auch der genannten deutschen Norm als begründet erscheinen.
Der Hinweis des Antragsgegners auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Truck-Center (C-
282/07) gehe unabhängig davon, dass diese sich mit der Erhebungstechnik einer Steuer auf
Zinszahlungen befasse, fehl, weil es dort im Hinblick auf eine Beschränkung der Grundfreiheiten um eine
unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Steuerpflichtiger gegangen sei, im
Streitfall aber zu prüfen sei, ob die sofortige Erhebung der Steuer bei einem Steuerpflichtigen, der seinen
Sitz von Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat verlege, eine Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit darstelle, wenn gleichzeitig bei einem Steuerpflichtigen mit einer Sitzverlegung
innerhalb Deutschlands eine derartige Steuer nicht anfalle. Im Übrigen habe der EuGH mit der
Entscheidung in der Rs. Truck Center nicht, wie dies der Antragsgegner mit seiner Interpretation, eine
Sofortbesteuerung sei wegen der nach Wegzug schwierigeren Eintreibung der Steuer zulässig, behaupte,
seine Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung aus den Urteilen de Lasteyrie du Saillant und N
aufgegeben. Letztlich sei in der Rechtssache Truck Center auch entscheidend gewesen, dass dort bei
grenzüberschreitenden Zinszahlungen eine Anrechnung von im Quellenstaat auf Zinsen erhobene
Steuern im Wohnsitzstaat des Zinsempfängers erfolge. Das sei im hier streitigen Wegzugsfall anders,
denn hier erfolge eine Anrechnung der im Wegzugsstaat erhobenen Steuer auf die stillen Reserven im
Zuzugsstaat nicht.
Diese Beschränkung einer Grundfreiheit sei auch nicht gerechtfertigt. Nach den o.g. EuGH-
Entscheidungen in den Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) sei der
Rechtfertigungsgrund der Kohärenz nicht einschlägig. Wenn auch die Aufdeckung stiller Reserven ein
grundsätzlich geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels der Wahrung der Aufteilung der
Besteuerungsbefugnisse unter den Mitgliedstaaten darstelle, komme es hierauf im Fall einer
Wegzugsbesteuerung überhaupt nicht an. Denn der Zuzugsstaat ignoriere die im Wegzugsstaat erhobene
Steuer, eine korrespondierende Entlastung gebe es nicht. Selbst bei Ansatz der Wirtschaftsgüter mit dem
gemeinen Wert im Zuzugsstaat käme es durch erhöhte Absetzungen allenfalls im Verlauf der
betriebsüblichen Nutzungsdauer zeitlich versetzt zu einer korrespondierenden Steuerentlastung, die aber
die durch die sofortige Besteuerung entstehende steuerliche Belastung nicht ausgleichen könne. Hinzu
komme im Streitfall, dass bei dem ausschließlich aus Beteiligungen bestehenden Betriebsvermögen der
Antragstellerin eine korrespondierende Steuerentlastung im Zuzugsstaat ohnehin von einem späteren
Weiterverkauf der Beteiligungen abhängig sei.
Eine sofortige Besteuerung der stillen Reserven sei zudem nicht verhältnismäßig und gehe jedenfalls,
auch wenn sie ein zur Erreichung der o.g. Ziele geeignetes Mittel sei, über das dazu Erforderliche hinaus.
Die vom EuGH für natürliche Personen als milderes und gleichermaßen geeignetes Mittel angesehene
Steuerfestsetzung und zinslose Stundung sei auch für einen SE-Wegzug anwendbar. Unabhängig davon,
ob administrative Hindernisse etwa bei der Sachverhaltsermittlung überhaupt zur Rechtfertigung einer
Grundfreiheitenbeschränkung dienen könnten, stünden im Verhältnis zu Österreich und insbesondere im
Streitfall solche Hemmnisse einer Stundungsregelung nicht entgegen. Eine Stundung könne bei der
Realisation der stillen Reserven durch Veräußerung der Anteile an der JAB Holdings BV widerrufen
werden, eine Überwachung der Anteile durch die Finanzbehörde sei ohne weiteres möglich. Die
Antragstellerin könne regelmäßig ihren Anteilsbesitz nachweisen. Im Verhältnis zu Österreich könnten die
deutschen Finanzbehörden zur Überprüfung dieser Nachweise auch auf die Instrumente der Amtshilfe-
Richtlinie (RL 77/779/EWG) zurückgreifen. Zudem könne sich Deutschland zur Durchsetzung seiner
Steuerforderungen bei erfolgter Realisation der stillen Reserven auf die Beitreibungsrichtlinie (RL
76/308/EWG) berufen. Die Verpflichtung zur Stellung von Sicherheiten habe der EuGH in der
Rechtssache N (C-470/04) vor dem Hintergrund der sich bei gebietsfremden Steuerpflichtigen
möglicherweise ergebenden Erhebungsschwierigkeiten bewusst als unverhältnismäßig abgelehnt.
Die Befürchtung, die Antragstellerin habe es ohne eine Sofortversteuerung in der Hand, durch einen
weiteren Wegzug in einen Drittstaat die Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten der deutschen
Finanzverwaltung vollends auszuschalten, könne jedenfalls eine Beschränkung des ersten Wegzugs nicht
rechtfertigen. Unabhängig davon, dass damit einem von dem Wegzugsrecht nach Art. 8 SE-VO Gebrauch
machenden Steuerpflichtigen die Vorbereitung eines späteren Wegzugs in einen Drittstaat - für den es
hier jedoch keine Anhaltspunkte gebe - unzulässig unterstellt würde, könne die Antragstellerin als SE
ihren Sitz nicht in einen Drittstaat verlegen, zudem könne ein solcher Wegzug analog der Behandlung des
Wegzugs natürlicher Personen als Widerrufstatbestand iSd § 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 AStG gelten. Überdies
sei ein solcher Wegzug einer Gesellschaft aus der EU in ein Drittland in der eigenständigen Vorschrift des
§ 12 Abs. 3 KStG mit einer eigenen Rechtsfolge geregelt.
Die vom Antragsgegner vorgenommene Trennung von steuerfreien Veräußerungsgewinnen einerseits
und nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben andererseits sei darüber hinaus willkürlich und unzulässig.
Zwar treffe es zu, dass die durch eine etwaige Anwendung von § 12 Abs. 1 KStG aufgedeckten stillen
Reserven in den Anteilen an der ... Holdings BV steuerfrei seien. Die Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit ergebe sich aber daraus, dass 5% dieser steuerfreien fiktiven
Veräußerungsgewinne als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben fingiert würden. Da es in einem
vergleichbaren Inlandsfall nicht zu einer Fiktion derartiger steuerfreier Veräußerungsgewinne gekommen
wäre, würden dort auch nicht nichtabzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung unterliegen. Es sei
gerade diese Verkettung von § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG, die bei der Anwendung des § 12 Abs. 1 KStG
zu einer Beschränkung führe. Denn die fiktiven nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben, deren Regelung
per se keinen Verstoß gegen die Grundfreiheiten darstelle, seien die direkte Folge des fiktiven
Veräußerungsgewinns, dessen Besteuerung § 12 Abs. 1 KStG anordne.
Die vom Antragsgegner insoweit herangezogenen EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen KBC
Bank NV (C-439/07) und Beleggen NV (C-499/07) beträfen mit der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der
Mutter-/Tochter-Richtlinie andere, mit dem Streitfall nicht vergleichbare Sachverhalte.
Überdies habe der Antragsgegner auch die Höhe eines eventuellen Entstrickungsgewinns fehlerhaft
berechnet. Bei unterstellter Anwendbarkeit des § 12 Abs. 1 KStG sei die Aufdeckung der stillen Reserven
in der Beteiligung an der ... Holdings BV steuerfrei nach § 8b Abs. 2 KStG, wobei 5% der aufgedeckten
stillen Reserven als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung unterlägen, § 8b Abs. 3 KStG.
stillen Reserven als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung unterlägen, § 8b Abs. 3 KStG.
Dagegen sei die Aufdeckung der stillen Lasten in der Pensionsrückstellung voll steuerpflichtig, eine
Saldierung vor Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG insoweit unzulässig. Die vom Antragsgegner
vorgenommene Saldierung des nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreien Entstrickungsgewinns aus den stillen
Reserven in den Holding-Anteilen mit den aufgedeckten stillen Lasten in der Pensionsrückstellung führe
im Ergebnis dazu, dass sich die Zuführung zur Pensionsrückstellung nur zu 5% auswirke. Der
Entstrickungsgewinn sei vielmehr dergestalt zu berechnen, dass sich aus einer Gegenüberstellung des
sich aus den aufgedeckten stillen Reserven iHv 1.074.300.372 Euro ergebenden steuerpflichtigen Anteils
iHv 53.715.018 Euro und der stillen Lasten aus der Pensionsrückstellung iHv 6.011.034 Euro ein
gesamter steuerpflichtiger Entstrickungsgewinn iHv 47.703.984 Euro ergebe.
Die Aussetzung der Vollziehung sei ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, die Anordnung einer solchen
sei ermessensfehlerhaft. Die Regelung in dem AEAO zu § 361 AO, Tz. 9.2.2, nach der die Anordnung
einer Sicherheitsleistung gerechtfertigt sei, wenn der Steuerbescheid im Ausland bzw. einem Mitgliedstaat
der EU vollstreckt werden müsse, sei überholt und letztlich gemeinschaftsrechtswidrig. Denn mittlerweile
sei durch die Ausdehnung der EG-Beitreibungsrichtlinie (RL 76/308/EWG idF der RL 2001/44/EG) auf die
direkten Steuern jedenfalls eine Vollstreckung in einem anderen EU-Mitgliedstaat möglich. Überdies
bestehe mit Österreich bilateral ein Rechtshilfeabkommen (BGBl. 1955 II, 834), das auch für die
Vollsteckung von Steuerforderungen aus der Körperschaft- und Gewerbesteuer gelte (vgl. Merkblatt zur
zwischenstaatlichen Amtshilfe bei der Steuererhebung – Beitreibung -, BStBl I 2004, 66).
Im Rahmen der Ermessensausübung seien auch die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die
Besteuerung des Wegzugs natürlicher Personen in § 6 Abs. 5 AStG zu berücksichtigen. Der deutsche
Gesetzgeber habe sich dort zutreffenderweise dafür entschieden, die geschuldete Steuer zinslos und
ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Wäre also statt der Antragstellerin eine natürliche Person nach
Österreich weggezogen, könne eine Sicherheitsleistung nicht gefordert werden. Diese gesetzgeberische
Wertung sei bei der Ermessensausübung ebenso zu berücksichtigen wie die aufgeworfenen
bedeutsamen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Sofortbesteuerung. Eine Sicherheitsleistung sei danach
unzumutbar.
Die vom Antragsgegner vorgebrachten Gründe für eine die Anordnung einer Sicherheitsleistung
rechtfertigende Gefährdung des Steueranspruchs - für die ihn die Feststellungslast treffe - wie die Höhe
der Steuerschuld und die voraussichtliche Verfahrensdauer seien nach der Rechtsprechung des BFH
ungeeignet. Ähnlich verhalte es sich auch mit der Komplexität des Steuerfalls. Unabhängig von dem
summarischen Charakter des Aussetzungsverfahrens habe die Komplexität der materiell-rechtlichen
Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes keinerlei Auswirkung auf die Durchsetzung eines ggfls.
bestehenden Steueranspruchs. Eine Gefährdung oder Einschränkung desselben könne auch nicht mit der
vom Antragsgegner angesprochenen Sitzverlegung der Antragstellerin in einen Staat, mit dem kein
Vollstreckungsabkommen bestehe, begründet werden. Denn eine solche hypothetische Sitzverlegung in
einen anderen EU-Mitgliedstaat verschlechtere die Vollstreckungsmöglichkeiten angesichts der EG-
Beitreibungsrichtlinie nicht, eine Vollstreckung sei auf dieser Basis in jedem anderen EU-Mitgliedstaat
möglich. Überdies sei eine solche zweite Sitzverlegung von Österreich in einen anderen EU-Mitgliedstaat
für die Frage der Sicherheitsleistung grundsätzlich unbeachtlich. Im Übrigen könne der Antragsgegner als
milderes Mittel zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht vorliege,
Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung gewähren und diese insoweit mit einem
Widerrufsvorbehalt versehen. Letztlich sei die vom Antragsgegner angesichts der zu erwartenden langen
Verfahrensdauer befürchtete Gefahr einer Verschlechterung der Vollstreckungsmöglichkeiten durch eine
zweite Sitzverlegung im Falle des Wegzugs einer natürlichen Person noch viel höher, weil eine solche
ohne die im Rahmen der Sitzverlegung einer SE zu beachtenden Fristen und formellen Voraussetzungen
ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat verlegen könne. Gleichwohl habe der
Gesetzgeber hier eine zinslose Stundung der geschuldeten Steuer ohne Sicherheitsleistung bis zum
Eintritt eines Widerrufstatbestands wie der Sitzverlegung in einen Drittstaat vorgesehen.
Weil die Klärung der streitigen Rechtsfrage angesichts der Rechtsauffassung des Antragsgegners im
Einspruchsverfahren nicht zu erwarten sei, sei die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende
Dauer der begehrten Aussetzung der Vollziehung über das Einspruchsverfahren hinaus bis zum
Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens zu erstrecken.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Bescheides über Körperschaftsteuer für 2007 vom 19. November 2008 bis einen
Monat nach Zustellung des Urteils in einem noch durchzuführenden finanzgerichtlichen
Hauptsacheverfahren auszusetzen bzw. aufzuheben,
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
An der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestünden keine ernsthaften Zweifel.
Die Veräußerungsfiktion des mit dem SEStEG neu geschaffenen § 12 Abs. 1 KStG sei mit dem EG-Recht
vereinbar. Dabei komme es nicht auf den Wegzug einer Kapitalgesellschaft an, vielmehr darauf, ob
Wirtschaftsgüter, die durch inländische Wertschöpfung entstanden seien, weiterhin dem deutschen
Besteuerungsrecht unterlägen. Behalte eine Kapitalgesellschaft nach ihrem Wegzug weder Sitz noch
Geschäftsleitung im Inland, entfalle deren unbeschränkte Steuerpflicht. Bestehe nach dem Wegzug auch
keine inländische Betriebsstätte im Inland, der die Wirtschaftsgüter zuzuordnen seien, komme es mangels
Anknüpfungspunkt für eine beschränkte Steuerpflicht regelmäßig zum Ausschluss des deutschen
Besteuerungsrechts hinsichtlich der in diesen Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven. An dem
Ausschluss bzw. der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ändere auch die geänderte BFH-
Rechtsprechung zur finalen Entnahme- bzw. der finalen Betriebsaufgabetheorie nichts. Zwar habe der
BFH damit festgestellt, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den bislang gebildeten stillen Reserven
bei der grenzüberschreitenden Verlagerung von Wirtschaftsgütern bzw. beim Wegzug des Unternehmers
ggfls. nicht eingeschränkt werde. Diese Rechtsprechung sei auf den Streitfall aber nicht übertragbar, weil
sie zur Rechtslage vor Geltung des § 12 Abs. 1 KStG in seiner jetzigen Form ergangen sei. Insbesondere
die zum Wegzug natürlicher Personen ergangenen Entscheidungen seien Einzelfallentscheidungen, die
keine allgemeinen, generell auf Rechtsfragen des neu gefassten § 12 Abs. 1 KStG anwendbaren
Aussagen enthielten.
Sekundärrechtliche europarechtliche Vorgaben stünden der Aufdeckung stiller Reserven anlässlich eines
Wegzugs einer Gesellschaft nicht entgegen. So verlange Art. 10b Fusionsrichtlinie zwar, dass die stillen
Reserven derjenigen Wirtschaftsgüter, die auch nach Wegzug einer SE in einer inländischen
Betriebsstätte steuerverstrickt seien, im Wegzugszeitpunkt keiner Schlussbesteuerung unterliegen dürften.
Weil aber über die Besteuerung von Wirtschaftsgütern, die nach Wegzug einer inländischen Betriebsstätte
nicht mehr zugeordnet werden könnten, dort keine Regelung getroffen sei, führe der Umkehrschluss dazu,
dass diese stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden dürften.
Es sei auch eine Verletzung der primärrechtlich allein in Betracht kommenden Niederlassungsfreiheit der
Art. 49, 54 AEUV nicht gegeben.
Bereits deren Schutzbereich sei nicht berührt. Die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen de
Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) könnten insoweit auf den Streitfall nicht übertragen
werden, weil sie den Wegzug natürlicher Personen betroffen hätten, nicht aber den von
Kapitalgesellschaften. Aus den dies betreffenden EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Daily Mail
(C-81/87) und Cartesio (C-210/06) sei zu schließen, dass es Deutschland unbenommen sei, anlässlich
der Sitzverlegung einer nach inländischem Recht gegründeten Gesellschaft stille Reserven aufzudecken
und zu besteuern. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sei danach für Gesellschaften nicht
eröffnet, sofern sie sich gegenüber dem Staat, nach dessen Recht sie gegründet worden seien, auf die
Niederlassungsfreiheit beriefen. Der Staat, nach dessen Rechtsordnung die Gesellschaft gegründet sei,
könne über die Voraussetzungen für die Beibehaltung der Rechtsform nach einem Wegzug entscheiden.
Lasse der EuGH also zu, dass der Wegzugsstaat sogar die Auflösung der Gesellschaft anlässlich ihres
Wegzugs anordnen dürfe, würde er erst Recht weniger einschneidende Regelungen, die den Wegzug
einer Gesellschaft beschränkten, als mit den Grundfreiheiten vereinbar anerkennen. Deutschland schöpfe
insoweit seine Rechte nicht einmal vollständig aus. Insofern unterschieden sich, wie der EuGH in den
Rechtssachen Überseering (C-208/00) und Inspire Art (C-167/01) festgestellt habe, Sachverhalte mit einer
Wegzugskonstellation von solchen, bei denen es um Beschränkungen des Zuzugs von Gesellschaften
gehe.
Selbst wenn der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit berührt wäre, fehle es jedenfalls an einer
Beschränkung dieser Grundfreiheit.
Denn von einer solchen sei nur auszugehen, wenn gleiche Sachverhalte zu Unrecht ungleich oder
ungleiche Sachverhalte zu Unrecht gleich behandelt würden. Bei Betrachtung des maßgeblichen
Vergleichspaares, nämlich einer ohne Zurücklassung einer Betriebsstätte im Inland ins Ausland
verziehenden Kapitalgesellschaft einerseits und einer innerhalb Deutschlands umziehenden Gesellschaft
andererseits, bleibe bei einem Umzug innerhalb des Inlands das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich
der Gewinne aus der Veräußerung der jeweiligen Wirtschaftsgüter trotz Umzugs weiterhin bestehen,
während dieses bei einem Wegzug ins Ausland ohne verbleibende Betriebsstätte im Inland verloren
ginge. Insoweit fehle es also von vornherein an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Gleich zu
behandeln wären nur Sachverhalte, für deren Ergebnisse dem betroffenen Mitgliedstaat das
Besteuerungsrecht zustehe. Dies spiegle sich auch, wie der EuGH in der Rechtssache Truck Center (C-
282/07) ausgeführt habe, in der Einziehung der Steuer wieder. Während eine im Inland umziehende
Gesellschaft der Kontrolle der deutschen Steuerverwaltung mit der Möglichkeit der Zwangsbeitreibung
unterliege, sei bei einer wegziehenden Gesellschaft ohne beibehaltene Betriebsstätte im Inland für die
Steuereinziehung ggfls. die Unterstützung der Steuerverwaltung des neuen Sitzstaates erforderlich. Das
gelte entsprechend bei einem Wegzug einer SE in das EU/EWR-Ausland. Zwar ermögliche Art. 8 SE-VO
einen identitätswahrenden Wegzug, ohne dass die Mitgliedstaaten eine Auflösung und Abwicklung der
SE wegen der Sitzverlegung anordnen könnten. Aber auch hier falle der steuerliche Anknüpfungspunkt
weg, sodass die Besteuerung der stillen Reserven notwendig werde. Wenn auch die Aussagen des Daily-
Mail-Urteils auf den Wegzug einer SE nicht übertragbar sein sollten, weil es sich dabei nicht um eine nach
nationalem, sondern nach europäischem Recht gegründete Gesellschaft handele, dürfe nicht übersehen
werden, dass die SE-VO in weiten Bereichen auf die für Aktiengesellschaften geltenden Regelungen des
nationalen Rechts verweise. Es könne daher nicht von einem europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für
SE ausgegangen werden. Zudem bestehe kein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung
des Wegzugs einer SE und der nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaften.
Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sei im Streitfall letztlich auch mangels steuerlicher
Belastung nicht betroffen. § 12 Abs.1 KStG führe lediglich zu einer Veräußerungsfiktion, die im Streitfall mit
der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 2 KStG einhergehe, weil das Betriebsvermögen ausschließlich eine
Beteiligung enthalte. Daher würden zwar die in den Wirtschaftsgütern ruhenden stillen Reserven
aufgedeckt, diese blieben jedoch bei der Besteuerung außer Ansatz. Durch die von der Antragstellerin
gerügte Veräußerungsfiktion als solche entstehe keine steuerliche Belastung der in den Wirtschaftsgütern
ruhenden stillen Reserven. Von deren Aufdeckung sei die Entstehung von durch die Veräußerungsfiktion
generierten nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG iHv 5% des fiktiven
Veräußerungsgewinns zu unterscheiden. Es werde gerade kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn,
sondern nichtabzugsfähige Betriebsausgaben fingiert. Letzteres stehe, soweit dies diskriminierungsfrei an
alle in- und ausländischen Veräußerungsgewinne anknüpfe, in Einklang mit sekundärrechtlichen
Grundsätzen wie Art. 4 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie. Danach sei, wäre es statt der fiktiven
Veräußerung zu einer tatsächlichen Vollausschüttung der Antragstellerin in das Ausland gekommen, die
Besteuerung der nichtabziehbaren Betriebsausgaben EG-rechtskonform. Art. 4 Abs. 2 der Mutter-Tochter-
Richtlinie wiederum sei nach Auffassung des EuGH in den Rechtssachen KBC Bank NV (C-439/07) und
Beleggen (C-499/07) mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.
Die von der Antragstellerin angesprochene von der Kommission gegen Portugal erhobene Klage führe zu
keinem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, dass dieses Verfahren noch nicht entschieden sei, seien
die jeweiligen Sachverhalte nicht vergleichbar. Denn dort seien portugiesische Vorschriften zur
Wegzugsbesteuerung von Körperschaften streitig, die die Aufdeckung stiller Reserven bei Verziehen der
Körperschaften ins Ausland anordneten, während im Streitfall die stillen Reserven unbesteuert blieben
und lediglich ein fiktiver Betriebsausgabenabzug von 5% an den Grundfreiheiten zu messen sei.
Läge dennoch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor, sei diese jedenfalls aus zwingenden
Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die Regelung des § 12 Abs. 1 KStG diene insbesondere
der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten. Der EuGH habe in
der Rechtssache N (C-470/04) auf Art. 13 Abs. 5 OECD-MA hingewiesen, wonach Gewinne aus der
Veräußerung von Vermögensgegenständen in dem Staat der Steuer unterlägen, in dem der Veräußerer
ansässig sei. Es entspreche diesem Grundsatz der steuerlichen Territorialität, dass die streitigen
Bestimmungen die Beitreibung der beim Wegzug des betreffenden Steuerpflichtigen festgesetzten und bis
zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile gestundeten Steuer auf den angefallenen Wertzuwachs
vorsähen. Dies ermögliche eine Besteuerung der bis zum Wegzug innerhalb des Territoriums des
Wegzugsstaates entstandenen Wertzuwächse durch diesen Wegzugsstaat. Von dieser
abkommensrechtlichen Möglichkeit habe der deutsche Gesetzgeber mit § 12 Abs. 1 KStG Gebrauch
gemacht.
Eine Rechtfertigung der Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven ergebe sich auch daraus, dass
die ausgewogene Aufteilung von Besteuerungsrechten nicht zur Disposition von Unternehmen oder
Unternehmensgruppen stehen dürfe, diese damit der Vermeidung von Steuerumgehungen diene und das
Ziel der Verhinderung von Steuerflucht verfolge. Sonst käme es zu einer Wahlfreiheit der Unternehmen,
selbst zu bestimmen, in welcher Höhe in welchem Staat ein Gewinn besteuert werde. Ohne die
Besteuerung nach § 12 Abs. 1 KStG träte eine Verschiebung der Aufteilung der Besteuerungsrechte ein,
Deutschland müsse die Verlagerung von Steuersubstrat endgültig hinnehmen, der andere Mitgliedstaat
dürfe dagegen spätere Gewinne besteuern, die erst durch eine Berücksichtigung der
Anfangssubventionen durch Deutschland ermöglicht worden seien.
Zudem sei die Aufdeckung und sofortige Besteuerung stiller Reserven anlässlich der Sitzverlegung auch
verhältnismäßig. Zwar wirke eine Besteuerung erst bei tatsächlicher Realisierung stiller Reserven im
Zuzugsstaat weniger einschränkend, weil es erst in dem gleichen Moment wie bei einem reinen
Inlandsfall zu einer steuerlichen Belastung käme. Diese habe aber nicht die gleiche Wirksamkeit wie eine
sofortige Besteuerung. Bei dem gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts sei eine solche
Steuerstundung in Fällen wie dem vorliegenden allerdings nicht administrierbar. Denn es mache einen
Unterschied, ob ein Steuerpflichtiger unmittelbar der mitgliedstaatlichen Steuerverwaltung mit der
Möglichkeit der Zwangsbeitreibung unterliege oder ob ein Mitgliedstaat bei der Steuereinziehung der
Unterstützung der Steuerverwaltung eines anderen Staates bedürfe. Eine derartige Steuerstundung sei
daher nicht so effektiv wie eine Sofortversteuerung, sie wäre ohne in Deutschland verbliebene
Betriebsstätte mit erheblichen Zugriffs- und Kontrollschwierigkeiten verbunden. Es sei für die deutsche
Steuerverwaltung nur schwer bzw. gar nicht nachvollziehbar, wann genau die stillen Reserven tatsächlich
realisiert würden, denn die wegziehende Gesellschaft sei Deutschland gegenüber nicht mehr
erklärungspflichtig. Sie hätte es in der Hand, durch einen weiteren Wegzug in einen dritten Staat die
Zugriffs- und Kontrollmöglichkeiten der deutschen Finanzverwaltung vollends auszuschalten. Eine
Steuerstundung bedeute daher eine Gefährdung des Besteuerungsrechts Deutschlands.
Auf das vom Antragsgegner vorgelegte „Grundsatzpapier“ (Bl. 95-108 PA, Verfasser nicht erkennbar) wird
im Übrigen Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitgegenständlichen Körperschaftsteuerbescheids ist
zulässig und begründet.
Die Vollziehung ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen
Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll - u.a. und soweit hier einschlägig -
erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3
Satz 1 iVm Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn
bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit
sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 23. September 2008, I B 92/08, BStBl
II 2009, 524, m.w.N.).
Im Streitfall bestehen derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Körperschaftsteuersteuerbescheids. Diese ergeben sich im Ergebnis auf verschiedenen Stufen der
durchzuführenden (lediglich) summarischen Prüfung des angefochtenen Bescheids - wobei der Senat im
Streitfall nicht zuletzt im Hinblick auf das vom Antragsgegner vorgelegte „Grundsatzpapier“ Veranlassung
sieht, auf diesen Verfahrensgrundsatz für Verfahren der vorliegenden Art besonders hinzuweisen.
Zwar ließe sich ein sofortiges Besteuerungsrecht der in der Beteiligung der Antragstellerin an der ...
Holding BV innewohnenden stillen Reserven zum Zeitpunkt ihres Wegzugs aus Deutschland nach
Österreich, so wie es der Antragsgegner umgesetzt hat, zunächst den Vorschriften des § 12 Abs. 1 iVm §
8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG entnehmen. Mit diesem Vorgang könnte im Sinne der genannten Vorschriften
das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines
Wirtschaftsguts als ausgeschlossen/beschränkt angesehen werden mit der Folge, dass dies als
Veräußerung zum gemeinen Wert zu gelten habe. Allerdings unterliegt das so gefundene konkrete
Besteuerungsergebnis - nämlich Sofortbesteuerung im Zeitpunkt des Wegzugs - vor dem Hintergrund des
zu beachtenden europarechtlichen Primärrechts, der Rechtsprechung des EuGH und auch des BFH
Zweifeln in einem derartigen Umfang, dass jedenfalls die Voraussetzungen für die Gewährung einer
Aussetzung der Vollziehung erfüllt sind.
Festzuhalten ist zunächst, dass im Streitfall nicht die grundsätzliche Besteuerung der stillen Reserven
streitig ist. Insofern hat auch die Antragstellerin mehrfach ausdrücklich klargestellt, dass ein solches
grundsätzliches Besteuerungsrecht Deutschlands an den stillen Reserven, soweit sie in Deutschland
aufgebaut wurden, im Falle eines Wegzugs ohne im Inland verbleibende Betriebsstätte außer Frage
stehe. Das Begehren der Antragstellerin ist ersichtlich vielmehr (nur) darauf gerichtet, eine etwaige zu
diesem Zeitpunkt zwingend vorzunehmende sofortige Besteuerung zu vermeiden. Diesem Begehren
schließt sich der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf der Basis
gemeinschaftsrechtlicher Regelungen im Ergebnis an.
Nach summarischer Prüfung sprechen im Streitfall gewichtige Gründe für die Annahme einer
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit iSd Art. 49, 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union - AEUV - als der allein in Betracht kommenden europarechtlichen Grundfreiheit
durch die Anwendung der Vorschrift des § 12 Abs. 1 KStG in deren Zusammenwirken mit § 8b Abs. 2 und
Abs. 3 KStG. Erscheint es bereits zweifelhaft, ob eine solche Beschränkung als gerechtfertigt anzusehen
ist, vermag der Senat im vorliegenden Verfahren jedenfalls nicht zu erkennen, dass diese
beschränkenden Regelungen auch den Voraussetzungen einer sodann durchzuführenden
Verhältnismäßigkeitsprüfung genügen.
Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit wird durch alle Maßnahmen berührt, die deren Ausübung
verhindern, beschränken oder weniger attraktiv machen (vgl. etwa EuGH-Urteil in der Rs. Columbus
Container Services vom 06. Dezember 2007, Rs. C-298/05, Rn. 34, Slg 2007, I-10451). Sie ist die zentrale
Grundfreiheit, die der nationalen Unternehmensbesteuerung gemeinschaftsrechtliche Schranken setzt. Mit
ihrer doppelten Schutzrichtung, nämlich zum einen dem Schutz des Inländers, der in das EU-Ausland
strebt (Beschränkungsverbot), und zum anderen dem Schutz des Ausländers, der in das EU-Inland strebt
(Diskriminierungsverbot), sichert die Niederlassungsfreiheit u.a. den Gesellschaften mit Sitz,
Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft die wirtschaftliche Mobilität
innerhalb der Gemeinschaft und schützt dabei wie alle anderen Grundfreiheiten vor allen Maßnahmen,
die geeignet sind, grenzüberschreitendes Wirtschaften unmittelbar, mittelbar oder potentiell zu behindern
(vgl. schon EuGH-Urteil in der Rs. Dassonville vom 11. Juli 1974, 8/74, Slg 1974, 837). So sind nationale
Rechtsvorschriften bereits dann als eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, wenn sie
geeignet sind, deren Ausübung in einem Mitgliedstaat durch in einem anderen Mitgliedstaat ansässige
Gesellschaften zu beschränken. Dabei bedarf es eines Nachweises einer tatsächlich beschränkenden
Gesellschaften zu beschränken. Dabei bedarf es eines Nachweises einer tatsächlich beschränkenden
Wirkung dieser Vorschriften nicht (vgl. etwa dafür, dass Gesellschaften zum Verzicht auf Erwerb,
Gründung oder Aufrechterhaltung einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat bewegt
worden sind EuGH-Urteil in der Rs. Oy AA vom 18. Juli 2007, C-231/05, Slg 2007, I-06373, Randnr. 42
m.w.N.). Allerdings kann die Niederlassungsfreiheit nicht dahin verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat
verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in
allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen
Steuerregelungen ergibt, beseitigt (EuGH-Urteile in den Rechtssachen Deutsche Shell vom 22. Februar
2008, C-293/06, Slg 2008, I-01129, Rn. 43; Krankenheim Wannsee vom 23. Oktober 2008, C-157/07, Slg
2008, I-08061, Rn. 50).
Nach dem so verstandenen Begriff einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit besteht im Hinblick auf
die streitgegenständlichen Regelungen - in ihrem Zusammenwirken, s.u. - die Möglichkeit, dass eine
inländische Kapitalgesellschaft (mit der Struktur der Antragstellerin) von einem Wegzug in einen anderen
Mitgliedstaat Abstand nimmt. Denn die durch die körperschaftsteuerlichen Regelungen einer im Inland
verziehenden Gesellschaft eröffnete Umzugsmöglichkeit ohne Auslösung unmittelbarer ertragsteuerlicher
Konsequenzen steht danach einer in das EU-Ausland verziehenden Gesellschaft so nicht zur Verfügung.
Damit handelt es sich um eine Maßnahme, die geeignet ist, grenzüberschreitendes Wirtschaften vor dem
Hintergrund der dadurch ausgelösten zeitnah drohenden steuerlichen Lasten jedenfalls mittelbar oder
potentiell zu behindern.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission wegen den
dem Regelungsergebnis der deutschen Vorschriften ähnlichen steuerlichen Vorschriften vor dem
Hintergrund der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und der
Mitteilung der Kommission über die Wegzugsbesteuerung (KOM(2006) 825 vom 19.12.2006) beschlossen
hat, Klage vor dem EuGH gegen die Mitgliedstaaten Spanien und Portugal zu erheben. In dem Umstand,
dass beide Länder für Unternehmen, die ihre jeweilige dortige Steueransässigkeit aufgeben, eine
sofortige Wegzugsbesteuerung vorsehen, sieht die Kommission eine Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit, weil diese nationalen Vorschriften geeignet seien, Unternehmen davon
abzuhalten, von der Ausübung der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen (vgl. die Pressemitteilung
der Kommission IP/09/1460 vom 08.10.2009). Die Kommission hat überdies Portugal aufgefordert, seine
Steuervorschriften, nach denen natürliche Personen einer Wegzugsbesteuerung unterliegen, wegen
deren Unvereinbarkeit mit dem Recht auf Freizügigkeit zu ändern (vgl. die Pressemiteilung der
Kommission IP/09/1635 vom 29.09.2009). Außerdem hat die Kommission beschlossen, zwei weitere
Staaten wegen ähnlicher nationaler Regelungen zu verklagen (vgl. die Pressemitteilung der Kommission
IP/10/1565 vom 24.11.2010). Mögen auch diese Beschlüsse angesichts des jeweiligen
Verfahrensstandes noch nicht zu gefestigten Erkenntnissen geführt haben, kann ihnen auch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Kommission gegen Deutschland bisher kein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, eine für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren
zumindest indizielle Bedeutung nicht abgesprochen werden.
Einer Berührung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit stehen nicht die Erwägungen des EuGH
in den Rechtssachen Daily Mail (C-81/87) und Cartesio (C-210/06) entgegen. Unabhängig davon, dass
danach ein Mitgliedstaat bei einer Sitzverlegung, bei der sich das anzuwendende Recht ändert, nicht zu
einer Behinderung der Gesellschaft berechtigt ist, handelt es sich bei der Antragstellerin um eine nach der
SE-VO gegründete Gesellschaft. Ob auf diese die Erwägungen des EuGH unbesehen übertragen werden
können, hält der Senat angesichts dieser im Vergleich zu den den genannten Rechtssachen
zugrundeliegenden Sachverhalten „neuen“ und gerade einer erweiterten EU-Mobilität dienenden
Rechtsform für zweifelhaft. Soll die Rechtsform der SE eine identitätswahrende wirtschaftliche Betätigung
im Bereich der EU ermöglichen und weitgehend gewährleisten, erscheint es nicht konsequent, diese
Möglichkeit mit unmittelbar wirksamen erheblichen steuerlichen Belastungen wiederum zu belasten. Dies
ist auch zur Wahrung der Besteuerungsbefugnisse - weil dieselben im Grundsatz nicht tangiert werden -
nicht erforderlich (dazu s. weiter unten).
Wenn sich auch die die Antragstellerin beschwerende steuerliche Belastung auf den ersten Blick zunächst
nicht primär aus § 12 Abs. 1 KStG zu ergeben scheint, sondern auf der Vorschrift des § 8b Abs. 2 und Abs.
3 KStG (zur Verfassungsmäßigkeit des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG vgl. den Beschluss des BVerfG vom 12.
Oktober 2010, 1 BvL 12/07, DStR 2010, 2393) beruht, hat dies gleichwohl nicht zur Folge, dass, wie der
Antragsgegner dies vorträgt, der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit bereits deswegen als nicht
berührt anzusehen wäre. Die steuerliche Belastung der Antragstellerin ergibt sich vielmehr aus dem
Zusammenspiel der genannten nationalen Normen. Ohne dass nach § 12 Abs. 1 KStG eine Veräußerung
von Wirtschaftsgütern fingiert würde, kämen die eine solche Veräußerung voraussetzenden Vorschriften
des § 8b Abs. 2 und Abs. 3 KStG für derartige Vorgänge nicht zur Anwendung. Die Ursache für die
steuerliche Belastung liegt also gerade in der Fiktion des quasi die Eingangsvorschrift bildenden § 12
Abs. 1 KStG.
Die beschriebene ungleiche Behandlung ist im Sinne der gemeinschaftsrechtlich orientierten
Rechtsprechung (vgl. etwa die Grundsätze im EuGH-Urteil in der Rs. X Holding BV vom 25. Februar 2010,
C-337/08, DStR 2010, 427, Randnr. 20) nur dann mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die
Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar
sind. Für den vorliegenden Streitfall indes hält der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
eine Vergleichbarkeit des Sachverhaltes mit Gemeinschaftsbezug einerseits und eines rein
innerstaatlichen Sachverhalts andererseits für möglich. Sowohl in der einen als auch in der anderen
Sachverhaltsalternative, die sich - lediglich - durch den grenzüberschreitenden Umzug unterscheiden,
kommt es gleichermaßen nicht zu einer effektiven Realisierung der angewachsenen stillen Reserven im
Sinne einer tatsächlichen Veräußerung. Nur die - soweit hier interessierend - eine EU-Grenze
überschreitende Gesellschaft wird von der im Ergebnis belastenden Fiktion der Veräußerung eines
Wirtschaftsguts unmittelbar erfasst.
Weitere Rechtfertigungsgründe sind nach derzeitigem Verfahrensstand nicht zu erblicken. So hält der
Senat die demnach grundsätzlich verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Streitfall auch
nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses für gerechtfertigt.
Während sich noch nach der Entscheidung des EuGH in der Rs. Marks & Spencer vom 13. Dezember
2005, C-446/03, Slg 2005, I-10837 (freilich unter einer anderen Fragestellung) eine Rechtfertigung nur
aus dem Zusammenspiel der drei Gesichtspunkte - Wahrung der Aufteilung der
Besteuerungsbefugnisse, - Verhinderung der Gefahr einer doppelten
Verlustberücksichtigung und - Verhinderung der Gefahr einer Steuerflucht
(sog. Rechtfertigungstrias) ergeben konnte (Randnr. 51; so auch in der
Rs. Rewe Zentralfinanz eG vom 29. März 2007, C-347/04, Slg. 2007, I-02647), hat es der EuGH in der Rs.
Oy AA, a.a.O., für eine Rechtfertigung genügen lassen, wenn der Gesichtspunkt der Notwendigkeit der
Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zusammen mit dem
der Verhinderung einer Steuerumgehung erfüllt ist (Randnr. 60). In diesem Sinne, dass nämlich eine
nationale steuerrechtliche Regelung auch durch - lediglich - zwei der o.g. drei Rechtfertigungsgründe
gerechtfertigt sein kann, wurde auch in der Rs. Lidl Belgium vom 15. Mai 2008, C-414/06, Slg 2008, I-
03601, dahingehend entschieden, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse
zwischen den Mitgliedstaaten zusammen mit der Verhinderung einer doppelten Verlustberücksichtigung
als ausreichend anzusehen ist (Randnr. 40 ff). In der in diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich,
aktuellsten Entscheidung X Holding BV vom 25.02.2010 hat es der EuGH genügen lassen, dass auch nur
die Voraussetzungen eines einzelnen Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind (Randnr. 28-33; so auch schon
in der Entscheidung in der Rs. N vom 07. September 2006, C-470/04, Slg. 2006, I-07409, Randnr. 42). Er
ist insoweit inhaltlich letztlich den Ausführungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott vom
19.11.2009 in dieser Rs. (Randnr. 70), Juris, und auch in der Rs. SGI vom 10.09.2009, C-311/08, Randnr.
60, Juris, gefolgt (auch wenn in der dem folgenden Entscheidung des EuGH vom 21.01.2010 in der Rs.
SGI in Randnr. 69 ein zweites Merkmal, nämlich die Verhinderung einer Steuerumgehung, jedenfalls im
Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit aufgenommen wurde). Wenn auch der Rechtfertigungsgrund der
Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten eine gewisse Nähe
zu dem vom EuGH nicht als zur Rechtfertigung geeigneten Hinweis auf drohende Verluste des
Steueraufkommens eines Mitgliedstaats aufweist, misst der EuGH diesem Gesichtspunkt - durchgängig -
offensichtlich eine große Bedeutung als Rechtfertigungsgrund zu (vgl. zur Entwicklung der
Rechtfertigungsgründe auch Kessler/Eicke, IStR 2008, 581; Pache/Englert, IStR 2007, 844).
Für den Streitfall hält der Senat, mit der Antragstellerin, diesen Rechtfertigungsgrund indes für nicht
durchgreifend. Denn die grundsätzliche Berechtigung des deutschen Fiskus zur steuerlichen Erfassung
des Steuersubstrats in Gestalt der durch die Antragstellerin in Deutschland aufgebauten Wertzuwächse
wird nicht in Frage gestellt. Eine Besteuerung der bis zum Wegzug innerhalb des Territoriums des
Wegzugsstaates (also in Deutschland) entstandenen Wertzuwächse ist ein auch durch die
Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache N letztlich nicht als gemeinschaftsrechtswidrig
angesehenes Anliegen. Indes trifft dies die vorliegende Streitfrage nicht, jedenfalls nicht in ihrem
Kernbereich, bei dem es, wie ausgeführt, um das der grundsätzlichen Frage nachgelagerte Problem geht,
ob diese Besteuerung sofort im Wegzugszeitpunkt umgesetzt werden darf. Angesichts der dem
Wegzugsstaat Deutschland zustehenden grundsätzlichen Besteuerungsbefugnis erachtet der Senat auch
die vom Antragsgegner vorgetragene Gefahr, die ausgewogene Besteuerung der stillen Reserven könne
ohne Sofortbesteuerung zur Disposition der Unternehmen stehen mit der Folge einer Wahlfreiheit
dahingehend, in welcher Höhe in welchem Staat ein Gewinn zu versteuern sei, als nicht gegeben. Dies
gilt entsprechend auch für die somit befürchtete Steuerumgehung und Steuerflucht.
Unabhängig davon ist eine Beschränkung einer Grundfreiheit auch nur dann statthaft, wenn sie neben der
Rechtfertigung durch einen Rechtfertigungsgrund außerdem geeignet ist, die Erreichung des fraglichen
Ziels zu gewährleisten und dabei nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (EuGH in der Rs.
Oy AA, C-231/05, a.a.O., Rn. 44 m.w.N.). Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die streitgegenständlichen
Regelungen, mögen sie auch zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sein, einer solchen
Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
Zu Recht weist die Antragstellerin an dieser Stelle auf die Entscheidungen des EuGH in den
Rechtssachen de Lasteyrie du Saillant (C-9/02) und N (C-470/04) hin, nach denen es einem Mitgliedstaat
verwehrt ist, ein Steuersystem einzuführen, nach dem der latente Wertzuwachs von Gesellschaftsanteilen
besteuert wird, wenn ein Steuerpflichtiger aus diesem Mitgliedstaat wegzieht und das die Stundung dieser
Steuer von der Leistung von Sicherheiten abhängig macht. Der Senat hält diese grundlegenden
Erwägungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für den Streitfall für anwendbar, auch wenn es sich
hier im Unterschied zu den den EuGH-Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten bei der
Antragstellerin nicht um eine natürliche Person handelt, sondern um eine Kapitalgesellschaft in der
Rechtsform einer SE. Darf ein Wegzug einer natürlichen Person, der unter vergleichsweise einfacheren
Bedingungen als derjenige einer inländischen Kapitalgesellschaft oder einer SE umgesetzt werden kann,
nicht den geschilderten steuerlichen Sofortfolgen unterworfen werden, ist nicht einzusehen, aus welchen
Gründen dies bei einer Gesellschaft anders zu beurteilen sein sollte. Einschränkende Differenzierungen,
die eine diesbezügliche Deutung zuließen, vermag der Senat den Entscheidungen des EuGH insoweit
jedenfalls nicht zu entnehmen.
Bestärkt wird diese Einschätzung angesichts der ab dem 13.12.2006 anzuwenden Fassung des § 6 AStG.
Nach dessen Abs. 5 ist dann, wenn die nach Abs. 1 geregelte Besteuerung für einen Staatsangehörigen
u.a. eines Mitgliedstaats der EU durchzuführen ist, der nach der Beendigung der unbeschränkten
Steuerpflicht in einem mitgliedstaatlichen Zuzugsstaat einer der unbeschränkten deutschen Steuerpflicht
vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt, die nach Abs. 1 geschuldete Steuer zinslos und ohne
Sicherheitsleistung zu stunden, wenn die Amtshilfe und die gegenseitige Unterstützung bei der
Beitreibung der geschuldeten Steuer zwischen Deutschland und dem Zuzugsstaat gewährleistet sind. Im
Weiteren sieht Abs. 5 Satz 4 konkrete Möglichkeiten zum Widerruf der gewährten Stundung vor,
beispielsweise bei Veräußerung oder Entnahme von Gesellschaftsanteilen oder Wegzug in einen
Drittstaat. Diese den Wegzug natürlicher Personen behandelnde Regelung zeigt auf, in welcher Weise bei
grundsätzlicher Wahrung des deutschen Besteuerungsrechts gleichzeitig auch die Belange des
Steuerpflichtigen Berücksichtigung finden können. Angesichts der zinslosen Stundungsmöglichkeit,
zudem ohne Sicherheitsleistung, bis zum Eintritt der in Satz 4 genannten Ereignisse stellt diese
gleichermaßen mit dem SEStEG eingeführte Vorschrift eine im Vergleich zur streitgegenständlichen
Rechtslage erheblich mildere Regelung dar und enthält im Sinne des o.g.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dasjenige, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Eine
sinngemäße Anwendung auf die Sachlage des Streitfalls erscheint dem Senat möglich.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine aufgeschobene Besteuerung, wenn auch in anderem
Zusammenhang (Privatvermögen), ebenfalls nach § 17 Abs. 5 EStG idF des SEStEG vorgesehen ist. Nach
Satz 1 dieser Vorschrift stehen die Beschränkung oder der Ausschluss des Besteuerungsrechts der
Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an einer
Kapitalgesellschaft im Fall der Verlegung des Sitzes oder des Orts der Geschäftsleitung der
Kapitalgesellschaft in einen anderen Staat der Veräußerung der Anteile zum gemeinen Wert gleich. Nach
Satz 2 allerdings gilt dies nicht in den Fällen der Sitzverlegung einer Europäischen Gesellschaft nach
Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 und der Sitzverlegung einer anderen Kapitalgesellschaft in
einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Erst bei späterer Veräußerung der Anteile ist der
Gewinn in gleicher Weise zu besteuern, wie die Veräußerung dieser Anteile zu besteuern gewesen wäre,
wenn keine Sitzverlegung stattgefunden hätte.
Nicht zuletzt sieht der Senat seine Einschätzung auch durch die Grundsätze des BFH in dessen neueren
Entscheidungen zur finalen Entnahme und insbesondere der finalen Betriebsaufgabe (BFH-Urteile vom
28. Oktober 2009, I R 99/08, BFH/NV 2010, 346 und I R 28/08, BFH/NV 2010, 432), bestätigt. Mit den
zuletzt genannten Entscheidungen hat der BFH unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung die
sog. Theorie der finalen Betriebsaufgabe aufgegeben und entschieden, dass dann, wenn die
unbeschränkte deutsche Steuerpflicht eines Unternehmers entfällt, weil dieser nicht nur seinen Betrieb,
sondern auch seinen Wohnsitz in einen ausländischen EU-Mitgliedstaat verlegt, das deutsche
Besteuerungsrecht im Hinblick auf die im Inland entstandenen stillen Reserven nicht verloren geht und
Deutschland an der späteren Besteuerung der im Inland entstandenen stillen Reserven im Falle einer
Realisierung nicht, auch nicht aufgrund abkommensrechtlicher Bestimmungen gehindert ist. Dies deckt
sich mit der auch für den Streitfall festgestellten grundsätzlichen Beurteilung. Der BFH führt sodann weiter
aus, dass allein die faktischen Schwierigkeiten beim Vollzug des späteren Besteuerungszugriffs nicht
geeignet sind, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, die stillen Reserven des Betriebsvermögens bei
einer Betriebsverlegung ins Ausland - im Gegensatz zu innerstaatlichen Betriebsverlegungen - ohne
Realisierungsvorgang der sofortigen Besteuerung zu unterwerfen. Handelt es sich dabei auch, wie
letztlich bei jeder gerichtlichen Entscheidung, um Einzelfallentscheidungen, fügen sich diese dennoch in
die aufgezeigte, insbesondere von der EuGH-Rechtsprechung geprägte Entwicklung ein. Daher kommt
ihnen, auch wenn sie (noch) nicht im BStBl II veröffentlicht sind und die Rechtslage vor dem SEStEG
betreffen (zur Übertragung auf die mit dem SEStEG eingeführten Entstrickungstatbestände vgl. etwa
Krüger/Heckel, NWB 17/2010, 1334), angesichts ihrer Tragweite und der auch vom BFH ausdrücklich als
Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung bezeichneten dogmatischen Beurteilung eine über den
Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. dazu auch Intemann, GStB 2010, 78 ff
m.w.N.; a.A. wohl Benecke, IStR 2010, 102).
Der Senat verkennt nicht, dass es bei dieser Sicht der Dinge problematisch sein kann, wie die
Besteuerung der noch im Inland steuerverhafteten stillen Reserven des Betriebsvermögens nach einem
Wegzug sichergestellt werden kann (so auch Anm. Heger, jurisPR-SteuerR 13/2010). Zur Vermeidung
struktureller Vollzugsdefizite können daher entsprechende Mitwirkungspflichten sowie eine
länderübergreifende Steuererhebung erforderlich sein, die auch gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen
genügen müssen. Eine Doppelbesteuerung bei Betriebsaufgabe, Betriebsveräußerung oder Veräußerung
von steuerverhafteten Betriebsvermögen lässt sich durch entsprechende abkommensrechtliche
Vereinbarung verhindern (vgl. dazu Gosch, BFH/PR 2010, 116). Unabhängig davon, ob die auch vom
Antragsgegner in diesem Sinne vorgebrachten Kontroll- und Zugriffsschwierigkeiten als administrative
Hindernisse überhaupt geeignet sein können, Beschränkungen einer gemeinschaftsrechtlichen
Grundfreiheit wirksam zu rechtfertigen, ist insoweit auf bestehende Vereinbarungen zwischen den
Mitgliedstaaten in den Bereichen der Amtshilfe und auch der Beitreibung hinzuweisen. So sieht das
Gesetz zur Durchführung der EG-Richtlinie über die gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten
Steuern (EG-Amtshilfe-Gesetz) in seinem § 1 Abs. 1 eine gegenseitige Amtshilfe der Mitgliedstaaten der
EG u.a. bei der Festsetzung der Steuern vom Einkommen und Ertrag zur Durchführung der Richtlinie
77/799/EWG vom 19.12.1977 durch den Austausch von Auskünften oder die Hilfe bei der Zustellung
zwischen den hierfür zuständigen Finanzbehörden vor. Nach § 1 Abs. 2 dieses Gesetzes erteilen die
Finanzbehörden nach Maßgabe der folgenden Vorschriften der zuständigen Finanzbehörde eines
anderen Mitgliedstaats Auskünfte, die für die zutreffende Steuerfestsetzung in diesem Mitgliedstaat
erforderlich sein können. Ähnliches ergibt sich für den Beitreibungsbereich aus dem Gesetz zur
Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie - EG Beitreibungsgesetz - vom 03.05.2003, das der
Umsetzung der Richtlinie 76/308/EWG vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der
Beitreibung von Forderungen dient. Dieses Gesetz gilt nach dessen § 1 Abs. 2 für die Vollstreckung von
Geldforderungen, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften entstanden sind und
u.a. Steuern vom Einkommen und Ertrag betreffen (Nr. 7).
Vor dem Hintergrund dieser Regelungswerke, von denen in der steuerlichen Praxis unter den
Mitgliedstaaten auch Gebrauch gemacht wird, und auch dem bilateralen Rechtshilfeabkommen mit dem
Zuzugsstaat Österreich können letztlich die gegenüber einer Steuerfestsetzung und -erhebung
ausschließlich im Bereich des Inlands zweifelsfrei schwierigeren grenzüberschreitenden Umsetzungsakte
eine Aufdeckung und insbesondere sofortige Besteuerung der stillen Reserven nicht rechtfertigen.
Soweit der Antragsgegner darüber hinaus darauf hinweist, dass nach einem Wegzug die wegziehende
Gesellschaft der deutschen Finanzverwaltung gegenüber nicht mehr erklärungspflichtig sei und daher
etwa der Zeitpunkt einer tatsächlichen Realisierung stiller Reserven nur noch schwer nachvollziehbar sei,
ist dem im Grundsatz zuzustimmen. Allerdings kann dazu, im Sinne eines weniger belastenden und damit
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eher genügenden Vorgehens, auf die bereits angesprochenen
Regelungen des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG und die dort genannten Möglichkeiten zum Widerruf der
gewährten Stundung verwiesen werden. Soweit also eine weggezogene Gesellschaft nicht zu einer
Mitwirkung bereit ist - insoweit hat die Antragstellerin allerdings das Gegenteil bekundet -, kann die
Finanzbehörde die einmal gewährte Stundung widerrufen und die Durchsetzung der sich sodann
ergebenden Steuerforderung mittels o.g. Instrumente betreiben. Den damit verbundenen Verwaltungs-
Mehraufwand hält der Senat, wie ausgeführt, für angesichts der abzuwägenden Rechtsgüter für vertretbar,
zumal derartige Verfahren nicht in einem Umfang auftreten, wie sie mit dem Begriff der Massenverfahren
in anderen Bereichen umschrieben werden.
Die Aussetzung der Vollziehung ist ohne Sicherheitsleistung zu gewähren. Nach § 69 Abs. 3 Satz
1 iVm Abs. 2 Satz 3 FGO "kann" die finanzgerichtliche Aussetzung der Vollziehung eines
Steuerverwaltungsakts von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Das Gesetz nennt in §
69 FGO keine näheren Vorgaben zu den Voraussetzungen hierfür und nach welchen Gesichtspunkten
das Finanzgericht sein ihm hierbei eingeräumtes Ermessen auszuüben hat. Es ist zunächst Sache der
Finanzgerichte, Voraussetzungen und Grenzen dieser Befugnis aus § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO im Rahmen
der zunächst ihnen zukommenden Auslegung und Anwendung des Fachrechts näher zu bestimmen.
Dabei haben die Gerichte dem verfassungsrechtlichen Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren,
Rechnung zu tragen. In der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs sind die
Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherheitsleistung als Bedingung einer Aussetzung der
Vollziehung im Grundsatz geklärt. Eine Sicherheitsleistung ist demnach angezeigt, wenn die spätere
Vollstreckung der Steuerforderung infolge der Aussetzung der Vollziehung insbesondere wegen der
wirtschaftlichen Lage des Steuerschuldners gefährdet oder erschwert erscheint. Von einer
Sicherheitsleistung soll gleichwohl abgesehen werden, wenn mit Gewissheit oder großer
Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist. Schließlich
darf die Anforderung einer Sicherheitsleistung nicht erfolgen, wenn sie mit Rücksicht auf die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen eine unbillige Härte für ihn bedeuten würde, etwa weil
der Steuerpflichtige im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit zu leisten.
Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4
GG an einen effektiven Rechtsschutz. Die Sicherheitsleistung hat den Zweck, Steuerausfälle nach einer
für den Steuerpflichtigen abschlägigen Entscheidung in der Hauptsache zu vermeiden. Insbesondere in
den Fällen, in denen wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung eine
Aussetzung erfolgen soll (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), wäre es im Allgemeinen unverhältnismäßig, dem
Steuerpflichtigen die Aussetzung der Vollziehung zu versagen, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse
die Leistung einer Sicherheit nicht zulassen (vgl. zum Ganzen Beschluss des BVerfG vom 22. September
2009, 1 BvR 1305/09, BFH/NV 2009, 2124 mit vielfältigen Nachweisen).
Bei der danach zu treffenden Ermessensentscheidung ist zum einen der Grad der Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfsverfahrens zu berücksichtigen. Eine Erfolgsaussicht ist insoweit eine Grundvoraussetzung.
Je größer die Erfolgsaussichten im Einzelfall sind, desto geringer ist die wirkliche Gefahr eines
Steuerausfalls. Demgemäß entfällt das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung, wenn mit
Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu
erwarten ist (BFH-Beschluss vom 17. Januar 1996, V B 100/95, BFH/NV 1996, 491).
In die Ermessenserwägungen sind zum anderen die Vermögensverhältnisse des Antragstellers
einzustellen. Zu bedenken ist dabei, ob sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen
unter Einbeziehung der streitigen Forderung eine Gefahr von Steuerausfällen ergeben kann (BFH-
Beschluss vom 18. Dezember 2000, VI S 15/98, BFH/NV 2001, 637).
Wie ausgeführt, bestehen im Streitfall an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids erhebliche,
auf verschiedenen Überlegungen beruhende Zweifel. Weil damit die verfahrensrechtlichen
Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung dem Grunde nach erfüllt sind (so zunächst auch
der Standpunkt des Antragsgegners in dessen Schreiben an die Antragstellerin vom 12.02.2009, Bl. 22 f
Rechtsbehelfsakten) und trotz der komplexen Materie eine nicht unbeträchtliche Wahrscheinlichkeit für
einen für die Antragstellerin günstigen Ausgang eines Rechtsbehelfsverfahrens in der Hauptsache
besteht, erscheint die Anordnung einer Sicherheitsleistung als entbehrlich und nicht ermessensgerecht.
Hinzu kommt, dass es für eine Sicherheitsanordnung aus dem Gesichtspunkt der auf den
Vermögensverhältnissen der Antragstellerin beruhenden Gefährdung des Steueranspruchs, trotz der nicht
unerheblichen Höhe der Steuerforderung, für den Senat keine Anhaltspunkte gibt. Dies sieht offensichtlich
auch die Finanzverwaltung ähnlich, wie die Formulierung in dem Schreiben der OFD Koblenz vom
23.07.2009 (Bl. 56 f Rechtsbehelfsakten) zeigt, nach dem „eine Gefährdung des Steueranspruchs
aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen im vorliegenden Fall nicht erkennbar“ ist.
Auf den Umstand allein, dass die Steuerforderung für den Fall der Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs im
Ausland vollstreckt werden muss, kann es angesichts der oben dargestellten EU-weit zu beachtenden
Amtshilfe- und Beitreibungsrichtlinien für eine Vollstreckung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nicht (mehr)
ankommen. Dies bestätigt nicht zuletzt auch die bereits erörterte Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 1 und 2
AStG, nach der in ähnlich gelagerten Fällen eine zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung zu
gewähren ist, wenn Amtshilfe und gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung zwischen Deutschland
und dem Zuzugsstaat gewährleistet sind. Angesichts dieser gesetzlichen Regelung kann dem
Gesichtspunkt der ggfls. im EU-Ausland zu realisierenden Steuerforderungen kein die Anordnung einer
Sicherheitsleistung rechtfertigendes Gewicht zukommen.
Für eine vom Antragsgegner befürchtete Erforderlichkeit einer Vollstreckung in einem Drittstaat ergeben
sich nach dem hier allein zu beurteilenden Sachverhalt, nämlich Wegzug in einen EU-Mitgliedstaat,
derzeit keinerlei Anhaltspunkte. Die rein hypothetische Möglichkeit eines solchen Vorgangs, dessen
Rechtsfolgen im Übrigen in der Vorschrift des § 12 Abs. 3 KStG iVm § 11 KStG einer gesonderten
Regelung unterworfen sind, rechtfertigt jedenfalls nicht die unmittelbar wirksame Anordnung einer
Sicherheitsleistung für die vorliegende Sachverhaltsgestaltung.
Der Senat weist abschließend darauf hin, dass er bei seiner Gesamtwürdigung der Umstände des
Streitfalls nicht verkennt, dass der deutsche Gesetzgeber „in einer Zwickmühle sitzt. Einerseits muss er die
Wegzugsbesteuerung (neu) regeln, wenn er das Risiko steuerfreier Exits vor allem von stillen Reserven
vermeiden will. Andererseits ist gar nicht klar, ob eine wirksame Wegzugsbesteuerung
europarechtskonform so ausgestaltet werden kann. Es existiert eine Vielzahl von Zweifelsfragen, die der
Gesetzgeber derzeit kaum richtig bzw. jedenfalls nicht ausreichend europarechtssicher beantworten kann“
(so schon Rödder, Steuerfreier Exit von stillen Reserven beim Wegzug von Unternehmen aus
Deutschland?, IStR 2005, 297). Diese Einschätzung wird, obwohl zu einem früheren Zeitpunkt formuliert,
vom Senat auch aktuell geteilt und führt jedenfalls für das vorliegende Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes zu dem gefundenen Ergebnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 FGO.
Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 iVm § 115 Abs. 2 Nr.1 und 2 FGO zugelassen. Die Sache hat
grundsätzliche Bedeutung. Im Übrigen bestehen hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit der für den
Streitfall maßgeblichen Vorschriften mit dem europarechtlichen Primärrecht gegensätzliche Auffassungen,
sodass eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung und einheitlichen Anwendung des Rechtes
erforderlich ist.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten nach § 128 Abs. 3 FGO die Beschwerde zu.
Die Beschwerde ist bei dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz schriftlich oder zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des vollständigen
Beschlusses einzulegen. Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der genannten zwei
Wochen beim Bundesfinanzhof eingeht.
Bei der Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie in dem weiteren Verfahren vor dem
Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten,
einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder
einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch
einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch
Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und
Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen
Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und
Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch
Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat die Postanschrift: Postfach 10 04 27, 67404 Neustadt, und die
Hausanschrift: Robert-Stolz-Straße 20, 67433 Neustadt sowie den Telefax-Anschluss 06321/401-355; der
Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.