Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 28.05.2009

FG Neustadt: geldwerter vorteil, beweis des gegenteils, haftung des arbeitgebers, allgemeine lebenserfahrung, kennzeichen, arbeitslohn, fahrzeug, verfügung, unternehmen, zustellung

FG
Neustadt
28.05.2009
4 K 2068/06
Zur Frage unter welchen Voraussetzungen der Anscheinbeweis für die private Nutzung eines dienstlichen
PKW´s erschüttert werden kann.
Im Namen des Volkes
Urteil
4 K 2068/06
In dem Finanzrechtsstreit
1. des Herrn
2. der Frau
- Kläger -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
das Finanzamt
- Beklagter -
wegenEinkommensteuer 2000, 2002 und 2003
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 4. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. Mai 2009
durch
den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Streit, ob von einer privaten Pkw-Nutzung zweier Firmenfahrzeuge
ausgegangen werden kann und demzufolge der Ansatz eines geldwerten Vorteils nach der sog. 1-v.H.-
Regelung in Betracht kam.
Die Kläger sind Eheleute und wurden gemäß § 26 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -EStG-
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war in den Streitjahren in dem in der Rechtsform
einer GmbH geführten Unternehmen seines Vaters als Dachdecker bzw. Dachdeckermeister beschäftigt.
Die Einkommensteuerveranlagungen für die Kalenderjahre 2000, 2002 und 2003 erfolgten zunächst
aufgrund der eingereichten Steuererklärungen.
Im Jahr 2005 fand bei dem früheren Arbeitgeber des Klägers eine Lohnsteueraußenprüfung statt. Im
Rahmen dieser Prüfung wurde festgestellt, dass der frühere Arbeitgeber dem Kläger in den Jahren 2000
bis 2003 firmeneigene Fahrzeuge zur privaten Mitbenutzung überlassen haben soll. Es handelte sich
hierbei um das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... (BMW 750 i), das im Jahr 2000 für 11 Monate
genutzt wurde, sowie um das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ...(BMW 850 i), das im Jahr 2002
ganzjährig und im Jahr 2003 für 5 Monate genutzt wurde. Nach Aussage des damaligen steuerlichen
Beraters des früheren Arbeitgebers sollen die o.g. Fahrzeuge ausschließlich von dem Kläger für berufliche
und in geringem Umfang auch für private Zwecke genutzt worden sein (Bl. 5 f. der ESt-A/ KM 00-03). Der
Umfang der privaten Nutzung konnte nicht durch Fahrtenbücher o.a. nachgewiesen werden. Daher
ermittelte der Lohnsteueraußenprüfer den geldwerten Vorteil mit 1 v.H. des jeweiligen Bruttolistenpreises
pro Monat. Der geldwerte Vorteil betrug hiernach für 2000 14.850,- DM, für 2002 8.280,- € und für 2003
3.450,- €. Die steuerpflichtigen Zuwendungen waren beim früheren Arbeitgeber nicht versteuert worden.
Mangels Liquidität des früheren Arbeitgebers konnte die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer nicht bei
diesem erhoben werden. Der Beklagte änderte daher mit Änderungsbescheiden vom 5. August 2005 die
Einkommensteuerbescheide 2000, 2002 und 2003 gemäß § 173 der Abgabenordnung –AO- und setzte
die o.g. Beträge beim Kläger als zusätzlichen Arbeitslohn an.
Den hiergegen eingelegten Einspruch begründeten die Kläger damit, dass bezüglich der PKW-Nutzung
mit dem früheren Arbeitgeber des Klägers eine Nettolohnvereinbarung bestanden habe. Zudem habe der
Kläger selbst die fraglichen Fahrzeuge seinem
früheren Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. Es sei hierbei vereinbart worden, das Entgelt für die
Überlassung der Fahrzeuge mit dem laufenden Nutzungsentgelt für die Privatfahrten zu verrechnen.
Aufgrund der bei der 1-v.H.-Methode anzuwendenden Kostendeckelung sei daher keine private Nutzung
zu versteuern gewesen.
Die behauptete Nettolohnvereinbarung wurde von den Klägern im Einspruchsverfahren nicht
nachgewiesen. Ebenso konnte der Vortrag, wonach der Kläger die Fahrzeuge dem früheren Arbeitgeber
überlassen und bzgl. der Entgelte für Überlassung und Nutzungsentgelt eine Verrechnung vereinbart
gewesen sei, im Einspruchsverfahren nicht verifiziert werden.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 28. Juni 2006 als unbegründet zurück. Das
Einspruchsverfahren wegen der Einkommensteuer 2001 ruht.
Der Beklagte führte im Wesentlichen aus:
Überlasse ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein Kraftfahrzeug kostenlos oder verbilligt zur privaten
Nutzung, so handele es sich hierbei um einen geldwerten Vorteil, der zum steuerpflichtigen Arbeitslohn
gehöre und dessen Wert in der Höhe anzusetzen sei, in der dem Arbeitnehmer durch die Haltung eines
eigenen Fahrzeugs des gleichen Typs Kosten erwachsen wären. Dies seien die ersparten Kosten
einschließlich der Umsatzsteuer. Könne der Umfang der privaten Nutzung - und damit die Höhe der
ersparten Kosten – nicht anhand von Einzelnachweisen, insbesondere einem ordnungsgemäß geführten
Fahrtenbuch, nachgewiesen werden, so sei der geldwerte Vorteil durch die sog. 1-v.H.-Methode pauschal
zu ermitteln. Hierbei würden pro Monat jeweils 1 v.H. des Brutto-Listenpreises des jeweiligen Fahrzeugs
im Zeitpunkt der Erstzulassung als geldwerter Vorteil angesetzt. Die Lohnsteuer-Außenprüfung bei dem
früheren Arbeitgeber des Klägers habe ergeben, dass dem Kläger die beiden Firmenfahrzeuge zur
privaten Nutzung überlassen worden seien und dieser geldwerte Vorteil bisher nicht versteuert worden
sei. Da der Umfang der privaten Nutzung nicht habe nachgewiesen werden können, sei die Höhe des
geldwerten Vorteils nach der 1-v.H.-Methode zu ermitteln gewesen.
Soweit sich der Kläger auf eine Nettolohnvereinbarung berufe, sei dem entgegen zu halten, dass hierfür
eine klare und ausdrückliche Vereinbarung erforderlich sei, die im Streitfall als Ausnahme vom Grundsatz
des Bruttolohns durch den Arbeitnehmer dargelegt und bewiesen werden müsse (Hinweis auf BFH-Urteile
vom 14. März 1986, BStBI II, 1986, 886 und vom 13. Oktober 1989, BStBI II 1990,30). Durch eine
Nettolohnvereinbarung übernehme der Arbeitgeber im Innenverhältnis die vom Arbeitnehmer
geschuldeten Abzugsbeträge (Lohn- und Lohnkirchensteuer, Solidaritätszuschlag und Arbeitnehmeranteil
zur Sozialversicherung). Der Arbeitgeber übernehme hierdurch eine fremde Schuld. Die übernommenen
Lohnabzüge stellten zusätzlichen Arbeitslohn dar. Zur Ermittlung der Abzugsbeträge müsse der Nettolohn
auf einen Bruttolohn hochgerechnet werden. Die Nettolohnvereinbarung wirke nur im Innenverhältnis
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Schuldner der Lohnsteuer gegenüber dem Finanzamt bleibe -
anders als bei einer Pauschalierung der Lohnsteuer - der Arbeitnehmer. So werde in Fällen einer
eindeutigen Nettolohnvereinbarung zwar in der Regel der Arbeitgeber in Anspruch genommen, wenn
dieser die Lohnsteuer unzutreffend einbehalten habe. Eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers sei aber
auch bei Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung ermessensfehlerfrei möglich, wenn der Arbeitnehmer
wisse, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht angemeldet habe (Hinweis auf BFH-Urteil vom 08.
November 1985, BStBI II 1986, 186). Der Kläger habe seine im Widerspruch zu den Feststellungen des
Lohnsteueraußenprüfers stehende Behauptung einer Nettolohnvereinbarung nicht nachgewiesen. Selbst
wenn der Beweis einer Nettolohnvereinbarung erbracht worden wäre, habe der Kläger gleichwohl für die
zuwenig abgeführte Lohnsteuer zuzüglich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag in Anspruch
genommen werden können, da er nach den Feststellungen des Lohnsteueraußenprüfers an seinen
Lohnabrechnungen, in denen keine Kfz-Sachbezüge ausgewiesen worden seien, hätte erkennen können,
dass der geldwerte Vorteil durch die private Kfz-Nutzung nicht als Lohn erfasst und somit auch nicht der
Lohnsteuer unterworfen worden sei. Überdies sei eine Nettolohnversteuerung auch im Nachhinein nicht
mehr möglich, weil die Lohnsteuerbescheide gegen den früheren Arbeitgeber inzwischen bestandskräftig
seien.
Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Aktenausfertigung der Einspruchsentscheidung vom
28. Juni 2006 (Bl. 17 ff. der Beiakten Einspruchs- und Klagevorgang) Bezug genommen.
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Rechtschutzziel, nämlich die Aufhebung der
Änderungsbescheide, weiter.
Sie halten daran fest, dass der Kläger und sein früherer Arbeitgeber tatsächlich eine
Nettolohnvereinbarung getroffen hätten, wobei diese jedoch nicht schriftlich festgehalten worden sei.
Unabhängig hiervon sei der Entscheidung des Beklagten nicht zu entnehmen, weshalb dieser zur
Einforderung der unterstellt entstandenen Lohnsteuern den früheren Arbeitgeber des Klägers nicht in
Anspruch genommen habe. Allein die Mitteilung des Bevollmächtigten des früheren Arbeitgebers, wonach
es für die anfallende Lohnsteuer an der Liquidität mangele, genüge nicht, um von einer vorrangigen
Inanspruchnahme des früheren Arbeitgebers Abstand zu nehmen.
Darüber hinaus tragen die Kläger unter Benennung von Zeugen vor, dass tatsächlich beim Kläger kein
geldwerter Vorteil angefallen sei, der zu versteuern wäre. Denn die Nutzung des Firmenfahrzeuges BMW
750 i mit dem amtl. Kennzeichen ... und dann des Nachfolgefahrzeuges BMW 850 i mit dem amtl.
Kennzeichen ... sei nur zu betrieblichen Zwecken, nicht privat erfolgt. Die genannten Fahrzeuge seien
auch von verschiedenen Mitarbeitern des früheren Arbeitgebers des Klägers ausschließlich betrieblich
genutzt worden. Die Fahrzeuge hätten sich immer am Büro oder in der Lagerhalle des früheren
Arbeitsgebers befunden. Sie seien ausschließlich eingesetzt worden für Fahrten zwischen Büro und
Lagerhalle bzw. zwischen Büro und / oder Lagerhalle zu den einzelnen Baustellen. Über die
Wintermonate von November bis April seien die Fahrzeuge überhaupt nicht genutzt worden, auch nicht
betrieblich. Sie seien in diesen Zeiträumen in der Lagerhalle abgestellt gewesen.
Entgegen den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung habe der Kläger seinem früheren
Arbeitgeber die beiden BMW auch nicht zur Verfügung gestellt. Die Fahrzeuge seien jeweils von dem
früheren Arbeitgeber angeschafft worden. Für den Kläger habe auch keine Notwendigkeit bestanden, die
Firmenfahrzeuge auch privat zu nutzen, da die Kläger über zwei eigene Fahrzeuge verfügt hätten.
Nach alledem seien hier die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins mangels konkreter
Überlassung der Fahrzeuge an den Kläger nicht anzuwenden. Dies gelte auch nicht vor dem Hintergrund
von Angaben des steuerlichen Beraters des früheren Arbeitgebers im Schreiben vom 21. März 2005.
Möglicherweise habe der Vater des Klägers, dieser sei Gesellschafter/Geschäftsführer der H
Bedachungen GmbH, der frühere Arbeitgeber des Klägers, solches geäußert, was jedoch nicht den
Tatsachen entsprochen habe und wohl darauf zurückzuführen sei, dass der Kläger und sein Vater
zerstritten seien. Überprüfbare Nachweise, wie Reparaturbelege oder Angaben von Kilometerständen aus
den Zeiträumen der Nichtnutzung im Winter, könne der Kläger naturgemäß nicht vorlegen, da es sich um
betriebliche Fahrzeuge gehandelt habe. Der Kläger habe keinen Zugriff auf Buchführungsunterlagen der
H Bedachungen GmbH.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuerbescheide 2000, 2002 und 2003, alle in der Fassung vom 5. August 2005, und die
hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 28. Juni 2006 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach den BFH-Urteilen vom 14. Februar 1986, BStBI II 1986, 886, und vom 13. Oktober 1989, BStBI II
1989, 30, sei es für eine Nettolohnversteuerung und damit für die Abweichung vom Grundsatz des
Bruttolohns erforderlich, dass eine klare und ausdrückliche Nettolohnvereinbarung getroffen worden sein
müsse, die zudem durch den Arbeitnehmer dargelegt und bewiesen werden müsse. Dieser Beweis sei
bisher nicht erbracht. Nach Auskunft des Lohnsteueraußenprüfers des Finanzamts L sei eine
Nettolohnvereinbarung weder vom Geschäftsführer der H Bedachungen GmbH noch von dem mit der
Lohnbuchhaltung beauftragten Steuerberater erwähnt bzw. nachgewiesen. Außerdem seien auf den
Gehaltsabrechnungen des Klägers keine Beträge für Sachbezüge in Form einer Kfz-Nutzung ersichtlich
gewesen. Der Kläger hätte also, selbst wenn von einer Nettolohnvereinbarung auszugehen gewesen
wäre, erkennen können, dass die Sachbezüge nicht versteuert worden seien. Daher wäre es selbst bei
einer nachgewiesenen Nettolohnvereinbarung nicht ermessensfehlerhaft gewesen, den Kläger in
Anspruch zu nehmen (vgl. BFH-Urteil vom 08. November 1985, BStBI II 1986, 186).
Den Zeugenaussagen hinsichtlich des erstmaligen Vortrages der fehlenden Privatnutzung der beiden
Firmenfahrzeuge könne nur bedingte Beweiskraft zukommen. Denn als Arbeitnehmer der Fa. H
Bedachungen GmbH dürften diese Zeugen nur zuverlässige Aussagen zu ihrer eigenen Nutzung der
betrieblichen Fahrzeuge, allenfalls noch bedingt zuverlässige Aussagen zur Nutzung der betrieblichen
Fahrzeuge durch den Kläger während ihrer Arbeitszeit machen können. Denn zum einen könnten sie im
Fall der Nutzung der Fahrzeuge durch den Kläger außerhalb des Betriebsgeländes - sofern sie ihn nicht
begleitet hätten - nicht beurteilen, ob diese Fahrten ausschließlich zu betrieblichen Zwecken erfolgten.
Und zum anderen müsse davon ausgegangen werden, dass sich die als Zeugen benannten früheren
Arbeitskollegen im Wesentlichen nur zu ihren Arbeitszeiten im Betrieb der Fa. H Bedachungen GmbH in L
aufgehalten haben dürften. Wie die Fahrzeuge des früheren Arbeitgebers nach Feierabend oder am
Wochenende genutzt worden seien, dürfte sich danach wohl ihrem jeweiligen Kenntnisstand entziehen.
Das gleiche gelte hinsichtlich der Behauptung, die Fahrzeuge seien von November bis April jeweils
ungenutzt in der Lagerhalle des früheren Arbeitgebers abgestellt gewesen. Überprüfbare Nachweise, wie
z.B. Reparaturbelege aus diesen Zeiträumen mit der Angabe von Kilometerständen, die die Angaben des
Klägers untermauern würden, seien bisher nicht vorgelegt. Im Übrigen stünden die aus den o.g. Gründen
nicht ausreichend beweiskräftigen Zeugenaussagen im Widerspruch zu den Angaben des steuerlichen
Beraters des früheren Arbeitgebers. Dieser habe in seinem Schreiben vom 21. März 2005 angegeben, der
Kläger habe die Fahrzeuge in geringem Umfang auch privat genutzt. Dieser Anscheinsbeweis sei bisher
nicht entkräftet. Außerdem widerspreche sich der Kläger auch selbst, wenn er jetzt behaupte, dass ihm die
Fahrzeuge des früheren Arbeitgebers nicht zur Nutzung überlassen worden seien, da in der
Einspruchsbegründung noch vorgetragen worden sei, dass der Kläger mit der Firma H Bedachungen
GmbH bezüglich der PKW-Nutzung eine Nettolohnvereinbarung geschlossen habe. Eine Vereinbarung
wäre aber nicht nötig gewesen, wenn es gar keine Fahrzeugüberlassung gegeben hätte, wie jetzt
behauptet werde. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens sei überdies ausgeführt worden, dass vereinbart
gewesen sei, das Entgelt für die Überlassung der Fahrzeuge mit dem laufenden Nutzungsentgelt für die
Privatfahrten zu verrechnen. Auch hier würden Privatfahrten ausdrücklich erwähnt und damit eingeräumt.
Das Gericht hat Beweis erhoben zu der Frage, ob in den Streitjahren die beiden Firmenfahrzeuge der H-
Bedachungen GmbH, ein Pkw BMW 750 i mit dem amtl. Kennzeichen ... und ein Pkw BMW 850 i mit dem
amtl. Kennzeichen ... ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt wurden und eine private
Mitbenutzung durch die Kläger ausgeschlossen war. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2000, 2002 und 2003 sind rechtmäßig und verletzen die
Kläger insoweit nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO-).
1. Gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Nicht einbehaltene und
nicht abgeführte Lohnsteuer kann deshalb von der Finanzbehörde grundsätzlich von ihm nachgefordert
werden. Für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer besteht jedoch auch eine Haftung des
Arbeitgebers (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Soweit diese Haftung besteht, sind gem. § 42d Abs. 3 Satz 1 und 2
EStG der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner. Das Finanzamt kann daher die Haftungs-
oder Steuerschuld nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 der Abgabenordnung –AO-; vgl. BFH-Beschluss
vom
19. Juli 1995
VI B 28/95
, BFH/NV 1996,
32
m.w.N.) gegenüber jedem der Gesamtschuldner
festsetzen (§ 42d Abs. 3 Satz 1 und 2 EStG).
a) Das bedeutet jedoch nicht, dass der Beklagte vor Erlass der streitgegenständlichen
Einkommensteueränderungsbescheide dem Einwand einer bestehenden Nettolohnvereinbarung hätte
nachgehen müssen. Denn insoweit brauchte der Beklagte keine Ermessenserwägungen darüber
anzustellen, ob eine Inanspruchnahme der Kläger als Schuldner der festgesetzten Steuer (§ 38 Abs. 2
Satz 1 EStG) geboten war. Steuern werden, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der
Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO). Steuerbescheide sind gemäß
§ 173 AO aufzuheben oder zu ändern, falls die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind. Hieraus
folgt, dass der Erlass eines Einkommensteueränderungsbescheides nicht im Ermessen des Finanzamtes
steht. Das Auswahlermessen gemäß § 42d Abs. 3 EStG gilt nur im Lohnsteuerverfahren
(Vorauszahlungsverfahren), nicht aber wenn es um die Geltendmachung der Jahressteuerschuld geht; die
Fassung des Gesetzes ist insoweit irreführend (BFH-Urteil vom 17. Mai 1985, VI R 137/82, BStBl II 1985,
660
; Finanzgericht München, Urteile vom
15. Mai 2003
,
11 K 2986/02
, EFG 2003,
1281
m.w.N., sowie vom
22. Juni 2005, 10 K 1822/03, Haufe-Index 1479779,Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. April
2008, 4 K 2186/04, n.v.; Eisgruber in Kirchhof, EStG, Kompakt-Kommentar, 8. Aufl. 2008, § 42d Rdnr. 41 ff.;
Schmidt/Drenseck, EStG, 27. Aufl. 2008, § 42d Rz 24).
Vor diesem Hintergrund war der im Klageverfahren aufrecht erhaltene Einwand gegen die
Einkommensteueränderungsbescheide, wonach eine Nettolohnvereinbarung bestanden haben soll –
ungeachtet des fehlenden Nachweises -, unbehelflich. Hiernach konnte der geldwerte Vorteil der Pkw-
Nutzung auch für private Zwecke als zusätzlicher Arbeitslohn bei den Einkünften des Klägers aus
nichtselbständiger Arbeit in den Einkommensteuer-änderungsbescheiden erfasst werden (vgl. im
Einzelnen Eisgruber in Kirchhof, EStG, Kompaktkommentar, a.a.O., § 19 Rz 150
„Kraftfahrzeuggestellung“).
b) Erst bei der der Steuerfestsetzung nachfolgenden Verwirklichung des Steueranspruchs (§§ 218 ff. AO)
stellt sich überhaupt die Frage, ob und in welcher Höhe der Arbeitnehmer wegen der nicht
vorschriftsmäßigen Anmeldung der Lohnsteuerbeträge in Anspruch genommen werden darf (BFH-Urteile
vom 17. Mai 1985, VI R 137/82, a.a.O., und vom
1. April 1999
VII R 51/98
, BFH/NV 2000,
46
,
48
). Folglich
muss auch der Einwand einer Nettolohnvereinbarung mit dem früheren Arbeitgeber des Klägers gegen
einen entsprechenden Abrechnungsbescheid vorgebracht werden (BFH-Urteile Urteil vom 17. Mai 1985,
VI R 137/82, a.a.O., und vom
1. April 1999
VII R 51/98
, a.a.O.). Hierzu müsste jedoch zunächst einmal ein
Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheides gestellt werden. Vorsorglich wäre darauf
hinzuweisen, dass auch in einem solchen Verfahren der Einwand der Nettolohnvereinbarung nicht
durchgreifen würde. Abgesehen davon, dass es am Nachweis einer entsprechenden
Nettolohnvereinbarung fehlt, kann der Arbeitnehmer auch dann als Gesamtschuldner herangezogen
werden, wenn er davon Kenntnis hat, dass keine vorschriftsmäßige Lohnsteueranmeldung stattgefunden
hat, und wenn er das Finanzamt darüber nicht unverzüglich informiert (
§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG
).
2. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht für den erkennenden Senat zur Überzeugung
fest (§§ 76 Abs. 1 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass der Beklagte die sog. 1-v.H.-Regelung zutreffend
angewandt hat. Hierbei ist der Beklagte bei der Frage, ob die Kläger einen ihnen zur Verfügung gestellten
PKW des früheren Arbeitgebers auch privat genutzt haben können, zu Recht von den Grundsätzen des
Anscheinsbeweises ausgegangen. Auch vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs -BFH- (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Juni 2004 VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416, m.w.N.,
vom 27. Oktober 2005 VI B 43/05, BFH/NV 2006, 292, und vom 25. März 2009 VIII B 209/08, n.v.) ist dieser
Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert worden. Auch wenn der Anscheinsbeweis nicht erst durch
den Beweis des Gegenteils entkräftet wird, ergab sich für den Senat kein Bild, das einen zwingenden
Rückschluss auf die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Lebenserfahrung
entsprechenden Geschehensablaufs erlaubt hätte. Die unstreitige Nutzungsmöglichkeit der für
Privatfahrten geeigneten Fahrzeuge als Basis des Anscheinsbeweises erlauben zur Überzeugung des
Senats die Schlussfolgerung, dass der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit in den Streitjahren
tatsächlich Gebrauch gemacht hat.
a) Es existiert insoweit eine allgemeine Lebenserfahrung des Inhalts, dass ein Arbeitnehmer ein
betriebliches Fahrzeug - das ihm von seinem Arbeitgeber zur privaten Nutzung überlassen worden ist -
tatsächlich in nicht unerheblichem Umfang zu privaten Zwecken einsetzen wird. Diese Annahme gilt erst
recht, wenn es sich wie im Streitfall bei dem Arbeitnehmer um den Sohn des Gesellschafter-
Geschäftsführers handelt, der im Unternehmen seines Vaters gegenüber den anderen
Betriebsangehörigen eine herausragende Position einnahm. So war der Kläger nach Schilderung der
Zeugen nicht ausnahmslos vor Ort auf den einzelnen Baustellen tätig, vielmehr gehörten zu seinen
weiteren Aufgabengebieten die Akquierierungvon Aufträgen sowie die Kundenbetreuung. Ausweislich der
eingereichten Einkommensteuererklärungen hat sich der Kläger in den Streitjahren zum
Dachdeckermeister weiter qualifiziert. Die damit verbundenen Lehrgangskosten von mehreren Tausend
DM wurden von den steuerlich beratenen Klägern nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des
Klägers geltend gemacht, was darauf schließen lässt, dass diese vom früheren Arbeitgeber des Klägers
getragen wurden, weshalb auch für diesen Zeitraum noch von einem ungestörten Verhältnis des Klägers
zu seinem Vater ausgegangen werden kann. Folglich ließe sich die vom Kläger im Unternehmen seines
Vaters eingenommene Position in den Streitjahren als die des „Juniorchefs“ umreißen. So bezeichnete
der Zeuge W. M. im Rahmen seiner Zeugenbefragung den Kläger ausdrücklich als „Chef“. Die Nutzung
der Fahrzeuge durch die anderen Betriebsangehörigen erfolgte allein aufgrund der Vorgaben des
Klägers. Er hatte insoweit die Kontrolle über den Fuhrpark. So gab auch der Zeuge C. S. an, dass er,
sofern er mit dem BMW 750 i betriebliche Besorgungen habe erledigen müssen, dies dem Kläger so
mitgeteilt habe. Der Kläger hatte somit über die auf dem Lagergelände abgestellten Fahrzeuge stets die
„Schlüsselgewalt“. Insoweit hatte er auch nach Feierabend und an den Wochenenden den jederzeitigen
Zugriff auf die beiden betrieblichen Fahrzeuge. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn diese
Fahrzeuge aufgrund ihrer objektiven Beschaffenheit - wie etwa ein LKW - für eine regelmäßige
Privatnutzung nicht geeignet gewesen wären. Abgesehen davon, dass die Fahrzeuge aufgrund der
übereinstimmenden Angaben der Zeugen im Innenraum stark verschmutzt waren und in den
Kofferräumen zeitweilig sperriges Werkzeug aufbewahrt wurde, konnte auch vor dem Hintergrund dieser
Zeugenaussagen die objektive Möglichkeit der Privatnutzung nicht ausgeschlossen werden. Auch wenn
die Fahrzeuge nach den insoweit übereinstimmenden Aussagen tagsüber ausschließlich für betriebliche
Zwecke eingesetzt wurden, konnten die Zeugen nur Angaben im Hinblick auf zeitlich nur punktuelle
eigene Wahrnehmungen machen, die gerade die Zeiträume nach Feierabend und an den Wochenenden
ausschlossen. Ein gegenüber dem Kläger bestehendes ausdrückliches Verbot einer Privatnutzung dieser
Fahrzeuge konnten die Zeugen gerade nicht bestätigen. Es wäre zudem bei einem spannungsfreien
Verhältnis zum Vater in der Rolle des Geschäftsleiters absolut lebensfremd gewesen. Soweit der Kläger
tagsüber betriebliche Fahrten mit einem der beiden streitgegenständlichen Fahrzeuge durchgeführt hat,
bestanden nach übereinstimmenden Aussagen der Zeugen seitens des Betriebs keinerlei Vorkehrungen,
die eine damit verbundene Privatnutzung der Fahrzeuge zwecks Erledigung privater Geschäfte
ausgeschlossen hätte.
b) Der Senat folgt auch insoweit der oben zitierten BFH-Rechtsprechung, als diese es zur Entkräftung des
Anscheinsbeweises nicht genügt lässt, dass neben dem betrieblichen Fahrzeug auch ein oder mehrere
private PKW vorhanden gewesen sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. April 2005
VI B 59/04
, BFH/NV 2005,
1300, und vom 25. März 2009 BFH VIII B 209/08, n.v.). Denn dies schließt die Wahrscheinlichkeit einer
Inanspruchnahme des betrieblichen PKW für private Zwecke zumindest nicht völlig aus. Es entspricht
vielmehr gerade der allgemeinen Lebenserfahrung, dass jedenfalls private Fahrten zu weiter entfernt
liegenden Zielen gleichwohl mit dem Firmen-PKW durchgeführt werden. Dies gilt um so mehr, als die
beiden Privat Pkw (ein Roadster Fiat Barchetta und ein Sportwagen von General Motors „Corvette“) im
Vergleich zu den beiden BMW nur über einen kleinen Laderaum verfügten und somit auch für kleinere
Transporte nicht in Betracht kamen.
3. Der Beklagte hat die Bewertung der privaten Nutzung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in den Streitjahren
zutreffend vorgenommen. Dafür ist aufgrund der Verweisung die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2
EStG entsprechend anwendbar, wonach die Privatnutzung für jeden Kalendermonat mit 1 v.H. des
inländischen Listenpreises anzusetzen ist. Dabei handelt es sich um eine vom Gesetzgeber
zulässigerweise geschaffene Besteuerung im Wege der Typisierung, die für die Beteiligten und den Senat
bindend ist.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
III. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) bestehen nicht.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei herunter geladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26.November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.