Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 22.03.2010

FG Neustadt: steuergeheimnis, erfüllung, höchstpersönliches recht, überwiegendes interesse, einsichtnahme, treu und glauben, verwaltungsverfahren, anfechtung, persönliche daten, steuerberater

FG
Neustadt
22.03.2010
5 K 2193/07
Die Existenzgründerrücklage verlangt unabhängig davon, ob eine wesentliche oder unwesentliche
Betriebsgrundlage vorliegt, die verbindliche Bestellung des Wirtschaftsguts zum jeweiligen Bilanzstichtag.
Im Namen des Volkes
Urteil
1 K 1752/07
In dem Finanzrechtsstreit
des Herrn als Insolvenzverwalter,
- Kläger -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegenAO/FGO-Sachen, Einsicht in die Steuerakten des A. S. ab dem Veranlagungszeitraum 1998
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. November
2009 durch
die Vizepräsidentin des Finanzgerichts als Vorsitzende,
den Richter am Finanzgericht
den Richter am Finanzgericht
den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob und ggf. in welchem Umfang einem Insolvenzverwalter ein Recht auf Einsicht in die beim
Finanzamt für den Schuldner geführten Steuerakten zusteht.
Der Kläger wurde durch Beschluss des Amtsgerichts -Insolvenzgericht- vom 21. Dezember 2004 (vgl. Bl. 3
f. Rb-Akten) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn A. S. (im Folgenden: Schuldner)
bestellt. Der Schuldner reichte für die Jahre 1998 bis 2002 Steuererklärungen beim Beklagten ein; die
entsprechenden Veranlagungsverfahren wurden nach der Erteilung von Steuerbescheiden
bestandskräftig abgeschlossen. Für die Veranlagungszeiträume ab dem Jahr 2003 wurden – mit
Ausnahme von Umsatzsteuererklärungen betreffend die Masse für die Jahre 2004 und 2005 – keine
steuerlichen Erklärungspflichten erfüllt. Unter dem 2. Februar 2005 und 12. Oktober 2006 erließ der
Beklagte für die Jahre 2003 und 2004 jeweils Schätzungsbescheide.
Im Januar 2005 beantragte der Kläger beim Beklagten, ihm zum Zwecke der Einsichtnahme die
Steuererklärungen des Schuldners seit dem Jahr 1998 auszuhändigen (vgl. Bl. 1 f. Rb-Akten). Zur
Begründung führte er aus, dass er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dieselbe Stellung wie der
Schuldner besitze. Bei der Frage der Akteneinsicht gehe es darum, „dass der Insolvenzverwalter – ggf.
sogar zehn Jahre zurück – alle Sachverhalte erfährt, die möglicherweise geeignet waren, Vermögen des
Schuldners an Verwandte zu überstellen“ (vgl. Bl. 14 Rb-Akten). Der Insolvenzverwalter habe auch das
Recht, in die Steuererklärungen der Ehefrau des Schuldners Einsicht zu nehmen, weil gerade bei den
Beziehungen eines Schuldners zu seiner Ehefrau zu vermuten sei, dass der Schuldner Verfügungen
getroffen habe, die unter den besonderen Umständen des Insolvenzrechts dazu berechtigten,
Anfechtungsklagen zu erheben.
Mit Schreiben vom 24. März 2005 (vgl. Bl. 16 f. Rb-Akten) teilte der Beklagte dem Kläger mit, nach
Durchsicht der Aktenunterlagen ergäben sich folgende Tatsachen, aus denen Anfechtungsmöglichkeiten
denkbar seien:
- Objekt K, R-Straße
Schenkung gem. Urkunde Nr. .../2001 vom 10. August 2001 des Notars Dr. W Ehemann an Ehefrau
- Objekt K, M-Straße
Schenkung gem. Urkunde Nr. .../2001 vom 10. August 2001 des Notars Dr. W Ehemann an Ehefrau
Ab dem Veranlagungszeitraum 2000 habe der Kläger Zinseinkünfte in Höhe von 39.500,00 DM aus der
Überlassung eines Darlehens an seine Tochter erklärt. Die Höhe des Darlehensbetrags sei nicht bekannt.
Im Jahr 2001 habe der Kläger erstmals ausländische Kapitalerträge (Zinsen Bank „B“, Schweiz)
angegeben. Kopien von Kontoauszügen der „B“ seien dazu vorgelegt worden. Diese Unterlagen könnten
an Amtsstelle nach vorheriger Terminabsprache eingesehen werden. Es seien auch Unterlagen
eingereicht worden, aus denen ersichtlich sei, dass bereits im Oktober 2000 eine Festgeldanlage von
1.000.000,00 € vorgenommen worden sei, die in den Jahren 2001 und 2002 auf 2.483.000,00 € erhöht
worden sei. Zudem sei der „B“ am 2. August 2001 ein Scheck über 520.000,00 € zur Neuanlage eines
Festgeldkontos (Kontoinhaber: Herr A. S. und/oder Frau H. S.) vorgelegt worden. Die Belastung sei auf
einem Konto bei der Sparkasse K (Nr. ...2) erfolgt. Diese Anlage sei bis zum 24. Oktober 2001 auf
785.000,00 € erhöht worden.
Der Kläger erwiderte daraufhin, dass er selbst Einsicht in die steuerlichen Unterlagen nehmen müsse. Er
habe als Insolvenzverwalter zu entscheiden, ob einzelne Vorgänge anfechtungsrechtlich oder aus
anderen Gründen zu verfolgen seien.
Nachdem der Beklagte weitergehende Auskünfte verweigert hatte, legte der Kläger Einspruch ein. Zur
Begründung trug er vor, dass er keine Möglichkeit habe, vom Schuldner Auskünfte über seine
wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen. Der Schuldner sei nach einem amtsärztlichen Attest nicht in der
Lage, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben. Die im Schreiben des Finanzamts vom 24. März 2005
mitgeteilten Möglichkeiten zur Anfechtung habe er rechtshängig gemacht. Die Höhe des Darlehens an die
Tochter könne er nur ermitteln, wenn ihm der Schuldner Auskünfte erteile. Über das Schreiben des
Finanzamts hinaus habe er keine weiteren Hinweise auf Maßnahmen des Schuldners, die zu einer
Massemehrung oder zu einer Anfechtungssituation führen könnten. Dies ändere aber nichts daran, dass
gerade Sachverhalte, die in der Steuererklärung ihren Niederschlag gefunden hätten, u.U. zu einem
solchen Wissen des Insolvenzverwalters führten. Die Überlassung von Steuerunterlagen sei für die
sachgerechte Bearbeitung des Insolvenzverfahrens von erheblicher Bedeutung.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2006 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als
unbegründet zurück.
Im Juli 2006 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Akteneinsicht in die Steuerakten des Schuldners
seit 1998, den der Beklagte mit Bescheid vom 2. Januar 2007 ablehnte.
Der Kläger legte hiergegen erneut Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass er einen Anspruch
auf Einsicht in die Steuerunterlagen des Schuldners besitze. Er habe als Vermögensverwalter im Sinne
von § 34 Abs. 3 Abgabenordnung -AO- auf Grund der ihm gem. § 80 Insolvenzordnung -InsO-
übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners
zu erfüllen. Hinsichtlich der Insolvenzmasse habe er die gleichen Rechte auf Gewährung von Einsicht und
Herausgabe von Unterlagen, wie sie für den Schuldner ohne Insolvenz bestanden hätten. Er könne
ebenso wie der Schuldner die Gewährung von Akteneinsicht im Rahmen einer pflichtgemäßen
Ermessensentscheidung der Behörde beanspruchen. Bei der Interessenabwägung seien die Belange des
Einsichtssuchenden und des Finanzamts gegeneinander abzuwägen. Aus § 155 InsO ergäben sich
steuerliche Rechnungslegungspflichten des Insolvenzverwalters. Hiernach sei zum einen zu prüfen, ob
der Schuldner vor der Insolvenzeröffnung seine steuerlichen Pflichten erfüllt habe, insbesondere ob
möglicherweise falsche Erklärungen des Schuldners ggf. zu berichtigen seien. Zum anderen müssten für
den Zeitraum nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Steuererklärungen für den Schuldner
abgegeben werden. Da diese Erklärungen auch Sachverhalte der Vorjahre beträfen, sei eine Erfüllung
der Verpflichtung ohne Kenntnis des Inhalts der Erklärungen der vergangenen Jahre nicht möglich.
Andernfalls wäre der Verwalter gezwungen, mangels Vorliegen aussagekräftiger Unterlagen entweder
keine Erklärung abzugeben und somit die Insolvenzmasse mit einer im Wege der Schätzung erfolgten zu
hohen Steuerfestsetzung zu belasten oder fahrlässig eine falsche Erklärung abzugeben und sich
hierdurch selbst einer zivil- und strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Er werde die auf ihn
übergegangenen steuerlichen Pflichten des Schuldners erfüllen, sobald er durch den Beklagten hierzu in
die Lage versetzt worden sei. Da er nur einen sehr eingeschränkten Überblick über die wirtschaftlichen
und steuerlich relevanten Aktivitäten des Schuldners anhand der bislang vorgefundenen Unterlagen habe
gewinnen können und sich die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung wegen der fortdauernden
Prozessunfähigkeit des Schuldners verzögere, stelle die Akteneinsicht die einzige Möglichkeit dar, die
entsprechenden Informationen zu erlangen. Welche konkreten Steuererklärungen für welche Jahre
abgegeben werden müssten, könne er erst beurteilen, wenn Auskunft erteilt worden sei. Auch werde dann
eine Entscheidung möglich sein, ob und ggf. in welchem Umfang die Insolvenzmasse Kosten für eine
steuerliche Beratung aufwende. Dem Akteneinsichtsgesuch stehe das Steuergeheimnis nicht entgegen.
Es bestehe eine Offenbarungsbefugnis zumindest im Rahmen der Durchführung eines Verfahrens in
Steuersachen gem. § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1a AO.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2007 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Zur Begründung
führte er aus, dass Beteiligten ein Anspruch auf Einsicht in Steuerakten im Verwaltungsverfahren nicht
eingeräumt werde. Das Finanzamt könne aber im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen Akteneinsicht
gewähren. Der Bundesfinanzhof sehe den Anspruch des Einsichtsuchenden auf fehlerfreie
Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Interessenabwägung
dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen habe. Diese Abwägung habe das
Finanzamt im Streitfall vorgenommen; die öffentlichen Belange überwögen die des Klägers. In die
Abwägung einzustellen sei die Wahrung des Steuergeheimnisses nach § 30 AO als zentraler, durch das
Finanzamt zu wahrender öffentlicher Belang. Nach § 30 Abs. 2 Nr. 1a AO unterlägen Verhältnisse eines
anderen, die in einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen bekannt geworden seien, dem
Steuergeheimnis. Vom Steuergeheimnis geschützt seien daher die aus den Steuerakten hervorgehenden
Verhältnisse der Ehefrau in den Jahren, in denen sie vom Schuldner getrennt veranlagt worden sei, sowie
die Verhältnisse Dritter. Grundsätzlich unterlägen auch die Verhältnisse des Schuldners – und die diesen
gleichgestellten Verhältnisse der zusammenveranlagten Ehefrau – dem Schutz des Steuergeheimnisses.
Allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter Vertreter des Insolvenzschuldners nach §
34 Abs. 3 AO sei; er habe die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen, soweit seine
Verwaltung reiche. In diesem Umfang seien die Verhältnisse des Insolvenzschuldners nicht Verhältnisse
eines „anderen“ und unterlägen somit nicht dem Steuergeheimnis. Das Spannungsverhältnis sei
dahingehend zu lösen, dass dem Insolvenzverwalter Auskünfte über die Verhältnisse des Schuldners
erteilt werden dürften, die er zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten benötige. Weiterreichende
umfassende Auskünfte über persönliche Daten, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Erfüllung
steuerlicher Pflichten durch den Insolvenzverwalter stünden, dürften hingegen ohne Zustimmung des
Schuldners nicht erteilt werden. Die Zustimmung des Schuldners liege im Streitfall nicht vor. Sie könne
auch nicht durch die Zustimmung des Klägers als Vertreter des Schuldners ersetzt werden, da die
Zustimmung zur Mitteilung höchstpersönlicher Verhältnisse ein höchstpersönliches Recht des Schuldners
sei.
Es sei auch weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht, dass der Kläger eine vollumfängliche Akteneinsicht
in die Steuerakten seit 1998 benötige, um die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen. Für die
Jahre 1998 bis 2002 seien diese steuerlichen Pflichten bereits erfüllt. Die Besteuerungsverfahren seien
nach Erklärungsabgabe durch den Schuldner und die Erteilung von Steuerbescheiden lange vor der
Insolvenzeröffnung bestandskräftig abgeschlossen worden. Es sei auch nicht erforderlich, die Steuerakten
dieser Jahre „ins Blaue hinein“ daraufhin zu sichten, ob möglicherweise falsche Erklärungen des
Schuldners zu berichtigen seien. Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner unrichtige Angaben gemacht
habe, habe der Kläger im Laufe des Verfahrens nicht vortragen können. Steuerliche Pflichten bestünden
für die Jahre ab 2003. Lediglich die Umsatzsteuererklärungen 2004 und 2005 betreffend die Masse seien
abgegeben worden; für die Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 seien Schätzungen erfolgt. Der
Kläger habe zwar ausgeführt, dass er aus den bislang gefundenen Unterlagen nur einen sehr
einschränkten Überblick über die wirtschaftlich und steuerlich relevanten Aktivitäten des Schuldners habe
gewinnen können und er ohne die Einsicht in die Steuerakten seit 1998 nur die Wahl habe, keine
Erklärungen abzugeben und die Insolvenzmasse mit einer möglicherweise zu hohen Schätzung zu
belasten oder eine ggf. falsche Erklärung abzugeben. Dieser Gesichtspunkt könne jedoch im Rahmen der
Abwägung nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Nahe liegende Informationsquellen, aus denen sich
unmittelbare Angaben für die Jahre ab 2003 ergeben könnten, seien nicht ausgeschöpft worden. So sei
hier an eine Befragung des Schuldners zu den Jahren, für die die steuerlichen Pflichten noch bestünden,
zu denken. Der Kläger habe auch nicht versucht, Einblick in die Unterlagen der Staatsanwaltschaft bzw.
des bisherigen Steuerberaters des Schuldners zu erlangen, obwohl diese Auskunft über die Zeiträume
versprächen, für die noch steuerliche Pflichten zu erfüllen seien. Der Kläger habe daneben auch nicht
glaubhaft machen können, dass er anders als in den Jahren zuvor nunmehr die steuerlichen Pflichten
erfüllen werde. Er habe in den vergangenen Jahren lediglich zwei Steuererklärungen für die Masse
abgegeben; ansonsten seien die Schätzungen des Finanzamts hingenommen worden. Erst im zweiten
Akteneinsichtsverfahren werde nun erstmals vorgetragen, dass künftig die steuerlichen Pflichten erfüllt
werden sollten.
Die Gewährung vollumfassender Akteneinsicht sei zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Schuldners
durch den Kläger auch nicht erforderlich. Soweit die Mitteilung von Akteninhalten der Anreicherung der
Masse dienen könne, sei diese erfolgt. Mit Schreiben vom 24. März 2005 habe das Finanzamt dem Kläger
die aus den Steuerunterlagen hervorgehenden anfechtungsrelevanten Vermögensübertragungen
mitgeteilt. Auch diesbezüglich habe der Kläger die ihm angebotene Möglichkeit, die betreffenden
Unterlagen einzusehen, bislang nicht genutzt. Die Argumentation des Klägers, er müsse Einblick in
sämtliche Angaben des Schuldners in der Steuererklärung erhalten, werde dem Steuergeheimnis nicht
gerecht. Als anzuerkennende besondere Verwaltungsinteressen, bei deren Vorliegen Akteneinsicht
ermessensfehlerfrei versagt werden könne, könnten darüber hinaus die Ablehnungsgründe in § 29
Verwaltungsverfahrensgesetz -VwVfG- analog herangezogen werden. Hiernach sei u.a. dann keine
Akteneinsicht zu gewähren, wenn der Beteiligte zur Begründung seines Begehrens nichtsteuerliche
Gründe vortrage. Daneben könne die Akteneinsicht verweigert werden, soweit durch sie die
ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe der Behörde allgemein oder im Hinblick auf das konkrete in
Frage stehende Verfahren in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werde. Im Rahmen dieser Abwägung sei
zu berücksichtigen, dass die Gewährung von Akteneinsicht erheblichen Arbeitsaufwand für das Finanzamt
verursache, weil mehrere hundert Aktenseiten darauf geprüft werden müssten, ob Verhältnisse anderer
betroffen seien und inwieweit eine Offenbarung derselben trotz des Steuergeheimnisses erfolgen dürfe.
Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, dass der
Schuldner im Insolvenzverfahren jegliche Kooperation verweigere. Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung
der Auskunfts- und Mitteilungspflichten seien ihm gegenüber nicht möglich, weil er dauerhaft prozess- und
verhandlungsunfähig sei. Aus diesem Grund sei er, der Kläger, bislang auch nicht in der Lage gewesen,
Steuererklärungen für die Zeit ab Insolvenzeröffnung und, soweit noch nicht erfolgt, für den Zeitraum vor
der Insolvenzeröffnung abzugeben. Die Einsichtnahme werde daher hauptsächlich zur Erfüllung der
steuerlichen Pflichten gem. § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AO und § 155 InsO begehrt. Damit in Zusammenhang
stehe aber auch die Verfolgung weiterer anfechtungsrelevanter Vermögensverfügungen des Schuldners,
die sich auf dessen Vermögens- und Einkommenssituation und somit auf die zu entrichtenden Steuern
auswirkten. Ergebe die Einsichtnahme, dass der Schuldner in den vergangenen zehn Jahren Vermögen
an Angehörige oder andere Dritte in anfechtungsrelevanter Weise übertragen habe, wären die für die
entsprechenden Zeiträume abgegebenen Steuererklärungen durch ihn zu korrigieren. In Folge einer
erfolgreichen Anfechtung seien aus dem übertragenen Vermögen erzielte Einnahmen nicht mehr dem
Anfechtungsgegner, sondern dem Schuldner zuzurechnen, so dass sich dessen Einkünfte erhöhten. Die
Auffassung des Beklagten, dass allein wegen der Bestandskraft der Steuerbescheide bis zum Jahr 2002
ein Interesse an der Einsichtnahme in die Steuerakten ausscheide, könne nicht gefolgt werden. Eine
Änderung der Bescheide wäre vielmehr im Hinblick auf die durch die Anfechtung eintretende Situation
gem. §§ 172 ff. AO möglich. Soweit der Beklagte bestreite, dass er die begehrte Auskunft auch zur
Erfüllung der steuerlichen Pflichten benötige, überspanne er die Pflichten des Insolvenzverwalters zur
Darlegung und Glaubhaftmachung. Bei seinem derzeitigen Kenntnisstand sei er gezwungen, eine
Erklärung „ins Blaue hinein“ und allein auf Grund unvollständig vorgefundener Unterlagen des
Schuldners abzugeben. Damit würde er die nach der Insolvenzordnung bestehende Verpflichtung zur
Prüfung der Angaben des Schuldners verletzen und dessen mögliche Pflichtverletzung gegenüber den
Gläubigern perpetuieren.
Rechtsfehlerhaft verweise der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensausübung auf einen nahe
liegenden und für die Finanzverwaltung weniger belastenden Weg. Hierfür finde sich keine Grundlage in
der Abgabenordnung. Unabhängig hiervon verweigere der Schuldner – wie dargelegt – jegliche
Mitwirkung. Auch vom Steuerberater hätten bislang die entsprechenden Informationen nicht erlangt
werden können. Sowohl der Schuldner als auch der Steuerberater des Schuldners erteilten keine
Auskünfte zur Klärung der Vermögensverhältnisse. Grundsätzlich bestehe zwar die Möglichkeit,
Informationen vom Steuerberater des Schuldners zu verlangen. Diese Möglichkeit, die nur einen
eingeschränkten Bereich der Buchhaltung betreffe, müsste im Hinblick darauf, dass der Steuerberater
eine Mitwirkung verweigere, ebenfalls im Klagewege durchgesetzt werden. Darüber hinaus unterliege der
Steuerberater einer berufsrechtlichen Geheimhaltungspflicht, von der er nur durch den Schuldner
entbunden werden könne. Der Verweis auf ein Akteneinsichtsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft
stelle einen logischen Zirkelschluss dar. Ein Akteneinsichtsrecht in einem gegen den Schuldner
gerichteten Ermittlungsverfahren bestehe für den Insolvenzverwalter nur gem. § 475 Strafprozessordnung
-StPO-. Dabei sei ein Gesuch insbesondere dann abzulehnen, wenn diesem schutzwürdige Interessen
des Beschuldigten entgegenstünden. Wenn die Ausführungen des Beklagten zu dem vorrangig zu
wahrenden Steuergeheimnis zuträfen, hätte auch die Staatsanwaltschaft dieses Schutzgut zu
berücksichtigen. Die Interessen der teilweise in den streitgegenständlichen Jahren zusammen mit dem
Schuldner veranlagten Ehefrau rechtfertigten ebenfalls keine andere Betrachtung. Auf Grund der Wahl der
Zusammenveranlagung müsse die Ehefrau dulden, dass durch das Akteneinsichtsgesuch ihre
steuerlichen Verhältnisse, soweit diese zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten dienten, offenbart würden.
Auch wenn seinem Akteneinsichtsersuchen überwiegend nicht steuerliche Motive zu Grunde liegen
würden, bestünde ein Anspruch auf Auskunftserteilung. Der Bundesfinanzhof habe ein
Akteneinsichtsersuchen nur insoweit als rechtsmissbräuchlich angesehen, als es ausschließlich der
Erlangung von Informationen für die Durchführung eines zivilgerichtlichen Verfahrens diene. Im Streitfall
führe die Anfechtung von Vermögensverschiebungen auch zu einer Veränderung der
Einkommenssituation und damit der festzusetzenden Einkommensteuer. Insoweit diene ein
entsprechendes Gesuch zumindest als Nebenzweck auch immer der Erfüllung steuerlicher Pflichten.
Diesen Umstand hätte der Beklagte bei seiner fehlerhaften Ermessensentscheidung berücksichtigen
müssen. Auf Grund der bislang in den Insolvenzverfahren gewonnenen Erkenntnisse insbesondere im
Hinblick darauf, dass eine geordnete Buchführung nicht vorgefunden worden sei, bestehe die begründete
Vermutung, dass der Schuldner in der Vergangenheit vereinnahmte Gelder nicht erklärt und
möglicherweise auch in das Ausland transferiert habe. Die Einsichtnahme in die Steuererklärungen der
bereits bestandskräftigen Veranlagungsjahre diene daher zum einen dem Abgleich der auf Seiten des
Insolvenzverwalters vorliegenden Erkenntnisse mit den sich aus den Steuerakten ergebenen
Informationen. Zum anderen sei die Erstellung der Steuererklärung eines Folgejahres ohne die Kenntnis
der Erklärung des vorangegangenen Jahres nicht oder zumindest nur mit dem Risiko einer teilweise
falschen Erklärung möglich. Der begehrten Einsicht stehe daher die Festsetzungsfrist der
§§ 169 ff. AO nicht entgegen. Denn es sei nicht ausgeschlossen, dass der Schuldner die Tatbestände der
§§ 369 ff. AO verwirklicht habe, weshalb die Festsetzungsfrist für das Jahr 1998 frühestens am Ende des
Jahres 2008 enden würde. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens habe sich die Verwaltung an den
Maßstäben, die für eine Akteneinsicht im gerichtlichen Verfahren gelten, zu orientieren. Der Beklagte habe
nicht dargelegt, welche Interessen in welchen Streitjahren zu wahren seien und in welchem Umfang die
Steuerakten des Schuldners hiervon betroffen seien. Insbesondere fehlten Ausführungen, wie viele Seiten
der Steuerakten zur Wahrung des Steuergeheimnisses Dritter unkenntlich zu machen wären.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung der Akteneinsicht vom 2. Januar 2007 und die Einspruchsentscheidung
vom 4. Mai 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsmeinung des
Gerichts den Antrag auf Akteneinsicht in die Einkommensteuerakten des Herrn A. S. ab dem Jahr 1998
neu zu bescheiden,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in seiner Einspruchsentscheidung und
trägt ergänzend vor, dass die Ablehnung des Akteneinsichtsgesuchs zur Wahrung des ordnungsgemäßen
Geschäftsgangs geeignet und erforderlich sei. Im Verwaltungsverfahren sei ein Ausgleich der
widerstreitenden Interessen der Beteiligten und damit ein milderes Mittel gesucht worden. Er habe dem
Kläger am 24. März 2005 auf konkrete Fragen konkrete Auskünfte erteilt; darüber hinaus sei ihm
angeboten worden, die diese Auskünfte stützenden Unterlagen an Amtsstelle einzusehen und
Nachfragen zu beantworten. Hiervon habe der Kläger keinen Gebrauch gemacht; stattdessen bestehe er
auf einer vollumfänglichen Akteneinsicht. Dem Kläger sei damit nicht ohne weiteres der Zugang zu den
Akteninhalten versagt worden; nur der Maximalforderung nach Einsicht in die kompletten Steuerakten seit
1998 werde entgegengetreten.
Die Ablehnung der vollumfänglichen Akteneinsicht sei bei Abwägung der widerstreitenden Interessen
auch nicht unangemessen. Für ihn, den Beklagten, sei die Gewährung von Akteneinsicht mit erheblichem
Arbeitsaufwand verbunden. Denn nach § 30 AO sei jede einzelne Information der Steuerakte darauf zu
prüfen, ob sie Verhältnisse eines anderen enthalte. Sei dies der Fall, so sei zu prüfen, ob die Offenbarung
ausnahmsweise zulässig sei; anderenfalls sei von der entsprechenden Seite eine Kopie zu fertigen und
die vom Steuergeheimnis erfasste Information unkenntlich zu machen. Dieser Arbeitsaufwand werde nicht
dadurch entscheidend gemindert, dass das Steuergeheimnis die Verhältnisse der mit dem Schuldner
zusammenveranlagten Ehefrau nicht schütze. Auch von einer den Prüfungsaufwand reduzierenden
weitgehenden Befugnis zur Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1a AO zwecks
Durchführung eines Besteuerungsverfahrens könne nicht die Rede sein. Es sei offen geblieben, in
welcher Form die Akteninhalte das Besteuerungsverfahren fördern könnten. Das Interesse des Klägers an
der Akteneinsicht überwiege die dargelegten Interessen des Finanzamts nicht. Der vom Kläger angeführte
§ 155 InsO statuiere nicht eine Pflicht zur Überprüfung von früheren Steuererklärungen „ins Blaue hinein“,
sondern begründe allenfalls eine Pflicht des Insolvenzverwalters zur Berichtigung ihm nachweislich
bekannter Falschangaben. Anhaltspunkte dafür, dass die Steuererklärungen falsche Angaben enthielten,
habe der Kläger bislang nicht vorgetragen. Daneben sei zu beachten, dass die Gewährung von
Akteneinsicht Ausfluss des Anhörungsrechts der Beteiligten nach § 91 AO sei; dieses Anhörungsrecht
ende mit der Bestandskraft des Steuerbescheids. Schließlich sei nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die
Änderung eines Steuerbescheids nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Soweit
noch keine Steuererklärungen eingereicht worden seien, treffe den Kläger zwar grundsätzlich die Pflicht,
dies nachzuholen. Dass der Kläger diese Pflicht nicht ohne Akteneinsicht beim Beklagten erfüllen könne,
stehe jedoch nicht fest. Zum einen sei nach wie vor offen, ob der Schuldner zwischenzeitlich nicht doch zu
Auskünften in der Lage sei, nachdem das letzte vorgelegte ärztliche Attest vom 25. April 2005 datiere. Zum
anderen lege der Kläger nach wie vor nicht dar, weshalb er die benötigten Auskünfte nicht von den
früheren Steuerberatern des Schuldners einhole, die nicht dem mit der Wahrung des Steuergeheimnisses
verbundenen Prüfungsaufwand unterlägen. Die Schutzwürdigkeit des Interesses des Klägers an der
Akteneinsicht sinke in dem Maße, in dem er die Auskünfte auch auf einem weniger belastenden Weg
erhalten könne. Selbst wenn man unterstelle, dass der Kläger ohne Akteneinsicht beim Finanzamt die
Steuererklärungen nicht fertigen könne, folge daraus nicht ohne weiteres, dass ein Interesse an der
Akteneinsicht überwiege. Denn sonst würde in jedem Insolvenzverfahren allein der Hinweis auf die
abstrakte Pflicht des Insolvenzverwalters zu Erklärungsabgabe mit einem Akteneinsichtsrecht verbunden
werden. Der Beklagte verkenne bei seiner Beurteilung nicht die Schwierigkeiten, mit denen
Insolvenzverwalter bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldner konfrontiert sein
könnten, wenn keine geordneten Unterlagen vorlägen und der Insolvenzschuldner auf Grund
gesundheitlicher Probleme nicht zur Mitwirkung gezwungen werden könne.
Das Gericht hat die das Insolvenzverfahren des Schuldners betreffenden Akten des Amtsgerichts
Kaiserslautern -Insolvenzgericht- (IN 273/04) zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Für das erkennende Gericht ist bereits nicht ersichtlich, dass der Kläger an der begehrten Akteneinsicht
im Hinblick auf die hierfür geltend gemachten Gründe gegenwärtig noch ein rechtliches Interesse besitzt.
Maßgebend für diese Einschätzung ist der Umstand, dass der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen
Verhandlung vor dem erkennenden Senat erklärt hat, die Geltendmachung von neuen, noch nicht
bekannten Anfechtungsmöglichkeiten scheide wegen eingetretener Verjährung etwaiger Ansprüche aus.
Damit kommt im Streitfall den Angaben des Klägers zufolge die Möglichkeit einer zusätzlichen bzw. neuen
Anfechtung von Vermögensverfügungen des Schuldners, für die sich
– ohnehin lediglich vermutete – Anhaltspunkte in den Einkommensteuerakten hätten ergeben und die
nach Auffassung des Klägers zu einer Veränderung der Einkommenssituation des Schuldners und der
festzusetzenden Einkommensteuer hätten führen können (vgl. Bl. 17 f. Proz.-Akte), nicht mehr in Betracht.
Dass im Übrigen konkrete, in den Einkommensteuerakten enthaltene Informationen zur Verwirklichung
bereits bekannter – vom Kläger teilweise bereits durchgesetzter oder geltend gemachter –
Anfechtungsmöglichkeiten notwendig sind, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Darüber hinaus
ist der Kläger, worauf das Gericht in der mündlichen Verhandlung aufmerksam gemacht hat, nachdem
hierzu im Verwaltungs- und Klageverfahren jegliche Angaben unterblieben waren, ausweislich der
beigezogenen Akten des Amtsgerichts Kaiserslautern -Insolvenz-gericht- (IN 273/04) offenbar zumindest
zum Teil schon im Besitz von Ablichtungen der Steuererklärungen des Schuldners nebst Anlagen (vgl. Bl.
1069 ff. Insolvenzakten). Außerdem haben die vom Schuldner in der Vergangenheit mit der Erstellung von
Steuererklärungen betrauten Steuerberater dem Kläger zu den Einkommens- und
Vermögensverhältnissen des Schuldners bereits Auskünfte erteilt und in diesem Zusammenhang auch
eine Vermögensaufstellung des Schuldners auf den 9. Dezember 2002 nebst weiteren Unterlagen
übersandt (vgl. Bl. 1085 f. Insolvenzakten). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner, dass
der Schuldner am 6. Juni 2007 (vgl. Bl. 1029 ff. Insolvenzakten) sowie am 15. Juli 2009 (vgl. Bl. 1709 ff.
Insolvenzakten) in anberaumten Terminen zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung vor dem
Amtsgericht Kaiserslautern -Insolvenzgericht- den Kläger bevollmächtigt hat, Ermittlungen über sein
früheres oder derzeit noch ihm gehörendes oder seiner Verwaltung unterliegendes im Ausland
befindliches Vermögen anzustellen und etwaiges Vermögen in Besitz zu nehmen, zu verwalten und zu
verwerten. Auf Grund der erteilten Vollmacht sind dem Kläger u.a. von Banken in der Schweiz Auskünfte
über Vermögensanlagen und -verfügungen des Schuldners erteilt worden (vgl. Bl. 1120 f. Insolvenzakten).
Vor dem Hintergrund dieser maßgeblichen Umstände des Streitfalls ist für den Senat nicht erkennbar,
dass noch eine aktuelle rechtliche Erheblichkeit der Einsicht in die Steuerakten des Schuldners –
namentlich zum Zwecke der Erfüllung von steuerlichen Erklärungspflichten sowie zur Kenntniserlangung
von Anfechtungsmöglichkeiten – besteht, zumal auch in der mündlichen Verhandlung vor dem
erkennenden Senat die im Wege der Akteneinsicht begehrten Informationen nicht substantiiert bezeichnet
werden konnten.
2. Dessen ungeachtet führt die Klage auch in der Sache nicht zum Erfolg. Die Ablehnung des Antrags des
Klägers auf Einsichtnahme in die für den Schuldner geführten Einkommensteuerakten seit dem Jahr 1998
begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
a) Die Abgabenordnung sieht - anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 VwVfG und § 147
StPO - für das Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und
Ermittlungsakten nicht vor. Ein solches Einsichtsrecht ist weder aus § 91 Abs. 1 AO und dem hierzu
ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung -AEAO- der Verwaltung noch aus § 364 AO und
dem dazu ergangenen Anwendungserlass abzuleiten. Gleichwohl geht der Bundesfinanzhof in ständiger
Rechtsprechung - ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO - davon aus, dass dem
während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem
Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht, weil die
Behörde nicht gehindert sei, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (vgl. BFH, Urteil vom 8. Februar
1994, VII R 88/92, BStBl II 1994, 552; Beschluss vom 8. Juni 1995, IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64). Die
vom Bundesfinanzhof vertretene Rechtsauffassung steht auch im Einklang mit der in AEAO Nr. 4 zu
§ 91 AO zum Ausdruck gekommenen Auffassung und Handhabung des Akteneinsichtsrechts durch die
Verwaltung, mit der weitaus überwiegenden Rechtsprechung der Finanzgerichte (vgl. Hessisches FG,
Urteil vom 16. März 1990, 1 K 4538/89, EFG 1990, 503; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 5. April
1991, XI 374/90, EFG 1991, 625; FG Münster, Urteil vom 5. November 2002 1 K 7155/00 S, EFG 2003,
499) und mit der
überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. etwa Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl., 2006, § 89 Rdnr. 6
m.w.N.; grundlegend hierzu BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003, VII B 138/01, BStBl II 2003, 790 m.w.N.).
Dabei muss ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht und Auskunftserteilung dargelegt werden (vgl.
Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 17. Dezember 2008, IV A 3-S 0030/08/10001,
2008/0725482, BStBl I 2009, 6; vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 23. August 1996, 18 K 8159/92, EFG
1998, 11). Eine Akteneinsicht kann grundsätzlich nicht mehr beansprucht werden, wenn das
Steuerfestsetzungsverfahren, in dem die Einsichtnahme begehrt wird, bestandskräftig abgeschlossen ist
(vgl. Schwarz, AO, Loseblatt, Stand 15. Februar 2009, vor §§ 78 bis 133 AO Rdnr. 77a unter Bezugnahme
auf BFH, Beschluss vom 21. April 2005, VIII B 276/04, BFH/NV 2005, 1820; Hessisches FG, Urteil vom 16.
März 1990, a.a.O.).
Maßgebend für die Art und Weise der Ermessensanwendung ist im Falle eines geltend gemachten
Anspruchs auf Gewährung von Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren der vom Gesetzgeber
gesteckte Ermessensrahmen. Dieser ist durch das Fehlen eines Anspruchs auf Akteneinsicht in der
Abgabenordnung so gezogen worden, dass die Einsichtnahme in die Akten während des laufenden
Verwaltungs- oder Steuerermittlungsverfahrens lediglich eine in Anwendung des § 91 oder des § 364 AO
aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu gewährende Ausnahme sein soll. Dem entspricht
die Gesetzesbegründung des Finanzausschusses (vgl. BTDrucks 7/4292, S. 24 f.). Der Gesetzgeber hat
dort ausdrücklich ein dem zeitgleich mit der Abgabenordnung in Kraft getretenen § 29 VwVfG
entsprechendes allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel
gehalten, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der
Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen
hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte
Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen
hätte, entgegenstünden. Diese Überlegungen gelten auch heute noch. Denn der Gesetzgeber hat in
Kenntnis des dem Bürger im rechtsstaatlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zustehenden Rechts
auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) und auf ein faires Verfahren, sowie dessen Recht, sich zu
dem Sachverhalt und der Rechtslage zu äußern, bestimmte Verfahrensanträge zu stellen und
Ausführungen zur Sache zu machen, und in Kenntnis der Regelungen zugunsten eines frühzeitigen
Akteneinsichtsrechts in anderen Verwaltungsverfahrensordnungen auch in späteren Gesetzesberatungen
bis heute davon abgesehen, einen Anspruch auf Einsicht in die Verwaltungsakten im
Besteuerungsverfahren zu regeln (vgl. BFH, Beschluss vom 4. Juni 2003, a.a.O.).
Bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht ist vor allem das Steuergeheimnis nach § 30
AO zu beachten. Die Vorschrift trägt verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung und gewährt dem Recht
auf informationelle Selbstbestimmung den notwendigen Schutz. Den umfangreichen und
einschneidenden steuerlich Offenbarungs- und Mitwirkungspflichten des Steuerbürgers korrespondiert die
spezialgesetzliche Ausgestaltung, die der Datenschutz im Steuerrecht durch § 30 AO gefunden hat (vgl.
BFH, Urteil vom 8. Februar 1994, VII R 88/92, BStBl II 1994, 552). Die grundrechtliche Verbürgung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG darf nur im überwiegenden
Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz
oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, und zwar nur soweit, wie es zum Schutz
öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Das Steuergeheimnis dient allerdings nicht nur dem
verfassungsrechtlich anerkannten und geschützten Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen,
sondern zugleich einem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, nämlich sicherzustellen, dass die
Besteuerungsgrundlagen richtig und vollständig erfasst werden und die Steuerpflichtigen nicht etwa aus
Furcht vor den Folgen einer Weitergabe ihrer gegenüber den Finanzbehörden gemachten Angaben ihre
steuerliche Verhältnisse nicht oder nicht vollständig offenbaren. Es soll damit das Vertrauen des Bürgers
in die Amtsverschwiegenheit stärken und dort durch seine Bereitschaft zur Offenlegung steuerlicher
Sachverhalte fördern, um so das Steuerverfahren zu erleichtern, die Steuerquellen vollständig zu erfassen
und eine gesetzmäßige und gleichmäßige Versteuerung sicherzustellen (vgl. BFH, Urteil vom 8. Februar
1994, a.a.O.). Geschützt sind nach § 30 Abs. 2 Nr. 1a AO Verhältnisse eines anderen, die einem
Amtsträger in einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen bekannt geworden sind. Es kommt nicht
darauf an, ob der Steuerpflichtige an der Geheimhaltung mutmaßlich ein Interesse hat. Erfasst sind alle
personenbezogenen Daten und alle Umstände, die das Finanzamt über eine Person kennt. Der Begriff
„Verhältnisse eines anderen“ umfasst sowohl die privaten wie auch die beruflichen und betrieblichen
Verhältnisse. Er schließt auch die bloße Existenz des Steuerpflichtigen ein, erst Recht die Tatsache seiner
steuerlichen Erfassung oder Beteiligung an einem anhängigen Verwaltungsverfahren. Verhältnisse eines
anderen sind nicht nur Umstände des Steuerpflichtigen, sondern auch die anderer Personen. Dem
Steuergeheimnis unterliegt so etwa auch grundsätzlich die Identität eines Anzeigeerstatters (vgl. BFH,
Urteile vom 7. Mai 1985, VII R 25/82, BStBl II 1985, 571; vom 8. Februar 1994, VII R 88/92, BStBl II 1994,
552).
Das Steuergeheimnis soll sich indes nicht hemmend auf das Besteuerungsverfahren auswirken. Daher ist
eine Offenbarung der im Besteuerungsverfahren bekannt gewordenen Verhältnisse namentlich dann
zulässig, wenn dies der Durchführung eines anderen Besteuerungsverfahrens, eines
Steuerstrafverfahrens oder eines Verfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit dient (vgl. § 30 Abs. 4
Nr. 1 AO). Bei jeder Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist die rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit
des Eingriffs und der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Das gilt insbesondere
bei der Offenbarung zu außersteuerlichen Zwecken und gegenüber Privaten, die nicht ihrerseits dem
Steuergeheimnis unterliegen. Auch sonst ist Zurückhaltung zu üben, wenn die Finanzbehörde ohne
Offenbarung der steuerlichen Verhältnisse eines anderen das Verfahren ebenfalls ohne unangemessen
große Ermittlungsschwierigkeiten durchführen kann (vgl. Rüsken in Klein, a.a.O., § 30 Rdnr. 70 ff.). Soweit
es nach § 30 Abs. 4 AO zulässig ist, dem Steuergeheimnis unterliegende Kenntnisse zu offenbaren, folgt
daraus grundsätzlich keine Pflicht; es muss vielmehr unter Abwägung der gegenseitigen Interessen eine
sachgerechte Ermessensentscheidung getroffen werden. Dabei sind im Einzelfall das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen – wie auch anderer vom Steuergeheimnis geschützter
Personen – und das Zweck des Steuergeheimnisses – die möglichst vollständige Erschließung der
Steuerquellen – mit dem Interesse an der Offenbarung von steuerlich erheblichen Tatsachen abzuwägen;
dieser Zweck kann es auch erfordern, die Auskunftsbereitschaft Dritter zu erhalten. In der Abwägung des
Einzelfalls bedeutet dies, dass etwa dem Informantenschutz dann ein höheres Gewicht als dem
Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zukommt, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen
im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (vgl. BFH, Beschluss vom
7. Dezember 2006, V B 163/05 BStBl. II 2007, 275).
Das Steuergeheimnis nach § 30 AO ist in Angelegenheiten des Insolvenzrechtes ebenfalls gegenüber
allen Beteiligten zu wahren. Dies gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Insolvenzverwalter (vgl. Waza,
NWB 2003, Fach 2, 8237 ff.). Mit der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 22 Abs. 1
InsO bzw. mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert allerdings der Schuldner die Befugnis, sein
zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (vgl. § 80 Abs. 1 InsO).
Dabei hat das Insolvenzverfahren gem. § 1 Satz 1 InsO das Ziel, die Gläubiger eines Schuldners
gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt
oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt eines Unternehmens
getroffen wird. Das Insolvenzverfahren kann auch der Befriedigung des Steuergläubigers und somit der
Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2
Nr. 1a AO dienen. Die Offenbarung von Verhältnissen kann daher zulässig sein, soweit die Angaben zur
Durchführung eines Verfahrens erforderlich sind. Hierzu zählen etwa die in dem Antrag des Finanzamts
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. §§ 13, 14 InsO) zur Glaubhaftmachung eines
Eröffnungsgrundes (vgl. §§ 16 ff. InsO) notwendigen Angaben oder die Anmeldung der
Abgabeforderungen zum Forderungsverzeichnis und deren genaue Bezeichnung dem Grunde und der
Höhe nach (vgl. § 174 f. InsO). Auch können im Einzelfall Informationen zur Anreicherung der Masse
durch den Insolvenzverwalter mit dem Ziel, eine höhere Quote für die Finanzverwaltung zu erreichen,
hierzu gehören. Die Offenbarung von Verhältnissen, welche die Forderung des Finanzamts in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründen und stützen, dient der Durchführung sowohl des
Festsetzungs- als auch des Vollstreckungsverfahrens in Steuersachen und ist daher nach § 30 Abs. 4 Nr.
1 AO regelmäßig zulässig (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO und FGO, Loseblatt, Stand Februar 2009, § 30
AO Rdnr. 64; Hagen StW 2009, 16).
Zu beachten ist weiterhin, dass der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO, soweit seine
Verwaltung reicht, dieselben steuerlichen Pflichten zu erfüllen hat wie die gesetzlichen Vertreter
natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen
Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Ihn treffen daher alle Pflichten, die dem
Insolvenzschuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden
wäre (vgl. § 155 Abs. 1 InsO). Dazu gehört auch die Steuererklärungspflicht gemäß § 149 Abs. 1 AO und,
wenn der Schuldner eine gewerbesteuerpflichtige Personengesellschaft ist, die Verpflichtung zur
Buchführung und Bilanzierung; das gilt auch für Steuerabschnitte, die vor der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens liegen (vgl. BFH, Urteil vom 23. August 1994, VII R 143/92, BStBl II 1995, 194;
Beschluss vom 19. November 2007, BFH/NV 2008, 334). Dem Insolvenzverwalter können deshalb
grundsätzlich auch Auskünfte über Verhältnisse des Schuldners erteilt werden, die er zur Erfüllung dieser
steuerlichen Pflichten benötigt, da hier die Auskunftserteilung zu Verfahrenszwecken nach § 30 Abs. 4 Nr.
1 AO zulässig ist (vgl. FG Münster, Urteil vom 17. September 2009, 3 K 1514/08 AO, juris). Dies gilt auch
im Fall der Insolvenz eines Ehegatten hinsichtlich der Einkommensteuerakten bei der
Zusammenveranlagung (vgl. BFH, Beschluss vom 28. März 2007, III B 10/07, BFH/NV 2007, 1182). Soweit
der Insolvenzverwalter von einer Finanzbehörde Auskünfte über Umstände, die das Bestehen eigener
Ansprüche – etwa von Anfechtungsrechten – für die Insolvenzmasse rechtfertigen können, begehrt,
können ihm jedoch keine weitergehenden Rechte als den übrigen Gläubigern des Schuldners zustehen.
Eine Auskunftsverpflichtung ist in diesem Fall unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und
Glauben erst anzunehmen, wenn der Anfechtungsgrund oder der sonst geltend gemachte Anspruch dem
Grunde nach feststehen und es nur noch um die nähere Bestimmung von Art und Umfang des Anspruchs
geht. Allein wegen des Verdachts anfechtbarer Zahlungen auf Steuerschulden besteht kein
Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber dem Finanzamt aus § 242 BGB (vgl. BGH, Urteile
vom 6. Juni 1979, VIII ZR 255/78, NJW 1979, 1832; vom 13. August 2009, IX ZR 58/06, WM 2009, 1942;
FG Düsseldorf, Urteil vom 14. Mai 2008, 4 K 242/07 AO, EFG 2009, 638).
Bei einer Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsichthandelt es sich um eine
Ermessensentscheidung des Finanzamts. Die Entscheidung kann gerichtlich nur daraufhin überprüft
werden, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise ausgeübt hat (vgl. § 102 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das Finanzgericht kann
nur dann ausnahmsweise eine Verpflichtung des Finanzamts zum Erlass aussprechen (§ 101 FGO), wenn
der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als
ermessensgerecht in Betracht kommt (vgl. zur sog. Ermessensreduzierung auf Null: BFH, Urteil vom 21.
Januar 1992, VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3). Für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Ermessensentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. BFH, Urteil vom 8. Februar 1994, VII R 88/92, BStBl II 1994,
552). Das Gericht ist im Ermessensbereich nicht zur eigenen Ermessensausübung befugt, weil es
ansonsten seine Erwägungen letztlich an die Stelle der hier allein maßgeblichen Ermessenserwägungen
der Verwaltung setzen würde (vgl. BFH, Urteil vom 28. Juni 2000, X R 24/95, BStBl II 2000, 514). Der
Bundesfinanzhof sieht dementsprechend den Anspruch des um Akteneinsicht Nachsuchenden auf
fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das Finanzamt im Rahmen einer
Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (vgl. BFH,
Beschlüsse vom 8. Juni 1995, a.a.O.; vom 4. Juni 2003, a.a.O.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte in seinem Ablehnungsbescheid vom 2. Januar
2007 und seiner Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2007 den Antrag des Klägers auf Einsichtnahme in
die hinsichtlich des Schuldners geführten Einkommensteuerakten ohne einen nach § 102 Satz 1 FGO
beachtlichen Ermessensfehler abgelehnt. Der Beklagte hat sich in rechtlich unbedenklicher Weise mit den
erkennbaren Interessen des Klägers auseinandergesetzt und diese mit den eigenen Belangen sowie den
geschützten Gesichtspunkten Dritter abgewogen. Er hat hierbei zunächst beachtet, dass der Kläger als
Insolvenzverwalter alle Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, die diesem oblägen, wenn das
Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre (vgl. §§ 80 Abs. 1, 155 Abs. 1 InsO). Hierzu zählt, wie der
Beklagte zutreffend festgestellt hat, die Verpflichtung zur Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten
des Insolvenzschuldners, die sich auch auf die Abgabe von Steuererklärungen aus
Veranlagungszeiträumen vor der Insolvenzeröffnung erstreckt. Der Beklagte hat in diesem
Zusammenhang zu Recht betont, dass der Kläger Vertreter des Insolvenzschuldners nach § 34 Abs. 3 AO
ist und ihm grundsätzlich Auskünfte über die Verhältnisse des Schuldners erteilt werden dürfen, soweit er
diese zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten benötigt. Er hat ferner berücksichtigt, dass der Kläger die
begehrte Akteneinsicht und Auskunftserteilung auch auf eine Verpflichtung zur Überprüfung der
Steuererklärungen des Schuldners und der bereits ergangenen Steuerbescheide sowie auf die mögliche
Geltendmachung von Anfechtungsrechten (vgl. §§ 129 ff. InsO) gestützt hat. Die Argumente des Klägers
hat der Beklagte dem öffentlichen Interesse insbesondere im Hinblick auf das in § 30 AO normierte
Steuergeheimnis gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen. In die Abwägung eingestellt hat er
rechtsfehlerfrei die Wahrung des Steuergeheimnisses als zentralen, durch das Finanzamt zu wahrenden
öffentlichen Belang. Dem Schutz des Steuergeheimnisses unterliegen hierbei zunächst dem Grunde nach
die Verhältnisse des Schuldners sowie die diesen gleichgestellten Verhältnisse seiner mit ihm zusammen
zur Einkommensteuer veranlagten Ehefrau. Der Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das
Steuergeheimnis nach § 30 Abs. 2 Nr. 1a AO darüber hinaus die aus den Steuerakten hervorgehenden
Verhältnisse der Ehefrau des Schuldners in den Jahren, in denen sie vom Schuldner getrennt veranlagt
worden ist, sowie sämtliche personenbezogenen Daten und Umstände Dritter, die dem Finanzamt
bekannt sind, umfasst. Er hat hierzu ohne Ermessensfehler darauf abgestellt, dass das Steuergeheimnis
gerade auch Personen schützt, deren Verhältnisse ohne ihr Zutun in einem Besteuerungsverfahren
bekannt worden sind. Daneben hat der Beklagte im Rahmen der durchgeführten Abwägung dem
Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger eine Zustimmung des Schuldners zur Offenbarung von
Verhältnissen im Streitfall nicht vorgelegt hat (vgl. § 34 Abs. 4 Nr. 3 AO). Die Zustimmung des betroffenen
Steuerpflichtigen, aus der sich indes noch keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung des Finanzamts
ergibt (vgl. Rüsken, a.a.O., § 30 Rdnr. 160) und die eine Abwägung mit rechtlich geschützten Interessen
Dritter nicht entbehrlich macht, kann nach rechtlich nicht zu beanstandender Auffassung des Beklagten
auch nicht durch die Zustimmung des Klägers als Vertreter des Schuldners ersetzt werden, weil die
Zustimmung zur Offenbarung personenbezogener Verhältnisse ein höchstpersönliches Recht des
Schuldners ist (vgl. Jörißen, AO-StB 2008, 46, 49 f.; Hagen, StW 2009, 16, 18). Zudem hat der Beklagte
zutreffend auf die Beeinträchtigung seiner Aufgabenerledigung durch die Gewährung eines allgemein
gehaltenen Akteneinsichtsgesuchs hingewiesen. Er wäre vor dem Hintergrund des § 30 AO verpflichtet,
sämtliche Unterlagen nach Informationen Dritter zu untersuchen, die dem Steuergeheimnis unterliegen
und diese vor der Akteneinsicht auszusondern oder unkenntlich zu machen (vgl. hierzu FG Münster, Urteil
vom 20. November 2003, 12 K 6405/02 S, EFG 2004, 387).
Des Weiteren hat der Beklagte in zulässiger Weise in seine Ermessensentscheidung einbezogen, dass
dem Kläger bereits mit Schreiben vom 24. März 2005 aus den Steuerakten des Schuldners konkrete
Auskünfte über mögliche anfechtungsrelevante Tatbestände erteilt worden sind. In diesem
Zusammenhang hat der Beklagte dem Kläger sogar angeboten, die diese Auskünfte stützenden
Unterlagen einzusehen und Nachfragen zu beantworten. Dabei hat der Beklagte zu Gunsten des Klägers
unterstellt, dass eine Offenbarung von Verhältnissen, die der Finanzbehörde bekannt werden, auch zur
Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO dienen
kann, wenn der Insolvenzverwalter in die Lage versetzt wird, die Masse im Wege der Anfechtung
anzureichern und so eine höhere Quote für die Finanzverwaltung zu erreichen. Diesem grundsätzlich
anzuerkennenden und im Streitfall auch anerkannten Interesse des Klägers hat der Beklagte die
schutzwürdigen privaten und öffentlichen Interessen gegenübergestellt und die Mitteilung vom 24. März
2005 gewürdigt. Dass über die erteilten Auskünfte hinaus weitergehende Anfechtungsmöglichkeiten in
Betracht kommen können, hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht substantiiert vorgetragen.
Vielmehr hat er lediglich Vermutungen dahingehend geäußert, dass der Schuldner auch außerhalb der
bereits bekannt gewordenen (anfechtbaren) Vermögensverfügungen in anfechtbarer Weise zu
Vermögensverschiebungen und zu einer Verminderung der Insolvenzmasse beigetragen haben könnte.
Eine Akteneinsichts- und Auskunftsrecht des Insolvenzverwalters besteht aber nicht schon dann, wenn
lediglich ein Verdacht besteht, ein Dritter habe vom Schuldner in anfechtbarer Weise einen
Vermögensgegenstand erhalten.
Der Beklagte hat auch, ohne dass sich hieraus Ermessensfehler ergeben, ein überwiegendes Interesse
des Klägers an der Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge zur
Überprüfung bereits abgegebener Steuererklärungen verneint. Neben den zu wahrenden öffentlichen
Belangen hat er dem Vorbringen des Klägers, er sei als Insolvenzverwalter verpflichtet, Erklärungen des
Schuldners zu berichtigen, zu Recht entgegengehalten, dass eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters
zur Änderung von Steuererklärungen nur bei einer positiven Kenntnis des Berichtigungsbedarfs besteht.
Die Unkenntnis von Tatsachen oder sogar das mögliche Kennenmüssen steuerrechtlich erheblicher
Umstände reicht insoweit nicht aus (vgl. Boochs/Dauernheim, Steuerrecht in der Insolvenz, 2007, Rdnr.
211 m.w.N.). Ferner hat der Beklagte zutreffend in seine Ermessensentscheidung eingestellt, dass
bezüglich der abgegebenen Steuererklärungen bereits bestandskräftige Steuerbescheide gegenüber
dem Kläger ergangen sind und eine Änderungsmöglichkeit insoweit grundsätzlich ausscheidet. Soweit
der Kläger eingewandt hat, dass im Falle einer möglichen und erfolgreichen Anfechtung von
Rechtshandlungen des Schuldners möglicherweise nicht alle Einnahmen des Schuldners berücksichtigt
worden sind und eine Änderung der Steuerfestsetzungen aus diesem Grund in Betracht kommt, hat er
insoweit ebenfalls lediglich Vermutungen geäußert, indes aber nicht im Einzelnen Gründe dafür benannt,
dass die Offenbarung von persönlichen Verhältnissen aus den Einkommensteuerakten des Schuldners für
die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen dienlich sein könnte. Abgesehen hiervon
sind dem Kläger die möglichen anfechtbaren Rechtshandlungen des Schuldners mitgeteilt worden, so
dass die vom Kläger angesprochene Möglichkeit der Versteuerung von Erträgen aus etwaigen dem
Schuldner zurechenbaren Vermögensgegenständen ohnehin bereits gegeben ist. Würde im Übrigen jede
Behauptung einer möglichen und in einer Vielzahl von Insolvenzverfahren nicht auszuschließenden
Anfechtung von Vermögensverfügungen des Schuldners zur Akteneinsicht berechtigen, wäre auf diese
Weise den zu wahrenden öffentlichen Belangen, insbesondere dem Steuergeheimnis nach § 30 AO, nicht
mehr im Einzelfall Genüge getan und die Notwendigkeit einer substantiierten Geltendmachung der im
Wege einer Akteneinsicht begehrten Kenntnis von persönlichen Daten ohne weiteres umgangen.
Der Beklagte hat im vorliegenden Fall sein Ermessen ebenfalls fehlerfrei ausgeübt, soweit sich der Kläger
darauf berufen hat, er benötige die Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge, um die steuerlichen
Pflichten des Schuldners zu erfüllen. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang im Rahmen seiner
Ermessenserwägungen zutreffend darauf abgestellt, dass der Kläger insbesondere nicht im Einzelnen
dargetan hat, welche Informationen er zur Erstellung der Steuererklärungen benötigt und über welche
steuerlich erheblichen Tatsachen er bereits Kenntnis erlangt hat. Zwar dürfen insoweit die Anforderungen
an die Geltend- und Glaubhaftmachung eines Interesses des Insolvenzverwalters nicht überspannt
werden. Indes hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht schlüssig vorgetragen
hat, welche steuerlichen Pflichten im Einzelnen nunmehr erfüllt werden sollen, nachdem zuvor von Januar
2005 bis Dezember 2006 die Akteneinsicht allein zur Ermittlung von Anfechtungsmöglichkeiten begehrt
worden ist und von der Erfüllung steuerlicher Pflichten nicht die Rede gewesen ist. Auch hat der Kläger
nicht im Einzelnen erklärt, welche Informationen er zur Erstellung von Steuererklärungen des Schuldners
benötigt; so hätte nahe gelegen, dass der Kläger die Daten, über die er sich Kenntnis verschaffen muss,
etwa hinsichtlich bestimmter Einkunftsarten, Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben
und Veranlagungszeiträume genau bezeichnet. Darüber hinaus fehlt es an Angaben, ob und ggfs. welche
Vorarbeiten der Kläger – oder ein von ihm beauftragter Steuerberater – bereits geleistet hat und bei
welchen konkreten Fragen sich möglicherweise Informationen aus den vorliegenden Steuerakten
ergeben. Der Kläger hat ferner nicht im Einzelnen dargelegt, welche Kenntnisse er vom Schuldner oder
aus vorhandenen Unterlagen bereits besitzt. Ebenso wenig hat er im Verwaltungsverfahren schlüssig
dargetan, aus welchem Grund von den Steuerberatern des Schuldners keine weiteren Informationen zu
erhalten sein sollen. Gegen eine Abgabe von Steuererklärungen, die in der mündlichen Verhandlung vor
dem erkennenden Senat ohnehin nur als „Nebenzweck“ der Erlangung von Kenntnissen über etwaige
Anfechtungsansprüche bezeichnet worden ist (vgl. hierzu auch Bl. 18 Proz.-Akte), spricht im Übrigen auch
der Umstand, dass der Kläger Einsichtnahme in die Steuerakten seit dem Jahr 1998 begehrt. Wenn es
dem Kläger – wie er behauptet – tatsächlich um die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Klägers
gehen sollte, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er zur Abgabe von Steuererklärungen Kenntnisse über
derart weit zurückliegenden Veranlagungszeiträume benötigt.
Der Beklagte hat damit im Streitfall fehlerfrei sein Ermessen ausgeübt und, soweit er dies erkennen
konnte, die Interessen des Klägers mit den entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belangen
abgewogen. Er ist unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ohne einen nach §
102 Satz 1 FGO erheblichen Ermessensfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass ein überwiegendes
Interesse des Klägers an der begehrten Akteneinsicht nicht besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Nichtzulassung der Revision kann durchBeschwerde ange-
fochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem
Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll
eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die
Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein
Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Für die Einlegung und Begründung der Beschwerde vor dem Bundesfinanzhof besteht Vertretungszwang.
Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Rechtsanwälte, Steuerberater,
Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften im Sinne des § 3 Nr. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen
handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt
anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur
Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift:
Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/ 9231-201.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als
Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es
nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs ist jedoch bei dem
Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im
Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
Hinweis:
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt
und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und
Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite
www.bundesfinanzhof.de
lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die
Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen
Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26.November 2004
(BGBl. I S.3091) einzuhalten ist.