Urteil des FG Niedersachsen vom 22.05.2014

FG Niedersachsen: fahrtkosten, verfügung, arbeitsort, einspruch, wohnung, krankenpfleger, dienstort, begriff, auskunft, arbeitsstelle

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Einkommensteuer 2011
Für die Bestimmung der regelmäßigen Arbeitsstätte kommt es unter
Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips allein darauf an, ob der
Kläger ständig denselben Betriebsort aufsucht und sich so auf die
Fahrtkosten einwirken kann.
Niedersächsisches Finanzgericht 10. Senat, Urteil vom 22.05.2014, 10 K 109/13
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Fahrten des als Diensthundführer
tätigen Klägers zu seiner Polizeidienststelle in A als Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte oder als Dienstreisen zu beurteilen sind.
Der Kläger wurde als Diensthundführer mit Wirkung vom …… von der
Polizeidirektion B, Diensthundführergruppe C, an die Polizeidirektion D
versetzt. Mit Verfügung vom …… wies die Polizeidirektion D den Kläger zur
Dienstverrichtung der neuen Dienststelle Diensthundführergruppe A zu und
übertrug ihm den Dienstposten eines Sachbearbeiters Diensthundführerstaffel.
Die Diensthundführergruppe betreut die Polizeiinspektionen A und E. Der
Kläger verrichtet Bedarfsdienst für den gesamten Bereich A/E. Die unmittelbare
Dienst- und Fachaufsicht obliegt der Dienststelle.
Zur Dienstverrichtung sucht der Kläger die Dienststelle in A täglich zu
Dienstbeginn und Dienstende auf, um sich dort umzuziehen, das
Dienstfahrzeug zu be- und entladen und eventuelle Einsätze abzufragen. Vor
Beginn der Streifenfahrten erfolgt eine telefonische Meldung bei der Leitstelle.
Soweit keine Einsätze anstanden, führte der Kläger selbständige
Kontrollfahrten durch. Die anfallenden Schreibarbeiten erledigt der Kläger in
der Regel vor Ort in den einzelnen Polizeirevieren. In der Dienststelle stehen
zwei Büroarbeitsplätze für neun Diensthundführer zur Verfügung. Einmal
wöchentlich fährt der Kläger mit seinem Diensthund von der Dienststelle zum
Ausbildungsplatz in F.
In seiner Einkommensteuererklärung 2011 beantragte der Kläger für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in A für 207 Tage mit 32 km 0,30 € je
Entfernungskilometer als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte veranlagte den Kläger mit
Einkommensteuerbescheid vom 01.06.2012 antragsgemäß.
Gegen den Einkommensteuerbescheid legte der Kläger Einspruch ein und
begehrte die Berücksichtigung der bisherigen Fahrtkosten nach
Dienstreisegrundsätzen. Der Beklagte wies den Einspruch des Klägers mit
Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 als unbegründet zurück.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten nach
Dienstreisegrundsätze. Die Arbeitsstätte in A sei nicht als regelmäßige
Arbeitsstätte anzusehen, da er seine Tätigkeit fast ausschließlich außerhalb
der Dienststelle verrichte.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3. April 2013 den
Einkommensteuerbescheid 2011 vom 1. Juni 2012 zu ändern und die
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Einkommensteuer 2011 auf 5.231 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid.
Danach sei von einer regelmäßigen Arbeitsstätte auszugehen, wenn der
Arbeitnehmer aufgrund dienstrechtlicher oder arbeitsrechtlicher Festlegungen
einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet sei.
Davon könne im Einzelfall nur abgewichen werden, wenn der Arbeitnehmer an
verschiedenen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig werde. Dies ist im Streitfall
aber nicht geschehen.
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seiner Tätigkeit
befragt. Wegen des Inhalts der Erläuterungen wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1
FGO). Die dem Kläger von seinem Dienstherrn zur Dienstverrichtung
zugewiesene Dienststelle in A ist seine regelmäßige Arbeitsstätte i. S. des § 9
Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG.
1. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH ist regelmäßige Arbeitsstätte
i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der
dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der
Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses
geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder
eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und
die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also
fortdauernd und immer wieder aufsucht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH--
vom 22. September 2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354,
m.w.N.). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner
eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der Betriebssitz des Arbeitgebers,
den der Arbeitnehmer lediglich regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht,
ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urteil vom 9. Juni 2011 VI R 58/09,
BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).
Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach früherer
Rechtsprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten
nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung hat der BFH jedoch
zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BFHE
234, 160, BStBl II 2012, 36; VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38; s.
dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Dezember
2011 IV C 5 - S 2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der
beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur
insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen
und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine
zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf
eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme
vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren
betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm
regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige
Maßnahmen gering zu halten. Denn die unter Umständen nicht verlässlich
vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu
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müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege
und eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu BFH-
Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564). In
einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheblichkeit von
Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG)
nicht rechtfertigen.
2. Nach diesen Grundsätzen geht der Senat nach Würdigung aller Umstände
davon aus, dass die Dienststelle in A die regelmäßige Arbeitsstätte des
Klägers ist. Der Kläger ist dieser Dienststelle dienstrechtlich von seinem
Dienstherrn zugeordnet worden. Er fährt diese Dienststelle nahezu
arbeitstäglich, jedenfalls ganz überwiegend und regelmäßig an. Er erhält hier
prinzipiell seine Einsatzbefehle, belädt seinen Dienstwagen und zieht hier
seine Dienstkleidung an. In dieser Dienststelle steht ihm für Schreibarbeiten,
die nach eigener Auskunft selten anfallen, ein Schreibtisch zur Verfügung. Die
Dienststelle in A ist zudem für die unmittelbare Dienst- und Fachaufsicht
zuständig, so dass hier der zentrale Ort, die täglich aufzusuchende
Dienststelle des Arbeitgebers ist.
Soweit der Kläger meint, dass er seine Tätigkeit im Wesentlichen außerhalb
der Dienststelle ausübe, verkennt der Senat nicht, dass der zeitliche
Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers außerhalb der Dienststelle liegt. Soweit
man die Dienstfahrten und Einsätze mit dem Diensthund als qualitativen
Schwerpunkt der Arbeit ansieht, liegt dieser zwar ebenfalls nicht in der
Dienststelle. Dies ist nach Auffassung des Senats indes nicht entscheidend.
Abgesehen davon, dass die neuere Rechtsprechung des BFH sich nicht am
Willen des Gesetzgebers orientiert (vgl. die Neuregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4
EStG als Reaktion auf die geänderte Rechtsprechung), wirft sie unter dem
Gesichtspunkt der Einschränkung des objektiven Nettoprinzips nach den
eigenen Maßstäben dieser Rechtsprechung neue, andere sachlich nicht
gerechtfertigte Ungleichbehandlungen auf. So trifft der Aspekt, dass sich der
Arbeitnehmer auf seine Fahrten zu einem bestimmten, unveränderlichen
Arbeitsort einstellen und so die Fahrtkosten minimieren kann, sowohl bei einer
Person zu, die einen Arbeitsort regelmäßig aufsucht und dort ihre Tätigkeit
verrichtet als auch für eine Person wie den Kläger, der seinen Dienstort
regelmäßig aufsucht und dort ein vom Arbeitgeber zur Verfügung gestelltes
Fahrzeug besteigt, um seinen Dienst zu verrichten. Wieso es etwa bei einem
Krankenpfleger je nachdem, ob er im Krankenhaus seinen Dienst verrichtet
oder dasselbe Krankenhaus anfährt und dort einen Einsatzwagen besteigt, um
Krankenfahrten durchzuführen, unter dem Gesichtspunkt der anfallenden
Fahrtkosten und deren Vermeidung es einen sachlichen Unterschied im
Hinblick auf das objektive Nettoprinzip machen soll, erschließt sich dem Senat
nicht.
Zudem lässt sich aus Sicht des Senats nicht nachvollziehen, wieso der
qualitative Schwerpunkt einer Tätigkeit zwingendes und sachgerechtes
Auslegungskriterium für den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte ist, soweit
hierdurch abgegrenzt werden soll, ob die Abzugsbegrenzung der
Fahrtaufwendungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, insbesondere in
den Fällen, in denen die Tätigkeit schwerpunktmäßig unter Zuhilfenahme
eines Dienstfahrzeuges ausgeübt wird. Da der Kläger stets dieselbe
Arbeitsstätte anfährt, liegt es in seiner Hand, sich auf die anfallenden
Wegekosten einzustellen und diese durch geeignete Maßnahmen zu
verändern. Dementsprechend ist die Dienststelle in A seine regelmäßige
Arbeitsstelle, so dass die Klage abzuweisen war.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war
gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.