Urteil des FG Niedersachsen vom 14.05.2013

FG Niedersachsen: echte rückwirkung, berufsausbildung, verkündung, erstausbildung, rechtsstaatsprinzip, einkünfte, rückwirkungsverbot, rechtsprechungsänderung, vervielfältigung, datenschutz

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Einkommensteuer 2010
Kosten für Erststudium sind keine Werbungskosten.
Revision eingelegt - BFH-Az.: VI R 48/13.
Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 14.05.2013, 13 K 89/12
§ 12 Nr 5 EStG
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Aufwendungen für ein Erststudium
Werbungskosten sind.
Die Klägerin ist Studentin der Tiermedizin. Sie studiert in Hannover. In ihrer
Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2010 hat sie keine
Einnahmen erklärt, aber die Aufwendungen für ihr Studium,
ausbildungsbedingte Bahnfahrten, doppelte Haushaltsführung, Fachliteratur,
Semesterbeiträge und Ähnliches als Werbungskosten angesetzt. Der Beklagte
hat diese in der Höhe unstreitigen Aufwendungen als Sonderausgaben
behandelt und die Einkommensteuer auf 0 EUR festgesetzt. Hierzu hat er sich
auf den Wortlaut des § 12 Nr. 5 EStG. berufen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin beruft sich auf die
Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH). Nach dieser
Rechtsprechung können auch Aufwendungen für eine erstmalige
Berufsausbildung trotz der Regelung in § 12 Nr. 5 Einkommensteuergesetz
(EStG) Werbungskosten sein. Es bestehe eine enge Verknüpfung zwischen
Ausbildung und späterem Beruf. Da Werbungskosten vorrangig vor
Sonderausgaben steuerlich zu behandeln seien, rechtfertige dies die
Annahme, die Ausbildungskosten für ein Erststudium als Werbungskosten
anzusetzen. § 12 Nr. 5 EStG könne diesen Veranlassungszusammenhang
nicht außer Kraft setzen.
Die Klägerin beantragt,
den angefochtenen Steuerbescheid vom 14. Juli 2011 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012
aufzuheben und der Klägerin die geltend gemachten Aufwendungen
(4.629,48 EUR) als vorweggenommene Werbungskosten
anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist auf den Wortlaut des § 12 Nr. 5 EStG und auf das
Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz vom Dezember 2011 hin. Dort sei in
§ 4 Abs. 9 EStG und § 9 Abs. 6 EStG klargestellt, dass Aufwendungen eines
Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein
Erststudium keine Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten seien. Diese
Regelungen gelten für Veranlagungszeiträume ab 2004, also auch für das
Streitjahr.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat in den Streitjahren keine negativen Einkünfte erzielt. Die von
der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für ihre erstmalige Ausbildung
zur Tierärztin sind nicht als Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei
den Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit abzugsfähig, so dass keine
Werbungskostenüberschüsse angefallen sind. Der Abzug der Aufwendungen
der Klägerin für ihre erstmalige Berufsausbildung als Werbungskosten ist gem.
§ 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG ausgeschlossen. Maßgeblich ist im Streitfall § 9
Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetzes. Die neue
Regelung wurde im Bundesgesetzblatt vom 13. Dezember 2011 verkündet.
Gemäß Art. 25 Abs. 4 des Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetzes trat sie
am Tag nach ihrer Verkündung also 14. Dezember 2011 in Kraft. Sie sind
daher im Streitfall anzuwenden, in dem am 15. März 2012 Klage erhoben
wurde.
Nach § 9 Abs. 6 EStG sind Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine
erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine
Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese
Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines
Dienstverhältnisses stattfinden. Gemäß § 12 Nr. 5 EStG dürfen die
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung
oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, weder bei
den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte
abgezogen werden. Dieses Abzugsverbot gilt ebenfalls nicht, wenn die
Berufsausbildung oder das Erststudium im Rahmen eines Dienstverhältnisses
stattfinden. Die Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung sind nach § 10
Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG i.d.F. des Streitjahres bis zu einem Betrag in Höhe
von 4.000 EUR als Sonderausgaben begrenzt abzugsfähig. Diese
Regelungen sind gem. Art. 2 Nr. 34 lit.d) des Beitreibungsrichtlinien-
Umsetzungsgesetzes für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden.
Die Klägerin hat ihre Ausbildung zur Tierärztin außerhalb eines
Dienstverhältnisses absolviert. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitig
entstandenen Aufwendungen hierfür sind daher nach §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5
EStG keine abziehbaren Werbungskosten.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung bestehen nicht.
Dabei geht der Senat davon aus, dass trotz der Entscheidung des BFH vom
28.07.2011 (VI R 38/10, BStBl II 2012/561) bereits ab Geltung des § 12 Nr. 5
EStG der Werbungskostenabzug für Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für
sein Erststudium ausgeschlossen ist. Der Wortlaut der Vorschrift des § 12 Nr. 5
EStG ist eindeutig. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, ebenfalls
eindeutig, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 12 Nr. 5 EStG den
Werbungskostenabzug für eine Erstausbildung ausschließen wollte.
In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt, dass jedes erstmalige
Studium unabhängig von vorangegangenen Berufsausbildungen im Wege des
Sonderausgabenabzugs bis zu einem Betrag von 4.000 EUR steuerlich
wirksam werden soll. Begründet wird diese Einschränkung damit, dass ein
Erststudium eine neue berufliche soziale und wirtschaftliche Stellung eröffne
und dass die dafür getätigten Aufwendungen typisierend den
Lebensführungskosten zugerechnet werden (BT-Drucks. 15/3339 S.10). Der
streitentscheidende Senat hat in seinem Urteil vom 15.05.2007 (13 K 570/06,
EFG 2007, 1431 – 1433) den durch Einführung des § 12 Nr. 5 EStG vom
Gesetzgeber gewollten Ausschluss des Werbungskostenabzug für ein
Erststudium dargestellt und befand sich mit dieser Rechtsauffassung in
Übereinstimmung mit den anderen Finanzgerichten (Nachweise zur
Finanzgerichtsrechtsprechung: Urteil des FG Düsseldorf vom 14.12.2011,
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14 K 4407/10 F; EFG 2012, 686 Rdz. 30). Diese klare gesetzgeberische
Entscheidung, die von den Instanzgerichten einhellig als eindeutig angesehen
wurde, kann nicht aufgrund eines Urteils des Bundesfinanzhofes ins Gegenteil
verkehrt werden. Nur das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis klare
und eindeutige gesetzgeberische Regelungen zu verwerfen.
Aber auch wenn dieser Rechtsansicht nicht gefolgt wird, bestehen keine
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rückwirkung. Das Gericht
schließt sich insoweit den Ausführungen des Urteils des Finanzgerichts
Baden-Württemberg vom 26.11.2012 (10 K 4245/11, EFG 2013, 433 – 435
Rz. 18 und 19) an. Dort hat das Finanzgericht Baden-Württemberg ausgeführt:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) ist
zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden. Eine
grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung entfaltet eine Rechtsnorm, wenn
sie Rechtsfolgen für Zeiträume anordnet, die vor dem Zeitpunkt der
Verkündung der Norm liegen und abgeschlossen sind, sogenannte
Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15. Oktober
2008 1 BvR 1138/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR- 2009,
187; vom 7. Juli 2010 2 BvL14/02 u.a., Entscheidungen des BVerfG –
BVerfGE- 127, 1). Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines
der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändern,
bedürfen mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (GG) einer
besonderen Rechtfertigung. In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch
verschiedene Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot durchbrochen werden darf (BVerfG-Beschluss vom
15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Insbesondere tritt das
Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, zurück,
wenn ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts
nicht oder nicht mehr bestehen konnte (vgl. BVerfG-Urteil vom 23. November
1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239). Eine Änderung mit Rückwirkung ist auch
dann zulässig, wenn die geltende Rechtslage, die durch die rückwirkend
geltende Vorschrift geändert wurde, unklar und verworren war (BVerfG-
Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; vom
14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200; vom 17. Januar 1979 1 BvR
446/77, 1 BvR 1174/77, BVerfGE 50, 177). Dem Gesetzgeber ist es unter
Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes daher erst recht nicht verwehrt,
rückwirkend eine Rechtslage festzuschreiben, die vor einer
Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und
einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Oktober
2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; vom 23. Januar 1990 1 BvL 4 bis 7/87,
BVerfGE 81, 228). Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem
Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine
Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit
bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein mag, deren
Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält (BVerfG-Beschluss vom
15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Treten belastende
Rechtsfolgen einer Vorschrift erst nach ihrer Verkündung ein, werden aber
tatbestandlich von einem schon verwirklichten Sachverhalt ausgelöst
(tatbestandliche Rückanknüpfung), spricht man von einer unechten
Rückwirkung, die nicht grundsätzlich unzulässig ist (BVerfG-Beschluss vom
7. Juli 2010 2 Bvl 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1).
Im Streitfall handelt es sich – ausgehend von diesen Grundsätzen – um eine
echte Rückwirkung, die aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig
ist, denn die Klägerin konnte gerade im Hinblick auf den klaren Gesetzeswillen
und die dem Gesetzeswillen folgenden Entscheidungen der Instanzgerichte
kein schützenwertes Vertrauen dahingehend bilden, dass die von ihr
getätigten Aufwendungen für ihre Ausbildung als Werbungskosten
abzugsfähig sind.
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Die Klage ist folglich unbegründet und war mit der Kostenfolge des § 135 Abs.
1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.