Urteil des FG Münster vom 18.11.2010

FG Münster (buchstabe, gewerbesteuer, teleologische reduktion, kürzung, höhe, bezug, tätigkeit, erstreckung, verpachtung, steuerbefreiung)

Finanzgericht Münster, 3 K 1272/08 G,F
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 1272/08 G,F
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Beteiligten streiten, ob die von der Klägerin erzielten gewerblichen Erträge gem. § 3
Nr. 20 Buchstabe c Gewerbesteuergesetz (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit sind
oder ob zumindest eine Kürzung des Gewerbeertrags gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in
Betracht kommt.
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Gesellschafter der Klägerin sind die Geschwister O 1 und O 2 sowie F und C mit einem
Anteil in Höhe von jeweils 1/4. Die Gesellschafter sind Gesamthandseigentümer des
Grundbesitzes G-Straße in H, auf dem eine Seniorenresidenz betrieben wird. Die
Klägerin verpachtet den Grundbesitz seit Oktober 1997 für eine jährliche Pacht in Höhe
von 700.000 DM an die O 3 GmbH & Co. KG. Kommanditisten sind neben den Eltern O
4 und O 5 die Gesellschafter der Klägerin O 1 und O 2 sowie F, wobei alle
Kommanditisten einen Anteil in Höhe von jeweils 20 % halten. Die O 3 GmbH & Co. KG
verpachtete den ihr verpachteten Grundbesitz in den Streitjahren weiter an die
Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG, an der O 4 und O 5 mit einem Kommanditanteil
von je 50 % beteiligt sind.
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Die Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG war Betreiberin des Alten- und Pflegeheims
und erzielte insoweit von der Gewerbesteuer gem. § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG
befreite Erträge.
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Die Klägerin reichte für die Streitjahre sowohl Erklärungen zur gesonderten und
einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung als auch
Gewerbesteuererklärungen ein. Die Einkünfte und Gewerbesteuermessbeträge sowie
die Gewerbeverluste wurden vom Beklagten erklärungsgemäß festgestellt bzw.
festgesetzt. Zu den Einzelheiten wird auf die Bescheide in den Steuerakten Bezug
5
genommen.
Nach den Feststellungen des Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung im
Rahmen einer bei der O 3 GmbH & Co. KG durchgeführten Betriebsprüfung für die
Streitjahre erzielte die Klägerin durch die Verpachtung des Grundbesitzes G-Straße an
die O 3 GmbH & Co. KG gewerbliche Einkünfte im Rahmen einer mitunternehmerischen
Betriebsaufspaltung.
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Aufgrund dieser Informationen und der Absetzungsverfügung des Finanzamts für Groß-
und Konzernbetriebsprüfung bezüglich der Klägerin vom 31.10.2007 hob der Beklagte
die Vorbehalte der Nachprüfung u.a. für die bisher ergangenen
Gewerbesteuermessbetragsbescheide und Feststellungen des vortragsfähigen
Gewerbeverlusts auf. Die dagegen am 09.01.2008 erhobenen Einsprüche, die nicht
weiter begründet wurden, wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom
06.03.2008 unter Hinweis auf § 357 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) als unbegründet
zurück.
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Mit der am 07.04.2008 erhobenen Klage begehrt die Klägerin, die von ihr erzielten
Erträge unter Anwendung von § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG von der Gewerbesteuer
freizustellen. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
29.03.2006 (X R 59/00, BStBl. II 2006, 661) verweist die Klägerin darauf, der Zweck des
§ 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG bestehe unter anderem darin, im Gesundheitswesen in
den dort genannten Bereichen Entlastungen zu schaffen und damit Investitionen zu
fördern. Der BFH habe in dem genannten Urteil darauf hingewiesen, dass die mit § 3 Nr.
20 Buchstabe c GewStG verfolgten Zwecke in Fällen der Betriebsaufspaltung entgegen
der Intention des Gesetzgebers nur unvollkommen erreicht würden, soweit die
Befreiungstatbestände im Rahmen der Betriebsaufspaltung nicht auf das
Besitzunternehmen erstreckt würden. Es käme dann zu unter Berücksichtigung von Art.
3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht haltbaren Benachteiligungen der Betriebsaufspaltung
gegenüber anderen Unternehmensorganisationsformen. Zwar bestehe zwischen der
Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG und der O 3 GmbH & Co. KG keine
Betriebsaufspaltung. Unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 3 Nr. 20
Buchstabe c GewStG sei jedoch diese Konstellation nicht anders zu behandeln als eine
Betriebsaufspaltung. Denn die Erträge aus der Verpachtung an die Seniorenresidenz H
GmbH & Co. KG unterlägen bei der O 3 GmbH & Co. KG der Gewerbesteuer, obwohl
die Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG und die O 3 GmbH & Co. KG in der Summe
die von § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG begünstigte Tätigkeit verwirklichten.
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Selbst wenn man eine Steuerbefreiung der Verpachtungserträge gem. § 3 Nr. 20
Buchstabe c GewStG nicht annehmen wolle, unterfielen die Verpachtungserträge
jedenfalls aber der Kürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Der ursprüngliche Zweck
der Vorschrift, kraft Rechtsform gewerbesteuerpflichtige Kapitalgesellschaften
Einzelpersonen oder Personengesellschaften in Bezug auf eine vermögensverwaltende
Vermietungstätigkeit gleichzustellen, sei auch im vorliegenden Fall berührt, da die
Klägerin allein kraft Rechtsform im Rahmen einer mitunternehmerischen
Betriebsaufspaltung mit einer vermögensverwaltenden Vermietungstätigkeit
gewerbliche Einkünfte erziele. Auch § 9 Nr. 2 Satz 5 GewStG stehe einer derartigen
Kürzung nicht entgegen, da die Erträge ohne Zwischenschaltung einer
Kapitalgesellschaft oder gewerblich geprägten Personengesellschaft wegen der
Steuerbefreiung gem. § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG für die Seniorenresidenz H
GmbH & Co. KG tatsächlich nicht der Gewerbesteuer unterlägen.
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Darüber hinaus begehrt die Klägerin die Berücksichtigung weiterer
Sonderbetriebsausgaben für die Jahre 2002 in Höhe von 13.966,09 Euro, für 2003 in
Höhe von 13.966,09 Euro und für 2004 in Höhe von 28.040,78 Euro. Sie verweist dazu
auf den Betriebsprüfungsbericht des Finanzamtes vom 04.12.2007 (vgl. Blatt 115 der
Gerichtsakte).
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Die Klägerin beantragt,
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die Gewerbesteuermessbescheide 1999 bis 2004 und die gesonderten
Feststellungen des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1997 und
1998 vom 07.12.2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 06.03.2008
ersatzlos aufzuheben,
12
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen,
15
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Er verweist darauf, dass durch die Änderung des Gewerbesteuerrechts ab 2001 im
Rahmen der Anrechnung der Gewerbesteuer gem. § 35 Einkommensteuergesetz
(EStG) etwaige Nachteile einer fehlenden Erstreckung der Steuerbefreiung gem. § 3 Nr.
20 Buchstabe c GewStG kompensiert seien. Im Übrigen werde der O 3 GmbH & Co. KG
die Gewerbesteuerbefreiung gem. § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG tatsächlich nicht
gewährt. Deswegen komme eine Durchreichung auf die darunter liegende Ebene der
Klägerin nicht in Betracht. Im Übrigen fehle es an der nach der Rechtsprechung des
BFH im Urteil in BStBl II 2006, 661 maßgeblichen Betriebsaufspaltung zwischen der
Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG und der Klägerin. Auch eine Kürzung des
Gewerbeertrages gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG scheide aus, da wegen der
Betriebsaufspaltung die Tätigkeit der Klägerin nicht als reine Vermögensverwaltung
bzw. Vermietung sondern als gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren sei.
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Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 25.02.2010
erörtert. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins (Blatt 146
der Gerichtsakte) Bezug genommen.
18
Der Senat hat in der Sache am 18.11.2010 mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten
wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
21
Die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und
verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1
Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die vom
BFH in seiner Entscheidung vom 29.03.2006 (X R 59/00, BStBl II 2006, 661)
entwickelten Grundsätze zur Erstreckung der Gewerbesteuerbefreiung im Rahmen der
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Betriebsaufspaltung nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Eine Betriebsaufspaltung besteht unstreitig weder zwischen der Klägerin und der
Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG noch zwischen dieser als Betriebsgesellschaft
und der O 3 GmbH & Co. KG als Besitzgesellschaft. Es fehlt insoweit an der personellen
Verflechtung. Lediglich zwischen der Klägerin und der O 3 GmbH & Co. KG besteht eine
mitunternehmerische Betriebsaufspaltung.
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Für die Fälle der Betriebsaufspaltung hat der BFH im Urteil vom 29.03.2006 die
Erstreckung der Gewerbesteuerbefreiung für das Betriebsunternehmen auch auf das
Besitzunternehmen für zulässig gehalten.
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Ausgehend davon, dass im Rahmen der Betriebsaufspaltung ungeachtet der rechtlichen
Selbstständigkeit von Betriebs- und Betriebsunternehmen die genuin
vermögensverwaltende Tätigkeit der Vermietung und Verpachtung beim
Besitzunternehmen nur deshalb als gewerbliche qualifiziert wird, weil das
Besitzunternehmen sachlich und personell mit dem gewerblich tätigen
Betriebsunternehmen verflochten ist und so über das Betriebsunternehmen am
allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, hält der BFH es in diesen Fällen für
gerechtfertigt, im Wege einer einheitlichen bzw. zusammenfassenden Betrachtung die
Gewerbesteuerfreiheit des Betriebsunternehmens auch auf das Besitzunternehmen zu
erstrecken. Denn beide Unternehmen seien dann in ihrer Gesamtheit darauf gerichtet,
die gem. § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG steuerbegünstigen Leistungen zu erbringen
und entsprechende Erträge zu erzielen.
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Die vom BFH entwickelten Grundsätze sind jedoch über den Fall der
Betriebsaufspaltung hinaus nicht auf eine Fallkonstellation wie die vorliegende
übertragbar.
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In seiner Entscheidung vom 19.03.2009 (6 K 441/08, EFG 2009, 853) hat das
Niedersächsische Finanzgericht nach Auffassung des Senats zu Recht herausgestellt,
dass mit dem richterrechtlich geschaffenen Institut der Betriebsaufspaltung das Ziel
verfolgt werde, zu verhindern, dass der Gewerbesteuer durch die Aufspaltung des zur
Verwirklichung der gewerblichen Tätigkeit eingesetzten Vermögens auf zwei
eigenständige Rechtsträger ausgewichen werde. Fehle jedoch diese "Infektion" bzw.
"Abfärbung", weil die beteiligten Gesellschaften von sich aus gewerblich tätig sind,
bestehe kein Anlass, die Gewerbesteuerfreiheit im konkret entschiedenen Fall von der
Organträgerin auf die Organgesellschaft zu erstrecken.
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Aus diesen Gründen scheitert nach Auffassung des Senats auch im vorliegenden Fall
die Erstreckung der für die Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG bestehenden
Gewerbesteuerbefreiung über die O 3 GmbH & Co. KG auf die Klägerin. Denn sowohl
die Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG als auch die O 3 GmbH & Co. KG sind genuin
gewerblich tätig, erstere gem. § 15 Abs. 2 Nr. 2 EStG und letztere gem. § 15 Abs. 2 Nr. 3
EStG. Es handelt sich um rechtlich selbstständige Steuersubjekte, die entsprechend der
von ihnen gewählten Rechtsform den entsprechenden steuerrechtlichen Vorschriften
unterliegen. Für die Erstreckung der Gewerbesteuerfreiheit fehlt es wegen der nicht
vorhandenen Betriebsaufspaltung zwischen diesen beiden Gesellschaften an dem
verbindenden Element ("Infektion" bzw. "Abfärbung"), das es rechtfertigen würde, die
Tätigkeiten beider Gesellschaften im Wege einer Gesamtbetrachtung dem
gewerbesteuerbefreiten Bereich zuzuordnen. Allein die Tatsache, dass auch in der
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vorliegenden Konstellation die Tätigkeiten beider Gesellschaften im Ergebnis gebündelt
werden, um auf der Ebene der Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG
gewerbesteuerbefreite Erträge zu erzielen, und deshalb der Normtelos des § 3 Nr. 20
Buchstabe c GewStG berührt ist, zwingt nicht dazu, die Erträge aus der Verpachtung
des Grundbesitzes G-Straße auf der Ebene der O 3 GmbH & Co. KG von der
Gewerbesteuer freizustellen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt auch eine Kürzung des Gewerbeertrags
gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht in Betracht. Denn nach der Rechtsprechung des
BFH schließt die Überlassung eines Grundstücks im Rahmen einer Betriebsaufspaltung
die erweiterte Kürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG aus. Auf das Urteil des BFH vom
22.01.2009 (IV R 80/06, BFH/NV 2009, 1279) nimmt der Senat insoweit Bezug. Allein
wegen der zwischen der Klägerin und der O 3 GmbH & Co. KG bestehenden
mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung kommt deshalb eine Kürzung des
Gewerbeertrages nicht in Betracht.
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Die weitergehenden Ausführungen der Klägerin, die sich auf die Auslegung des § 9 Nr.
1 Satz 5 GewStG beziehen, gehen vor diesem Hintergrund fehl. Denn zu betrachten ist
allein die Vermietungs- bzw. Verpachtungstätigkeit der Klägerin, die sich in der
Überlassung des Grundbesitzes G-Straße an die O 3 GmbH & Co. KG erschöpft. Dass
diese wiederum den Grundbesitz an die Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG weiter
verpachtet, die gem. § 3 Nr. 20 Buchstabe c GewStG von der Gewerbesteuer befreit ist,
spielt auf der hier zu beurteilenden Ebene keine Rolle. Wie bereits dargelegt, schlägt
die Gewerbesteuerbefreiung der Seniorenresidenz H GmbH & Co. KG nicht auf die
Klägerin durch, auch nicht über eine teleologische Reduktion im Rahmen der
Auslegung des § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.
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Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
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