Urteil des FG Münster vom 11.12.2001

FG Münster: steuerhinterziehung, beihilfe, gehilfe, grad des verschuldens, ausschluss der haftung, geschäftsführer, ermessensausübung, ausstellung, bedingter vorsatz, wirtschaftliches interesse

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 3310/98 E
11.12.2001
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 3310/98 E
1. Der Haftungsbescheid vom 26.08.1997 in Form der
Einspruchsentscheidung vom 28.04.1998 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides nach § 71 AO.
Der Kläger (Kl.) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des N*******O**. N****** O***hat
das Bäckerhandwerk erlernt und 1962 die Meisterprüfung abgelegt. Er führte eine eigene
Bäckerei und einen Lebensmitteleinzelhandel. Später war er als Handelsreisender für
Lebensmittelprodukte tätig. Von 1980 bis 1987 war er Niederlassungsleiter der Firma
B********* in H******. 1987 trat er in den Dienst des Kaufmanns P***********, der einen
Großhandel mit Lebensmitteln für asiatische Restaurants betrieb. 1987 erwarben
W*************, D**********und R******************* das Unternehmen und führten es in der
Rechtsform einer GmbH &Co. KG und unter der Firma F******************GmbH &Co KG (F-
KG) fort. Kommanditisten waren zunächst W*************, D********* und R*******************.
Komplementärin der F-KG war die F*****************GmbH, deren Geschäftsführer
W************* und D**********waren. N*******O** wurde Geschäftsführer der F-KG. Im Jahre
1988 wurde er als weiterer Kommanditist aufgenommen. Er blieb auch nach seiner
Aufnahme als Kommanditist Geschäftsführer nur der F-KG, Geschäftsführer der
F*****************GmbH wurde er nicht.
W************* war für den kaufmännischen Bereich (finanzielle, buchhalterische und
steuerliche Angelegenheiten) der F-KG, N*******O** für den operativen Bereich (Vertrieb
und Kundenbetreuung) zuständig. Daneben war W************* auch Geschäftsführer der
J***************************GmbH (J-GmbH) mit Sitz in H******. Deren Stammkapital hielten
W**************zu 30 v.H., D********* und R******************* zu je 35 v.H. W************* war
kaufmännischer Leiter der J-GmbH, die einen Teil der Buchhaltung der F-KG vornahm. Die
Buchhaltungsarbeiten wurden in der Form geteilt, dass die Debitorenbuchungen zunächst
die F-KG vornahm. Die weitere Buchhaltung - u.a. Verbuchung des Zahlungsverkehrs und
Erstellung der Jahresabschlüsse - erfolgte durch die J-GmbH. Dafür erhielt sie von der F-
KG ein Entgelt.
Die F-KG belieferte u. a. auch C**************, der in P**********, *****************, ein China-
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Die F-KG belieferte u. a. auch C**************, der in P**********, *****************, ein China-
Restaurant betrieb. C***************gab - wie zahlreiche andere Kunden - gleich bei den
Bestellungen an, über welche Waren er eine Rechnung mit seinem vollen Namen und
Adresse wünschte, und über welche Waren eine Rechnung ohne Namen und Adresse
(Barverkaufsrechnung) ausgestellt werden sollte. Die F-KG nahm die Bestellungen mittels
eines Formulars an, in dem die Ware gleich getrennt nach Lieferung auf Rechnungen mit
Empfängernamen und Lieferungen auf Barverkaufsrechnungen notiert wurde. Die
Rechnungserstellung für die Lieferungen an C************** und andere Kunden erfolgte in
Form des so genannten Rechnungssplittings. Entsprechend der jeweiligen Bestellung des
C************** wurde über einen Teil der gelieferten Waren eine Rechnung erteilt, in der
dieser als Empfänger der Ware mit Namen und vollständiger Adresse offen ausgewiesen
wurde. Über den weiteren Teil der Warenlieferung wurde eine Barverkaufsrechnung
erstellt. Intern ordnete die F-KG die ohne Namen und Adresse des
C***************ausgestellten Rechnungen anhand einer Kundennummer, die nach einem
bestimmten System vergeben wurde, diesem wieder zu. Das Rechnungssplitting wurde
bereits praktiziert, als das Unternehmen noch von P************geführt wurde. Das
Kundenummernsystem wurde in den Jahren 1988 bis 1992 mehrfach geändert. Von 1988
bis Anfang 1990 wurde auf der Durchschrift der Barverkaufsrechnungen die
Kundennummer handschriftlich vermerkt. Teilweise wurden die Nummern 88/89
hinzugefügt. Diese Nummern bezeichneten interne Barverkaufskonten, über welche die
Barverkaufsrechnungen zunächst verbucht wurden. Von Anfang 1990 bis Mitte 1993 wurde
in den Barverkaufsrechnungen im Anschriftenfeld das Bestelldatum und die
Kundennummer vermerkt, beispielsweise bei einer Bestellung des C************** am 20.
Februar 1990 "Barverkauf 2002010". Ab Mitte 1993 wurde durch die F-KG für jeden
Kunden eine eigene Barverkaufsnummer vergeben. Der Kundennummer wurde die Zahl 65
vorangestellt, für den C************** wiesen die Barverkaufsrechnungen die
Kundennummer 65.010 aus. Ab Dezember 1993 enthielten auch die
Barverkaufsrechnungen die Bezeichnung "China-Restaurant P**********".
Anlässlich einer Steuerfahndungsprüfung bei C************** wurde festgestellt, dass dieser
von 1988 bis Mai 1994 in erheblichem Umfang Einnahmen sowie die über
Barverkaufsrechnungen von der F-KG bezogenen Waren nicht verbucht hatte. Nach
Geschäftsschluss hatte er einen Teil der Einnahmen aus der Kasse genommen und mit
dem Managerschlüssel nach außen nicht ohne weiteres erkennbare Stornobuchungen
durchgeführt. In seinen ESt-, Umsatzsteuer- (USt) und Gewerbesteuer- (GewSt) -
erklärungen für 1988 bis 1992 sowie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar 1993
bis Mai 1994 hatte er Gewinne und Umsätze in erheblichem Umfang geringer angegeben,
als diese tatsächlich angefallen waren. Die Steuerfahndungsprüfer schätzten die von 1988
bis Mai 1994 erzielten Mehrumsätze und die von 1988 bis 1992 erzielten Mehrgewinne
allein auf Grund der Wareneinkäufe, über welche die F-KG Barverkaufsrechnungen
ausgestellt hatte. C***************hat die Feststellungen der Steuerfahndungsprüfer
gegenüber diesen als richtig zugestanden und eingeräumt, dass die Schätzungen der nicht
gebuchten und erklärten Umsätze und Gewinne in etwa zutreffend seien. Nach den
Berechnungen der Steuerfahndungsprüfer beliefen sich die noch festzusetzenden
Umsatzsteuernachzahlungen auf 243.607 DM, die Einkommensteuernachzahlungen auf
262.932 DM. Bei der Berechnung der Umsatzsteuernachzahlungen wurde die Vorsteuer
aus den Barverkaufsrechnungen nicht gem. § 15 Abs. 1 S.1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz
(UStG) abgezogen, da diese Rechnungen mangels vollständiger Empfängerbezeichnung
nicht alle Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 UStG erfüllten.
Der Beklagte (Bekl.) setzte gegen C************** Umsatz- und Einkommensteuer sowie
Gewerbesteuermessbeträge entsprechend den Feststellungen der Steuerfahndung fest.
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C***************hat den Betrieb des China-Restaurants Mitte 1996 aufgegeben und das
Geschäftslokal und eine Wohnung verkauft. Er hat im März 1995 200.000 DM an den Bekl.
gezahlt. Daneben leistete er Ratenzahlungen von 5.000 DM monatlich. Die Vollstreckung
gegen C************** führt zu einer weiteren erheblichen Reduzierung der Steuerschulden.
Unter anderem erhielt der Bekl. aus der Pfändung eines Notaranderkontos rund 221.000
DM. Die eidesstattliche Versicherung wurde C************** nicht abgenommen, da er
unbekannt ins Ausland verzogen ist. Seine Adresse konnte durch den Bekl. bisher nicht
ermittelt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vollstreckungsakte Bezug
genommen.
Das Strafverfahren gegen N****** O** wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des
C************** ist gem. § 153 a der Strafprozessordnung gegen Zahlung einer Geldbuße
von 200.000 DM eingestellt worden.
Der Bekl. nahm N*******O***nach Anhörung durch Haftungsbescheid vom 26. August 1997
für noch offene ESt des C************** aus 1992 i. H. v. 47.452 DM sowie
Säumniszuschläge i. H. v. 19.586 DM gem. § 71 und § 191 der Abgabenordnung (AO) in
Haftung. N****** O***habe zu der Steuerhinterziehung des C***************Beihilfe geleistet.
Daher hafte er für die von C************** nicht beglichenen Steuern. W**************erhielt
einen gleich lautenden Haftungsbescheid. Von weiteren Finanzämtern wurde N*******O**
für Steuerschulden weiterer Kunden der F-KG über mehrere Hunderttausend DM in
Haftung genommen.
Im Einspruchsverfahren änderte der Bekl. den Haftungsbescheid durch
Einspruchsentscheidung (EE) vom 28. April 1998 dahin ab, dass N*******O** nur für die
rückständigen ESt 1992 in Haftung genommen wurde. Im Übrigen wurde der Einspruch als
unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage wird die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides in Form der EE
begehrt. Der Kl. trägt vor, der objektive Sachverhalt sei zutreffend, es liege jedoch keine
Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor. Sinn des Rechnungssplittings sei gewesen, dass die
Auslieferungsfahrer der F-KG die in den Barverkaufsrechnungen ausgewiesenen Beträge
unmittelbar vereinnahmen konnten. Dies habe für die F-KG den Vorteil des unmittelbaren
Geldeingangs gehabt. Die mit vollem Namensausweis erstellten Rechnungen seien nicht
sofort beglichen worden. Erst nach mehreren Tagen, teilweise erst erheblich später sei der
Geldeingang zu verzeichnen gewesen. Dadurch sei es zu Zinsverlusten für die F-KG
gekommen und es habe ein Inkassorisiko bestanden. Sowohl der Zinsverlust als auch das
Inkassorisiko entfielen bei den Barverkäufen. Daher habe die F-KG durchaus ein
wirtschaftliches Interesse daran gehabt, Barverkaufsrechnungen auszustellen.
Es sei auch zweifelhaft, ob in einer neutralen Handlung, wie dem Ausstellen einer
Rechnung, überhaupt eine Beihilfehandlung gesehen werden könne. Denn auch der
Wareneinkauf, über den der Lieferant eine ordnungsgemäße Rechnung erteilt habe, könne
verschleiert und die ordnungsgemäße Rechnung vernichtet werden. Die Erteilung von
Barverkaufsrechnungen durch die F-KG sei daher schon objektiv nicht geeignet, eine
Steuerhinterziehung eines Kunden zu fördern.
Der Kl. behauptet, es sei N*******O***nicht bewusst gewesen, dass die von der F-KG
belieferten Gastwirte unter Umständen die Barverkaufsrechnungen dazu nutzen könnten,
Betriebseinnahmen zu verschleiern. N*******O** habe nicht die Absicht gehabt, ein solches
Verhalten zu fördern. Er habe das Rechnungssplitting bereits bei seinem Eintritt in den
noch von P*********** geführten Großhandel vorgefunden. Nach Übernahme des
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Unternehmens durch die F-KG sei die bisherige Art der Kundenbetreuung - auch der
Rechnungserteilung - beibehalten worden. Die Ehefrau des P*********** habe ihm erklärt,
das Verfahren diene dazu, die Aussenstände gering zu halten. Er habe sich daher keine
Gedanken über mögliche Gesetzesverstöße gemacht. Auf die Rechnungsstellung im
Einzelfall habe er keinen Einfluss gehabt. Da er die einzelnen Abnehmer der F-KG nicht
persönlich gekannt habe, und auch in die Rechnungserstellung der F-KG nicht einbezogen
war, habe er schon mangels Kenntnis des einzelnen Abnehmers keinen Vorsatz zu einer
eventuellen Steuerhinterziehung eines einzelnen oder mehrerer Abnehmer(s) haben
können.
Überdies sei den Finanzbehörden diese über lange Jahre praktizierte Rechnungserteilung
bekannt gewesen, sie sei von den Finanzbehörden nicht beanstandet worden. Es habe
zwar ein Verstoß gegen die formelle Ordnungsvorschrift des § 144 AO vorgelegen, dieser
sei aber bei einer Betriebsprüfung (Bp) bei der F-KG im Dezember 1991 bzw. im August
1992 durch den damaligen Betriebsprüfer nicht beanstandet worden. Gegenüber dem
Buchhalter der J-GmbH, Herrn K*****T********, habe der Betriebsprüfer geäußert, dass aus
der Rechnung der Empfänger der Ware hervorgehen müsse. Auf Grund der
Kundennummer sei aber eine eindeutige Zuordnung des Empfängers der Ware möglich.
Auch seien alle Geschäftsvorfälle nach dem Ergebnis der Prüfung aufgezeichnet und die
Belege zu allen Geschäftsvorfällen leicht aufzufinden und zuzuordnen gewesen. Wenn in
dem Rechnungssplitting durch die Finanzbehörden nunmehr eine Beihilfe zu einer
Steuerhinterziehung gesehen werde, hätte der Prüfer gem. § 9 der
Betriebsprüfungsordnung (BpO) darauf hinweisen müssen.
Der Kl. trägt weiter vor, die Haftungsinanspruchnahme des N*******O** sei auch deswegen
nicht ermessensgerecht, weil er der Einstellung des Strafverfahrens gegen eine
Geldauflage nur zugestimmt habe, weil ihm signalisiert worden sei, eine
Haftungsinanspruchnahme werde nicht erfolgen. Schließlich sei nicht geklärt, ob der
C***************seinen gesamten Wareneinkauf über die F-KG abgewickelt habe. Er könnte
auch von anderen Lieferanten Waren bezogen und diesen Wareneinsatz verschleiert
haben. Für Zuschätzungen auf Grund eines solchen Wareneinsatzes könne N*******O**
nicht in Haftung genommen werden.
Der Kl. beantragt,
den Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 28. April 1998 aufzuheben,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, N*******O***hafte gem. § 71 AO für die rückständigen Steuern des
C**************, da er als Gehilfe an dessen Steuerhinterziehungen teilgenommen habe.
Daher sei er zu Recht gem. § 191 AO in Haftung genommen worden.
Als für den Vertrieb zuständiger Geschäftsführer der F-KG habe N*******O** die
Verantwortung für die Rechnungsstellung durch die F-KG gehabt. Er habe gewusst, dass
den Kunden - und damit auch dem C************** - Rechnungen mit vollem Namen und
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Barverkaufsrechnungen erteilt worden seien. Ebenfalls habe er von dem System der
Zuordnung der Rechnungen anhand von Kundennummern Kenntnis gehabt und dies
gefördert. Durch die Erteilung von Barverkaufsrechnungen sei bei den Kunden der
Eindruck erweckt oder bestätigt worden, dass die so getätigten Einkäufe und die damit
erzielten Einnahmen für die Finanzbehörden nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Auch
durch die Verbuchung der Barverkaufsrechnungen über anonyme Barverkaufskonten seien
die Warenverkäufe weiter verschleiert worden. Durch die Eintragung der Kundennummer
auf der Durchschrift der Barverkaufsrechnung habe bei einer Bp der F-KG andererseits der
Eindruck erweckt werden können, auch die Originale der Barverkaufsrechnungen seien mit
einer Kundennummer versehen und daher für eine Steuerhinterziehung ungeeignet.
Die F-KG habe durch diese Rechnungsstellung keinen wirtschaftlichen Vorteil gehabt.
Denn auch eine mit Namen und vollständiger Adresse ausgestellte Rechnung könne beim
Empfänger sofort bar kassiert werden. Daher sei N****** O** bewusst gewesen, dass Sinn
dieses Rechnungssplittings nur der sein könne, den Kunden Gelegenheit zu geben,
Wareneinkäufe nicht in die Buchführung zu übernehmen und so in Relation zu den nicht
verbuchten Wareneinkäufen Betriebseinnahmen zu verschleiern. Daher habe er die
Steuerhinterziehung der Kunden der F-KG und damit auch die des C************** jedenfalls
billigend in Kauf genommen und zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Bekl. auf die EE vom 28. April 1998 Bezug.
Der Senat hat den Beweismittelordner "AB-Nr. 204/94, ******C*********, P**********" und die
Vollstreckungsakte des Bekl. beigezogen. Er hat am 21. August und am 11. Dezember
2001 mündlich verhandelt. Er hat in dem gleich gelagerten Verfahren 1 K 3470/98 gegen
W************* Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen D**************B*****,
U***** L***, D******K*** und P**** D*****. Das Ergebnis ist den bei dieser Beweisaufnahme
anwesenden Beteiligten bekannt. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.
Während des Klageverfahrens ist über das Vermögen des N****** O** das
Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat das Verfahren
aufgenommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Klage ist begründet.
Der Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
28. April 1998 war aufzuheben, weil der Bekl. sein Ermessen nicht ordnungsgemäß
ausgeübt hat.
1. Dem Grunde nach haftet N****** O***als Teilnehmer an der Steuerhinterziehung des
C************** gem. § 71 AO. Danach haftet derjenige, der an einer Steuerhinterziehung
teilnimmt, für die verkürzten Steuern. Er kann gem. § 191 AO durch Haftungsbescheid in
Anspruch genommen werden.
a) Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung sowie dem gegenüber der
Steuerfahndung gemachten Zugeständnis des C************** steht fest, dass dieser u. a. im
Jahr 1992 ESt hinterzogen hat. N****** O** hat nicht bestritten, dass C************** in der
Zeit von 1988 bis Mai 1994 Steuern hinterzogen hat.
b) Zu der Steuerhinterziehung des C***************hat N*******O** sowohl objektiv als auch
subjektiv Beihilfe geleistet und damit i. S. v. § 71 AO an dessen Tat teilgenommen.
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Beihilfe leistet, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener
rechtswidriger Tat Hilfe leistet, § 27 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).
aa) Hilfeleisten ist objektiv ein für die Begehung der Haupttat kausaler oder wenigstens
deren Chancen erhöhender Tatbeitrag. Das Schaffen günstiger Voraussetzungen, wie die
Erleichterung der Tatausführung, reicht aus. Die Beihilfe kann auch bereits bei einer noch
straflosen Vorbereitungshandlung geleistet werden (Bundesgerichtshof (BGH) vom
25.09.1985, 3 StR 209/85, HFR 1987, 208; Tröndle, Kommentar zum StGB, 46. Aufl. § 27
Rn. 2 m.w.N.). Sie kann auch durch psychische Unterstützung des Täters geleistet werden
(Tröndle, § 27 Rn. 7 m.w.N.; Schwarz/Dumke, Kommentar zur AO § 370 Rn. 33;
Bundesfinanzhof (BFH) vom 30.12.1998, VII B 160/98, BFH/NV 1999, 902), auch dann,
wenn der Täter bereits zur Tat entschlossen ist (BGH vom 29.03.1951, 3 StR 82/51, NJW
1951, 451). Eine Beihilfe ist auch schon dann möglich, wenn der Gehilfe nicht sicher weiß,
ob der Täter schon zur Haupttat entschlossen ist. Es reicht aus, wenn der Gehilfe seinen
Tatbeitrag "für alle Fälle" zur Verfügung stellt (Cramer in Schönke/Schröder, Kommentar
zum StGB, 25. Aufl., § 27 Rn. 12). Nicht erforderlich ist, dass zwischen dem Täter und dem
Gehilfen eine Willensübereinstimmung besteht. Eine Beihilfe kann auch dann vorliegen,
wenn der Gehilfe den Haupttäter ohne dessen Wissen unterstützt (Cramer, a.a.O. § 27 Rn.
14). Eine Beihilfe ist auch durch äußerlich neutrale Handlungen möglich, sofern dadurch
die Tat in ihrer konkreten Gestalt gefördert und erleichtert wird (BGH vom 23.01.1985, 3 StR
515/84, HFR 1985, 429).
Die Steuerhinterziehungen des C************** wurden durch N****** O** objektiv gefördert.
Den Kunden der F-KG wurde systematisch die Möglichkeit eingeräumt, eine
Warenbestellung in zwei Teillieferungen aufzuteilen. Schon die bei der Annahme der
Bestellungen vorgenommene Aufteilung der Warenlieferung mittels des Formulars in
"Weiß-" und "Schwarzeinkäufe" war für sich genommen geeignet, bei den Kunden den
Eindruck hervorzurufen, die "Schwarzbestellung" könne nicht in den Büchern der F-KG
nachvollzogen werden. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Ausstellung einer
Barverkaufsrechnung, deren Original bis Anfang 1990 entgegen § 144 Abs. 3, 4 AO keinen
Namen, keine Adresse und keine Kundennummer erhielt. Dadurch wurde gegenüber den
Kunden der Eindruck erweckt oder bestärkt, dass der so getätigte Einkauf und die damit
erzielten Einnahmen für die Finanzbehörde nicht ohne weiteres erkennbar und eine
Steuerhinterziehung damit möglich sei. Auch die Barverkaufsrechnungen, die ab Anfang
1990 bis Mitte 1993, also auch 1992, die Kundennummer und in verschlüsselter Form das
Bestelldatum enthielten, waren geeignet, bei den Kunden diesen Eindruck zu erwecken.
Denn welche Bedeutung die Nummer in dem Adressfeld hatte, wird den meisten Kunden
verborgen geblieben sein. Sie allein reichte auch nicht aus, um den Kunden sofort zu
identifizieren. Für eine Identifikation des Kunden war weiter erforderlich, dass die
Zuordnung der Kundennummer durch die F-KG bekannt war. Außerdem verblieb auf Grund
der Bestellung zusammen mit der Rechnung der Eindruck, die Bestellung des Kunden
könne in den Büchern der F-KG nicht nachvollzogen werden und werde daher bei
Überprüfungen auch den Finanzbehörden nicht bekannt bzw. nicht mitgeteilt.
Auch die Verbuchung der Barverkäufe auf einem Sammelkonto war objektiv geeignet, die
Steuerhinterziehung der Kunden zu fördern. Denn bei einer Überprüfung der F-KG durch
die Finanzbehörden konnte der Eindruck erweckt werden, auch die Originale der
Barverkaufsrechnungen seien mit der Kundennummer versehen. Da somit eine Zuordnung
der Barverkaufsrechnungen zu dem Kunden in der Buchführung der F-KG nach
Verbuchung auf den Sammelkonten erfolgte, konnte bei einer Prüfung der F-KG der
Eindruck erweckt werden, dass die Barverkaufsrechnungen zur Förderung einer
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Steuerhinterziehung ungeeignet seien, da der kundenbezogene Umsatz in der
Buchführung der F-KG jederzeit feststellbar war und die Finanzbehörde diesen zur
Kenntnis nehmen konnte.
Die von N*******O** vorgetragenen Gründe für die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen
vermögen an der objektiven Förderung der Steuerhinterziehung des C************** keine
Zweifel zu begründen. Selbst wenn die F-KG die Barverkaufsrechnungen ausgestellt hat,
um durch sofortiges Inkasso ihre Außenstände gering zu halten und das Inkassorisiko zu
minimieren, war dies kein Grund, die Barverkaufsrechnungen nicht mit vollständiger
Empfängerbezeichnung auszustellen. Auch der Betrag einer solchen gem. § 144 Abs. 3
und 4 AO ordnungsgemäßen Rechnung konnte von dem Auslieferungsfahrer sofort kassiert
werden.
Ebenso wird die Annahme einer objektiven Beihilfehandlung durch N*******O** nicht
dadurch gehindert, dass die Nichtverbuchung der Barverkaufsrechnungen eine bloße
Vorbereitungshandlung war. Denn auch dazu kann Beihilfe geleistet werden. Damit die
Steuerhinterziehung des Haupttäters zumindest das Versuchsstadium erreichte, war die
Einreichung einer Steuererklärung notwendig. Die Einkommensteuer-Erklärung 1992 hat
der C***************erst beim Beklagten eingereicht, nachdem die F-KG die
Barverkaufsrechnungen für Lieferungen in 1992 ausgestellt hat. Der Bezug von
"Schwarzlieferungen" des C************** stellte daher zunächst nur eine
Vorbereitungshandlung dar. Allerdings ist diese Vorbereitungshandlung des C**************
mit der Abgabe der Steuererklärung in das Versuchsstadium eingetreten und mit der
Festsetzung der Einkommensteuer auf Grund der Erklärung des C***************ist die Tat
vollendet worden. Um die Einnahmen ohne das Risiko einer sofortigen Entdeckung bei
einer Bp verkürzen zu können, musste C************** den Wareneinsatz entsprechend
verringern. Die Verschleierung des Wareneinsatzes durch C************** wurde durch die
Aufteilung der Bestellung und die Ausstellung der Barverkaufsrechnungen gefördert, weil
bei ihm der Eindruck entstand, die "Schwarzlieferung" könne durch die Finanzbehörden
nicht nachvollzogen werden. Die Kausalität der objektiven Förderung der
Steuerhinterziehungen des C************** entfällt auch nicht deswegen, weil dieser
möglicherweise auch ohne die "Schwarzlieferungen" den Wareneinsatz verschleiert und
die Einnahmen verkürzt hätte. Denn der Tatbeitrag des N****** O** hat zumindest dazu
beigetragen, dass C************** und die weiteren Kunden meinten, mit einer Entdeckung
ihrer Taten bei einer Außenprüfung nicht rechnen zu müssen. Allein die darin liegende
psychische Unterstützung reicht für eine Beihilfehandlung aus.
N****** O** kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Ausstellung einer Rechnung eine
neutrale, im Geschäftsleben übliche Handlung sei, die keine Beihilfe zu einer
Steuerhinterziehung begründen könne. Ihm ist zwar darin zuzustimmen, dass allein die
Ausstellung einer Rechnung keine objektive Beihilfehandlung darstellt. Das gilt allerdings
nur, wenn die Rechnung gemäß den gesetzlichen Anforderungen ausgestellt wird. Dann
läge keine objektive Beihilfe vor, auch wenn N*******O***vermutet oder sicher gewusst
hätte, dass der Haupttäter eine Steuerhinterziehung plant. Denn allein die Belieferung
eines anderen unter Ausstellung einer § 144 Abs. 3 und 4 AO entsprechenden Rechnung
unter Beachtung der Aufzeichnungspflichten des § 144 Abs. 1 und 2 AO stellt ein
sozialadäquates Verhalten dar, welches keine Beihilfe begründen kann (vergl. dazu
Cramer, a.a.O. § 27 Rn. 10 a.E.). Um solche neutralen Handlungen handelte es sich aber
bei der Ausstellung der Barverkaufsrechnungen gerade nicht. Denn diese enthielten auch
1992 keinen Namen und keine Adresse. Die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen
muss auch im Zusammenhang mit der Aufteilung der Warenlieferung bereits bei der
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Bestellung gesehen werden. Diese Aufteilung zusammen mit den Barverkaufsrechnungen
war - wie dargelegt - objektiv geeignet, bei den Kunden den Eindruck zu erwecken, die
"Schwarzlieferung" könne in den Büchern der F-KG nicht nachvollzogen werden.
Schließlich war nicht erforderlich, dass C***************und N****** O** sich kannten, denn
eine Willensübereinstimmung zwischen dem Haupttäter und dem Gehilfen ist nicht
erforderlich.
bb) Die Beihilfehandlung muss vorsätzlich begangen werden, bedingter Vorsatz genügt.
Ausreichend ist, dass der Gehilfe den Erfolg der Haupttat als möglich in Kauf nimmt
(Tröndle, StGB § 27 Rn. 8). Die Tat und der Täter, deren Unterstützung der Gehilfe anstrebt,
muss in gewissen Umrissen bestimmt sein (vgl. Tröndle § 27 Rn. 9). Einzelheiten der Tat
braucht der Gehilfe nicht zu kennen, es genügt, wenn er die wesentlichen Merkmale des
vom Täter verwirklichten Tuns erkennt (BFH vom 30.12.1998, VII B 160/98, a.a.O.; BGH
vom 12.07.2000, 1 StR 269/00, juris Dokument Nr. KORE570522000; vom 18.04.1996, 1
StR 14/96; BGHSt 42,135; vom 15.06.1994 3 StR 54/94, juris Dokument Nr.
KORE509979400; Cramer, a.a.O., § 27 Rn 19). Auch braucht der Gehilfe keine genaue
Kenntnis von der Person des Täter zu haben (Cramer a.a.O. § 27 Rn. 19). Nach der
Rechtsprechung des BGH liegt selbst dann Vorsatz des Gehilfen vor, wenn dieser bei so
genannten neutralen Handlungen nicht genau weiß, wie der von ihm geleistete Beitrag
vom Haupttäter verwendet wird, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens aber
derart hoch war, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar
tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH vom 20.09.1999, 5 StR 729/98, juris
Dokument Nr. KORE766599900).
N****** O** handelte mit - zumindest bedingtem - Vorsatz. Er hat die Steuerhinterziehungen
einzelner oder mehrerer Kunden - und damit auch die des C************** - zumindest
billigend in Kauf genommen. N****** O***ist auch für die Annahme der geteilten Bestellung
und die Ausstellung der Barverkaufsrechnungen verantwortlich. Er kann sich nicht darauf
berufen, die Bestellungen nicht angenommen und die Barverkaufsrechnungen nicht
ausgestellt zu haben. Denn er war als für den Vertrieb zuständiger Geschäftsführer der F-
KG für Annahme der Bestellungen und auch für die Rechnungserstellung verantwortlich.
Der Senat folgt N*******O**, soweit er vorträgt, neue Kundenkonten konnten auch ohne
seine Einschaltung eröffnet werden und die Rechnungserteilung erfolgte ohne seine
Kenntnis im Einzelfall. Der Senat ist aber der Überzeugung, dass N*******O***von der
Praxis der geteilten Bestellungen und des Rechnungssplittings genaue Kenntnis hatte.
Seine Kenntnis vom Rechnungssplitting ergibt sich schon daraus, dass das System der
Zuordnung der Barverkaufsrechnungen und damit das System der Kundennummern
Anfang 1990 geändert wurde. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass eine solche
Änderung der internen Kundennummern ohne Kenntnis und Billigung des N*******O***als
für den Vertrieb Zuständigen erfolgte. Damit hatte N****** O** jedenfalls auch neben den
anderen (mittelbaren) Geschäftsführern die geteilte Annahme der Bestellung und das
Rechnungssplitting zu verantworten. Er hat auch den einzig denkbaren Zweck der geteilten
Bestellung und des Rechnungssplittings gekannt. N****** O** hatte umfangreiche Erfahrung
im Geschäftsleben. Er hat sich erfolgreich dort betätigt, sonst wäre er nicht Gesellschafter
und Geschäftsführer der F-KG geworden. Als erfahrener Geschäftsmann ist ihm nicht
verborgen geblieben, dass zur Verkürzung von ESt und USt nur ein reduzierter
Wareneinkauf in der Buchführung erscheinen darf, da ansonsten das Verhältnis zwischen
dem Wareneinkauf und den erklärten Umsätzen nicht plausibel ist. Ihm war - auch auf
Grund seiner selbstständigen Tätigkeit als Bäcker und Lebensmitteleinzelhändler -
bekannt, dass die Finanzbehörden zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Verbuchung
des Wareneinkaufs Kontrollmitteilungen versenden oder auch Anfragen beim Lieferanten
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vornehmen. Durch die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen ohne vollständige
Empfängerbezeichnung und die Verbuchung des bar eingenommenen Betrags auf einem
Sammelkonto war innerhalb der Buchführung der F-KG eine unmittelbare Zuordnung des
Umsatzes zu dem einzelnen Abnehmer nicht möglich. Ebenfalls war sichergestellt, dass
bei Anfragen von Finanzbehörden nur der Wareneinkauf mitgeteilt wurde, über den eine im
Sinne des § 144 Abs. 3, 4 AO ordnungsgemäße Rechnung erteilt worden war. Da der von
N****** O** behauptete Zweck, die Außenstände zu minimieren auch durch
Barverkaufsrechnungen mit vollständiger Empfängerbezeichnung erreicht werden konnte,
war ihm als erfahrenem Geschäftsmann klar, dass der Sinn des Rechnungssplittings nur
die Möglichkeit war, den Kunden eine Verschleierung ihres Wareneinkaufes und in
Konsequenz daraus eine Verschleierung der tatsächlichen Umsätze zu ermöglichen.
Die konkrete Tat, an welcher N*******O** teilgenommen hat, war auch hinreichend bestimmt
vom seinem Vorsatz umfasst. Wie oben dargelegt, war ihm der Zweck des
Rechnungssplittings, die Ermöglichung von Steuerhinterziehung, bewusst. Zwar wusste er
im Einzelfall möglicherweise nicht, ob der einzelne Abnehmer - so auch C************** -
tatsächlich Umsätze verschleierte und Steuern hinterzog, er rechnete aber damit, dass eine
Vielzahl der Abnehmer, die Barverkaufsrechnungen erhielten, sich so verhielten. Damit war
die Tat und der Täter jedenfalls hinreichend konkretisiert, denn N****** O***nahm jedenfalls
billigend in Kauf, dass auch der C************** seinen Wareneinkauf verschleierte und
Umsätze in geringerer Höhe erklärte, als sie tatsächlich angefallen sind.
c) Schließlich ist die Haftung des N****** O** dem Grunde nach nicht deshalb
ausgeschlossen, weil der Betriebsprüfer bei der Betriebsprüfung im Dezember 1991 und im
August 1992 das Rechnungssplitting bemerkt, aber nicht auf eine in Betracht kommende
Beihilfe zur Steuerhinterziehung hingewiesen hat. Nach § 9 S. 2 der BpO, bei der es sich
um eine Verwaltungsvorschrift handelt, dürfen die Ermittlungen, wenn sich während einer
Bp der Verdacht einer Straftat ergibt, erst fortgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige über
die Einleitung eines Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt wurde. Der Senat konnte nicht
feststellen, dass sich während der Prüfung der F-KG der Verdacht einer Straftat der
verantwortlich für die F-KG handelnden Personen hinsichtlich der steuerlichen Pflichten der
F-KG ergeben hat. N*******O** hat im Gegenteil selbst vorgetragen, dass der Betriebsprüfer
festgestellt hat, bei der F-KG sei der kundenbezogene Umsatz festgehalten worden und die
zugehörigen Belege seien leicht aufzufinden gewesen. Den Verdacht einer Steuerstraftat
oder einer steuerlichen Ordnungswidrigkeit hinsichtlich der steuerlichen Pflichten der F-KG
hatte der Betriebsprüfer also schon nach dem Vortrag des N****** O** nicht. Der Senat
verkennt nicht, dass bei den für die F-KG verantwortlich Handelnden auf Grund des
fehlenden Hinweises des Betriebsprüfers ein "Gefühl der Sicherheit" vor weiteren
Maßnahmen der Finanzbehörden entstehen konnte. Ein solcher Eindruck der Handelnden
würde jedoch nur dann zu einem Ausschluss der Haftung dem Grunde nach führen, wenn
der Betriebsprüfer insoweit einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Das ist aber nicht
der Fall gewesen. Denn der Betriebsprüfer hat das Rechnungssplitting aufgegriffen und
zum Gegenstand einer Besprechung zumindest mit dem Buchhalter der J-GmbH gemacht.
Darüber wurde N*******O***unterrichtet. N*******O** war ebenfalls bekannt, dass der
Betriebsprüfer mehrere Kontrollmitteilungen geschrieben hat. Auf Grund der oben unter
Gliederungspunkt b) näher dargelegten Kenntnisse des N*******O**, welchen Zweck die
geteilte Bestellung und das Rechnungssplitting nur haben konnte, hat der Betriebsprüfer
jedenfalls bei ihm keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, dass
eine Beihilfe zu Steuerhinterziehungen nicht vorliegen kann und eine
Haftungsinanspruchnahme für Steuerschulden der Kunden der F-KG nicht erfolgen werde.
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2. Der Haftungsbescheid war jedoch wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufzuheben.
Der Bekl. hat von seinem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, § 102 2. Alt. FGO. Er hat sein Ermessen
unterschritten. Da der Senat nicht befugt ist, sein Ermessen an die Stelle des Ermessens
des Bekl. zu setzen (BFH vom 25.04.1986, VI S 3/86, BFH/NV 1988, 518; vom 18.09.1981,
VI R 44/77, BStBl. II 1981, 801; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Stand Nov.
2001, § 102 FGO Tz. 4 ff und 9 ff m.w.N.; von Groll in Gräber, Kommentar zur FGO, § 102
Rn. 14) war der Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Form der
Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 aufzuheben.
Gem. § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden,
wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Inanspruchnahme des Haftenden steht im
pflichtgemäßen Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde (Tipke/Kruse,
§ 191 AO, Rn. 36). Gem. § 5 AO hat die Finanzbehörde ihr Ermessen entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
einzuhalten. Ein Ermessensfehlgebrauch in Form der so genannten
Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Finanzbehörde bei der Ermessensausübung
nicht alle gebotenen Erwägungen anstellt und keine Ermessensreduzierung auf Null
vorliegt (Tipke/Kruse § 5 AO Tz. 40).
Das Entschließungsermessen räumt der Finanzbehörde die Befugnis ein, über die
Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners dem Grunde nach zu befinden, sie hat aber
auch darüber zu entscheiden, ob sie diesen nur für einen Teilbetrag der Summe, für die er
gesetzlich haftet, in Anspruch nimmt (BFH vom 08.11.1988, VII R 78/85, BStBl. II 1989, 118
(119); Tipke/Kruse, § 5 AO Tz. 14, § 191 AO Tz. 40). Ein Auswahlermessen der
Finanzbehörde besteht, wenn eine von mehreren Rechtsfolgen zu setzen ist und der
Entschluss über die Auswahl der einzelnen zugelassenen Rechtsfolgen ihr überlassen ist,
wie die Auswahl unter mehreren Haftenden als Gesamtschuldner gem. § 44 AO (BFH vom
25. Juli 1991, V R 89/88, BStBl. II 1992, 3; Tipke/Kruse, § 5 AO Tz. 14).
a) Bei der Ausübung des Entschließungsermessens hat der Bekl. nicht alle Umstände
gewürdigt, die nach Auffassung des erkennenden Senats in die Erwägungen mit
einzubeziehen waren. Im Haftungsbescheid vom 26. August 1997 und in der
Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 führt der Bekl. im Wesentlichen aus, warum er
N*******O** als Gehilfen der Steuerhinterziehung des C************** ansieht und deshalb in
Haftung nimmt. Zu der Nichtbeanstandung der Rechnungslegung der F-KG durch den
Betriebsprüfer führt er aus, dies könne vielerlei Gründe haben. Diese Erwägungen im
Rahmen des Entschließungsermessen reichen nicht aus.
aa) Eine Ermessensreduzierung auf Null wegen einer Zusage, keinen Haftungsbescheid
zu erlassen, war nicht gegeben, da die Beweisaufnahme in dem Verfahren 1 K 3470/98
ergeben hat, dass eine solche Zusage weder gegeben wurde, noch in Aussicht gestellt
worden ist. Da der Bekl. seine Zuschätzungen allein auf Grund des von der F-KG über
Barverkaufsrechnungen bezogenen Wareneinsatzes vornahm, kommt grundsätzlich auch
eine Haftung des N****** O** für die sich aus den Zuschätzungen ergebenden Mehrsteuern
in Betracht.
bb) Keine Bedenken bestehen dagegen, dass der Bekl. N****** O***dem Grunde nach als
Haftenden in Anspruch nimmt, da dieser an der Steuerhinterziehung des
C***************teilgenommen hat. Insoweit besteht nach der ständigen Rechtsprechung des
BFH eine Ermessensvorprägung dahin, dass ein Gehilfe in der Regel als Haftender in
Anspruch zu nehmen ist. Nähere Darlegungen im Haftungsbescheid sind daher nicht
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unbedingt erforderlich (vergl. BFH vom 5. März 1998, VII B 36/97, BFH/NV 1998,1325; vom
26. Februar 1991, VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; vom 12.04.1983, VII R 3/80, DStR 1983,
454). Da gegen C************** auch nicht weiter vollstreckt werden kann, weil er sich an
einem unbekannten Ort im Ausland aufhält, war der Bekl. auch nicht mehr gehalten, sich
wegen der Befriedigung seiner Forderungen zunächst an diesen zu halten.
cc) Hinsichtlich der Höhe der Haftung fehlen jedoch Ausführungen des Bekl., warum er
eine Haftung in voller Höhe der noch offenen Einkommensteuer 1992 für
ermessensgerecht hält. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens ist der Grad der
Pflichtverletzung und das Maß des Verschuldens zu berücksichtigen (Tipke/Kruse § 191
Tz. 40; BFH vom 05.03.1998, VII B 36/97, a.a.O.). Es ist ebenfalls zu berücksichtigen, in
welcher Höhe letztlich ein Steuerschaden entstanden ist. Ist dieser geringer als die Höhe
der Steuerhinterziehung, ist dies bei der Ermessensausübung für eine
Haftungsinanspruchnahme zu berücksichtigen (BFH vom 8. November 1988, VII R 78/85,
a.a.O. (120)). Dies folgt für die Inanspruchnahme eines Teilnehmers nach § 71 AO auch
aus dem Schadensersatzcharakter dieser Norm, einen Strafcharakter hat die
Inanspruchnahme nach § 71 AO nicht (Urteil des BFH vom 26. Februar 1991, VII R 3/90,
a.a.O; Tipke/Kruse § 71 Tz. 1 m.w.N.). Die Begründung des Haftungsbescheids muss die
die Entscheidung der Finanzbehörde tragenden Gründe erkennen lassen, floskelhafte
Wendungen und vorgefertigt erscheinende Formulierungen genügen nicht (BFH vom
18.09.1981, VI R 44/77, a.a.O.).
Im Rahmen der Ermessensausübung war das Vorbringen des N*******O** zu
berücksichtigen, anlässlich der Bp bei der F-KG hätte der Betriebsprüfer die Praxis des
Rechnungssplittings bemerkt, aber keinen Hinweis erteilt, darin könne eine Beihilfe zu
einer Steuerhinterziehung liegen. Zwar hat der Betriebsprüfer, wie unter 1. c) dargelegt,
keinen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, eine Beihilfe zu Steuerhinterziehungen der
Kunden liege nicht vor. Dennoch hätte ein Hinweis des Prüfers Auswirkungen auf die Höhe
der Schuld haben können, für die N*******O** in Haftung genommen wurde. Die Wendung,
die Nichtbeanstandung der Rechnungslegung durch den Prüfer könne vielerlei Gründe
haben, genügt nicht den Anforderungen an eine Ermessensausübung. Denn der Bekl. darf
seine Ermessensausübung nicht mit floskelhaften Wendungen und vorgefertigten
Argumenten begründen. Diese vom Bekl. verwandte Formulierung erweckt einen
floskelhaften Eindruck und lässt nicht erkennen, ob und wie der Bekl. sich mit diesem
Vorbringen des N*******O***auseinander gesetzt hat. Der Bekl. hat nicht bestritten, dass die
Praxis des Rechnungssplittings zumindest von dem Betriebsprüfer der im Dezember 1991
und im August 1992 durchgeführten BP bemerkt worden ist. Er hat zu diesem, von
N*******O** weiter substantiierten, Vorbringen nicht vertiefend Stellung genommen, sondern
sich auf die genannte pauschale Äußerung beschränkt. Der Senat schließt daraus, dass
der Bekl. dem Vorbringen des N*******O***zum tatsächlichen Geschehen folgt. Da jedoch
auf Seiten der für die F-KG handelnden Personen der Eindruck entstehen konnte, das
Rechnungssplitting sei jedenfalls auf der Ebene der F-KG und damit auch für die für die F-
KG handelnden Personen steuerlich korrekt, weil ein Betriebsprüfer das
Rechnungssplitting bemerkt, aber im Ergebnis nicht beanstandet und nicht auf eine
mögliche Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung hingewiesen hat, war eine vertiefende
Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen notwendig. Denn die für die F-KG Handelnden
konnten eine besondere Sach- und Rechtskunde des Betriebsprüfers unterstellen. Auch
der N****** O***durfte darauf vertrauen, dass der Betriebsprüfer als mit der Prüfung betrauter
Amtsträger in dem von ihm zu prüfenden Bereich besondere Kenntnisse hatte. Die
Betriebsprüfung fand im Dezember 1991 und im August 1992 statt. Wäre ein Hinweis, in
dem Rechnungssplitting könne möglicherweise eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung
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liegen, zu den genannten Zeitpunkten erfolgt, und wäre im Dezember 1991 bzw. im August
1992 diese Praxis beendet worden, und nunmehr Rechnungen erteilt worden, die den
Anforderungen des § 144 AO und § 14 Abs. 1 UStG entsprachen, hätten sich ebenfalls
Auswirkungen auf Höhe der Haftung des N****** O** für die Einkommensteuerschuld 1992
des C***************ergeben. Denn selbst wenn C************** weiter den Wareneinkauf und
die Umsätze verkürzt hätte, hätte N****** O** wegen der nunmehr ordnungsgemäßen
Rechnungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Obwohl kein
Vertrauenstatbestand durch den Betriebsprüfer geschaffen wurde, hatte der Bekl. das durch
den fehlenden Hinweis auf eine mögliche Beihilfe zur Steuerhinterziehung unter
Umständen erzeugte "Gefühl der Sicherheit" vor weiteren Maßnahmen der
Finanzbehörden im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zur Höhe der
Haftungsinanspruchnahme zu würdigen.
Der Bekl. ist in seinen Ermessenserwägungen nicht darauf eingegangen, dass zwar bei
C***************die Vorsteuer aus den Barverkaufsrechnungen der F-KG nicht zum Abzug
zugelassen wurde, aber die F-KG diese Umsatzsteuer im Rahmen ihrer
Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen erklärt und abgeführt hat. Gem. § 15 Abs.
1 UStG kann ein Unternehmer u.a. die Vorsteuerbeträge abziehen, die in Rechnungen
i.S.d. § 14 UStG für Lieferungen für sein Unternehmen gesondert ausgewiesen sind. Gem.
§ 14 Abs. 1 Nr. 2 UStG muss eine Rechnung neben weiteren Angaben den Namen und die
Anschrift des Leistungsempfängers enthalten. Diesen Anforderungen genügten jedenfalls
die im Zeitraum der Steuerfahndungsprüfung 1988 bis November 1993 ausgestellte
Rechnungen nicht. Die ab Dezember 1993 ausgestellten Rechnungen enthielten die
Bezeichnung "China-Restaurant P**********". Ob diese Bezeichnung des
Leistungsempfängers für einen Vorsteuerabzug ausreicht, lässt der Senat dahinstehen. Der
BFH hat mehrfach entschieden, dass auch bei der Inhaftungnahme nach § 71 AO auf die
Höhe des entstandenen Steuerschadens abzustellen ist und die Haftung für USt entfällt,
wenn die geschuldete USt zu berichtigen ist (vgl. BFH vom 26.08.1992, VIII R 50/91, BStBl.
II 1993, 8; vom 25.07.1989, VII R 54/98, BStBl. II 190, 284 und vom 02.04.1981, V R 39/79,
BStBl. II 1981, 627). Zwar haftet der Kl. nicht wegen USt, dennoch musste der Bekl. bei der
Ausübung des Entschließungsermessens folgende Überlegungen berücksichtigen. Die
durch Barverkaufsrechnungen abgewickelten Lieferungen wiesen die auf die Lieferung
entfallende Umsatzsteuer offen aus. Die F-KG hat die Umsätze auf Grund von
Barverkaufsrechnungen in die Buchführung übernommen. Auch die von
C***************vereinnahmte Umsatzsteuer wurde ordnungsgemäß verbucht und in den
Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen der F-KG berücksichtigt. Ein
Steuerschaden ist daher in Höhe der bei C************** nicht abgezogenen Vorsteuer nicht
entstanden. Es war nach Auffassung des erkennenden Senats im Rahmen der
Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, dass der C************** zumindest nach einem
entsprechenden Hinweis der Steuerfahndungsprüfer oder des Bekl. von der F-KG
berichtigte Rechnungen hätte anfordern können, und so u.U. den Vorsteuerabzug zu einem
späteren Zeitpunkt erlangt hätte.
Zwar wurde N*******O***für ESt 1992 des C************** in Haftung genommen, nicht für
USt- Schulden. Es können sich jedoch dadurch Auswirkungen auf die Höhe der noch
offenen Einkommensteuerschuld für 1992 des C************** ergeben, dass die auf die
Umsatzsteuerschulden des C***************gezahlten oder verbuchten Beträge bei einer um
die nicht abgezogene Vorsteuer niedrigeren USt-Schuld die Einkommensteuerschuld
1992, für die N*******O***in Haftung genommen wurde, gemindert hätte. Wäre die USt-
Schuld des C***************um die Vorsteuerbeträge verringert festgesetzt worden, hätte der
Bekl. die auf diese Beträge verbuchten Gelder - ggfls. durch Aufrechnung gem. § 226 Abs.
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1 AO - zur (teilweisen) Tilgung der noch offenen Einkommensteuer 1992 verwenden
können.
Da die Haftung nach § 71 AO den Zweck hat, den eingetretenen Steuerschaden zu
verringern oder zu beseitigen, kann nicht allein auf die Höhe der Steuerhinterziehung des
Haupttäters abgestellt werden. Im Rahmen der Ermessensausübung ist auch auf die Höhe
des tatsächlichen Steuerschadens einzugehen. Würde bei der Inhaftungnahme des
N*******O***allein auf die Höhe der Steuerhinterziehungen des C************** abgestellt,
bekäme die Inhaftungnahme auch den Charakter einer Strafmaßnahme. Eine solche stellt
aber die Haftung nach § 71 AO nicht dar. Es hätten sich auch Auswirkungen auf die Höhe
der Einkommensteuerschuld 1992 des C***************ergeben. Denn der Bekl. erhielt von
C************** eine freiwillige Zahlung von 200.000 DM sowie Ratenzahlungen von 5.000
DM monatlich bis zur Betriebsaufgabe durch C**************. Zumindest weitere 221.000 DM
konnten im Vollstreckungswege beigetrieben werden. Auf Grund der erheblichen Höhe der
in Folge der Steuerfahndungsprüfung bei dem C************** gezahlten bzw. vollstreckten
Beträge war nach Auffassung des erkennenden Senats für die Haftungsinanspruchnahme
des N****** O** erforderlich, in die Ermessenserwägung mit einzubeziehen, ob bei einer
Berücksichtigung der bei C************** nicht abgezogenen Vorsteuern eine geringere
Einkommensteuerschuld für 1992 verblieben wäre.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach seiner Auffassung bei der Ausübung des
Entschließungsermessens zur Höhe der Inanspruchnahme die Relation des durch die
Beihilfe des N****** O** entstandenen Steuerschadens zu dem Grad seines Verschuldens
zu würdigen war. Anderenfalls droht eine Verletzung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit,
welches auch für den Erlass eines Haftungsbescheids gilt (vergl. Boeker in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, (H/H/Sp) Kommentar zur AO und FGO, § 191 Rz. 31), durch
welchen ein Eingriff in das durch Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentum erfolgt (vergl.
dazu Birk in H/H/Sp § 5 AO Rz. 163). Der BFH hat in seinem Urteil vom 26.02.1991 (VII R
3/90, a.a.O.) entschieden, dass eine Ermessensvorprägung auch der Höhe nach für die
Inhaftungnahme eines Gehilfen nach § 71 AO gegeben sei. Diese folge aus dem
Schadensersatzcharakter der Norm. Begrenzt werde die Haftung des Gehilfen durch
seinen Vorsatz, da er nur für den Steuerschaden in Anspruch genommen werden könne,
der von seinem Tatvorsatz umfasst sei. Auf den Grad des Verschuldens komme es nicht an.
Die für die Höhe der Strafzumessung nach § 46 StGB zu würdigende Schuld des Gehilfen
und die weiteren in § 46 StGB genannten Tatbestandsmerkmale seien für die Höhe der
Inanspruchnahme nicht heranzuziehen, da die Haftung nach § 71 AO
Schadensersatzcharakter habe, nicht aber Strafcharakter. Auch sei für die Höhe der
Inhaftungnahme nicht erheblich, ob der Gehilfe in der Lage sei, die Haftungssumme zu
zahlen.
Der Senat hat Zweifel, ob diesen Ausführungen auch im vorliegenden Fall uneingeschränkt
gefolgt werden kann. Denn N*******O***war als Geschäftsführer der F-KG relativ weit von
der Tathandlung des C***************und auch der anderen Kunden der F-KG entfernt und er
hatte nur bedingten Vorsatz. Zwar folgt der erkennende Senat dem BFH darin, dass § 71
AO keinen Strafcharakter habe. Er ist aber nicht der Auffassung, daraus könne abgeleitet
werden, die Höhe der Schuld und die Tatnähe des Gehilfen hätten keine Auswirkungen auf
die Höhe der Haftungsinanspruchnahme. Es darf nicht verkannt werden, dass die
Haftungsinanspruchnahme vom Grad der Eingriffsintensität weit über eine aus der
Beihilfehandlung folgende strafrechtliche Sanktion hinausgehen kann. Dies verdeutlicht
sich im vorliegenden Fall. Das gegen N****** O** eingeleitete Strafverfahren wurden gegen
eine Geldbuße von 200.000 DM eingestellt. Gleichzeitig wird er von mehreren
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Finanzämtern über eine Gesamtsumme, welche die Geldbuße um ein Mehrfaches
übersteigt, in Haftung genommen. Die Inhaftungnahme des N*******O** für die
Steuerschulden der Kunden der F-KG hat zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz
geführt. Damit ist evident, dass die Eingriffsintensität der gesamten
Haftungsinanspruchnahmen erheblich über der der strafrechtlichen Sanktion liegt.
In dem dem Urteil des BFH vom 26.02.1991 (VII R 3/90, a.a.O.) zu Grunde liegenden
Sachverhalt bestand zwischen dem dortigen Kl. und dem Täter eine persönliche
(verwandtschaftliche) Beziehung und eine relativ genaue Kenntnis des von dem Haupttäter
bezweckten wirtschaftlichen Erfolgs. Auf Grund der verwandtschaftlichen Beziehung zum
Haupttäter war Motiv der Gehilfen, dem Haupttäter bei der Erreichung des vom diesem
erstrebten Erfolgs behilflich zu sein. Eine solche Motivlage kann N*******O***nicht
unterstellt werden. Sein Motiv war der wirtschaftliche Erfolg der F-KG, an dem er als
Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unmittelbar partizipierte.
Der Senat ist der Auffassung, dass in Fällen wie diesem, in dem keine persönliche
Nähebeziehung zwischen dem Gehilfen und dem Täter besteht, der Gehilfe die Tat des
Haupttäters nur billigend in Kauf nimmt und seine Schuld im Verhältnis zu der des
Haupttäters erheblich geringer ist, die geringere Schuld und die Tatferne des Gehilfen im
Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zur Höhe der Inanspruchnahme zu
berücksichtigen sind. Ein "Automatismus" dahin, dass die Beihilfehandlung die
Ermessensausübung auch zur Höhe der Inanspruchnahme vorprägt, hält der Senat nicht
für sachgerecht. Fälle der vorliegenden Art, in denen ein Gehilfe potentiell für eine Vielzahl
von Steuerschuldnern haftet, sind eher selten und kommen regelmäßig auf Grund von
Steuerfahndungsmaßnahmen zu Tage. Nach Auffassung des Senats hatte der BFH bei der
Auslegung des § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 S. 1 AO eine solche Fallkonstellationen nicht vor
Augen, diese sind erst in der jüngsten Zeit bekannt geworden. Eine Auslegung der Haftung
nach § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 S. 1 AO dahin, dass eine Ermessensvorprägung dahin
bestehe, den Gehilfen in voller Höhe der nicht beitreibbaren Steuerrückstände des
Haupttäters in Anspruch zu nehmen, zielt eher auf die Beihilfehandlung zu der oder den
Taten eines Haupttäters, nicht aber auf Beihilfen zu eine Vielzahl von möglichen
Haupttätern ab. Einer solchen Auslegung liegt auch eine engere Definition des
Vorsatzbegriffs zu Grunde, welchen der BFH ausdrücklich als haftungsbegrenzendes
Kriterium nennt. Nach Auffassung des Senats ist im Ergebnis die erweiterte Definition des
Vorsatzbegriffs zu berücksichtigen. Auch dieser Umstand spricht gegen eine
Ermessensvorprägung der Inhaftungnahme auch der Höhe nach bei Beihilfehandlungen in
Fällen der hier vorliegenden Art.
Für die Höhe der Inanspruchnahme des Gehilfen ist nach Auffassung des Senats im
vorliegende Fall der von N****** O** erzielte wirtschaftliche Vorteil aus der Beihilfehandlung
als ein weiterer Maßstab im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung
heranzuziehen. Denn es kam diesem nicht auf die Verwirklichung der Haupttat an, er
bezweckte nur den Erfolg des von ihm geleiteten Unternehmens.
Dabei braucht die Finanzbehörde den wirtschaftlichen Erfolg nicht bis ins Einzelne zu
ermitteln. Ausreichend ist nach Auffassung des Senats, dass die gesamten
Vermögensvorteile, die der Gehilfe aus der Tat erlangt hat, überschlägig ermittelt werden,
beispielsweise anhand des kalkulatorischen Rohgewinnaufschlags, der in dem durch
"Schwarzeinkäufe" der Kunden erzielten Umsatz der F-KG enthalten war. Den Gehilfen trifft
diesbezüglich eine erhöhte Darlegungslast, deren Nichterfüllung zu seinen Lasten
berücksichtigt werden kann. Sind - wie im vorliegenden Fall - mehrere Finanzämter für den
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Erlass von Haftungsbescheiden zuständig, ist durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu
tragen, dass die ungefähre Gesamtsumme der Inhaftungnahme überwacht wird. Der Senat
verkennt nicht, dass es sich dabei um erhöhten Aufwand für die Finanzbehörden handelt,
der aber mit vertretbarem Einsatz erbracht werden kann.
Die vom Senat angestellten Erwägungen sind auch schon im Rahmen der
Ermessensausübung zur Höhe der Inanspruchnahme zu berücksichtigen, nicht erst in
einem späteren Billigkeitsverfahren, da dem Bekl. insoweit Ermessen eingeräumt ist und es
sich nicht, wie bei der Steuerfestsetzung, um eine gebundene Entscheidung handelt.
b) Schließlich hat der Bekl. im Rahmen der Ausübung seines Auswahlermessens keine
Feststellungen dazu getroffen, ob der weitere Geschäftsführer der F*****************GmbH,
der Komplementärin der F-KG, D*********, vom Rechnungssplitting wusste und ggfls.
ebenfalls in Haftung zu nehmen war. Haben mehrere Personen den Haftungstatbestand
erfüllt, müssen die Ermessensgründe mitgeteilt werden, die zur Auswahl des
Inanspruchgenommenen geführt haben (BFH vom 24.11.1987, VII R 82/87, BFH/NV 1988,
206). Der Bekl. hat zum Auswahlermessen nur ausgeführt, dass der C***************nicht
weiter in Anspruch genommen werden kann, weil sein Aufenthalt nicht ermittelt werden
kann und W**************ebenfalls in gleicher Höhe in Anspruch genommen worden sei. In
Bezug auf die Genannten reichen diese Ausführungen nach Überzeugung des
erkennenden Senats aus. Es fehlen aber Feststellungen des Bekl. dazu, inwieweit der
weitere Geschäftsführer der F*****************GmbH, D*********, von der geteilten Bestellung
und dem Rechnungssplitting Kenntnis hatte. Gleichfalls fehlen Erwägungen und
Ausführungen dazu, inwieweit eine Haftungsinanspruchnahme des D**********in Betracht
zu ziehen ist. Auch insoweit hat der Bekl. das ihm eingeräumte Ermessen unterschritten.
Da der Senat gem. § 102 FGO nicht sein Ermessen an die Stelle der
Ermessenserwägungen des Bekl. setzen konnte, und der Bekl. auch im Klageverfahren die
fehlende Ermessensausübung nicht nachholen konnte (§ 102 FGO wurde erst durch Art. 11
des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I 2001, 3794 (3810) geändert), war der
Haftungsbescheid insgesamt aufzuheben.
3. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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