Urteil des FG Münster vom 14.11.2003

FG Münster: vollziehung, belastung, kirchensteuer, verrechnung, aussetzung, beschränkung, steuerfestsetzung, entlastung, abhängigkeit, vorrang

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 7 V 4873/03 E
14.11.2003
Finanzgericht Münster
7. Senat
Beschluss
7 V 4873/03 E
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern auferlegt.
G r ü n d e :
1. Zu entscheiden ist, ob der Antragsgegner (Ag.) Kirchensteuererstattungen, die nicht
mit im Jahr der Erstattung gezahlten Kirchensteuern verrechnet werden können, im Jahr der
Verausgabung berücksichtigen darf.
Die Antragsteller (Ast.) sind Eheleute, die im Streitjahr 2001 zur Einkommensteuer (ESt)
zusammen veranlagt wurden. In der Steuererklärung für 2001 machten sie
Kirchensteuerzahlungen in Höhe von 21.989 DM geltend, die sie um 3.057 DM
Kirchensteuererstattungen für 2000 minderten. Im ESt-Bescheid 2000 vom 01.07.2002, der
gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging,
wurden dementsprechend 18.932 DM Kirchensteuern als Sonderausgaben berücksichtigt.
Aus der Steuerfestsetzung ergab sich eine Kirchensteuererstattung in Höhe von 7.321
Euro.
Für die Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2002 ergaben sich
Kirchensteuerzahlungen der Ast. in Höhe von 2.912 Euro, denen die im gleichen Jahr
erfolgte Kirchensteuererstattung aus der Veranlagung für das Jahr 2001 in dieser Höhe
(2.912 Euro) gegengerechnet wurde. Den verbleibenden Erstattungsbetrag in Höhe von
4.409 Euro berücksichtigte der Ag. im Streitjahr, indem er insgesamt 11.680 DM
Kirchensteuererstattungen berücksichtigte. Mit Änderungsbescheid vom 12.06.2003,
gestützt auf § 164 Abs. 2 AO setzte der Ag. die ESt 2001 auf 49.018 DM fest.
Dagegen legten die Ast. Einspruch ein, da nach ihrer Ansicht die Berücksichtigung der
in 2002 erstatteten Kirchensteuern in 2001 gegen das Verausgabungsprinzip des § 11
Einkommensteuergesetz (EStG) verstoße. Die von der Verwaltung herangezogenen BFH-
Entscheidungen beträfen anders gelagerte Sachverhalte, da in jenen Fällen
Kirchensteuerzahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt seien. Zugleich mit den Einsprüchen
beantragten die Ast. die Aussetzung der Vollziehung des ESt-Bescheides 2001, welche
der Ag. am 16.07.2003 ablehnte.
Daraufhin haben die Ast. am 15.09.2003 die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69
Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Gericht beantragt.
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Zur Begründung wiederholen sie ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und
tragen vertiefend vor, dass Ausnahmen vom Abflussprinzip einer gesetzlichen Regelung
bedürften, welche im Streitfall nicht vorliege. Ein Grund zur Abweichung von der Regel,
dass aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtskontinuität eine Verrechnung im
Erstattungsjahr zu erfolgen habe, sei nicht erkennbar. Auch greife die Vorschrift des § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht ein, da es an einem rückwirkenden Ereignis fehle.
Die Ast. beantragen,
die Aufhebung des ESt-Bescheides 2001 vom 12.06.2003 in Höhe von 2.473,94
Euro,
hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
Der Ag. beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Nach seiner Ansicht ergibt sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung für den Fall,
dass der Erstattungsbetrag im Erstattungsjahr nicht mit Sonderausgaben kompensiert
werden könne, dass der Sonderausgabenabzug des Verausgabungsjahres um die
nachträgliche Erstattung zu mindern sei. Die Erstattung der Sonderausgaben stelle ein
Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung dar.
1. Der Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht
der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen
oder aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Soweit - wie im Streitfall - Rechtsfragen umstritten sind, sind ernsthafte Zweifel
anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung neben Umständen, die für die
Rechtmäßigkeit sprechen, wichtige Gesichtspunkte zu Tage treten, die Unentschiedenheit
oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage auslösen. Eine überwiegende
Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs ist für die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung nicht
erforderlich (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 05.11.1998 VIII B 74/98,
BFH/NV 1999, 468 m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen keine ernsthaften Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes.
Die von den Ast. gezahlte Kirchensteuer gehört zu den als Sonderausgaben
abziehbaren Aufwendungen, § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Zum Abzug als Sonderausgaben
kommen Aufwendungen aber nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige dadurch
endgültig wirtschaftlich belastet wird (BFH-Urteil vom 24.10.1990 X R 43/89, BStBl. II 1991,
175 und BFH-Urteil vom 22.11.1974 VI R 138/72, BStBl. II 1975, 350). Dementsprechend
können Aufwendungen des Steuerpflichtigen mangels wirtschaftlicher Belastung nicht
berücksichtigt werden, wenn sich bereits im Zeitpunkt der Zahlung absehen lässt, dass die
Aufwendungen von einem Dritten oder vom Empfänger zu erstatten sind, wobei es
unerheblich ist, ob die Aufwendungen im Veranlagungszeitraum oder einem späteren
Zeitraum erstattet werden.
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Bei der Zahlung von Kirchensteuern steht die endgültige Belastung des
Steuerpflichtigen im Zahlungsjahr in der Regel noch nicht fest, weil sich die Kirchensteuer
wegen der Abhängigkeit von der ESt noch ändern kann. Nach ständiger Rechtsprechung
und Verwaltungspraxis sind in diesen Fällen trotz systematischer Bedenken die erstatteten
Beträge mit den im Jahr der Erstattung gezahlten, gleichartigen Sonderausgaben zu
verrechnen, so dass nur der Saldo zum Abzug als Sonderausgaben verbleibt (BFH-Urteil
vom 26.06.1996 X R 73/94, BStBl. II 1996, 646 m. w. N. und BFH-Urteil vom 18.05.2000 IV
R 28/98, BFH/NV 2000, 1455).
Von dieser aus Gründen der Praktikabilität gerechtfertigten Handhabung (vgl. BFH-Urteil
BStBl. II 1996, 646) lässt der BFH jedoch dann eine Ausnahme zu, wenn im Jahr der
Erstattung an den Steuerpflichtigen eine Kompensation mit gleichartigen Aufwendungen
nicht möglich ist; dann ist der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung um die
nachträgliche Erstattung zu mindern (BFH-Urteil BFH/NV 2000, 1455 und BFH-Urteil vom
28.05.1998 X R 7/96, BStBl. II 1999, 95).
Ein solcher Ausnahmefall ist auch im Streitfall gegeben.
Die im Jahr 2002 erfolgte Kirchensteuererstattung für 2001 in Höhe von 7.321 Euro
konnte nicht in voller Höhe mit gleichartigen Aufwendungen im Erstattungsjahr verrechnet
werden, weil nur Kirchensteuerzahlungen in Höhe von 2.912 Euro angefallen waren. Für
den nicht im Erstattungsjahr kompensierbaren Betrag in Höhe von 4.409 Euro nahm der
Ag. daher eine Verrechnung für das Jahr der Zahlung der später erstatteten Beträge vor.
Dies ist nach der dargestellten Rechtsprechung nicht nur nicht zu beanstanden, sondern
ist vielmehr auch steuersystematisch korrekt. Wie bereits dargestellt, liegt eine endgültige
wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen nicht vor, soweit diesem die als
Sonderausgaben abzuziehenden Aufwendungen erstattet werden. Systematisch korrekt
wäre es daher, Erstattungen durch Kürzungen des Sonderausgabenabzugs im
Zahlungsjahr zu berücksichtigen (so auch BFH-Urteil BStBl. II 1996, 646). Die Verrechnung
mit gleichartigen Ausgaben im Erstattungsjahr erfolgt nur aus Gründen der Vereinfachung
und Rechtskontinuität. Jede nachträgliche Änderung der tatsächlichen Belastung mit
jährlich wiederkehrenden Aufwendungen würde bei der systematisch korrekten Erfassung
zum Erlass von Änderungsbescheiden führen. Die aus Praktikabilitätserwägungen
zugelassene, systemwidrige Berücksichtigung der Erstattungen in einem späteren
Zeitraum steht jedoch einer systemgerechten Berücksichtigung der Erstattungen in den
dargestellten Ausnahmefällen nicht entgegen. Eine Beschränkung auf die
Verrechenbarkeit der Erstattungen mit gleichartigen Aufwendungen im Erstattungsjahr
würde nämlich zu nicht zu rechtfertigenden Steuervorteilen führen. Der Steuerpflichtige
würde entlastet, obwohl er wegen der Erstattung der Kirchensteuer wirtschaftlich nicht
endgültig belastet ist.
Entgegen der Ansicht der Ast. bezieht sich die zitierte Rechtsprechung des BFH nicht
nur auf die Fälle, in denen Kirchensteuern trotz Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche
einbehalten worden sind. Der BFH führt in dem Urteil vom 28.05.1998 (BStBl. II 1999, 95)
ausdrücklich aus, dass dem Senatsurteil vom 26.06.1996 (BStBl. II 1996, 646) der
verallgemeinerungsfähige Rechtsgedanke zu Grunde liegt, dass die zeitlich zutreffende
Erfassung der endgültigen steuerlichen Entlastung dann Vorrang vor
Praktikabilitätserwägungen hat, wenn eine Erstattung der Aufwendungen nicht zu einem
Zeitraum übergreifenden Ausgleich führen würde, weil und soweit die Entlastung infolge
einer Erstattung in einem späteren Veranlagungszeitraum mangels verrechenbarer
gleichartiger Sonderausgaben nicht mehr kompensiert werden könnte. Auch aus den
Entscheidungsgründen des Urteils vom 18.05.2000 (BFH/NV 2000, 1455) ist eine
Beschränkung der Rechtsprechung auf die von den Ast. vorgetragenen Sonderfällen nicht
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ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Wegen der der Entscheidung zu Grunde gelegten eindeutigen Rechtsprechung des
BFH, gegen die in diesem Verfahren keine neuen gewichtigen Argumente vorgetragen
worden sind, sieht der Senat keinen Grund, die Beschwerde gegen den Beschluss
zuzulassen.