Urteil des FG Münster vom 14.12.2010

FG Münster (kläger, kind, polen, höhe, einkommen, akte, monat, tochter, lasten, festsetzung)

Finanzgericht Münster, 1 K 4131/07 Kg
Datum:
14.12.2010
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 4131/07 Kg
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Streitig ist die Kindergeldfestsetzung für das Kind S für den Zeitraum Mai 2004 bis
September 2007.
2
Der Kläger ist der Vater des Kindes S, geb. 14.6.1988, das seit dem 12.11.2005 in
seinem Haushalt gemeldet ist und unstreitig seit dem Januar 2006 dort auch lebt. Mit
Bescheid vom 3.1.2007 wurde das am 3.5.2006 beantragte Kindergeld in Höhe von 77
Euro ab Mai 2004 festgesetzt. Die Beklagte begründete die hälftige Festsetzung des
Kindergeldes damit, dass die Kindesmutter, Frau E, in Polen lebt und dort als arbeitslos
gemeldet war (Bl. 29 d. Kdg-Akte). Ausweislich der Bescheinigung der Stadt T vom
21.3.2006 erhielt das Kind, dort als in T gemeldet bezeichnet, in der Zeit vom 1.5.2004
bis 21.3.2006 weder Familien- noch Pflegeleistungen der dortigen Einrichtung.
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Der Kläger bezog in 2004 Sozialhilfe, ab Januar 2005 ALG II/Sozialgeld, festgesetzt und
ausgezahlt vom Integrationscenter für Arbeit G. Ausweislich des Bescheides vom
30.8.2004 (Bl. 58 d. Kdg-Akte) erhielt er Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des
Regelsatzes von 237 Euro. Ab dem 8.11.2004 wurde er der GAFÖG zugewiesen. Dafür
erhielt er in den ersten drei Monaten monatlich eine Entschädigung für
Mehraufwendungen in Höhe von 200 Euro und ab dem vierten Monat ab 250 Euro pro
Monat. Die Maßnahme war auf sechs Monate befristet, mit einer
Verlängerungsmöglichkeit auf neun Monate.
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Das Kind ist seit dem 21.6.2006 in Deutschland arbeitslos gemeldet (Bl. 71 d. Kdg-
Akte). Sie nahm vom 11.12.2006 bis 7.2.2007 an einem Integrationskurs mit
Alphabetisierung teil (Bl. 83 d. Kdg-Akte). Weitere Fördermaßnahmen erfolgten in der
Zeit vom 21.2.2007 bis 4.6.2007 und 30.7.2007 bis 24.8.2007 (Bl. 111 d. Kdg-Akte).
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Am 23.10.2006 meldete der Integrationscenter für Arbeit G einen Erstattungsanspruch
gem. § 104 SGB X bei der Beklagten an, da es für den Kläger Leistungen ohne
Anrechnung von Kindergeld leiste. Ausweislich des Telefonvermerks vom 3.1.2007 (Bl.
84 d. Kdg-Akte Rückseite) leistete er für den Kläger vom Januar 2005 bis Januar 2007
Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld. Im Bescheid vom 3.1.2007 hat die
Beklagte deshalb für diesen Zeitraum den Kindergeldanspruch in Höhe von 1.925 Euro
gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt festgestellt. Dem Kläger wurde
im Bescheid vom 3.1.2007 eine Nachzahlung in Höhe von 616 Euro für die Monate Mai
2004 bis Dezember 2004 angekündigt.
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Am 15.1.2007 teilte die beklagte Behörde dem Kläger mit, dass für das Kind ab Februar
2007 Kindergeld festgesetzt werde. Der Kläger wurde in diesem Schreiben über seine
Mitwirkungspflichten unterrichtet. Dieses Schreiben war mit einer
Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Hinsichtlich der Höhe des Kindergeldes waren
keine Angaben gemacht worden.
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Der Kläger hatte am 12.1.2007 gegen den Bescheid vom 3.1.2007 Einspruch eingelegt
und sich auf den Standpunkt gestellt, dass Kindergeld in voller Höhe festzusetzen sei,
da das Kind keinerlei Leistungen im Ausland erhalte. Dies sei auch dann der Fall, wenn
es einen Antrag gestellt hätte.
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Am 26.2.2007 ging bei der Beklagten das ausgefüllte Formular E 411 ein. Dort war in
Tz. 6.2 angekreuzt, dass in der Zeit vom 1.5.2004 bis zum Ausstellungsdatum (23.8.
2006) die Kindesmutter keinen Antrag gestellt hat.
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Durch Entscheidung vom 30.8.2007 wies die Beklagte den Einspruch auf Festsetzung
von Kindergeld in voller Höhe im Streitzeitraum als unbegründet zurück. Diese
Entscheidung ist am 30.8.2007 zur Post aufgegeben worden (Bl. 104 d. Kdg-Akte).
Aufgrund der Arbeitslosigkeit beider Elternteile des Kindes seien die Regelungen der
Art. 76 bis 79 VO EWG 1408/71 und des Art. 10 DVO EWG 574/72 nicht anwendbar. Die
Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Anspruch des Klägers und dem
Anspruch der Kindesmutter in Polen sei deshalb nach der Auffangregelung des Art. 12
VO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DVO zu lösen. Gemäß Art. 7 DVO seien Leistungen, die nach
den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedsstaaten gegenseitig gekürzt, zum
Ruhen gebracht oder entzogen werden könnten, durch die Zahl der zu kürzenden
Leistungen zu teilen. Da § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG für das deutsche Kindergeld
Familienleistungen aufgrund der Kindergeldberechtigung der Kindesmutter in Polen
ausschließe, sei nach Art. 7 Abs. 1 DVO das deutsche Kindergeld zwar zu zahlen, aber
nur zur Hälfte. Aufgrund der Leistungen des Trägers von Sozialleistungen seien gemäß
§ 74 Abs. 2 EStG die Vorschriften der §§ 103 Abs. 1 SGB X und § 104 SGB X
anzuwenden. Die Beklagte ist den Sozialleistungsträgern für den Zeitraum Januar 2005
bis Januar 2007 erstattungspflichtig. Gemäß § 107 Abs. 1 SGB X gelte der Anspruch
deshalb insoweit auch gegenüber dem Kindergeldberechtigten als erfüllt.
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Der Kläger hat am 28.9.2007 Klage eingereicht und gleichzeitig Prozesskostenhilfe
beantragt. Er verweist darauf, dass er für sein leibliches Kind S rückwirkend ab Mai
2004 Kindergeld beantragt habe. Dieses wohne seit Januar 2006 bei ihm in
Deutschland. Der Kläger sei deutscher Staatsangehöriger und habe Anspruch auf
Kindergeld in voller Höhe. Die Tochter habe auch in der Zeit des Aufenthalts in Polen
kein Kindergeld beantragt. Die Bezugnahme auf § 65 EStG sei deshalb nicht richtig.
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Hiergegen spreche auch der dauerhafte Aufenthalt des Kindes in Deutschland.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
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unter Aufhebung des Kindergeldbescheides vom 3.1.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 30.8.2007 dem Kläger Kindergeld in voller
Höhe für das Kind S ab Mai 2004 festzusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass
die polnische Familienleistung für das Kind nicht gezahlt werde, da die Kindesmutter in
Polen keinen Antrag gestellt habe.
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Die Beklagte hat durch Bescheid vom 15.10.2007 die Kindergeldfestsetzung für das
Kind ab November 2007 aufgrund fehlender Mitwirkung aufgehoben.
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Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche
Verhandlung zugestimmt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
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Die Klage ist unbegründet, da der Senat für den Streitzeitraum nicht zweifelsfrei
feststellen kann, dass in Polen kein Kindergeldanspruch der Kindesmutter besteht.
Diese Zweifel gehen aufgrund der erhöhten Mitwirkungspflichten aus § 90 Abs. 2 AO zu
Lasten des Klägers.
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1. Streitgegenstand
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Im vorliegenden Fall ist lediglich streitig, ob dem Kläger volles Kindergeld oder nur
hälftiges Kindergeld zu gewähren ist. Dieser Streit hat sich nicht durch das Schreiben
vom 15.1.2007 erledigt, in dem die Beklagte Kindergeld ab Februar 2007 ohne
betragsmäßige Begrenzung festsetzt. Insoweit liegt zwar aus Sicht des Senats ein
Kindergeldfestsetzungsbescheid vor, der aber erkennbar nur deklaratorisch festlegt,
dass hier ab Februar 2007 Kindergeld festgesetzt wird. Er ändert schon vom Wortlaut
her nicht den angegriffenen Kindergeldfestsetzungsbescheid vom 3.1.2007. Vielmehr
dient dieser Bescheid dem Zweck, den Kläger auf die umfangreichen
Mitwirkungspflichten hinzuweisen. Ein solcher Hinweis ist im Kindergeldbescheid vom
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3.1.2007 gerade nicht enthalten.
Nicht streitig ist im vorliegenden Fall die Abrechnung von Kindergeld für die Monate
Januar 2005 bis Januar 2007. Zum einen wird dies im schriftlichen Verfahren nicht
ausdrücklich beantragt. Zum anderen ist der Antrag des Klägervertreters, der beantragt,
"Kindergeld in voller Höhe (...) zuzusprechen" dahingehend zu verstehen, dass hier
allein die Festsetzung von Kindergeld streitig ist. Eine Klage gegen die erfolgte
Abrechnung von Kindergeld hätte aus Sicht des Senats auch keine Aussicht auf Erfolg,
da aufgrund der vorliegenden Akten dem Kläger Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, also
Leistungen der Grundsicherung für die Zeit von Januar 2005 bis Januar 2007 in Höhe
von 1.925 Euro ohne Anrechnung von Kindergeld gewährt worden sind und das Kind im
Haushalt des Klägers wohnte. Folglich ist die Beklagte gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB
X erstattungspflichtig. Der Kindergeldanspruch gegen die Beklagte gilt gemäß § 107
Abs. 1 SGB X als erfüllt. Diese Vorschriften des SGB X sind gemäß § 74 Abs. 2 EStG
entsprechend anzuwenden (vgl. weiterführend: BFH-Urteil vom 17.4.2008 III R 33/05,
BStBl II 2009, 919, Tz. 12 im juris-Ausdruck).
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2. Streitzeitraum
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Der Streitzeitraum umfasst im vorliegenden Fall die Monate Mai 2004, wie vom Kläger
beantragt, bis zum September 2007, den Monat der Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Der Senat schließt sich insoweit
der herrschenden Rechtsprechung an, die davon ausgeht, dass der Streitzeitraum eines
Bescheides, durch den die Kindergeldfestsetzung für die Zukunft abgelehnt wird, auf die
Regelung des Anspruchs für den Monat, in dem der Bescheid bekannt gegeben wird,
beschränkt ist. Dieser Regelungsgehalt wird für den Fall, dass Einspruch eingelegt wird,
bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung verlängert, weil die Sach- und
Rechtslage im Vorverfahren gemäß § 367 Abs. 2 AO umfassend geprüft wird. Der durch
die Klage gemäß § 44 Abs. 2 FGO dann angegriffene Bescheid ist der
Kindergeldfestsetzungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung (vgl. BFH-Urteil
vom 25.07.2001 - VI R 164/98, BStBl II 2002, 88; FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007,
10 K 5107/05 Kg, EFG 2007, 600; Hess. FG, Urteil vom 23.05.2007, 3 K 3143/06; FG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.07.2009, 10 K 10434/06 B, EFG 2010, 63 mwN.). Da
im vorliegenden Fall die Einspruchsentscheidung am 30.8.2007 zur Post gegeben
worden ist, gilt sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als nach drei Tagen, also im
September 2007, bekannt gegeben. Dieser Monat September 2007 begrenzt folglich
den hier zu berücksichtigenden Streitzeitraum. Soweit der Kläger darüber hinaus
Kindergeld festgesetzt verlangt, hat er einen Kindergeldantrag ab Oktober 2007 zu
stellen.
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3. kein Kindergeldanspruch nach Vorschriften der EG-VO 1408/71
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Der Anspruch auf Zahlung von Kindergeld in voller Höhe ergibt sich aus den §§ 62ff.
EStG, die im vorliegenden Fall - wie vom Beklagten zu Recht angenommen - nicht von
europarechtlichen Vorschriften verdrängt werden.
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Ein Anspruch des Klägers auf Festsetzung von Kindergeld aufgrund der EG-VO
1408/71 liegt nicht vor, da der Beklagte zu Recht davon ausgeht, dass weder der Kläger
noch die Kindesmutter Arbeitnehmer i.S.d. Art. 76 und 79 Abs. 3 EG-VO 1408/71 oder
Art. 10 EG-DVO 574/72 sind. Dahinstehen kann, ob die erfolgte Bewilligung von
Kindergeld in hälftiger Höhe aufgrund der analogen Anwendung von Art. 12 Abs. 2 EG-
VO 1408/71 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 EG-DVO 574/72 möglich ist, da die hälftige
Kindergeldfestsetzung, wie gezeigt, nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Es kann
deshalb auch dahinstehen, ob ein solcher Anspruch auf Gewährung von hälftigem
Kindergeld überhaupt Gegenstand des Festsetzungsverfahrens oder nicht doch
Gegenstand eines separaten Billigkeitsverfahrens ist.
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4. kein Kindergeldanspruch nach Vorschriften des EStG
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Ein Kindergeldanspruch des Klägers für seine Tochter S scheitert daran, dass hier nicht
ausgeschlossen werden kann, dass § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG zum Tragen kommt.
Hiernach ist ein ansonsten aufgrund der Vorschriften des EStG gegebener
Kindergeldanspruch dann ausgeschlossen, wenn für dieses Kind Leistungen im
Ausland gewährt werden, die dem Kindergeld vergleichbar sind. Dies ist auch der Fall,
wenn diese Leistungen einer anderen Person, zu der das Kind in einem
Kindschaftsverhältnis i.S.d. § 63 Abs. 1 EStG steht, gewährt werden oder bei
Antragstellung zu gewähren waren (vgl. nur Weber-Grellet in Schmidt, § 65 EStG, Rz. 1
mwN.).
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Gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der Kläger
grundsätzlich einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter S. Unstreitig hat der
Kläger seinen Wohnsitz im Streitzeitraum im Inland. Die Tochter, Kind i.S.d. § 32 Abs. 1
EStG, hat im Streitzeitraum seinen Wohnsitz in einem Land der EU, da Polen seit dem
01.05.2004 Mitglied der EU ist.
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Kindergeld ist für das Kind für den Zeitraum Mai 2004 bis Juni 2006 gemäß § 63 Abs. 1
Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG zu berücksichtigen, da die Tochter erst am 14.6.2006
das 18. Lebensjahr vollendet hat. Die Berücksichtigung darüber hinaus bis zum
September 2007 erfolgt aufgrund der Arbeitslosmeldung gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG
am 21.6.2006. Fördermaßnahmen bis einschließlich August 2007 lassen den Schluss
zu, dass sich das Kind tatsächlich um Arbeit bemüht hat. Für den Monat September
2007 wird dies zugunsten des Klägers unterstellt. Hiervon geht auch die Beklagte aus,
die erst ab November 2007 die Kindergeldfestsetzung durch Bescheid vom 15.10.2007
aufgehoben hat.
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Der Kläger ist auch im Streitzeitraum der einzige Kindergeldberechtigte i.S.d. § 62 EStG,
da die Kindesmutter ausweislich der Akten keinen Wohnsitz im Inland unterhält und
auch ansonsten nicht den Regelungen des § 62 EStG unterfällt. Eine
Anspruchskonkurrenz i.S.d. § 64 EStG liegt folglich nicht vor.
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Die Kindergeldfestsetzung ist im vorliegenden Fall allerdings gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2
EStG ausgeschlossen. Zweifel hinsichtlich des Anspruchs auf Kindergeld der in Polen
lebenden Kindesmutter, bei der ein Kindschaftsverhältnis gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG
vorliegt, gehen zu Lasten des Klägers. Zugunsten des Klägers geht allerdings der Senat
davon aus, dass dieser selbst keinen Anspruch auf Kindergeld in Polen hat.
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Der Senat kann mangels genauer Kenntnisse des polnischen Kindergeldrechts nicht
zweifelsfrei ausschließen, dass die Kindesmutter im Streitzeitraum in Polen einen
Anspruch auf Kindergeld für die Tochter S gehabt hätte, wenn sie einen
Kindergeldantrag gestellt hätte. Das vorgelegte Formular E 411 ist nicht aussagekräftig,
da auf diese Frage dort nicht eingegangen wird. Weitere Unterlagen sind, obwohl
angefordert, nicht eingereicht worden.
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Soweit der Senat im Folgenden auf Vorschriften des polnischen Kindergeldrechts
eingeht, rührt diese Kenntnis aus einem Urteil des FG Düsseldorf vom 16.4.2010 (3 K
1401/09 Kg, EFG 2010, 1140) her.
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Nach Art. 6 Abs. 1 des in Polen für die Gewährung von Kindergeld maßgeblichen
Gesetzes über Familienleistungen vom 28.11.2003 (auch: polnisches Kindergeldgesetz)
wird Kindergeld bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne weitere Voraussetzung
gewährt, bei Fortsetzung der Schulausbildung auch darüber hinaus bis zum 21.
Lebensjahr.
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Voraussetzung für den Bezug von Kindergeld in Polen ist darüber hinaus immer, dass
das Einkommen der Eltern bzw. des Kindes die in Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes über
Familienleistungen festgelegten Einkommenshöchstgrenzen nicht überschreitet. Dabei
sind jedoch nicht Bruttobezüge anzusetzen. Vielmehr ergeben sich die Beträge aus der
Anwendung des Art. 3 Abs. 1 dieses polnischen Gesetzes. Der Senat kann mangels
weiterer Angaben der Klägerseite nicht ausschließen, dass diese Grenzen, deren Höhe
dem Senat nicht bekannt ist, unterschritten werden.
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Die Regelungen des polnischen Kindergeldrechts wie auch die Höhe der hier
relevanten Einkommensgrenzen sind von der Klägerseite aufgrund der erhöhten
Mitwirkungspflichten aus § 90 Abs. 2 AO beizubringen, da schließlich ein
Auslandssachverhalt vorliegt. Dies ist Folge der fehlenden Möglichkeiten des Senats, in
Polen selbst zu ermitteln (vgl. in Bezug auf die Auswirkungen des § 90 Abs. 2 AO nur
Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO, Rz. 20 mwN.).
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Zugunsten des Klägers nimmt der Senat an, dass dieser die relevanten
Einkommensgrenzen des polnischen Kindergeldrechts überschreitet. Dies ergibt sich
daraus, dass die deutschen Sozialleistungen in der Regel höher sind übliche
Einkommen in Polen im Streitzeitraum.
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Nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung ist nämlich davon auszugehen, dass
Arbeitslosengeld II als Sozialleistung und damit steuerfreie Einnahme als Einkommen
zu verstehen ist (zuletzt FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.7.2009, 10 K 10434/06 B,
47
EFG 2010, 63, mwN., NZB nach Rücknahme der Beschwerde eingestellt durch BFH-
Beschluss vom 28.9.2009 III B 138/09; FG Düsseldorf, Urteil vom 22.01.2008, 10 K
1462/07 Kg, EFG 2008, 695; vgl. auch Wüllenkemper, Anmerkung zum Urteil des FG
Rheinland-Pfalz vom 11.06.2008, 5 K 2208/07, EFG 2009, 194). In den dort genannten
Verfahren führte diese Rechtsprechung dazu, dass die Grenzen des Art. 5 Abs. 1 des
polnischen Kindergeldgesetzes überschritten worden sind. Dies rechtfertigt es auch im
vorliegenden Fall davon auszugehen, dass das Einkommen des Klägers diese Grenzen
überschreitet.
Daneben ist aber separat das Einkommen der Kindesmutter zu beachten. Diese ist nicht
mit dem Kläger verheiratet, so dass es auf dessen Einkommen nicht ankommen kann.
Unklar ist, ob Unterhaltszahlungen des Klägers, soweit sie überhaupt vorliegen, zum
Einkommensbegriff des Art. 5 Abs. 1 des polnischen Kindergeldgesetzes zählen. Auch
insoweit gehen die vorhanden Zweifel des Senats zu Lasten des Klägers.
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Das Einkommen der Kindesmutter ist unbekannt, weshalb hier zu Lasten der
Klägerseite davon auszugehen ist, dass ihr insoweit grundsätzlich polnisches
Kindergeld zustand. Ausweislich der vorgelegten Unterlage (Bl. 29 d. Kdg-Akte) war die
Kindesmutter in Polen arbeitslos gemeldet. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie
nur ein sehr geringes Einkommen hatte, was nicht ausreichte, die für den
Kindergeldbezug relevanten Einkommensgrenzen zu überschreiten.
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Der Senat geht im vorliegenden Fall zu Lasten des Klägers davon aus, dass die
Kindesmutter im gesamten Streitzeitraum Anspruch auf polnisches Kindergeld gehabt
hätte. Für die Monate Mai 2004 bis Oktober 2005 ergibt sich dies schon daraus, dass
das Kind in diesem Zeitraum bei der Kindesmutter gelebt hat.
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Ein Anspruch der Kindesmutter könnte daneben noch bis März 2006 vorliegen, da bis
dahin eine Meldung des Kindes in Polen vorliegt. Wie die Haushaltsaufnahme im
Haushalt des Klägers nach polnischem Kindergeldrecht zu werten ist, kann nicht
beurteilt werden. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes im Juni 2006
kann nicht ausgeschlossen werden, dass insoweit das polnische Kindergeldrecht
ähnlich dem deutschen Kindergeldrecht eine Regelung des § 65 EStG kennt bzw. nicht
auf den Wohnort des Kindes abstellt. Für den Zeitraum von Juli 2006 bis September
2007 kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kindesmutter nach polnischem
Kindergeldrecht einen Anspruch geltend machen kann, da sich das Kind - zumindest
teilweise - in Weiterbildungsmaßnahmen befunden hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
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