Urteil des FG Köln vom 09.11.2010

FG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, antrag, türkei, unternehmer, aufenthalt im ausland, freizügigkeit der arbeitnehmer, verhältnis zu, anschrift, inland, erfordernis)

Finanzgericht Köln, 2 K 5679/04
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 5679/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist der Vergütungsanspruch der Klägerin für die Zeiträume April bis Dezember
1999 und Januar bis Juni 2000.
2
Die Klägerin ist ein Unternehmen in der Rechtsform einer Limited mit Sitz in der Türkei.
Geschäftsführer der Klägerin war zunächst nur Herr A. Gegenstand des im Jahre 1994
in der Türkei gegründeten Unternehmens ist unter anderem der Import und Export von
Lebensmitteln und Getränken aller Art. Daneben gehört zum Gegenstand des
Unternehmens die Vermarktung, die Teilnahme im In- und Ausland an
Bauausschreibungen und die Durchführung dieser Arbeiten sowie auch das Eingehen
von Bau-, Ingenieurwesen-, Architektur- und Projektverpflichtungsarbeiten und deren
Durchführung (vgl. die Registerauskunft der Handelskammer P vom 30.7.1997 und vom
10.10.2000).
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Im Juni 1997 schloss die Klägerin mit der Firma E GmbH (im Folgenden: E-GmbH) mit
Sitz in F einen Werkvertrag über Stahlverlegungsarbeiten betreffend die ICE
Neubaustrecke G, und zwar betreffend den Abschnittsbereich H – K. Ausweislich des
dem Werkvertrag beigefügten Leistungsverzeichnisses betrug die an die Klägerin für die
Durchführung der Arbeiten zu entrichtende Gegenleistung (Pauschalsumme)
5.735.970 DM (inkl. 748.170 DM Umsatzsteuer – 15% -). Mit den Armierungsarbeiten
sollte im Juli 1997 begonnen werden. Sie sollten ausweislich des Vertrags bis März
2000 andauern.
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1. Vergütungsantrag für die Monate Januar bis März 1999
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Die Klägerin reichte einen Vorsteuervergütungsantrag nebst Anlage erstmals für den
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Zeitraum Januar bis März 1999 beim Beklagten am 26.7.1999 ein. Der Antrag ist mit
dem Firmenstempel der Klägerin versehen, indes von dem seinerzeitigen
Bevollmächtigten der Klägerin unterschrieben worden. Der Vordruck enthielt die
Angaben, dass die Steuernummer der Klägerin ... und die Anschrift M Str. ... in N laute.
Im Laufe dieses Vorsteuer-Vergütungsverfahrens teilte das Finanzamt O für
Körperschaften dem Beklagten auf Nachfrage mit Schreiben vom 10.5.2000 mit, dass
die E1 AG, die Muttergesellschaft der E-GmbH, für die Klägerin das Abzugsverfahren
durchgeführt habe. Die E-GmbH teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26.5.2000 mit,
dass sämtliche von der Klägerin ihr gegenüber im Kalenderjahr 1999 erbrachten
steuerpflichtige Werklieferungen bzw. sonstige Leistungen der Abzugssteuer
unterworfen worden seien.
7
Die Klägerin teilte der Beklagte im Laufe des Verfahrens mit (Schreiben vom 22.9.2000
und vom 18.10.2000): Der Unternehmerbescheinigung der Finanzdirektion P vom
7.6.2000, die die Klägerin als tätigen Steuerpflichtigen ausweise, sei als Tätigkeit zwar
nur der Einzelhandel von Lebensmittelartikeln zu entnehmen. Dies sei aber nur das in
der Türkei tatsächlich ausgeübte Gewerbe. In Deutschland seien nur Bauleistungen
gegenüber der E-GmbH anlässlich des Werkvertrags erbracht worden. Das Personal für
diese Tätigkeit sei nach Deutschland eingeflogen worden. Die Mitarbeiterzahl habe im
März 2000 noch 43, im Juni nur noch 15 betragen; seit Juni 2000 sei keiner mehr
beschäftigt. Die Arbeiter seien als Bauarbeiter oder Bauhelfer tätig gewesen. Sie seien,
wie den in Kopie beigefügten Einzahlungsbelegen an die entsprechende
Sozialversicherungsanstalt zu entnehmen sei, in der Türkei versichert gewesen. Als
weiterer Geschäftsführer und zwecks Vertretung der Klägerin in Deutschland sei Herr B
im Juni 1997 berufen worden. Die Geschäftsführertätigkeit des Herrn B sei – wie dem in
Kopie beigefügten Geschäftsführervertrag zu entnehmen sei – auf die Dauer des
Auftrags beschränkt gewesen. In dem Büro in N seien die Bauleistungen und die
Genehmigungsverfahren für die Arbeiter abgewickelt sowie Schriftwechsel geführt
worden. Die Geschäftsleitung habe dort Herr B ausgeübt. Die entstandenen
Aufwendungen, die den Vorsteuerbeträgen zugrunde lägen, seien sämtliche
Betriebsausgaben gewesen.
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2. Vergütungsantrag für den Zeitraum April bis Dezember 1999
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Auch im Rahmen dieses Antrags, der vom 29.6.2000 datiert und dem eine Anlage
beigefügt war, erfolgte – wie zuvor in dem Antrag – die Angabe, dass die Klägerin nur
Umsätze ausgeführt habe, die dem Abzugsverfahren unterlegen hätten. Die Angaben
zum Namen sowie zur Anschrift und der Steuernummer entsprechen ebenfalls denen im
vorangegangenen Antrag. Der Antrag, der ebenfalls von dem seinerzeitigen
Bevollmächtigten mit dem Zusatz "i.A." unterschrieben worden ist, trägt den
Eingangsstempel 3.7.2000 (einem Montag). Er trägt den handschriftlichen Vermerk des
Beklagten, dass die "Frist ok!" sei (mit dem Zusatz "St II 23 4/7/00"). Mit ihm wurde die
Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 49.980,08 DM beansprucht.
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3. Vergütungsantrag für den Zeitraum Januar bis Juni 2000
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Für diesen Vergütungszeitraum ging am 29.6.2001 bei dem Beklagten lediglich ein
teilweise ausgefüllter Antragsvordruck ein. Die Angaben in diesem Antrag zum Namen
sowie zur Anschrift und der Steuernummer der Klägerin entsprechen ebenfalls denen im
vorangegangenen Antrag. Indes enthielt dieser Antrag weder Angaben zum
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Gesamtbetrag der begehrten Vergütung noch solche zu Feld 9 Buchst. a) und b) des
Vordrucks. Der Antrag, der keinen Firmenstempel trägt, ist vom seinerzeitigen
Bevollmächtigten mit dem Zusatz "im Auftrag von C i.A." unterschrieben. Er datiert vom
28.6.2001.
Daraufhin teilte Frau Q, die Sachbearbeiterin des Beklagten, die neben Frau R auch die
vorangegangenen Anträge bearbeitete, dem ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin,
dem Büro Y, unter Beifügung der eingereichten Unterlagen mit, es sei sofort nach dem
Posteingang festgestellt worden, dass der Vergütungsantrag nicht auf amtlichen
Vordruck (Antragsdeckblatt und Anlage zum Antrag) gestellt worden sei. Die Antragsfrist
sei nunmehr abgelaufen. Es komme daher allenfalls eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand in Betracht kommen.
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Sodann beantragte der ehemalige Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom
20.7.2001, eingegangen bei der Klägerin am 26.7.2001, Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand. Zur Begründung führte der seinerzeitige Bevollmächtigte aus, dass seine
(nicht näher genannte) Mitarbeiterin am 28.6.2001 mit Frau X vom Beklagten telefonisch
vereinbart habe, dass zur Fristwahrung das Einreichen des Deckblatts des Antrags
reiche. Da noch nicht alle Belege in die Anlage eingetragen gewesen seien, habe auch
der Gesamtbetrag der zu erstattenden Vorsteuer noch nicht eingetragen werden können.
Selbstverständlich habe er auf die Richtigkeit der telefonischen Auskunft vertraut. Das
Deckblatt des Antrags sei fristgerecht übersandt worden.
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Am 30.7.2001 ging bei der Beklagten nunmehr der um den Gesamtbetrag der Vergütung
ergänzte ursprüngliche Antrag nebst einer Anlage zum Antrag mit insgesamt 281
Positionen nebst Rechnungen ein. Zum Feld 9 Buchst. a) und b) des Vordrucks
erfolgten weiterhin keine Angaben.
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Am 24.8.2001 erließ der Beklagte hinsichtlich der Vorsteuervergütungsanträge drei
Bescheide mit folgendem Inhalt:
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Mit einem Bescheid setze der Beklagte – bezugnehmend auf den Antrag vom 26.7.1999
– für die Klägerin unter Angabe der Anschrift Türkei und ohne weitergehende
Adressbezeichnung die Vergütung für den Zeitraum Januar bis März 1999 in Höhe von
3.678 DM fest. Hinsichtlich der Abweichung zu den beantragten 5.260,90 DM verwies er
unter anderem darauf, dass ordnungsgemäße Rechnungen nicht vorlägen. Zugleich
teilte er mit, dass die Unternehmerbescheinigung gemäß § 61 Abs. 3 der Umsatzsteuer-
Durchführungsverordnung (UStDV) abgelaufen sei. Dem "nächsten" Antrag sei daher
eine neue gültige Bescheinigung im Original beizufügen. Anderenfalls sei der Antrag
abzulehnen. Auch sei "künftigen" Anträgen eine Bescheinigung des
Leistungsempfängers über die Durchführung des Abzugsverfahrens bzw. über die
Anwendung der Nullregelung beizufügen, sofern das Unternehmen Leistungen
ausführe, die dem Abzugsverfahren unterlägen oder bezüglich derer die Nullregelung
angewendet werden könne.
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Mit einem weiteren Bescheid lehnte der Beklagte den Antrag auf Vergütung von Vor-
steuer für den Zeitraum April 1999 bis Dezember 1999 (333 Rechnungspositionen) im
Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine Vielzahl der Rechnungen nicht den
gesetzlichen Anforderungen genüge.
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Mit dem dritten Bescheid lehnte der Beklagte den Vorsteuervergütungsantrag für den
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Zeitraum Januar 2000 bis Juni 2000 ab. Zur Begründung führte er aus: innerhalb der
Antragsfrist sei kein wirksamer Antrag gestellt worden. Der Antrag sei nach amtlich
vorgeschriebenem Vordruck abzugeben. Amtlich vorgeschriebener Vordruck sei der
Vordruck UST 1 T sowie die Anlage zum Antrag. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand werde abgelehnt. Ein Antrag auf amtlich vorgeschriebenen Vordruck
sei erst am 30.7.2001 eingegangen. Die Frist sei nicht ohne Verschulden versäumt
worden. Der Bevollmächtigte hätte die Voraussetzungen für die Teilnahme am
Vorsteuer-Vergütungsverfahren kennen und entsprechend den vollständigen Antrag auf
Vergütung der Vorsteuer vor Ablauf der Frist einreichen müssen.
Der Antrag sei zudem vom ausländischen Unternehmer nicht eigenhändig
unterschrieben worden. Die Unterschrift durch einen Bevollmächtigten reiche nicht aus.
Auch sei der Antrag nicht mit einem Firmenstempel versehen worden.
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Gegen sämtliche Vergütungsbescheide legte die Klägerin, nunmehr vertreten durch die
U Treuhand Steuerberatungsgesellschaft mbH, im September 2001 Einspruch ein.
Nachdem nach mehrmaliger Anfrage eine Begründung ausblieb, legte diese
Bevollmächtigte im Februar 2002 das Mandat nieder. Die Vertretung übernahm die
jetzige Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 5.7.2002, wobei sie erklärte, dass
eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung anwaltlich versichert werde. Nachdem trotz
mehrmaliger Fristverlängerung auch ihrerseits eine Stellungnahme ausblieb, wies der
Beklagte mit einheitlicher Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004 die Einsprüche gegen
die drei Vergütungsbescheide als unbegründet zurück. Die Anschrift der
Einspruchsführerin im Rubrum der Einspruchsentscheidung lautet "M Str. ... in ... N,
Türkei".
21
Die Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004 übersandte der Beklagte zunächst an die
von der Prozessbevollmächtigten bisher mitgeteilte Kanzleiadresse (T-Straße ... in
... W). Diese Anschrift ist auch im Adressfeld der Einspruchsentscheidung genannt.
Indes konnte der Prozessbevollmächtigten die Einspruchsentscheidung unter dieser
Anschrift nicht bekannt gegeben werden. Am 13.8.2004 erhielt der Beklagte die zur Post
aufgegebene Einspruchsentscheidung mit dem Vermerk zurück, dass der Empfänger
unter der angegeben Anschrift nicht ermittelt werden konnte.
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Sodann übersandte der Beklagte die Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004 an die
Anschrift "C, M Straße ... in ... N". In einem Begleitschreiben führte der Beklagte aus,
dass die Einspruchsentscheidung zwar zunächst an die Prozessbevollmächtigte
versandt worden sei, diese aber offenbar verzogen seien. Daher erfolge die
Bekanntgabe an die C direkt. Zuvor hatte der Beklagte mit Schreiben vom 18.2.2002,
ebenfalls adressiert an die "C, M Straße ... in ... N", um Mitteilung gebeten, ob nach der
Mandatsniederlegung der seinerzeitigen Bevollmächtigten, der U Treuhand
Steuerberatungsgesellschaft mbH, ein anderweitiger Bevollmächtigter bestellt werde.
Dieses Schreiben hatte der Beklagte am 28.2.2002 jedoch mit dem Vermerk zurück
erhalten, dass der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht ermittelt werden
konnte. Das Schreiben vom 18.2.2002 hatte der Beklagte sodann an die Anschrift der
Klägerin in der Türkei versendet.
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Am 7.10.2004 übersandte der Beklagte die vom 9.8.2004 datierende
Einspruchsentscheidung an die neue Anschrift der Prozessbevollmächtigten (V-Straße
... in ... W). Dem vorausgegangen war ein Telefonat der Prozessbevollmächtigten mit
dem Beklagten, bei dem der Beklagte der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hatte,
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dass über den Einspruch bereits entschieden worden sei. Die Prozessbevollmächtigte
der Klägerin hatte daraufhin geäußert, dass sie keine Kenntnis von einer
Einspruchsentscheidung habe, und um Übersendung der getroffenen
Einspruchsentscheidung an ihre neue Adresse gebeten.
Gegen sämtliche Vergütungsbescheide (Vergütungszeiträume Januar bis März 1999,
April bis Dezember 1999 sowie Januar bis Juni 2000) hat die Klägerin am 8.11.2004
Klage erhoben, und zwar zunächst mit dem Antrag, diese aufzuheben. Sodann hat sie –
nach Fristsetzung gemäß § 65 der Finanzgerichtsordnung –FGO- und § 79b Abs. 1 FGO
- innerhalb der Frist mit Schriftsatz vom 6.6.2005 beantragt, "unter Aufhebung des
Vergütungsbescheides vom 24. August 2001 für die Vergütung von Vorsteuer für den
Zeitraum Januar 2000 bis Juni 2000, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.
August 2004, (…), den Erstattungsbetrag auf 20.440,81 DM (10.451,22 Euro)
festzusetzen, und zur Begründung angeführt: sie habe bereits am 29.6.2001 einen
wirksamen Vorsteuer-Vergütungsantrag gestellt, auch wenn diesem keine Anlage
beigefügt gewesen sei. Das Gesetz schreibe nicht vor, dass dem Antrag eine Anlage
beizufügen sei. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren sei es zur Wahrung der Klagefrist
ausreichend, dass das Klagebegehren innerhalb der Klagefrist hinreichend bezeichnet
werde. Sie habe innerhalb der Antragsfrist auch die Erstattung von Vorsteuer für einen
bestimmten Zeitraum begehrt. Das Nachfordern von Unterlagen sei eine Frage der
Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Antrags. Die Begründetheit des Antrags,
d.h. die Prüfung der mit der Anlage eingereichten Rechnungen, sei sodann indes nicht
mehr durchgeführt worden. Nach Durchsicht der Rechnungen werde nunmehr eine
Vorsteuervergütung in Höhe von 10.451,22 Euro (20.440,81 DM) beantragt. Wegen der
Einzelheiten zur Ermittlung dieses Betrages wird auf die Ausführungen der
Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 6.6.2005 verwiesen. Ausführungen zu der
Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. zu den
Vorsteuervergütungszeiträumen Januar bis März 1999 sowie April bis Dezember 1999
sind diesem Schriftsatz nicht zu entnehmen.
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Nach der Klageerwiderung des Beklagten und nachdem dieser die Festsetzung der
Vergütung für den Zeitraum Januar bis März 1999 zunächst vollständig aufgehoben
hatte, führte die Klägerin sodann ergänzend und vertiefend aus: sie sei auch
klagebefugt. Sie und nicht ihre Vertretung im Inland (N) habe den Vorsteuer-
Vergütungsantrag gestellt. Ihr gegenüber seien auch der Ablehnungsbescheid sowie
die abschlägige Einspruchsentscheidung ergangen.
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Sie sei als im Ausland ansässiges Unternehmen auch antragsberechtigt. Die Vertretung
im Inland stelle keine Zweigniederlassung dar. Sie habe im Inland wegen und für die
Dauer des Projekts – mithin vorübergehend - lediglich ein Dienstleistungsbüro mit
minimaler Infrastruktur errichtet. Eine verfestigte, stetige Niederlassung liege nicht vor.
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Eine eigenhändige Unterschrift könne wegen des Anwendungsvorrangs des
Gemeinschaftsrechts trotz des Gesetzwortlauts des § 18 Abs. 9 Umsatzsteuergesetzes –
UStG- nicht verlangt werden. Hierin liege ein Verstoß gegen Artikel 3 Buchst. c der
Achten Richtline 79/1072/EWG vom 6.12.1979. Danach könne eine schriftliche
Erklärung auch durch einen Bevollmächtigten erbracht werden. Anderenfalls würde der
Umstand, dass das Formular in der Sprache des Landes, das für die Vergütung
zuständig sei, ausgestellt sei, zu einer Diskriminierung nicht sprachkundiger Ausländer
führen. In der fehlenden Möglichkeit der gewillkürten Vertretung läge zudem ein Verstoß
gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 12 des Vertrages zur Gründung der
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Europäischen Gemeinschaften (-EGV-, jetzt: Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union –AEUV-), auch unter der Berücksichtigung des
Assoziierungsabkommens mit der Türkei. Im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht
könne zudem nicht verlangt werden, dass dem Antrag eine Anlage beigefügt werde.
Soweit der Beklagte sich mit Schriftsatz vom 22.9.2010 kurz vor der mündlichen
Verhandlung darauf berufen habe, es sei nunmehr festgestellt worden, dass die vorlegte
Unternehmerbescheinigung nicht ausreichend bzw. noch eine Belegprüfung
durchzuführen sei, sei anzumerken, dass in zeitlicher Hinsicht keine Möglichkeit
bestanden habe, eine weitergehende Unternehmerbescheinigung einzureichen bzw.
die zuvor bereits übersandten Originalrechnungen dem Beklagten nochmals zur
Verfügung zu stellen.
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Nachdem die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Klage, soweit sie
den Vergütungszeitraum Januar bis März 1999 betrifft, im Hinblick auf die
zwischenzeitlich erneute Festsetzung der bereits zuvor gewährten Vergütung
zurückgenommen hat, das Verfahren insoweit abgetrennt und sodann eingestellt
worden ist, beantragt sie nunmehr,
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1. unter Aufhebung des Vergütungsbescheides vom 24.8.2001 für die Vergütung
von Vorsteuer für den Zeitraum April 1999 bis Juni 2000, in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004, den Beklagten zu verpflichten, den
Erstattungsbetrag für die Zeit vom April 1999 bis Dezember 1999 auf 49.980,08 DM
und für den Zeitraum Januar bis Juli 2000 auf 10.451,22 Euro festzusetzen.
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2. hilfsweise im Falle des Unterliegens das Verfahren dem Europäischen
Gerichtshof zur Vorabentscheidung im Hinblick auf Artikel 3 Buchst. c der Richtlinie
79/1072/EWG vorzulegen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei bereits unzulässig. Die Klägerin sei nicht klagebefugt. Sie habe keine
Anträge gestellt, ihr gegenüber seien keine Ablehnungsbescheide ergangen bzw. keine
Einspruchsentscheidung ergangen.
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Die Klage sei aber jedenfalls unbegründet.
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Die Zweigniederlassung in Deutschland, die die Anträge nach der eindeutigen
Bezeichnung in Feld 1 der Anträge gestellt habe, gehöre nicht zum Kreis der
antragsberechtigten Personen (unselbständiger Unternehmensbereich). Unternehmerin
sei nur die Klägerin. Es sei auch nicht erkennbar, ob die Klägerin, die in der Türkei
ansässig sei, in Deutschland nur ein Dienstleistungsbüro mit minimaler Infrastruktur
unterhalten habe. Schließlich habe Sie auf Nachfrage erklärt, dass die Geschäftsleitung
sich in N befunden habe und dort von Hr. B ausgeübt worden sei.
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Innerhalb der Antragsfrist seien – bezogen auf die Vergütungszeiträume April bis
Dezember 1999 bzw. Januar bis Juni 2000 - auch keine wirksamen Vergütungsanträge
gestellt worden.
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Der Antrag für den Zeitraum April 1999 bis Dezember 1999 sei erst am 3.7.2000 und
damit verspätet beim Beklagten eingegangen.
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Betreffend den Vergütungszeitraum Januar bis Juni 2000 sei bis zum 30.6.2001
lediglich das Deckblatt des Vergütungsantrags bei dem Beklagten eingegangen, ohne
dass der Gesamtbetrag der Vergütung angegeben worden sei. Eine Anlage zum
Vergütungsantrag habe gefehlt. Auch seien Angaben zu Feld 9a) und b) des amtlichen
Vordrucks betreffend den Vergütungszeitraum Januar bis Juni 2000 bisher nicht erfolgt.
Bereits im Hinblick darauf sei nicht von der Stellung eines wirksamen
Vergütungsantrags für den Zeitraum Januar bis Juni 2000 auszugehen.
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Daneben seien die Anträge auch nicht eigenhändig unterschrieben worden, sondern
lediglich in Vertretung. Anders als bei im Gemeinschaftsgebiet ansässigen
Unternehmen sei eine Vertretung bei im Drittstaatsgebiet ansässigen Unternehmen
durch einen Bevollmächtigten im Hinblick auf das Erfordernis der Eigenhändigkeit indes
nicht zulässig. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs -EUGH- vom 3.12.2009 in der
Rechtssache C-433/08 (Yaesu Europe) sei insoweit nicht einschlägig. Dies betreffe nur
im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmen. Danach sei trotz des nationalen
Erfordernisses der Eigenhändigkeit im Hinblick auf das vorrangig anzuwendende
Gemeinschaftsrecht (Achte Richtlinie 79/1072/EWG) eine Vertretung durch einen
Bevollmächtigten bei der Antragstellung ohne weiteres zulässig. Art. 3 Abs. 1 der im
Streitfall einschlägigen Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG weise den Mitgliedstaaten
gerade das Recht zu, die Modalitäten für die Antragstellung von in Drittstaaten
ansässigen Unternehmen frei zu regeln. Vor diesem Hintergrund verstoße das
Erfordernis der Eigenhändigkeit auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art.
12 EGV (Art. 18 AEUV).
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Darüber hinaus fehle es an einer ordnungsgemäßen Unternehmerbescheinigung für die
streitigen Vorsteuervergütungszeiträume. Die eingereichte Unternehmerbescheinigung
sei erst am 7.6.2000 ausgestellt worden. Sie decke den streitigen Zeitraum nicht
vollständig ab. Im Übrigen sei eine Belegprüfung noch erforderlich.
42
Entscheidungsgründe
43
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist – soweit sie den Vergütungszeitraum April bis
Dezember 1999 betrifft - unzulässig. Hinsichtlich des Vergütungszeitraums Januar bis
Juni 2000 ist sie zulässig, jedoch unbegründet.
44
I. Vergütungszeitraum April bis Dezember 1999
45
Insoweit ist die Klage mangels Wahrung der einmonatigen Klagefrist (§ 45 FGO)
unzulässig.
46
Zwar hat die Klägerin ursprünglich gegen die Einspruchsentscheidung vom 9.8.2001,
die auch diesen Zeitraum umfasst, (fristgerecht) Klage erhoben. Der mit Klageerhebung
gestellte Antrag betraf ausdrücklich auch den Vergütungsbescheid für den Zeitraum
April 1999 bis Dezember 1999. Es lag – im Hinblick auf die Klageerhebung betreffend
aller drei Vergütungszeitraume – in prozessualer Hinsicht die Situation einer
kumulativen Klagenhäufung vor. Die den drei Vergütungszeiträumen
zugrundeliegenden Steuerfestsetzungen waren trotz der einheitlich ergangenen
Einspruchsentscheidung selbständig anfechtbar. Indes hat die Klägerin nach der auf §
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65 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 65 As. 1 Satz 1 FGO gestützten Aufforderung des Gerichts,
unter anderem den Gegenstand des Klagebegehrens und den angefochtenen
Verwaltungsakt zu bezeichnen, innerhalb der Frist nur Ausführungen zu dem
Vergütungsbescheid betreffend den Zeitraum Januar 2000 bis Juni 2006 vorgetragen
und auch nur den Antrag gestellt, den Vergütungsbescheid für diesen
Vergütungszeitraum abzuändern.
Aus Sicht des Gerichts hat die Klägerin hiermit – auch angesichts der zugleich
ergangenen Aufforderung nach § 79b FGO - eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie
ihr Klagebegehren auf diesen Zeitraum beschränkt. Anderenfalls hätte es angesichts
der weiteren Präklusionsvorschrift nahe gelegen, in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht zur Begründetheit auch dieser weiteren Vergütungszeiträume Stellung zu
nehmen. Erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ausgeführt,
dass sich die Klage auch weiterhin auf den Vergütungszeitraum April 1999 bis
Dezember 1999 beziehen solle. Da die Klägerin jedoch ihre Anfechtungsklage zuvor
auf den Teil ihrer Klage beschränkt hatte, kann diese im Hinblick auf die hierdurch
eingetretene Unanfechtbarkeit nach Ablauf der Klagefrist nicht mehr erweitert werden.
Dem steht zudem der Ablauf der nach § 65 Abs. 2 FGO gesetzten Ausschlussfrist
entgegen (vgl. hierzu auch den Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 1.3.1996 X
B 302/95, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1776).
48
II. Vergütungszeitraum Januar bis Juni 2000
49
Auch insoweit hat die Klage keinen Erfolg.
50
1. In diesem Umfang ist die Klage zulässig.
51
a. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt und es ist im Sinne des § 44 Abs. 1 FGO
ein Vorverfahren gegenüber der Klägerin durchgeführt worden.
52
Im Rahmen der Auslegung des Antrags ist aus der maßgeblichen, objektivierten Sicht
der Behörde davon auszugehen, dass der Antrag auf Vorsteuervergütung von der
Klägerin gestellt worden ist, auch wenn im Feld 1 des Vordrucks die Anschrift des Büros
in N angegeben worden ist. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung (Juni 2000) musste
der Beklagte trotz der fehlerhaften Bezeichnung davon ausgehen, dass die
Antragstellung für die Klägerin erfolgte. So war dem Beklagten bereits aufgrund der
Antragstellung für den Zeitraum Januar bis März 1999 bekannt, dass trotz der
angegebenen Anschrift in N eine Antragstellung durch die Klägerin gewollt war. Denn
auch der Antrag für den Zeitraum Januar bis März 1999 enthält als Anschrift die Adresse
in N. Gleichwohl ist der Beklagte im Verwaltungsverfahren zu Recht davon
ausgegangen, dass Antragstellerin auch dieses Antrags die Klägerin und nicht ein unter
der Anschrift in N ansässiges anderweitiges Unternehmen ist. So hatte der Beklagte
bereits im April 2000 und damit vor der Antragstellung für den hier streitigen Zeitraum
davon Kenntnis, dass die im Antrag für den Zeitraum Januar bis Juni 2000
angegebenen Steuernummer (...) vom Finanzamt S gegenüber der Klägerin vergeben
worden war. Entsprechend hatte der Beklagte bereits mit Schreiben vom 27.4.2000
betreffend den Vergütungszeitraum Januar bis März 1999 das Finanzamt O für
Körperschaften um Mitteilung gebeten, ob hinsichtlich der von der Klägerin ausgeführten
Umsätze das Abzugsverfahren durchgeführt bzw. die Nullregelung angewendet worden
sei. Zugleich hat er am 27.4.2000 ein Schreiben, gerichtet an die Adresse in N erlassen,
in dem er die Klägerin unter Angabe der vollständigen Anschrift in der Türkei als
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Antragstellerin bezeichnet hat. Auch wenn dem Antrag für den Vergütungszeitraum
Januar bis Juni 2000 insoweit kein Firmenstempel beigefügt war, wird aufgrund des
vorgenannten Verfahrensverlaufs – insbesondere im Hinblick auf die zeitgleiche
Bearbeitung der drei Vergütungsanträge durch den Beklagten- deutlich, dass aus Sicht
der Behörde von einer Antragstellung durch die Klägerin auszugehen war.
Entsprechend enthält auch der für den Vergütungszeitraum Januar bis Juni 2000 an den
seinerzeitigen Bevollmächtigten adressierte Ablehnungsbescheid als Anschrift der
Klägerin lediglich die Angabe "Türkei", und zwar ohne Hinweis auf eine Anschrift im
Inland. Demzufolge kann auch dem Umstand, dass im Rubrum der
Einspruchsentscheidung zur Bezeichnung der Einspruchsführerin die Anschrift des
Büros in N angegeben worden ist, entgegen der vom Beklagten im Klageverfahren
geäußerten Ansicht nicht entnommen werden, dass der Beklagte hiermit nicht eine
Entscheidung gegenüber der Klägerin treffen wollte, zumal der Beklagte in den Gründen
der Einspruchsentscheidung vorangestellt hat, dass die Einspruchsführerin ein in der
Türkei ansässiges Unternehmen sei.
b. Die Klage ist zudem innerhalb der einmonatigen Klagefrist worden (§ 47 Abs. 1 Satz
1 FGO) erhoben worden.
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Dabei kann dahinstehen, ob sich die im August 2001 getroffene Entscheidung des
Beklagten, die Einspruchsentscheidung an die Klägerin unter der Anschrift "M Str. ... in
N" bekanntgeben zu wollen, im Hinblick auf die erfolgte Bestellung der
Prozessbevollmächtigten als ermessenswidrig erweist. Für einen derartigen
Ermessenverstoß wäre insbesondere anzuführen, dass die zeitlich zuvor erstrebte
Bekanntgabe des Schreibens vom 18.2.2002 an die Anschrift " M Str. ... in N"
fehlgeschlagen war. Der Beklagte hätte aus diesem Grunde wie auch aufgrund des ihm
bekannten Umstands, dass das Büro in N nach Angaben der Klägerin nur für die Dauer
des Projekts angemietet werden sollte, ernsthafte Bedenken an einer noch
zuverlässigen Bekanntgabemöglichkeit der Einspruchsentscheidung unter dieser
Anschrift haben müssen. Insoweit wäre erst nach der Übermittlung der Kopie der
Einspruchsentscheidung am 7.10.2001 an die Bevollmächtigte von einem Lauf der
Klagefrist auszugehen (vgl. zu der Frage des Verstoßes gegen die Art und Weise der
Bekanntgabe sowie der Heilung eines derartigen Bekanntgabemangels Brockmeyer in
Klein, AO-Kommentar, 8. Auflage, § 122 Rn. 45 u. 47 m.w.N.).
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Doch kann die Frage eines Ermessensverstoßes offen bleiben. Denn es kann bereits
nicht von einer wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gegenüber der
Klägerin an die Adresse in N ausgegangen werden. Zwar steht nach Aktenlage
angesichts des Postaufgabevermerks fest, dass der Beklagte die
Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004 am 16.8.2004, adressiert an die Klägerin, zur
Post aufgegeben hat. Gerade im Hinblick auf die o.g. Bedenken an einer zuverlässigen
Bekanntgabemöglichkeit bestehen jedoch berechtigte Zweifel im Sinne des § 122 Abs.
2 letzter Halbsatz AO daran, dass die zur Post aufgegebene Einspruchsentscheidung
der Klägerin unter dieser Anschrift (M Str. ... in N) auch tatsächlich zugegangen ist, auch
wenn diesmal kein Rücklauf erfolgte. Dem entspricht es, dass die
Prozessbevollmächtigte dem Beklagten später mitgeteilt hatte, sie habe keine Kenntnis
von der Einspruchsentscheidung. Angesichts dessen greift die Bekanntgabefiktion des
§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bezüglich der am 16.8.2004 zur Post aufgegebenen
Einspruchsentscheidung nicht ein. Daher ist erst anlässlich der erneuten erneute
Aufgabe der Einspruchsentscheidung vom 9.8.2004 in Kopie zur Post am 7.10.2004
(einem Donnerstag), die von einem entsprechenden Bekanntgabewillen des Beklagten
56
getragen war, von einer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszugehen.
Demzufolge endete die Klagefrist erst am 11.11.2004 und war die Klageerhebung am
8.11.2004 fristwahrend.
2. In der Sache hat die Klage indes keinen Erfolg. Der Beklagte hat den Antrag auf
Vorsteuervergütung zu Recht abgelehnt. Die Klägerin ist zwar
vorsteuervergütungsberechtigte Unternehmerin. Sie hat jedoch innerhalb der
Antragsfrist keinen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag gestellt, ohne dass eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt.
57
a. Die Klägerin ist vorsteuervergütungsberechtigte Unternehmerin.
58
Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens
das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch
Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland
ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in
einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der
Verordnungsgeber in §§ 59 ff. UStDV Gebrauch gemacht. Gemäß 59 Abs. 1 UStDV in
der seinerzeit gültigen Fassung ist die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge (§
15 des Gesetzes) an im Ausland ansässige Unternehmer (§ 51 Abs. 3 Satz 1)
abweichend von § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 des Gesetzes nach den §§ 60 und 61
UStDV durchzuführen, wenn der Unternehmer im Vergütungszeitraum
59
im Inland keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 des Gesetzes
oder nur steuerfreie Umsätze im Sinne des § 4 Nr. 3 des Gesetzes ausgeführt hat
60
oder
61
nur Umsätze ausgeführt hat, die dem Abzugsverfahren (§§ 51 bis 56) oder der
Beförderungseinzelbesteuerung (§ 16 Abs. 5 und § 18 Abs. 5 des Gesetzes)
unterlegen haben.
62
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin.
63
Bei der Klägerin handelt es sich im Sinne des § 13b Abs. 4 UStG (vormals § 51 Abs. 3
UStDV) um ein in Ausland (Türkei) ansässiges Unternehmen. Soweit der Beklagte
andeutet, dass die Klägerin, die in der Türkei den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit hat,
auch im Inland ansässig sei, weil sie hier in N eine feste Niederlassung
(Zweigniederlassung) unterhalte, ist dem nicht zuzustimmen.
64
Nach Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG gilt als ein nicht im
Gemeinschaftsgebiet ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige, der in
diesem Gebiet weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste
Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, hat. Nach der auf dem
Gebiet der Mehrwertsteuer gefestigten Rechtsprechung des EuGH erfordert der
Niederlassungsbegriff einen durch das ständige Zusammenwirken der für die
Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel
gebildeten Mindestbestand. Er setzt einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie
eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine
autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (vgl. EuGH-Urteil
vom 28.6.2007 in der Rechtssache C-73/06 (Planzer Luxembourg Sàrl), zu finden unter
65
juris). Entsprechend sehen die Umsatzsteuerrichtlinien zu § 13b Abs. 4 UStG vor, dass
ein Unternehmer auch dann im Ausland ansässig ist, wenn er im Inland lediglich eine
Vertretung oder eine Betriebsstätte hat, die nicht als Zweigniederlassung anzusehen ist.
Im Streitfall hat die Klägerin im Inland in N keine feste Niederlassung
(Zweigniederlassung) unterhalten.
66
Die Klägerin hat im Hinblick auf den abgeschlossenen Werkvertrag lediglich
vorübergehend – nämlich für die Laufzeit des Bauprojektes – ein Büro in N angemietet
und mit Herrn B als weiteren Geschäftsführer für die Dauer der Auftragsdurchführung
somit eine Vertretungsmöglichkeit in Deutschland geschaffen. Das angemietete Büro in
N lag dabei – bezogen auf den Streckenabschnitt H – K, auf dem die Arbeiten
durchzuführen waren – in etwa "auf halber Strecke". Der nur vorübergehenden
Anmietung des Büros im Inland entspricht es, dass ein Schreiben des Beklagten bereits
Anfang des Jahres 2002 nicht mehr an die Adresse der Klägerin in N bekannt gegeben
werden konnte.
67
Bereits diese auf die Dauer des Projektes bezogenen Umstände sprechen gegen ein
ständiges Zusammenwirken bzw. gegen einen hinreichenden Grad an Beständigkeit,
wie sie für eine Zweigniederlassung erforderlich wären. Es sollten von vornherein
zeitlich begrenzt Leistungen im Inland gegenüber einem Vertragspartner getätigt
werden.
68
Darüber hinaus ist gegen eine Verselbständigung bzw. Verfestigung einzuwenden,
dass die Arbeitnehmer der Klägerin, die für die Ausführungen der Arbeiten zuständig
und daher für die Funktion der Niederlassung bestimmend waren, nach dem Vortrag der
Klägerin und der hierzu eingereichten Unterlagen nicht vor Ort (von der inländischen
Niederlassung) für die inländische Tätigkeit angestellt worden sind, sondern in der
Türkei angestellt und vom Sitz der Klägerin in der Türkei nach Deutschland entsandt
worden sind. Dementsprechend war die Niederlassung nicht so organisiert, dass ihr
eine selbständige Teilnahme am Geschäftsverkehr möglich gewesen wäre. Bei Wegfall
der Hauptniederlassung hätte sie nicht fortbestehen können.
69
Die Klägerin hat im streitigen Vergütungszeitraum auch nur Umsätze ausgeführt, für die
der Leistungsempfänger gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 UStDV in der seinerzeit
gültigen Fassung (nunmehr: § 13b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 UStG) die Steuer
schuldet.
70
So hatte der ehemalige Bevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage des Beklagten mit
Schreiben vom 18.10.2000 erklärt, dass einziger Auftraggeber der Klägerin im Inland
nur die E-GmbH gewesen und die Klägerin im Hinblick auf den abgeschlossenen
Werkvertrag "in Deutschland nur im Bau tätig gewesen" sei. Es bestehen auch
angesichts der eingereichten Unterlagen und des Vortrags der Klägerin zur Anmietung
des Büros in N, die eine zeitliche und sachliche Veranlassung der Anmietung des Büros
mit dem Abschluss und der Durchführung des Werkvertrags erkennen lassen, keine
Anhaltspunkte, an diesen Angaben zu zweifeln. Zudem hat das Finanzamt O für
Körperschaften mit Schreiben vom 10.5.2000 auf Nachfrage des Beklagten betreffend
die Klägerin – ohne nähere Zeitangabe - ausgeführt, dass die Muttergesellschaft der E-
GmbH das Abzugsverfahren auch tatsächlich durchgeführt hat, und das Finanzamt hat
die E-GmbH der Klägerin als der leistenden Unternehmerin mit Schreiben vom
26.5.2000 im Sinne des § 53 Abs. 7 UStDV in der seinerzeit gültigen Fassung – wenn
71
auch nur bezogen auf das Kalenderjahr 1999 - bescheinigt, in welcher Höhe sie die
Abzugssteuer einbehalten und abgeführt hatte.
Da das Abzugsverfahren anzuwenden war, ist es auch unschädlich, dass mit der Türkei
keine sog. Gegenseitigkeit im Sinne des § 18 Abs. 9 Satz 6 UStG besteht (vgl. zur
fehlenden Gegenseitigkeit mit der Türkei das BME-Schreiben vom 26.5.1999, BStBl. I
1999, 519, dort Anlage 2).
72
Dass dem (ergänzten) Antrag für den Zeitraum Januar bis Juni 2000 – im Gegensatz zu
den Anträgen für die Zeiträume Januar bis März 1999 bzw. April bis Dezember 1999 -
unter Feld 9 b) des Vordrucks keine Angaben zu entnehmen sind, steht der Feststellung,
dass die Klägerin zum Kreis der grundsätzlich Antragsberechtigten gehört, nicht
entgegen.
73
b. Die Klägerin hat innerhalb der Antragsfrist indes keinen wirksamen Vergütungsantrag
gestellt.
74
aa. Gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 bis 5 UStG hat ein vorsteuervergütungsberechtigter
Unternehmer den Vergütungsantrag binnen sechs Monate nach Ablauf des
Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Dabei hat der
Unternehmer, der die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck zu
beantragen hat (vgl. § 61 Abs. 1 UStDV), die Vergütung selbst zu berechnen und die
Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen, wobei der
Vergütungsantrag vom Unternehmer eigenhändig zu unterschreiben ist.
75
bb. Diesen, an einen wirksamen Antrag zu stellenden Erfordernissen ist die Klägerin
bereits insoweit nicht nachgekommen, als der Antrag nicht eigenhändig unterschrieben
worden ist, ohne dass von dem Erfordernis der Eigenhändigkeit im Hinblick auf
gemeinschaftsrechtliche Vorgaben bzw. angesichts der Regelung des § 150 Abs. 3 Satz
1 Abgabenordnung –AO- abgesehen werden konnte und eine Unterzeichnung durch
einen Bevollmächtigten vorliegend ausnahmsweise als ausreichend angesehen werden
könnte.
76
(1) Der innerhalb der Antragsfrist eingegangene Antrag bzw. die bisher eingegangenen
Anträge sind nicht "eigenhändig" i.S. des § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG unterschrieben
worden.
77
Bei einer juristischen Person wie der Klägerin liegt die nach § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG
erforderliche eigenhändige Unterschrift nur vor, wenn ihr gesetzlicher Vertreter unter-
schrieben hat. Soweit nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO Verfahrenshandlungen auch durch
"besonders Beauftragte" vorgenommen werden können, bezieht sich dies nicht auf
juristische Personen, die gesetzliche Vertreter haben, sondern auf nichtrechtsfähige
Personenvereinigungen und Vermögensmassen (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.1998 III R
58/95, Bundessteuerblatt –BStBl- II 1999, 237).
78
Zwar gilt als eigenhändige Unterschrift i.S. des § 126 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten. Diese Vorschrift
gilt aber nicht für Steuererklärungen. Hier bestimmt § 150 Abs. 3 AO, dass dann, wenn
die Steuergesetze anordnen, dass der Steuerpflichtige die Steuererklärung eigenhändig
zu unterschreiben hat, die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten nur zulässig
ist, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands oder
79
durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist. Dass das Ziel der
Erklärung nach § 18 Abs. 9 UStG nicht eine Steuerfestsetzung, sondern eine
Steuervergütung (vgl. §§ 37, 43 AO) ist, steht einer Qualifizierung als Steuererklärung
und mithin einer Anwendung der Regelung des § 150 AO, die den Begriff der
Eigenhändigkeit konkretisiert, nicht entgegen, weil nach § 155 Abs. 4 AO die für die
Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung einer Steuervergütung
sinngemäß anzuwenden.
(2) Von diesem Erfordernis der Eigenhändigkeit ist auch nicht im Hinblick auf
gemeinschaftsrechtliche Vorgaben abzusehen.
80
Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass sich aus dem EuGH-Urteil in der
Rechtssache C-433/08 (Yaesu Europe BV) nicht folgern lässt, dass auch im Streitfall
eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten grundsätzlich zulässig wäre.
81
Denn der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt betraf einen im
Gemeinschaftsgebiet ansässigen ausländischen Unternehmer. Der für diesen Fall
einschlägigen Achten Richtlinie 79/1072/EWG war im Hinblick auf das
Unterschriftserfordernis keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass diese
nur durch den Steuerpflichtigen und nicht durch einen Bevollmächtigten des
Steuerpflichtigen geleistet werden konnte. Folglich verstieß die einengende nationale
Regelung mit dem Erfordernis der Eigenhändigkeit gegen Art. 6 der Achten Richtlinie,
wonach die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen außer den Pflichten nach den Art. 3
und 4 dieser Richtlinie keine anderen Pflichten auferlegen als die, in Sonderfällen die
Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, ob der
Erstattungsantrag begründet ist.
82
Im Streitfall dagegen ist die Klägerin in einem Drittland (Türkei) ansässig. Einschlägig ist
somit nicht die Achte, sondern die Dreizehnte Richtlinie (86/560/EWG). Diese sieht in
ihren Erwägungen zwar eingangs vor, dass eine harmonische Entwicklung der
Handelsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Drittländern dadurch
gewährleistet werden soll, dass man sich an der Achten Richtlinie 79/1072/EWG
ausrichten und dabei den unterschiedlichen Verhältnissen in den Drittländern
Rechnung tragen soll. Doch bedingt dieses keinen Gleichlauf der Regelungen
betreffend die Vorsteuervergütung für in Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer
mit den in Drittländern ansässigen Unternehmern. Im Gegenteil stellt Artikel 4 Abs. 1 der
Dreizehnten Richtlinie den Mitgliedstaaten für in Drittländern ansässigen Unternehmern
ausdrücklich anheim, die Modalitäten für die Antragstellung des Verfahrens zu
bestimmen, und zwar mit der Maßgabe, dass die Erstattung nicht zu günstigeren
Bedingungen erfolgen darf als für in der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (vgl.
Artikel 4 Abs. 2 der Dreizehnten Richtlinie).
83
Von dieser Ermächtigung hat der nationale Gesetzgeber unter anderem durch die
Einführung des Erfordernisses der Eigenhändigkeit Gebrauch gemacht. Das Erfordernis
eines eigenhändig unterschriebenen Antrags erweist sich dabei auch als
verhältnismäßig. Verhältnismäßig ist das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel, wenn es
zur Erreichung des angestrebten, legitimen Ziels geeignet ist und nicht über das
erforderliche Maß hinausgeht. Diese Voraussetzungen erfüllt § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG
i.V.m. § 150 Abs. 3 AO.
84
Durch die geforderte Eigenhändigkeit übernimmt der vergütungsberechtigte
85
Unternehmer selbst die Verantwortung für die Richtigkeit der der Erklärung zugrunde
liegenden Tatsachen und Belege. Dies gilt auch im Hinblick auf die in dem für den
Vergütungsantrag nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck (vgl. § 61 Abs. 1 UStDV)
geforderten Angaben (z.B. dazu, im Inland keine Lieferungen und sonstigen Leistungen
ausgeführt und keinen innergemeinschaftlichen Erwerb getätigt zu haben) und die
Erklärungen mit strafrechtlicher Bedeutung. Derartige Erklärungen sind keine
Besonderheit des Umsatzsteuervergütungsverfahrens. Auch bei Steuerklärungen dient
das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift der erkennbaren Übernahme der
Verantwortung des Steuerpflichtigen für die tatsächlichen Angaben in der
Steuererklärung (vgl. hierzu auch die Rechtsprechung des BFH zum Erfordernis der
Eigenhändigkeit der Unterschrift bei Anträgen auf Investitionszulage, Urt. v. 16.05.2002,
III R 27/01, BStBl II 2002, 668; v. 13.12.2001, III R 24/99, BStBl II 2002, 159; v.
15.10.1998, III R 58/95, BStBl II 1999, 237; v. 30.06.1998, III R 5/97, Sammlung der
Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1999, 363). Die Vermeidung der
Steuerhinterziehung ist in Artikel 4 Abs. 1 der Dreizehnten Richtlinie als ein Ziel für die
Ausgestaltung der Verfahrensmodalitäten ausdrücklich genannt worden. Hinzu kommt,
dass die vom Unternehmer geforderten Angaben eine besondere Sachnähe erfordern.
Diese sind in zuverlässiger Weise grundsätzlich nur vom Unternehmer selbst zu
beantworten. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit, das einhergeht mit der
strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Unternehmers für die getroffenen Angaben,
erlaubt es demnach dem jeweiligen Mitgliedstaat auch im Hinblick auf die
Aufklärungsschwierigkeiten, die in Bezug auf die Ansässigkeit der Unternehmer in
Drittländern bestehen, prinzipiell von der Richtigkeit der getroffenen Angaben
auszugehen. Es dient daher neben der Vermeidung von Steuerhinterziehungen auch
dem Ziel, im Sinne des Artikel 4 Abs. 1 der Dreizehnten Richtlinie die Begründetheit des
Antrags beurteilen zu können.
Die Regelung erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Eine solche
Unverhältnismäßigkeit des Mittels liegt schon deshalb nicht vor, weil § 150 Abs. 3 Satz
1 AO für bestimmte Ausnahmefälle, in denen die eigenhändige Unterschrift dem
Unternehmer nicht möglich ist, zumindest vorübergehend auch die Unterschrift eines
hierzu Bevollmächtigten ausreichen lässt. Angesichts dessen wird die Geltendmachung
des Vorsteuervergütungsanspruchs im Grundsatz weder unmöglich noch übermäßig
erschwert. Auch der Hinweis auf etwaige Sprachschwierigkeiten ist nicht ausreichend,
um das Erfordernis der Eigenhändigkeit als unverhältnismäßig mit der Folge
anzusehen, dass eine Vertretung zwangsläufig möglich sein muss. Es steht einem
Antragsteller, der – wie vorliegend die Klägerin - in Deutschland unternehmerisch tätig
und daher nicht nur in steuerlicher Hinsicht mit der deutschen Sprache in Berührung
gekommen ist, frei, den entsprechenden Antrag – sofern er nicht bereits in der
Landessprache zur Verfügung gestellt wird – übersetzen zu lassen. Falls es hierbei in
außergewöhnlichen Fällen zu einer Fristüberschreitung kommen sollte, bestünde für
den Antragsteller die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110
AO zu beantragen (vgl. hierzu auch die BFH-Beschlüsse vom 21.5.1997 VII S 37/96,
BFH/NV 1997, 634 und vom 17.3.2010 X B 114/09, BFH/NV 2010, 1239). Warum dies
nicht ausreichen sollte, etwaige Härten wegen Sprachschwierigkeiten zu vermeiden,
führt die Klägerin nicht aus.
86
Die unterschiedliche Behandlung von im Drittland bzw. im Gemeinschaftsgebiet
ansässigen Unternehmern verstößt auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des
Art. 12 EGV (nunmehr Art. 18 AEUV). Nach dieser Vorschrift ist unbeschadet der
Bestimmungen des EG-Vertrags in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung
87
aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Im Streitfall ist bereits der persönliche
Anwendungsbereich dieser Regelung nicht eröffnet. Denn diese Vorschrift betrifft in den
Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallende Situationen, in denen ein
Angehöriger eines Mitgliedstaats nur aufgrund seiner Staatsangehörigkeit gegenüber
den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats diskriminiert wird. Sie findet aber keine
Anwendung im Fall einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der
Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen (vgl. EuGH-Urteil vom 4.06.2009 in den
Rechtssachen C-22/08 (Athanasios Vatsouras) bzw. C-23/08 (Josif Koupatantze), zu
finden unter juris).
Aus dem pauschal gehaltenen Hinweis der Klägerin auf nicht näher benannte
Assoziationsabkommen mit der Türkei folgt im Ergebnis nichts anderes.
88
Das am 12.9.1963 von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten mit der Türkei geschlossene Assoziationsabkommen
(Bundesgesetzblatt –BGBl.- 1964 II S. 509; im Folgenden: Abkommen) nebst dem
Zusatzprotokoll vom 23.11.1970 (BGBl. 1972 II S. 385, im Folgenden: Zusatzprotokoll),
welches zum langfristigen Ziel hat, die Türkei über eine verstärkte Koordinierung der
Wirtschaftspolitiken und die Errichtung einer Zollunion auf einen Beitritt zur
Europäischen Union vorzubereiten, sieht eine derartige Harmonisierung des
Vorsteuervergütungsverfahrens ausdrücklich nicht vor. Das Abkommen bzw. das
Zusatzprotokoll enthalten dabei u.a. folgende Bestimmungen:
89
Gemäß Artikel 9 des Abkommen erkennen die Vertragsparteien an, dass für den
Anwendungsbereich des Abkommens unbeschadet der besonderen
Bestimmungen, die möglicherweise auf Grund von Artikel 8 noch erlassen werden,
dem in Artikel 7 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft verankerten
Grundsatz (jetzt Art. 18 AEUV) entsprechend jede Diskriminierung aus Gründen
der Staatsangehörigkeit verboten ist.
90
91
Artikel 14 des Abkommens sieht dabei die Vereinbarung vor, sich von den Artikeln
55, 56, und 58 bis 65 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaften leiten zu
lassen, um untereinander die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs
aufzuheben.
92
93
Gemäß Artikel 6 des Abkommens treten die Vertragsparteien, um die Anwendung
und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, in einem
Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm
in dem Abkommen zugewiesen sind. Zur Verwirklichung der Ziele des
94
Abkommens und in den darin vorgesehenen Fällen ist der Assoziationsrat befugt,
Beschlüsse zu fassen. Jede der beiden Parteien ist verpflichtet, die zur
Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der
Assoziationsrat kann auch zweckdienliche Empfehlungen abgeben (Artikel 22
Abs. 1 des Abkommens).
95
Artikel 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls (sog. Stillhalteklausel) sieht vor, dass die
Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden.
Gemäß Artikel 41 Abs. 2 des Zusatzprotokolls setzt der Assoziationsrat nach den
Grundsätzen der Artikel 13 und 14 des Abkommens die Zeitfolge und die
Einzelheiten fest, nach denen die Vertragsparteien die Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs untereinander
schrittweise beseitigen.
96
97
Dabei hat der Assoziationsrat Beschlüsse im Sinne des Art. 41 Abs. 2 des Abkommens
bisher nicht getroffen. Anders als etwa im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer
sind daher keine das allgemeine Diskriminierungsverbot bzw. das Recht auf
Dienstleistungsfreiheit konkretisierende Bestimmungen für bestimmte
Anwendungsgebiete erlassen worden (vgl. z.B. für den Bereich der Freizügigkeit der
Arbeitnehmer den auf Grundlage des Art. 36 des Zusatzprotokolls ergangenen
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates, der insoweit im Artikel 10 Abs. 1 wie auch
bereits Art. 37 des Zusatzprotokolls eine Konkretisierung des allgemeinen
Diskriminierungsverbots vorsieht).
98
Auch aus den Bestimmungen des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls bzw. Art. 9 des
Abkommens folgt nicht, dass bei in der Türkei ansässigen Unternehmern – wie bei im
Gemeinschaftsgebiet ansässigen – von dem Erfordernis eines vom Unternehmer
eigenhändig unterschriebenen Antrags abgesehen werden muss.
99
Dabei kann dahinstehen, ob sich das Erfordernis der Eigenhändigkeit im Hinblick auf
die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls als ein relevanter Eingriff in
den von diesem Artikel geschützten Bereich der Dienstleistungsfreiheit erweist oder ob
dies bereits deswegen ausgeschlossen ist, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Zusatzprotokolls im Jahre 1972 eine Vorsteuervergütung für in der Türkei ansässige
Unternehmer, die – wie die Klägerin - in Deutschland Umsätze getätigt haben, im
allgemeinen Besteuerungsverfahren durchzuführen waren. Auch im Rahmen der
Jahressteuererklärung, die als endgültige Erklärung dem Vorsteuervergütungsantrag
vergleichbar ist, bestand jedoch gemäß § 18 Abs. 3 UStG das Erfordernis der
Eigenhändigkeit. Die grundsätzliche Schaffung eines besonderen Verfahrens für im
Ausland ansässige Unternehmen im Abkehr von dem allgemeinen
Besteuerungsverfahren, das keine Ausschlussfrist vorsieht, stellt – trotz der mit der
Ausschlussfrist einhergehenden Verschlechterung - für sich betrachtet keine Verletzung
100
des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dar. Anderenfalls befänden sich türkische
Staatsangehörige insoweit in einer günstigeren Position als Unionsbürger, wenn nur für
letztere die Ausschlussfrist gelten würde. Dies würde jedoch Art. 59 des
Zusatzprotokolls widersprechen.
Offen bleiben kann auch, ob das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 9 des
Abkommens unmittelbare Wirkung auch im Bereich des freien Dienstleistungsverkehr
mit der Folge beansprucht, dass die Anknüpfung an die Ansässigkeit statt an der
Staatsangehörigkeit einer vom vergleichbaren Verbot des Art. 12 EGV (jetzt Art. 18
AEUV) umfassten Diskriminierung gleichkommt, oder ob die Einschränkung, dass
Artikel 9 nur "im Anwendungsbereich des Abkommens" zur Geltung kommt,
dahingehend zu verstehen ist, dass er allenfalls in dem vom Artikel 41 Abs. 1 des
Zusatzprotokolls bisher für den freien Dienstleistungsverkehr eröffneten
Anwendungsbereich seine Wirkung entfalten kann. Letztere, engere Ansicht hätte zur
Folge, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 41 Abs. 1 des
Zusatzprotokolls ein Gleichlauf der die Dienstleistungsfreiheit berührenden, für
Unionsbürger geltenden Neuregelungen nicht gefordert werden kann. Hierfür wäre vor
allem der "Programmcharakter" des Art. 14 des Abkommens anzuführen, der einer
grundsätzlichen unmittelbaren Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots im Bereich
der Dienstleistungsfreiheit entgegenstehen könnte (vgl. zur Frage der unmittelbaren
Anwendbarkeit einer Abkommensvorschrift das EUGH-Urteil vom 29.4.2010 in der
Rechtssache C-92/07 (Kommission/Niederlande), zu finden unter juris, dort Rn 75; siehe
auch das EuGH-Urteil vom 4.5.1999 in der Rechtssache C-262/96 (Sürül), zu finden
unter juris, dort Rn. 64 und 66; siehe zur Frage der generellen unmittelbaren
Anwendbarkeit des Art. 9 des Abkommens auch die Schlussanträge des
Generalanwalts La Pergola in der Rechtssache C-37/98 (Savas) vom 25.11.1999, zu
finden unter juris, dort Rn. 18-20).
101
Doch kann dies letztlich dahinstehen. Selbst wenn letztlich dem Grunde nach eine von
Diskriminierungsverbot des Art. 9 des Abkommens erfasste Ungleichbehandlung von
Unionsbürgern mit türkischen Staatsangehörigen im Hinblick auf das Erfordernis eines
eigenhändig unterschriebenen Antrags vorliegen würde, würde dies – ebenso wie im
Anwendungsbereich des Art. 18 AEUV – noch keinen Verstoß begründen. Denn eine
derartige unterschiedliche Behandlung ist dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven,
von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in
einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen
Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird (vgl. u.a. EuGH-Urteil vom 15.3.2005 in
der Rechtssache C 209/03 (Bidar), zu finden unter juris, dort Rn. 54, siehe auch EuGH-
Urteil vom 16.1.2003 in der Rechtssache C-388/01 (Kommission/Italien), ebenfalls zu
finden unter juris).
102
So verhält es sich im Streitfall. Für das Erfordernis eines eigenhändig unterschriebenen
Antrags bestehen objektive, von der "Staatsangehörigkeit" der Klägerin unabhängige
Erwägungen.
103
Das Erfordernis dient, wie bereits ausgeführt, im Sinne der Dreizehnten Richtlinie der
Prüfung der Begründetheit des Antrags – mithin der steuerlichen Kontrolle – und damit
einhergehend der Missbrauchsvermeidung bzw. der Bekämpfung der
Steuerhinterziehung. Der eigenhändig unterschrieben Antrag, der den Unternehmer im
Fall von unzutreffenden Angaben strafrechtlich in die Verantwortung nimmt und zudem
mit einer vom Unternehmer erklärten Rückzahlungsverpflichtung einhergeht, erlaubt
104
dem Staat insbesondere im Hinblick auf die besondere Sachnähe, die für die
Beantwortung des Antrags erforderlich ist und über die in Regel nur oder jedenfalls auch
der Unternehmer selbst verfügt, die Einschätzung, dass die getroffenen Angaben richtig
sind. Die nationale Verfolgung dieses Ziel stellt sich bereits aus diesem Grunde als
legitim dar und die betreffende Maßnahme als geeignet.
Im Verhältnis zu den in den Mitgliedstaaten ansässiges Unternehmen kommt dem
Erfordernis dabei ein von der Staatsangehörigkeit unabhängiges, besonderes Interesse
zu, welches eine Differenzierung sachlich rechtfertigt.
105
Denn für in Drittländern ansässige Unternehmer bestehen grundsätzlich keine
vergleichbaren Prüfungsmöglichkeiten wie für in den Mitgliedstaaten ansässige
Unternehmer. Bei letzteren bestand für den hier streitigen Zeitraum im Wege der sog.
EU-Amtshilferichtlinie 77/799/EWG vom 19.12.1977, die zunächst nur für den Bereich
der direkten Steuern galt und sodann mit der Richtlinie 79/1070/EWG vom 6.12.1979
auch für die Mehrwertsteuer Anwendung fand, weitgehende Prüfungsmöglichkeiten
hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für einen Vorsteuervergütungsanspruch
vorlagen. Eine effektive Kontrolle der in dem Antrag getroffenen Angaben war insoweit
möglich. Mit Hilfe dieser Richtlinie sollte – wie den zugrundeliegenden Erwägungen zu
entnehmen ist – gerade eine Kontrollmöglichkeit geschaffen werden, um auch die
Praktik der Steuerhinterziehung einzudämmen.
106
Darüber hinaus bestanden aufgrund der sog. EU-Beitreibungsrichtlinie 76/308/EWG
vom 15.3.1976 ausreichende Möglichkeiten, um die Rückforderung einer
unrechtmäßige Vergütung von Vorsteuern gegenüber den in Mitgliedstaaten ansässigen
Unternehmen – ggfs. im Wege der Vollstreckung - durchzusetzen.
107
An derartigen vergleichbaren Kontroll- bzw. Rückforderungsmöglichkeiten fehlt es im
Verhältnis zu der Türkei. So erlaubte der Informationsaustausch auf Grundlage des
Art. 26 des seinerzeit gültigen Doppelbesteuerungsabkommens der Bundesrepublik
Deutschland mit der Türkei keine derartigen vergleichbaren Überprüfungsmöglichkeiten
für in der Türkei ansässige Unternehmer. Denn dieser Informationsaustausch bestand
nur für die unter das Abkommen fallende Steuern, wozu die Umsatzsteuer indes nicht
gehörte (vgl. Art. 2 Abs. 3 Buchst. b. des genannten Doppelbesteuerungsabkommen).
Andere bi- bzw. multilaterale Abkommen, die der Bundesrepublik neben den
Informationsaustausch ggfs. auch eine Vollstreckung von Rückforderungsansprüchen in
der Türkei erlaubt hätten, bestanden – soweit ersichtlich – nicht. Insbesondere ist nicht
ersichtlich, dass die sog. EG-Amtshilfe- bzw. EG-Beitreibungsrichtlinie auch für die
Türkei (mittelbar) Geltung beanspruchte.
108
Die Wirksamkeit der Steueraufsicht im Hinblick auf die Bekämpfung von
Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen erweist sich daher
nicht nur als ein legitimer Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung mit den
Unionsbürger, sondern auch für einen durch das Erfordernis der Eigenhändigkeit
bewirkten Eingriff in dem von dem Zusatzprotokoll ggfs. geschützten Bereich der
Dienstleistungsfreiheit (vgl. zur Rechtfertigung von Eingriffen wegen fehlender
steuerlichen Kontrollmöglichkeiten insbesondere das EuGH-Urteil vom 26.10.2010 in
der Rechtssache C-97/09, Deutsches Steuerrecht –DStR- 2010, 2186). Das Erfordernis
der Eigenhändigkeit stellt sich insoweit als ein mildes Mittel zur Erreichung dieses
Zieles dar.
109
(3) Die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen nach § 150 Abs. 3 AO eine
Steuererklärung ausnahmsweise von einem Bevollmächtigten unterschrieben werden
darf, liegen im Streitfall nicht vor; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der gesetzliche
Vertreter der Klägerin wegen längerer Abwesenheit an der Unterschrift gehindert war.
110
Dabei ist der Begriff der längeren Abwesenheit, der im Gesetz nicht näher erläutert ist,
jedenfalls für das Vorsteuervergütungsrecht nicht dahingehend zu verstehen, dass ein
Daueraufenthalt/üblicher Aufenthalt im Ausland für die Annahme einer Verhinderung
wegen längerer Abwesenheit ausreicht.
111
Bereits dem Wortlaut des § 150 Abs. 3 Satz 1 AO ist nicht zu entnehmen, dass der bloße
dauerhafte Aufenthalt im Ausland (ggfs. ohne eine etwaige vorangegangene
Anwesenheit im Inland) als Verhinderung wegen längerer Abwesenheit zu verstehen ist.
Der Begriff der Abwesenheit ist nicht mit der Abwesenheit vom Inland gleichzusetzen.
Eine längere Abwesenheit ist grundsätzlich auch dann denkbar, wenn sich ein
Steuerpflichtiger wegen einer länger andauernden Geschäftsreise im Inland weit
entfernt von seinem im Inland gelegenen üblichen Aufenthaltsort aufhält (vgl. hierzu
auch Slapio in DStR 1995, 753, 755). Auch deutet die Regelung des § 150 Abs. 3 Satz
2 AO darauf hin, dass die Hinderungsgründe grundsätzlich vorübergehender Natur sind,
auch wenn sie sich im Einzelfall zu einem Dauerzustand (u.a. körperliche oder geistige
Erkrankung) verfestigen können. Die Ansässigkeit eines Unternehmens (im Ausland) ist
aber dem Grunde nach nicht nur vorübergehender Natur.
112
Insbesondere letzterer Umstand gebietet es aus systematischen Gründen, einen
Daueraufenthalt des Vergütungsberechtigten im Ausland als nicht hinreichend für die
Annahme einer Verhinderung wegen längerer Abwesenheit anzusehen. Denn im
Anwendungsbereich des § 18 Abs. 9 UStG hält sich der vorsteuervergütungsberechtigte
Unternehmer typischerweise dauerhaft im Ausland auf, weil er nur dort ansässig im
Sinne des § 13b Abs. 4 UStG ist. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit würde
anderenfalls sinnentleert; hierauf wäre regelmäßig zu verzichten. Der Senat folgt daher
hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Verhinderung wegen längerer Abwesenheit
den Grundsätzen des BFH zur Auslegung dieses Begriffs im Bereich des
Investitionszulagerechts (vgl. BFH-Urteil vom 29.3.2001 III R 48/98, BStBl II 2001, 629).
Hierfür spricht – dem Investitionszulagerecht vergleichbar - zudem auch, dass die
eigenhändige Unterschrift im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortung des
Antragstellers oder seines gesetzlichen Vertreters und die Verifizierung der Angaben
zwecks zügiger Bearbeitung der Anträge für das Vorsteuervergütungsverfahren von
besonderer Bedeutung ist. Demzufolge kann eine längere Abwesenheit bei einer
zeitlich längeren Entfernung vom Firmensitz als dem üblichen Aufenthaltsort in Betracht
kommen, sofern diese auch ursächlich für die Verhinderung gewesen ist. Trotz einer an
sich längeren Abwesenheit (vom Firmensitz) wäre eine Verhinderung i.S. des § 150
Abs. 3 AO daher zu verneinen, wenn nach den besonderen Umständen des konkreten
Falles eine postalische Verbindung zumindest möglich und deren Inanspruchnahme
auch zumutbar ist.
113
Demzufolge findet die für die Erklärung der Arbeitnehmerveranlagung (früher: Lohn-
steuerjahresausgleich) ergangene BFH-Rechtsprechung, wonach ein
Daueraufenthalt/Wegzug ins Ausland unabhängig von der postalischen Erreichbarkeit –
ausnahmsweise – einen Hinderungsgrund im Sinne des § 150 Abs. 3 AO darstellt (vgl.
BFH-Urteil vom 10.4.2002 VI R 55/98, BStBl II 2002, 455), wegen der Besonderheiten
des Vorsteuervergütungsrechts keine Anwendung. Dabei hat der Senat auch
114
berücksichtigt, dass die vorgenannte Rechtsprechung maßgeblich darauf
zurückzuführen ist, dass ein Arbeitnehmer, der in Deutschland zunächst wohnhaft
gewesen ist, nach seiner Rückkehr in das Ausland (Heimatland) ohne weiteres für
längere Zeit von seinem bisherigen Wohnort im Inland entfernt lebt, mithin abwesend ist
(vgl. hierzu auch das Urteil des FG Düsseldorf vom 13.9.1977, XIII 254/77 L,
Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 1978, 24). In den Vorsteuervergütungsfällen
fehlt es jedoch gerade an einer Ansässigkeit des Unternehmens während des geltend
gemachten Vorsteuervergütungszeitraums im Inland.
Des Weiteren hat der Senat in Ansatz gebracht, dass die Annahme, der Arbeitnehmer
sei prinzipiell an einer Unterschriftsleistung (trotz etwaiger postalischer Erreichbarkeit)
gehindert, maßgeblich auf Zumutbarkeits- und Vereinfachungsgesichtspunkte
zurückzuführen war (siehe vorgenanntes Urteil des FG Düsseldorf vom 13.9.1997 XIII
254/77 L bzw. des BFH vom 10.4.2002 VI R 66/98, jeweils a.a.O.). So sollte den
Arbeitnehmern nicht das Risiko für den Verlust von Unterlagen aufgebürdet werden, die
sich unter anderem aus der Übersendung der Lohnsteuerkarten in das Ausland
ergaben. Dieses Risiko war den in die Heimat zurückgekehrten Arbeitnehmern nicht
zumutbar. Die betroffenen ausländischen Arbeitnehmer bevollmächtigten in vielen
Fällen ihre Arbeitgeber zur Unterschrift der Einkommensteuererklärungen. Die
Angaben, die zur Fertigung der Einkommensteuererklärung erforderlich waren (in- und
ausländische Lohnbestandteile) befanden sich jedoch regelmäßig bereits bei der
Betriebsstätte des Arbeitgebers im Inland, weil die für die ordnungsgemäße
Lohnabrechnung erforderlichen Unterlagen zumindest teilweise zunächst von der
ausländischen Zentrale an die deutsche Betriebsstätte weiterzugeben waren (vgl. zu
diesem praktischen Problem Slapio in DStR 1995, 753). Das im Hinblick auf das "Hin-
und Herschicken" der Lohnsteuerkarte allein aus steuerlichen Gründen bestehende
Verlustrisiko war den Arbeitnehmern prinzipiell nicht zumutbar.
115
Im Falle des Vorsteuervergütungsantrags besteht dieses gesteigerte, allein aus
steuerlichen Gründen bestehende Risiko typischerweise nicht. Da die Rechnungen an
das im Ausland ansässige Unternehmen zu adressieren und die entsprechenden
Vorgänge im Rahmen der laufenden Buchführung des ausländischen Unternehmens zu
erfassen sind, befinden sich diese Unterlagen regelmäßig bereits im Ausland. Ein
risikoreiches "Hin- und Herschicken" dieser Unterlagen allein aus steuerlichen Gründen
ist damit in der Regel ausgeschlossen.
116
Auch ist dem Steuerpflichtigen bzw. wäre seinem Bevollmächtigten nur durch eine
Einsichtnahme in die Bücher des Unternehmens, welche sich regelmäßig im Ausland
befinden, die Erklärung, dass im Vergütungszeitraum keine schädlichen Umsätze im
Inland ausgeführt worden sind und die geltend gemachten Vorsteuerbeträge auch im
Hinblick auf § 15 Abs. 2 UStG grundsätzlich abzugsfähig sind, nach bestem Wissen und
Gewissen möglich.
117
Im Übrigen stellen eventuelle Sprachschwierigkeiten bei international tätigen Unter-
nehmen wie der Klägerin anders als bei von ausländischen Arbeitgebern im Inland
entsandten Arbeitnehmern keinen Grund dar, aus Gründen der Vereinfachung bzw. aus
Zumutbarkeitsgesichtspunkten prinzipiell von einer Verhinderung auszugehen. Denn
anders als Arbeitnehmer, deren Tätigkeitsort durch den Arbeitgeber bestimmt wird,
wählen Unternehmer ihr Tätigkeitsgebiet frei aus. International tätige Unternehmer
nehmen Sprachschwierigkeiten bewusst in Kauf. Deren Bewältigung ist – auch in
steuerlicher Hinsicht - von Ihnen zu erwarten.
118
Im Streitfall hat sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass Herr A als Geschäftsführer
und gesetzlicher Vertreter der Klägerin wegen längerer Abwesenheit an der
Unterschriftsleistung gehindert gewesen ist. Hierfür liegen nach Aktenlage auch keine
Anhaltspunkte vor. Angesichts dessen kann auch offen bleiben, ob – selbst wenn der in
der Türkei tätige Geschäftsführer wegen längerer Abwesenheit an der
Unterschriftsleistung gehindert gewesen wäre - eine Anwendung des § 150 Abs. 3 Satz
1 AO im Hinblick auf die Bestellung des Herrn B als weiteren Geschäftsführer
ausgeschlossen wäre.
119
c. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO, welche – da es sich bei
der Frist nach § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG entgegen der Ansicht der Klägerin um eine
sogenannte Ausschlussfrist handelt (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 21.10.1999 V R 76/98,
BStBl. II 2000, 214) – grundsätzlich in Betracht kommt und auch zunächst beantragt
worden ist, scheidet bereits deswegen aus, weil die versäumte Handlung in Gestalt
eines eigenhändig unterschriebenen Antrags bisher nicht nachgeholt worden ist.
Angesichts dessen hätte die Klage selbst dann keinen Erfolg, wenn man – der
Rechtsansicht der Klägerin folgend - § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG nicht als Ausschlussfrist
ansehen würde.
120
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Eine Vorlage an den EuGH
durch das Finanzgericht als erstinstanzliches Gericht ist nicht erforderlich. Gemäß Art.
267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung zwar u.a. über die
Auslegung der Verträge. Auch konnte der Senat das Gerichtsverfahren aussetzen und
dem Gerichtshof eine derartige Frage vorlegen. Hierzu ist er nicht verpflichtet (vgl. Art.
267 Abs. 2 AEUV; siehe auch Koch in Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung,
6. Auflage 2008, vor § 74 Rn. 7 m.w.N.). Der Senat hält es im Hinblick auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ob für einen im
Drittland ansässigen Unternehmer das Erfordernis eines eigenhändig unterschrieben
Antrags grundsätzlich Anwendung findet, vielmehr für sinnvoll, die Revision zuzulassen.
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