Urteil des FG Köln vom 09.11.2010

FG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, wiedereinsetzung, unterschrift, höhere gewalt, aufenthalt im ausland, antrag, stand, richtlinie, unternehmer, abwesenheit)

Finanzgericht Köln, 2 K 2047/08
Datum:
09.11.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2047/08
Rechtskraft:
V R 3/11
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin ihren Antrag auf
Vorsteuervergütung für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 fristgerecht gestellt
hat bzw. ob ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
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Die Klägerin ist in der Schweiz ansässig.
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Am 2. Februar 2007 stellte sie beim Beklagten nach § 18 Abs. 9 des
Umsatzsteuergesetzes - UStG - i.V.m. §§ 59 ff. der
Umsatzsteuerdurchführungsverordnung - UStDV - einen Antrag auf Vergütung von
Vorsteuern für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 i.H.v. 36.391,94 €. Der Antrag
ging in Kopie beim Beklagten ein. Die Seite 2 des kopierten Antragsformulars enthielt
u.a. den Ausstellungsort "A", das Ausstellungsdatum "20.04.2006", den Firmenstempel
der Klägerin sowie die Unterschrift "C". In einem Begleitschreiben gab die Klägerin an,
dass sie bereits am 20. April 2006 einen Antrag auf Vorsteuervergütung für den
Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 beim Beklagten eingereicht habe.
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Der Beklagte teilte der Klägerin mit, dass kein Antrag aus dem April 2006 vorläge.
Außerdem wies der Beklagte die Klägerin auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand hin.
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Mit Schreiben vom 30. April 2007 reichte die Klägerin weitere Unterlagen, u.a. eine
weitere Kopie des Antragsformulars vom "20.04.2006" sowie Rechnungskopien, nach.
Zum behaupteten Antrag vom 20. April 2006 trug die Klägerin vor, dass dieser mit
normaler Post (nicht per Einschreiben) versandt und kein Postabsendevermerk erstellt
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worden sei.
Durch Bescheid vom 17. Oktober 2007 lehnte der Beklagte die beantragte Vergütung
ab. Zur Begründung verwies der Beklagte u.a. darauf, dass der Vergütungsantrag erst
nach Ablauf der Antragsfrist eingegangen sei und die Voraussetzungen für eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abgabenordnung - AO - nicht
vorlägen. Außerdem sei der Vergütungsantrag nicht eigenhändig vom Unternehmer,
sondern von einer Beschäftigten des Unternehmens unterschrieben worden.
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Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Schreiben vom
18. März 2008 reichte der Bevollmächtigte der Klägerin weitere Unterlagen beim
Beklagten ein und stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem
Schreiben war ein vom gesetzlichen Vertreter der Klägerin, dem Präsidenten des
Verwaltungsrates, Herrn B, eigenhändig unterschriebener Vergütungsantrag beigefügt.
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Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Durch Einspruchsentscheidung vom 21. Mai
2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
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Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur
Begründung trägt sie im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte vor:
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Sie, die Klägerin, habe am 20. April 2006 ordnungsgemäß unter Verwendung des
amtlichen Formblattes unter Beifügung der Originalbelege die Vergütung der
Umsatzsteuer für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2005 beantragt. Der
unterzeichnete Antrag sei von Frau C, der einzelvertretungsberechtigten Prokuristin der
Klägerin, einschließlich sämtlicher erforderlicher Unterlagen kuvertiert und am 20. April
2006 persönlich beim Postamt in A, Schweiz, aufgegeben worden.
11
Auf Nachfrage beim Beklagten habe sie die Auskunft erhalten, die Anträge seien
eingegangen. Erst am 31. Januar 2007 sei ihr mitgeteilt worden, dass ein Antrag beim
Beklagten nicht eingegangen sei. Daraufhin habe sie durch Frau C mit Schreiben vom
gleichen Tage Kopien der Unterlagen erneut an den Beklagten übersandt.
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Ihr, der Klägerin, sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der
Frist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG zu gewähren.
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Der Umstand, dass der ursprüngliche Antrag vom 20. April 2006 beim Beklagten nicht
eingegangen sei, gehe nicht zu ihren Lasten, da der Antrag bei der Postübermittlung
abhanden gekommen sei.
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Sie habe außerdem den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb
eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt. Ihre Schreiben vom 31. Januar
2007 und vom 30. April 2007 seien, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch zumindest
schlüssig als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verstehen. Dies
ergebe sich auch aus einem Schreiben des Beklagten vom 23. April 2007, in dem eine
Sachbearbeiterin des Beklagten für die Prüfung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt werden könne, noch weitere Nachweise angefordert habe. Der Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei auch fristgemäß erfolgt. Eine endgültige
Aussage, dass der ursprüngliche Vergütungsantrag nicht beim Beklagten eingegangen
sei, habe sie, die Klägerin, erst mit dem Schreiben des Beklagten vom 23. April 2007
erhalten.
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Sie, die Klägerin, habe die versäumte Handlung auch innerhalb der Antragsfrist des
§ 110 Abs. 2 Satz 3 AO nachgeholt. Ein ordnungsgemäßer Antrag auf
Vorsteuervergütung sei wenigstens als Anlage zum Schreiben vom 18. März 2008 dem
Beklagten zugegangen. Dieser ordnungsgemäße Antrag sei auch fristgerecht erfolgt.
Hindernis sei in diesem Fall die Unkenntnis des Umstandes gewesen, dass eine
kopierte Unterschrift nicht dem Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift entspreche.
Der Beklagte habe weder im Bescheid vom 17. Oktober 2007 noch in dem
vorausgegangenen Schriftwechsel auf diesen Umstand hingewiesen. Der
Ablehnungsbescheid weise vielmehr ausschließlich auf die angebliche Ungültigkeit der
Unterschrift der Prokuristin hin. Der Hinderungsgrund der Unkenntnis, dass eine Kopie
der Unterschrift nicht den Erfordernissen der eigenhändigen Unterschrift genüge, sei
demnach gerade nicht mit dem Ablehnungsbescheid vom 17. Oktober 2007 entfallen.
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Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten sei auch der ursprüngliche Antrag vom 20.
April 2006 formwirksam gewesen. Es hätte insbesondere nicht einer Unterschrift ihres
gesetzlichen Vertreters bedurft. Hiervon sei früher offensichtlich auch der Beklagte
ausgegangen, denn ihre dem streitigen Vergütungsantrag vorangegangenen Anträge
seien alle ohne Nachfragen oder gar Beanstandungen positiv beschieden worden. Ein
Hinweis auf einen Verstoß gegen Formvorschriften des deutschen Rechts sei zu keinem
Zeitpunkt ergangen.
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So sei zum Beispiel der Vergütungsantrag vom 3. November 2005 für den Zeitraum
Januar bis September 2005 ebenfalls von der Prokuristin, Frau C, unterzeichnet
gewesen. Auf das Erfordernis der Unterschrift des gesetzlichen Vertreters sei sie jedoch
nicht hingewiesen worden.
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Da der Beklagte nun zum ersten Mal auf dieses Formerfordernis als maßgeblichen
Grund für die Ablehnung des Vergütungsantrags abstelle, sei dies ein für sie, die
Klägerin, unvorhersehbares und somit treuwidriges Verhalten des Beklagten. Dies gelte
umso mehr, als der Beklagte in seinem Schreiben vom 23. April 2007 nicht auf
eventuelle Bedenken dieser Art hingewiesen habe, obwohl der zuständigen
Sachbearbeiterin zu diesem Zeitpunkt bereits die kopierten Antragsunterlagen
vorgelegen hätten.
19
Darüber hinaus sei der vom Beklagten zitierten Rechtsprechung des Finanzgerichts
Köln (Urteile vom 21. Februar 2008, 2 K 754/04 und 2 K 736/07) nicht zu folgen. Das
Finanzgericht Köln habe in seinen Entscheidungen den Begriff der "Unterschrift"
fehlerhaft ausgelegt. In seinem Urteil vom 3. Dezember 2009 in der Rechtssache C-
433/08 komme der Europäische Gerichtshof – EuGH – zu dem Ergebnis, dass der
Begriff "Unterschrift" in dem in Anhang A der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates
vom 6. Dezember 1979 enthaltenen Muster für den Antrag auf Vergütung der
Umsatzsteuer ein gemeinschaftlicher Begriff sei. Dieser Begriff sei daher einheitlich
dahingehend auszulegen, dass ein Vergütungsantrag nicht zwingend vom
Steuerpflichtigen selbst unterschrieben werden müssen, sondern dass insoweit die
Unterschrift eines Bevollmächtigten genüge.
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Selbst wenn man von einer Pflicht zur Unterzeichnung durch den gesetzlichen Vertreter
ausgehe, so sei der Beklagte auch in diesem Fall erneut seiner Hinweis- und
Auskunftspflicht gemäß § 89 Abs. 1 AO nicht nachgekommen. Der Beklagte habe erst
im Bescheid vom 17. Oktober 2007 die Ansicht vertreten, dass die Unterschrift der
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Prokuristin nicht ausreichend sei. Dieser Bescheid stellt jedoch bereits die Ablehnung
des Antrages dar. Es wäre dem Beklagten aber bereits seit dem 2. Februar 2007
möglich gewesen, sie, die Klägerin, auf seine Rechtsansicht hinzuweisen. Der Beklagte
habe dies pflichtwidrig unterlassen und könne sich daher nicht mit Erfolg auf diesen
Umstand berufen.
Die Klägerin beantragt,
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1. unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17. Oktober 2007 und der hierzu
ergangenen Einspruchsentscheidung vom 21. Mai 2008 den Beklagten zu
verpflichten, Vorsteuern für den Vergütungszeitraum Oktober bis Dezember 2005
entsprechend ihrem Antrag zu vergüten und
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2. hilfsweise im Unterliegensfalle die Revision zuzulassen.
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26
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
28
Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte vor:
29
Ihm, dem Beklagten, sei innerhalb der Antragsfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG kein
Vergütungsantrag der Klägerin für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2005
zugegangen.
30
Ein ordnungsgemäßer Vergütungsantrag, der auch vom gesetzlichen Vertreter der
Klägerin unterschrieben worden gewesen sei, sei ihm, dem Beklagten, erstmals am 20.
März 2008 zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei die gesetzliche Antragsfrist jedoch
bereits abgelaufen gewesen.
31
Der Klägerin sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zu
Zeitpunkt der erstmalig wirksamen Antragstellung am 20. März 2008 sei die Jahresfrist
des § 110 Abs. 3 AO bereits abgelaufen gewesen. Die in dieser Vorschrift genannten
Ausnahmen, wie z.B. höhere Gewalt, lägen im Streitfall nicht vor. Die von der Klägerin
vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe seien daher unbeachtlich.
32
Nach der von der Klägerin zitierten Entscheidung des EuGH vom 3. Dezember 2009 sei
zwar für Antragsteller, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ansässig seien,
auch ein Bevollmächtigter befugt, den Vorsteuervergütungsantrag wirksam zu
unterzeichnen. Diese Entscheidung des EuGH habe jedoch keinen Einfluss auf den
Streitfall. Das Urteil des EuGH habe nur Rechtswirkungen für die Fälle, bei denen das
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Vorsteuervergütungsverfahren nach § 18 Abs. 9 UStG auf der der Achten Richtlinie vom
6. Dezember 1979 (79/1072/EWG, ABl.EG Nr. L 331/1979, 11, im Folgenden: Achte
Richtlinie) beruhe. Es sei damit ausschließlich für Unternehmer anwendbar, die im
Gemeinschaftsgebiet ansässig seien. Die Klägerin sei jedoch in der Schweiz und damit
in einem Drittstaat ansässig. Das Vorsteuervergütungsverfahren beruhe für die nicht im
Gemeinschaftsgebiet ansässigen Steuerpflichtigen aber auf der Dreizehnten Richtlinie
86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 (86/ 560/EWG, ABl.EG Nr. L 326/1986,
40, im Folgenden: Dreizehnte Richtlinie). Art. 3 Abs. 1 der Dreizehnten Richtlinie weise
den Mitgliedstaaten das Recht zu, die Modalitäten für die Antragstellung von
Unternehmen aus Drittstaaten frei zu regeln. Von diesem Recht habe der deutsche
Gesetzgeber in § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG in der bis 31. Dezember 2009 geltenden
Fassung Gebrauch gemacht. Danach sei der Vergütungsantrag vom Unternehmer
eigenhändig zu unterschreiben. Eine Auslegung im Sinne der Achten Richtlinie in
Verbindung mit dem o.g. EuGH- Urteil komme daher nicht in Betracht.
Aus diesem Grund wäre der Vergütungsantrag vom 20. April 2006, selbst wenn er im
Original und fristgerecht beim Beklagten eingegangen wäre, nicht eigenhändig
unterzeichnet und somit formunwirksam gewesen.
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Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist unbegründet.
36
Der Ablehnungsbescheid vom 17. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 21. Mai 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101
Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
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Der Beklagte hat die von der Klägerin beantragte Vorsteuervergütung im Ergebnis zu
Recht unter Berufung auf § 18 Abs. 9 Sätze 3 UStG sowie § 110 AO verweigert, weil die
Klägerin in der in § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG genannten Frist keinen ordnungsgemäßen
Vergütungsantrag gestellt hat (vgl. unter 1.) und ihr insoweit auch keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. unter 2.).
38
1. Die Klägerin hat innerhalb der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG keinen
Vergütungsantrag beim Beklagten gestellt.
39
a) Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 des UStG in der für den streitigen Vergütungszeitraum
geltenden Fassung kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens das
Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch
Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland
ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in
einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der
Verordnungsgeber in §§ 59 ff. der UStDV Gebrauch gemacht.
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Diese nationalen Vorschriften beruhen für Steuerpflichtige, die - wie die Klägerin - nicht
im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind, auf den Vorgaben der Dreizehnten Richtlinie.
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Diese europarechtlichen Vorgaben für Anträge von nicht im Gemeinschaftsgebiet
ansässigen Steuerpflichtigen hat der deutsche Gesetzgeber in den Vorschriften des §
18 Abs. 9 Sätze 3 ff. UStG umgesetzt. Danach ist u.a. der Vergütungsantrag binnen
sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der
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Vergütungsanspruch entstanden ist (§ 18 Abs. 9 Satz 3 UStG). Bei der Sechs-Monats-
Frist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG handelt es sich um eine nicht verlängerbare
Ausschlussfrist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999, V R 76/98, BStBl II 2000, 214;
Stadie in Rau/Dürrwächter/ Flick/Geist, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 18
UStG Rz. 881.2 m.w.N.). Der Unternehmer hat die Vergütung darüber hinaus selbst zu
berechnen und die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und
Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen (§ 18 Abs. 9 Satz 4 UStG). Außerdem ist der
Vergütungsantrag vom Unternehmer eigenhändig zu unterschreiben (§ 18 Abs. 9 Satz 5
UStG).
b) Im Streitfall hat die Klägerin die Ausschlussfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG, die für
den streitigen Vergütungszeitraum Oktober bis Dezember 2005 am 30. Juni 2006 ablief,
nicht eingehalten. Denn alle Vergütungsanträge der Klägerin für diesen
Vergütungszeitraum gingen erst nach dem 30. Juni 2006 beim Beklagten ein.
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2. Der Klägerin ist im Hinblick auf die versäumte Ausschlussfrist nach § 18 Abs. 9 Satz 3
UStG auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu
gewähren.
44
a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist
ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110
Abs. 1 Satz 2 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des
Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Tatsachen zur Begründung des
Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu
machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs.
2 Satz 3 AO). Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt
werden (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO). Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Handlung
kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht
mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer
Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).
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b) Im Streitfall steht einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedenfalls der Ablauf
der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO entgegen. Denn die Klägerin hat erstmals am 20.
März 2008 und somit außerhalb der am 30. Juni 2007 abgelaufenen Jahresfrist einen
nach § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG ordnungsgemäß von ihrem gesetzlichen Vertreter, dem
Präsidenten ihres Verwaltungsrats, Herrn B, unterschriebenen
Vorsteuervergütungsantrag beim Beklagten eingereicht. Die am 2. Februar 2007 und am
3. Mai 2007 und somit innerhalb Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO bei Beklagten
eingereichten Vergütungsanträge der Klägerin sind demgegenüber lediglich von der
Prokuristin der Klägerin, Frau C, und daher nicht "eigenhändig" i.S. des § 18 Abs. 9 Satz
5 UStG unterschrieben worden.
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aa) Bei einer juristischen Person wie der Klägerin liegt die nach § 18 Abs. 9 Satz 5
UStG erforderliche eigenhändige Unterschrift nur vor, wenn ihr gesetzlicher Vertreter
unterschrieben hat. Soweit nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO Verfahrenshandlungen auch
durch "besonders Beauftragte" vorgenommen werden können, bezieht sich dies nicht
auf juristische Personen, die gesetzliche Vertreter haben, sondern auf nichtrechtsfähige
Personenvereinigungen und Vermögensmassen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998
III R 58/95, BStBl II 1999, 237).
47
bb) Zwar gilt als eigenhändige Unterschrift i.S. des § 126 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs - BGB - auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten. Diese
Vorschrift findet aber für Steuererklärungen keine Anwendung. Hier ist vielmehr die
speziellere Regelung des § 150 Abs. 3 AO einschlägig. Ordnen die Steuergesetze an,
dass der Steuerpflichtige die Steuererklärung eigenhändig zu unterschreiben hat, so ist
nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten nur
zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen
Zustands oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist. Dass das
Ziel der Erklärung nach § 18 Abs. 9 UStG nicht eine Steuerfestsetzung, sondern eine
Steuervergütung (vgl. §§ 37, 43 AO) ist, steht einer Qualifizierung als Steuererklärung
und mithin einer Anwendung der Regelung des § 150 AO, die den Begriff der
Eigenhändigkeit konkretisiert, nicht entgegen, weil nach § 155 Abs. 4 AO die für die
Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften auf die Festsetzung einer Steuervergütung
sinngemäß anzuwenden.
48
cc) Von diesem Erfordernis der Eigenhändigkeit ist auch nicht im Hinblick auf
gemeinschaftsrechtliche Vorgaben abzusehen.
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(1) Aus dem EuGH-Urteil vom 3. Dezember 2009 in der Rechtssache C-433/08 (Yaesu
Europe BV) kann nicht gefolgert werden, dass auch im Streitfall eine Vertretung durch
einen Bevollmächtigten grundsätzlich zulässig wäre.
50
Denn der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt betraf einen im
Gemeinschaftsgebiet ansässigen ausländischen Unternehmer. Der für diesen Fall
einschlägigen Achten Richtlinie war nach Auffassung des EuGH im Hinblick auf das
Unterschriftserfordernis keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass diese
nur durch den Steuerpflichtigen und nicht durch einen Bevollmächtigten des
Steuerpflichtigen geleistet werden konnte. Folglich verstieß die einengende nationale
Regelung mit dem Erfordernis der Eigenhändigkeit gegen Art. 6 der Achten Richtlinie,
wonach die Mitgliedstaaten den Steuerpflichtigen außer den Pflichten nach den Art. 3
und 4 dieser Richtlinie keine anderen Pflichten auferlegen als die, in Sonderfällen die
Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, ob der
Erstattungsantrag begründet ist.
51
Im Streitfall ist die Klägerin dagegen in einem Drittland (Schweiz) ansässig. Einschlägig
ist somit nicht die Achte, sondern die Dreizehnte Richtlinie. Diese sieht in ihren
Erwägungen zwar eingangs vor, dass eine harmonische Entwicklung der
Handelsbeziehungen zwischen der Gemeinschaft und den Drittländern dadurch
gewährleistet werden soll, dass man sich an der Achten Richtlinie ausrichtet und dabei
den unterschiedlichen Verhältnissen in den Drittländern Rechnung tragen soll. Doch
bedingt dieses keinen Gleichlauf der Regelungen betreffend die Vorsteuervergütung für
in Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmen mit den in Drittländern ansässigen
Unternehmern. Im Gegenteil stellt Artikel 4 Abs. 1 der Dreizehnten Richtlinie den
Mitgliedstaaten für in Drittländern ansässigen Unternehmern ausdrücklich anheim, die
Modalitäten für die Antragstellung des Verfahrens zu bestimmen, und zwar mit der
Maßgabe, dass die Erstattung nicht zu günstigeren Bedingungen erfolgen darf als für in
der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (vgl. Artikel 4 Abs. 2 der Dreizehnten
Richtlinie).
52
(2) Von dieser Ermächtigung hat der nationale Gesetzgeber unter anderem durch das
Erfordernis der Eigenhändigkeit Gebrauch gemacht. Das Erfordernis eines eigenhändig
53
unterschriebenen Antrags erweist sich dabei auch als verhältnismäßig.
Verhältnismäßig ist das vom Gesetzgeber eingesetzte Mittel, wenn es zur Erreichung
des angestrebten, legitimen Ziels geeignet ist und nicht über das erforderliche Maß
hinausgeht. Diese Voraussetzungen erfüllt § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG i.V.m. § 150 Abs. 3
AO.
54
α
) Die vom Gesetzgeber geforderte Eigenhändigkeit der Unterschrift ist zur Erreichung
eines legitimen Ziels geeignet. Denn durch die eigenhändige Unterschrift übernimmt der
vergütungsberechtigte Unternehmer selbst die Verantwortung für die Richtigkeit der der
Erklärung zugrunde liegenden Tatsachen und Belege. Dies gilt auch im Hinblick auf die
in dem für den Vergütungsantrag amtlich vorgeschriebenen Vordruck (vgl. § 61 Abs. 1
UStDV) geforderten Angaben (z.B. dazu, im Inland keine Lieferungen und sonstigen
Leistungen ausgeführt und keinen innergemeinschaftlichen Erwerb getätigt zu haben)
und die Erklärungen mit strafrechtlicher Bedeutung. Derartige Erklärungen sind keine
Besonderheit des Umsatzsteuervergütungsverfahrens. Auch bei Steuerklärungen dient
das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift der erkennbaren Übernahme der
Verantwortung des Steuerpflichtigen für die tatsächlichen Angaben in der
Steuererklärung (vgl. hierzu auch die Rechtsprechung des BFH zum Erfordernis der
Eigenhändigkeit der Unterschrift bei Anträgen auf Investitionszulage, Urteile vom 16.
Mai 2002, III R 27/01, BStBl II 2002, 668; vom 13. Dezember 2001, III R 24/99, BStBl II
2002, 159; vom 15. Oktober 1998, III R 58/95, BStBl II 1999, 237; vom 30. Juni 1998, III
R 5/97, BFH/NV 1999, 363). Die Vermeidung der Steuerhinterziehung ist in Artikel 4
Abs. 1 der Dreizehnten Richtlinie als ein Ziel für die Ausgestaltung der
Verfahrensmodalitäten ausdrücklich genannt worden. Hinzu kommt, dass die vom
Unternehmer geforderten Angaben eine besondere Sachnähe erfordern. Diese sind in
zuverlässiger Weise grundsätzlich nur vom Unternehmer selbst zu beantworten. Das
Erfordernis der Eigenhändigkeit, das einhergeht mit der strafrechtlichen
Verantwortlichkeit des Unternehmers für die getroffenen Angaben, erlaubt es demnach
dem jeweiligen Mitgliedstaat auch im Hinblick auf die Aufklärungsschwierigkeiten, die in
Bezug auf die Ansässigkeit der Unternehmen in Drittländern bestehen, prinzipiell von
der Richtigkeit der getroffenen Angaben auszugehen. Es dient daher neben der
Vermeidung von Steuerhinterziehungen auch dem Ziel, im Sinne des Artikel 4 Abs. 1
der Dreizehnten Richtlinie die Begründetheit des Antrags beurteilen zu können.
55
b) Die Regelung erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Eine solche
Unverhältnismäßigkeit des Mittels liegt schon deshalb nicht vor, weil § 150 Abs. 3 Satz
1 AO für bestimmte Ausnahmefälle, in denen die eigenhändige Unterschrift dem
Unternehmer nicht möglich ist, zumindest vorübergehend auch die Unterschrift eines
hierzu Bevollmächtigten ausreichen lässt. Angesichts dessen wird die Geltendmachung
des Vorsteuervergütungsanspruchs im Grundsatz weder unmöglich noch übermäßig
erschwert.
56
(3) Die unterschiedliche Behandlung von im Drittland bzw. im Gemeinschaftsgebiet
ansässigen Unternehmern verstößt auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des
Art. 12 EGV (nunmehr Art. 18 AEUV). Nach dieser Vorschrift ist unbeschadet der
Bestimmungen des EG-Vertrags in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung
aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
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Im Streitfall ist bereits der persönliche Anwendungsbereich dieser Regelung nicht
eröffnet. Denn diese Vorschrift betrifft in den Anwendungsbereich des
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Gemeinschaftsrechts fallende Situationen, in denen ein Angehöriger eines
Mitgliedstaats nur aufgrund seiner Staatsangehörigkeit gegenüber den Angehörigen
eines anderen Mitgliedstaats diskriminiert wird. Sie findet aber keine Anwendung im Fall
einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten und
Drittstaatsangehörigen (vgl. EuGH-Urteil vom 4. Juni 2009 in den Rechtssachen C-
22/08 (Athanasios Vatsouras) bzw. C-23/08 (Josif Koupatantze), zu finden unter juris).
dd) Die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen nach § 150 Abs. 3 AO eine
Steuererklärung ausnahmsweise von einem Bevollmächtigten unterschrieben werden
darf, liegen im Streitfall nicht vor; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der gesetzliche
Vertreter der Klägerin wegen längerer Abwesenheit an der Unterschrift gehindert war.
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(1) Dabei ist der Begriff der längeren Abwesenheit, der im Gesetz nicht näher erläutert
ist, jedenfalls für das Vorsteuervergütungsverfahren nicht dahingehend zu verstehen,
dass der dauerhafte Aufenthalt im Ausland für die Annahme einer Verhinderung wegen
längerer Abwesenheit ausreicht.
60
(2) Bereits dem Wortlaut des § 150 Abs. 3 Satz 1 AO ist nicht zu entnehmen, dass der
bloße dauerhafte Aufenthalt im Ausland (ggfs. ohne eine etwaige vorangegangene
Anwesenheit im Inland) als Verhinderung wegen längerer Abwesenheit anzusehen ist.
Der Begriff der Abwesenheit kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass hierfür
schon allein die Abwesenheit vom Inland genügt. Eine längere Abwesenheit ist
grundsätzlich auch dann denkbar, wenn sich ein Steuerpflichtiger wegen einer länger
andauernden Geschäftsreise im Inland weit entfernt von seinem im Inland gelegenen
üblichen Aufenthaltsort aufhält (vgl. hierzu auch Slapio, DStR 1995, 753, 755). Auch
deutet die Regelung des § 150 Abs. 3 Satz 2 AO darauf hin, dass die Hinderungsgründe
grundsätzlich vorübergehender Natur sind, auch wenn sie sich im Einzelfall zu einem
Dauerzustand (u.a. körperliche oder geistige Erkrankung) verfestigen können. Die
Ansässigkeit von Firmen im Ausland ist aber dem Grunde nach nicht nur
vorübergehender Natur.
61
(3) Insbesondere letzterer Umstand gebietet es aus systematischen Gründen, einen
Daueraufenthalt des Vergütungsberechtigten im Ausland als nicht hinreichend für die
Annahme einer Verhinderung wegen längerer Abwesenheit anzusehen. Denn im
Anwendungsbereich des § 18 Abs. 9 UStG hält sich der vorsteuervergütungsberechtigte
Unternehmer typischerweise dauerhaft im Ausland auf, weil er nur dort ansässig im
Sinne des § 13b Abs. 4 UStG ist. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit würde
anderenfalls sinnentleert; hierauf wäre regelmäßig zu verzichten.
62
(4) Der Senat folgt daher hinsichtlich der Auslegung des Begriffs der Verhinderung
wegen längerer Abwesenheit den Grundsätzen des BFH zur Auslegung dieses Begriffs
im Bereich des Investitionszulagerechts (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2001 III R 48/98,
BStBl II 2001, 629). Hierfür spricht - dem Investitionszulagerecht vergleichbar - zudem
auch, dass die eigenhändige Unterschrift im Hinblick auf die strafrechtliche
Verantwortung des Antragstellers oder seines gesetzlichen Vertreters und die
Verifizierung der Angaben zwecks zügiger Bearbeitung der Anträge für das
Vorsteuervergütungsverfahren von besonderer Bedeutung ist. Demzufolge kann eine
längere Abwesenheit bei einer zeitlich längeren Entfernung vom Firmensitz als dem
üblichen Aufenthaltsort in Betracht kommen, sofern diese auch ursächlich für die
Verhinderung gewesen ist. Trotz einer an sich längeren Abwesenheit (vom Firmensitz)
wäre eine Verhinderung i.S. des § 150 Abs. 3 AO daher zu verneinen, wenn nach den
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besonderen Umständen des konkreten Falles eine postalische Verbindung zumindest
möglich und deren Inanspruchnahme auch zumutbar ist.
(5) Demzufolge findet die für die Erklärung der Arbeitnehmerveranlagung (früher: Lohn-
steuerjahresausgleich) ergangene BFH-Rechtsprechung, wonach ein Daueraufenthalt
im Ausland infolge eines Wegzug unabhängig von der postalischen Erreichbarkeit -
ausnahmsweise - einen Hinderungsgrund im Sinne des § 150 Abs. 3 AO darstellt (vgl.
BFH-Urteil vom 10.4.2002 VI R 55/98, BStBl II 2002, 455), wegen der Besonderheiten
des Vorsteuervergütungsrechts keine Anwendung. Dabei hat der Senat auch
berücksichtigt, dass die vorgenannte Rechtsprechung betreffend Arbeitnehmerfälle
maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass ein Arbeitnehmer, der in Deutschland
zunächst wohnhaft gewesen ist, nach seiner Rückkehr in das Ausland (Heimatland)
ohne weiteres für längere Zeit von seinem bisherigen Wohnort im Inland entfernt lebt,
mithin abwesend ist (vgl. hierzu auch das Urteil des FG Düsseldorf vom 13.September
1977, XIII 254/77 L, EFG 1978, 24). In den Vorsteuervergütungsfällen fehlt es jedoch
gerade an einer Ansässigkeit des Unternehmens während des geltend gemachten
Vorsteuervergütungszeitraums im Inland.
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Des Weiteren hat der Senat in Ansatz gebracht, dass die Annahme, der Arbeitnehmer
sei prinzipiell an einer Unterschriftsleistung (trotz etwaiger postalischer Erreichbarkeit)
gehindert, maßgeblich auf Zumutbarkeits- und Vereinfachungsgesichtspunkte
zurückzuführen war (siehe vorgenanntes Urteil des FG Düsseldorf vom 13.9.1997 XIII
254/77 L, bzw. des BFH vom 10.4.2002 VI R 66/98, jeweils a.a.O.). So sollte dem
Arbeitnehmer nicht das Risiko für den Verlust von Unterlagen aufgebürdet werden, die
sich unter anderem aus der Übersendung der Lohnsteuerkarte in das Ausland ergaben.
Dieses Risiko war den in die Heimat zurückgekehrten Arbeitnehmern nicht zumutbar.
Die betroffenen ausländischen Arbeitnehmer bevollmächtigten in vielen Fällen ihre
Arbeitgeber zur Unterschrift der Einkommensteuererklärungen. Die Angaben, die zur
Fertigung der Einkommensteuererklärung erforderlich waren (in- und ausländische
Lohnbestandteile) befanden sich jedoch regelmäßig bereits bei der Betriebsstätte des
Arbeitgebers im Inland, weil die für die ordnungsgemäße Lohnabrechnung
erforderlichen Unterlagen zumindest teilweise zunächst von der ausländischen Zentrale
an die deutsche Betriebsstätte weiterzugeben waren (vgl. zu diesem praktischen
Problem Slapio in DStR 1995, 753). Das im Hinblick auf das "Hin- und Herschicken" der
Lohnsteuerkarte allein aus steuerlichen Gründen bestehende Verlustrisiko war den
Arbeitnehmern prinzipiell nicht zumutbar.
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Im Falle des Vorsteuervergütungsantrags besteht dieses gesteigerte Risiko
typischerweise nicht. Da die Rechnungen an das im Ausland ansässige Unternehmen
zu adressieren und die entsprechenden Vorgänge im Rahmen der laufenden
Buchführung des ausländischen Unternehmens zu erfassen sind, befinden sich diese
Unterlagen regelmäßig bereits im Ausland. Ein risikoreiches Hin- und Herschicken
dieser Unterlagen allein aus steuerlichen Gründen ist damit in der Regel
ausgeschlossen.
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Auch ist dem Steuerpflichtigen bzw. wäre seinem Bevollmächtigten nur durch eine
Einsichtnahme in die Bücher des Unternehmens, welche sich regelmäßig im Ausland
befinden, die Erklärung, dass im Vergütungszeitraum keine schädlichen Umsätze im
Inland ausgeführt worden sind und die geltend gemachten Vorsteuerbeträge auch im
Hinblick auf § 15 Abs. 2 UStG grundsätzlich abzugsfähig sind, nach bestem Wissen und
Gewissen möglich.
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Im Übrigen stellen eventuelle Sprachschwierigkeiten bei international tätigen Unter-
nehmen wie der Klägerin anders als bei von ausländischen Arbeitgebern ins Inland
entsandten Arbeitnehmern keine Rechtfertigung dafür dar, aus Gründen der
Vereinfachung bzw. aus Zumutbarkeitsgesichtspunkten prinzipiell von einer
Verhinderung auszugehen. Denn anders als Arbeitnehmer, deren Tätigkeitsort durch
den Arbeitgeber bestimmt wird, wählen Unternehmer ihr Tätigkeitsgebiet frei aus.
International tätige Unternehmer nehmen Sprachschwierigkeiten bewusst in Kauf.
Deren Bewältigung ist von Ihnen zu erwarten.
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(6) Im Streitfall hat sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass Herr B als Präsident ihres
Verwaltungsrats wegen längerer Abwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert
gewesen ist. Hierfür liegen nach Aktenlage auch keine Anhaltspunkte vor.
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c) Die Voraussetzungen unter denen § 110 Abs. 3 AO eine Wiedereinsetzung trotz
Ablaufs der Jahresfrist ermöglicht, liegen im Streitfall nicht vor.
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aa) Unter höherer Gewalt i.S. dieser Vorschrift ist grundsätzlich nur ein
außergewöhnliches Ereignis zu verstehen (z.B. Krieg, Stillstand der Rechtspflege,
Naturereignis), das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach Lage
der Sache anzuwendende Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl. BFH-Beschluss
vom 20. Juli 1989 V S 4/89, BFH/NV 1990, 590). Darunter fällt auch ein Umstand, der
dem Beteiligten die rechtszeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung
unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der
höheren Gewalt zuzuordnen ist. Dementsprechend kann nach der vom erkennenden
Senat geteilten Rechtsprechung des BFH höhere Gewalt auch dann vorliegen, wenn
ein Verfahrensbeteiligter durch ein – über die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung
hinausgehendes – Verhalten eines Gerichts oder einer Behörde von einer fristgerechten
Prozess- bzw. Verfahrenshandlung abgehalten wird (vgl. BFH-Beschluss vom 24.
Januar 2008 XI R 63/06, BFH/NV 2008, 606, m.w.N.). Demgegenüber erfüllt die nicht
unmittelbar von außen beeinflusste Einschätzung der Rechtslage durch den
Rechtssuchenden selbst bzw. durch seinen Bevollmächtigten die Voraussetzungen
eines solchen Hinderungsgrundes nicht (BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86,
BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177 m.w.N.).
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Im Streitfall kann sich die Klägerin damit nicht darauf berufen, von der Versäumung der
Jahresfrist - möglicherweise infolge eines fehlenden Hinweises des Beklagten auf die
nicht ordnungsgemäße Unterzeichnung ihres Vergütungsantrags - keine Kenntnis
gehabt zu haben. Sie wurde insoweit gerade nicht durch ein aktives Verhalten des
Beklagten von einer ordnungsgemäßen Antragstellung abgehalten. Die nicht durch ein
aktives Verhalten des Beklagten verursachte Unkenntnis vom Ablauf der Jahresfrist des
§ 110 Abs. 3 AO stellt jedoch keine höhere Gewalt im Sinne dieser Vorschrift dar.
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bb) Über den gesetzlichen Wortlaut des § 110 Abs. 3 AO hinaus gewährt die vom
erkennenden Senat ebenfalls geteilte Rechtsprechung des BFH nach Ablauf der
Jahresfrist ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum einen in den
Fällen, in denen Wiedereinsetzung auch ohne Antrag in Betracht kommt, soweit die
maßgeblichen, für die Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der
Jahresfrist für das Gericht oder die Verwaltungsbehörde erkennbar sind (vgl. BFH-
Urteile vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390; vom 15.
Mai 1996 X R 99/92, BFH/NV 1996, 891). Zum anderen wird Wiedereinsetzung
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außerdem gewährt, wenn die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs bzw. der
Verfahrenshandlung allein aus in der Sphäre des Gerichts bzw. der
Verwaltungsbehörde liegenden Gründen nicht innerhalb der Jahresfrist geprüft worden
ist. Voraussetzung für eine solche Wiedereinsetzung ist aber auch hier, dass eine die
Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage bereits vor Ablauf der Jahresfrist gegeben war.
Danach müssen die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen
aber vor Ablauf der Jahresfrist aus den dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde
vorliegenden Akten erkennbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2006 X R 21/04,
BFH/NV 2007, 186, m.w.N.).
(1) Für die Einhaltung der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO kommt es bei einer
Wiedereinsetzung von Amts wegen (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO) demnach zwar nicht
darauf an, wann die Finanzbehörde oder das Finanzgericht über die Wiedereinsetzung
entscheidet, sondern nur darauf, wann die die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage
gegeben war. Die maßgebenden, für die Wiedereinsetzung sprechenden Gründe
müssen jedoch vor Ablauf der Jahresfrist zumindest aus den Akten erkennbar sein, so
dass bei sofortiger Entscheidung eine Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen wäre
(BFH-Urteile vom 9. Dezember 1999 III R 4/98, BFH/NV 2000, 987; vom 15. Mai 1996 X
R 99/92, a.a.O. und vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, a.a.O.; FG Köln, Urteil vom 30.
Mai 2001 9 K 4868/00, EFG 2001, 1098; Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 110 Rz. 50;
Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 110 AO Anm. 148a; Kühn/ Hofmann,
AO/FGO, 17. Aufl., § 110 Bem. 7.).
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(2) Im Streitfall liegen diese Voraussetzungen für eine über den Wortlaut des § 110 Abs.
3 AO hinausgehende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor. Denn hier
waren die für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist
am 30. Juni 2007 für die beklagte Behörde gerade nicht aus den Akten erkennbar. Der
Beklagte hätte aufgrund der ihm bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen
(Schreiben der Klägerin vom 31.01.2007 mit Kopie des Vergütungsantrag vom
"20.04.2006" und Schreiben der Klägerin vom 30.04.2007) bei einer unmittelbaren
Prüfung allenfalls erkennen können, dass die Unterschrift auf der Kopie des
Vergütungsantrags vom "20.04.2006" von einer Prokuristin der Klägerin stammte (vgl.
insoweit die Unterschrift unter das Begleitschreiben der Klägerin vom 31.01.2007: "ppa.
C"). Allein aufgrund dieses Gesichtspunktes hätte jedoch bei einer sofortigen
Entscheidung des Beklagten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt
werden können. Insoweit fehlte nämlich ein glaubhafter Vortrag der Klägerin, dass bei
der Prokuristin der Klägerin, Frau C, und beim Präsident des Verwaltungsrates der
Klägerin, Herrn B, ein unverschuldeter Rechtsirrtum hinsichtlich der Notwendigkeit einer
Unterschriftsleistung durch den gesetzlichen Vertreter vorlag. Der hierfür erforderliche
Sachvortrag wurde von der Klägerin erstmals mit dem Schreiben ihrer Bevollmächtigten
vom 18. März 2008 vorgenommen und mittels eidesstattlicher Versicherungen von Frau
C und Herrn B glaubhaft gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die Jahresfrist des §
110 Abs. 3 AO bereits abgelaufen.
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cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin reicht es nach der oben unter aa) und bb)
zitierten Rechtsprechung des BFH für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trotz
Ablaufs der Jahresfrist nach § 110 Abs. 3 AO demnach nicht aus, dass der Beklagte die
Frage, ob der ursprüngliche Vergütungsantrag der Klägerin vom "20.04.2006"
entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 18 Abs. 9 Satz 5 UStG eigenhändig
unterschrieben war, innerhalb der Jahresfrist hätte prüfen und ihr dann gemäß § 89 Abs.
1 AO einen Hinweis auf die nicht ordnungsgemäße Unterschrift hätte geben können.
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Denn zum einen war der Umstand der fehlenden Unterschrift des gesetzlichen
Vertreters nicht so offenkundig, dass die nicht sofort durchgeführte Beanstandung
dieses Mangels als treuwidrig zu beurteilen wäre. Dem zuständigen Sachbearbeiter des
Beklagten ist dieser Mangel offensichtlich auch erst aufgefallen, als er eine Recherche
zu den gesetzlichen und bevollmächtigten Vertretern der Klägerin durchgeführt hat.
Dafür spricht jedenfalls ein in der Akte des Beklagten befindlicher Ausdruck einer
Recherche in einer CD ("Die Schweizer Wirtschafts CD – Premium") vom 19. Juli 2007.
Zum anderen zeigt die oben unter bb) genannte Rechtsprechung, dass die unterlassene
Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Vergütungsantrags durch den Beklagten innerhalb
der Jahresfrist allein noch nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglicht.
Hinzukommen muss der Umstand, dass die Wiedereinsetzungsgründe vor Ablauf der
Jahresfrist aus den vorliegenden Akten erkennbar waren. Wie oben näher ausgeführt
wurde, fehlt es hieran jedoch im Streitfall.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Eine Vorlage an den EuGH
durch das Finanzgericht als erstinstanzliches Gericht ist nicht erforderlich. Gemäß Art.
267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung zwar u.a. über die
Auslegung der Verträge. Auch konnte der Senat das Gerichtsverfahren aussetzen und
dem Gerichtshof eine derartige Frage vorlegen. Hierzu ist er nicht verpflichtet (vgl. Art.
267 Abs. 2 AEUV; siehe auch Koch in Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung,
6. Auflage 2008, vor § 74 Rn. 7 m.w.N.). Der Senat hält es im Hinblick auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ob für einen im
Drittland ansässigen Unternehmer das Erfordernis eines eigenhändig unterschrieben
Antrags grundsätzlich Anwendung findet, vielmehr für sinnvoll, die Revision zuzulassen.
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