Urteil des FG Köln vom 26.10.2010

FG Köln (berechnung der steuer, getrennt lebender ehegatte, veranlagung, lex specialis, eltern, höhe, aufteilung, kind, antrag, vorschrift)

Finanzgericht Köln, 1 K 2939/10
Datum:
26.10.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2939/10
Rechtskraft:
III R 1/11
Tenor:
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2007 vom
11.01.2010 in Ge-stalt der Einspruchsentscheidung vom 30.08.2010
wird die Steuer unter Berück-sichtigung des vollen
Behindertenpauschbetrages in Höhe von 3.700,- € neu festgesetzt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Aufteilung und Berücksichtigung des
Behindertenpauschbetrages gemäß § 33 b Abs. 5 Satz 3 Einkommensteuergesetz
(EStG) im Rahmen der getrennten Veranlagung nach § 26 a EStG.
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Die Klägerin und ihr Ehemann haben sich im Laufe des Streitjahres 2007 getrennt. Sie
haben einen gemeinsamen am 00.00.1992 geborenen Sohn, der schwerbehindert ist
und im Haushalt der Klägerin lebt. Im Schwerbehindertenausweis des
Versorgungsamtes B für den Sohn sind die Merkzeichen G, aG und H zuerkannt. Die
vollständige Betreuung und Versorgung des Sohnes wird seit seiner Geburt durch die
Klägerin durchgeführt. Die Eheleute haben für das Streitjahr getrennte Veranlagung
gewählt. Der Einkommensteuererklärung der Klägerin für das Jahr 2007 war eine
Bescheinigung des Ehemannes und Kindesvaters beigefügt, wonach er die ihm
zustehenden Freibeträge wegen der Behinderung des gemeinsamen Sohnes für das
Kalenderjahr 2007 auf seine Ehefrau übertrage.
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Mit Bescheid vom 11.01.2010 führte der Beklagte die beantragte getrennte Veranlagung
der Klägerin durch und setzte die Einkommensteuer 2007 bei einem zu versteuernden
Einkommen von 16.238,00 € auf 1.885,00 € fest. Dabei wich der Beklagte insoweit von
den Angaben in der Einkommensteuererklärung ab, als es den
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Behindertenpauschbetrag für den Sohn in Höhe von 3.700,00 € und die geltend
gemachte behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale in Höhe von 900,00 € jeweils
nur zur Hälfte berücksichtigte, wobei sich letztere steuerlich wegen der zumutbaren
Eigenbelastung der Klägerin nach § 33 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 a EStG
(Steuerpflichtige mit einem Kind Gesamtbetrag der Einkünfte beider Eheleute in Höhe
von 33.239,00 € x 3% = 997,00 €) nicht auswirkte.
Den hiergegen geführten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom
30.08.2010 zurück. Hierbei wurde die Übertragung der Fahrtkostenpauschale auf die
Klägerin in voller Höhe von insgesamt 900,00 € zwar grundsätzlich anerkannt, was sich
allerdings nach wie vor im Hinblick auf die zumutbare Eigenbelastung der Klägerin in
Höhe von 997,- € steuerlich nicht auswirkte. Was die Übertragung des vollständigen
Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 5 EStG betrifft, vertrat der Beklagte
weiterhin die Auffassung, dass diese bei einer getrennten Veranlagung nach § 26 a
Abs. 2 Satz 2 HS 2 EStG nicht möglich sei. Die nach § 33 b Abs. 5 Satz 3 EStG
vorgesehene anderweitige Aufteilung bei gemeinsamem Antrag der beiden Elternteile
gelte nur für Fälle, in denen keine Ehegattenveranlagung (Zusammenveranlagung oder
getrennte Veranlagung) der Elternteile durchgeführt werde. Grundsätzlich hätten Eltern
die Aufwendungen für ein behindertes gemeinsames Kind zu etwa gleichen Teilen zu
tragen. Dem Gesetzgeber habe mit § 26 a Abs. 2 Satz 2 HS 2 EStG die Vorstellung zu
Grunde gelegen, dass die Eltern die Aufwendungen für das behinderte Kind zu gleichen
Teilen trügen. In Fällen, in denen ein getrennt lebender Ehegatte nicht Elternteil des
behinderten Kindes sei, sei diese Vorstellung nicht gerechtfertigt, weshalb das
Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 12.05.2009 (Az.: 10 K 160/06) in einem
solchen Fall § 26 a Abs. 2 Satz 2 EStG dahingehend ausgelegt habe, dass auch eine
anderweitige Aufteilung vorgenommen werden könne. In dem vorliegenden Fall, in dem
der getrennt lebende Ehegatte der Vater des Kindes sei, sei eine solche Auslegung
nicht möglich. In einem solchen Fall sei die Übertragung des
Behindertenpauschbetrages vom Gesetzgeber bewusst ausgeschlossen worden.
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Mit der hiergegen geführten Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Anerkennung des
vollen Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 3 Satz 3 EStG in Höhe von
3.700,00 €. Bei der Regelung in § 26 a Abs. 2 Satz 2 EStG handele es sich um ein
redaktionelles Versehen. Die Voraussetzung für die Übertragung des kompletten
Behindertenpauschbetrages sei durch die Erklärung des Ehemannes, dass er auch den
ihm zustehenden Anteil auf seine Ehefrau übertrage, gegeben.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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die Einkommensteuer des Jahres 2007 unter Änderung des Bescheides vom
11.01.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.08.2010 unter
Berücksichtigung des vollen Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 3
Satz 3 EStG neu festzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Einspruchsentscheidung.
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Mit Schreiben vom 06.10.2010 hat der Beklagte und mit Schreiben vom 08.10.2010 die
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Klägerin auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
(§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO-).
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Die Klage ist begründet.
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Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung des vollen Behindertenpauschbetrages in
Höhe von 3.700,- €.
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Nach § 33 b Abs. 5 EStG wird der Behindertenpauschbetrag, der einem Kind zusteht, für
das der Steuerpflichtige einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld (§§ 62
f. EStG) erhält, auf Antrag auf den Steuerpflichtigen übertragen, wenn ihn das Kind nicht
in Anspruch nimmt. Dabei ist der Pauschbetrag grundsätzlich auf beide Elternteile je zur
Hälfte aufzuteilen (§ 33 b Abs. 5 Satz 2 EStG), wobei auf deren gemeinsamen Antrag
eine andere Aufteilung, z.B. die volle Inanspruchnahme durch nur einen Elternteil
möglich ist (§ 33 b Abs. 5 Satz 3 EStG). Vorliegend hat der Kindesvater der Übertragung
des vollen Behindertenpauschbetrages auf die Klägerin zugestimmt.
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Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, dass der Behindertenpauschbetrag im Falle
der getrennten Veranlagung nach § 26 a Abs. 2 Satz 2 EStG als lex specialis zu § 33
Abs. 5 Satz 2 EStG zwingend der Klägerin und ihrem Ehemann je zur Hälfte zu
gewähren sei. Hierbei kann dahinstehen, ob es sich bei der Vorschrift des § 26 a Abs. 2
Satz 2 EStG tatsächlich um eine Spezialregelung zu § 33 b Abs. 5 Satz 3 EStG handelt,
die dessen Anwendung ausschließt, wie es in der Literatur teilweise vertreten wird (so z.
B. Mellinghoff in Kirchhoff, EStG, § 33 b Rz. 18). Denn bereits aus dem Wortlaut des die
getrennte Veranlagung regelnden § 26 a Abs. 2 Satz 2 EStG ergibt sich nicht, dass eine
andere als die hälftige Aufteilung ausgeschlossen ist. Nach dem Wortlaut des § 26 a
Abs. 2 Satz 2 EStG steht bei der getrennten Veranlagung von Ehegatten ein nach § 33 b
Abs. 5 EStG übertragbarer Pauschbetrag den Ehegatten insgesamt nur einmal zu und
wird jedem Ehegatten zur Hälfte gewährt. Die Vorschrift entspricht insoweit dem
Wortlaut nach der Regelung in § 33 b Abs. 5 Satz 2 EStG und gibt wie auch dort den
Grundsatz wieder. Dass eine andere Regelung, wie sie in § 33 b Abs. 5 Satz 3 EStG
ausdrücklich erwähnt wird, bei der getrennten Veranlagung ausgeschlossen sein soll,
ergibt sich aus dem dortigen Fehlen einer solchen Regelung nicht. Vielmehr ist diese
Vorschrift ergänzend dahin auszulegen, dass auch bei der getrennten Veranlagung,
ebenso wie bei der Einzelveranlagung nicht verheirateter oder geschiedener Eltern und
wie auch beim Ausbildungsfreibetrag, den § 26 a Abs. 2 Satz 2, HS 2 EStG nicht
erwähnt, eine abweichende Regelung möglich ist (vgl. hierzu Lohschelder in Schmidt,
EStG, § 33 b Rz. 29; Stöcker in Lademann, EStG, § 33 b Rz. 165). Es ist nicht
erkennbar, warum beim Ausbildungsfreibetrag gem. § 33 a Abs. 2 Satz 6 EStG auch bei
getrennter Veranlagung eine andere als die hälftige Aufteilung zulässig sein soll, nicht
aber beim Behinderten- und Hinterbliebenenpauschbetrag. Auch gegenüber
geschiedenen oder nichtehelichen Eltern ließe sich eine Ungleichbehandlung nicht
rechtfertigen (vgl. hierzu Stöcker in Lademann/Söffing, EStG, § 33 b, Tz 165 a). Das
teilweise in der Literatur hierfür angeführte Argument, dass Eltern die Aufwendungen für
ein behindertes Kind gewöhnlich zu gleichen Teilen tragen (vgl. hierzu Pflüger in
Hermann/Heuer/Raupach EStG § 26 a, Tz 66) berücksichtigt nicht, dass dies – wenn
überhaupt - gleichermaßen für nicht verheiratete oder geschiedene Eltern Geltung hätte.
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Dem Senat ist jedenfalls kein Erfahrungssatz bekannt, wonach sich getrennt lebende
Eltern in diesem Punkt anders verhalten als nicht verheiratete oder geschiedene Eltern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Berechnung der Steuer wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten
aufgegeben.
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Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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