Urteil des FG Köln vom 21.01.2009

FG Köln: eugh, freizügigkeit der arbeitnehmer, soziale sicherheit, unternehmen, mitgliedstaat, gemeinschaftsrecht, aufenthalt, willkür, entsendung, befangenheit

Finanzgericht Köln, 14 K 1192/08
Datum:
21.01.2009
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 1192/08
Rechtskraft:
III B 58/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. In der Zeit vom 25.05.2005 bis 30.09.2005
und in der Zeit vom 01.01.2006 bis 30.11.2006 arbeitete er im Auftrag seines
polnischen Arbeitgebers in Deutschland, wobei er weiterhin in Polen sozialversichert
war. Auf die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 10.09.2007 (Blatt 5 der
Kindergeldakte) wird Bezug genommen.
2
Für diese Monate begehrt er für seine in Polen lebenden Kinder Kindergeld. Es handelt
sich um das leibliche Kind A (geb. 00.00.2003) und die ebenfalls in seinem Haushalt
lebenden Stiefkinder B (geb. 00.00.1993) und C (geb. 00.00.1994).
3
Der Kläger hat die Formulare "E 001", "E 401" und "E 411" ausgefüllt vorgelegt. Nach
den bislang nicht übersetzten Eintragungen in dem Formular "E 411" wurden für die
Kinder in der Zeit vom 25.05.2005 bis 30.09.2005 und in der Zeit vom 01.01.2006 bis
30.11.2006 in Polen Familienleistungen in Höhe von insgesamt 9.786 PLN gezahlt.
Wegen Einzelheiten wird auf die vorgelegten Formulare (Blatt 22 bis 28 der
Kindergeldakte) Bezug genommen.
4
Mit Bescheid vom 20.09.2007 wurde der Kindergeldantrag abgelehnt. Zur Begründung
wurde angeführt, dass der Kindergeldanspruch in Polen vorrangig gegenüber dem in
Deutschland sei. Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren am
04.04.2008 erhobene Klage.
5
Der Kläger macht geltend, dass die Verordnung (EWG) 1408/71 (nachfolgend VO) und
die hierzu ergangene Durchführungsverordnung 574/72 (nachfolgend DVO)
Anwendung fänden. Die VO bezwecke die Erleichterung der Freizügigkeit der
Arbeitnehmer, indem sie den Erlass mitgliedschaftlicher Vorschriften zum Zwecke der
Abschottung der Arbeitsmärkte verbiete. Sie solle hingegen nicht die mit der
Freizügigkeit verbundenen Vorteile behindern, welche in den jeweiligen Mitgliedstaaten
6
für Arbeitnehmer gewährt würden. Wenn die Bundesrepublik Deutschland ihren
Arbeitsmarkt öffne, müsse sie den ausländischen Arbeitnehmern auch die Rechte
einräumen, die deutschen Arbeitnehmern zustünden. Im Streitfall bestimme sich die
Frage, inwieweit etwaige Kollisionen von Kindergeld in den einzelnen Mitgliedstaaten
zu regeln seien, nicht nach Art. 13 Buchst. f des Titels II der VO, sondern nach dem Titel
III und hier nach Kapitel 7 "Familienleistungen und Beihilfen für Arbeitnehmer und
Arbeitslose”. Hierfür spreche die Systematik, wonach besondere Vorschriften den
allgemeinen Vorschriften vorgingen. Ein solcher Aufbau eröffne dem Verordnungsgeber
die Möglichkeit, für jede einzelne von der VO erfasste soziale Leistung spezielle
Regelungen zu treffen. Von dieser speziellen Regelungsmöglichkeit habe der
Verordnungsgeber mit den in Titel III enthaltenen Regelungen Gebrauch gemacht.
Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 13.08.2002
(Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 869) rechtsfehlerhaft die Artikel des Titels II
angewandt habe, habe er dies in seinem Beschluss vom 24.09.2007 (BFH/NV 2008,
67) richtiggestellt. Bezogen auf den Streitfall bedeute dies, dass er - der Kläger - für
seine in Polen lebenden Kinder Anspruch auf Familienleistungen nach deutschem
Recht habe. Etwaige Kumulierungen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten würden in Art.
76 der VO abschließend geregelt. Des Weiteren habe der BFH darauf hingewiesen,
dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die
Konkurrenzregeln nur die Einschränkung der Kumulierung von Beihilfen bezweckten.
Der Arbeitnehmer könne sich quasi den Mitgliedstaat aussuchen, welcher die höchsten
Familienleistungen zahle. Nur eine solche Betrachtungsweise verhelfe der vom EU-
Vertrag beabsichtigten Freizügigkeit der (Wander-) Arbeitnehmer zu ihrer vollen
Wirksamkeit und ermögliche es den Mitgliedstaaten, durch Schaffung attraktiver Anreize
Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten anzulocken. Es bestehe lediglich das Gebot,
dass der Arbeitnehmer nicht in beiden Mitgliedstaaten jeweils die Familienleistungen in
voller Höhe begehren könne. Aufgrund dessen sei es auch nicht möglich, dass die in
Polen gewährten Familienleistungen von dem in Deutschland bestehenden Anspruch
in Abzug gebracht werden. Vielmehr ruhe nach der DVO der Anspruch auf
Familienleistungen in Polen bis zur Höhe der in Deutschland aufgrund der Vorschriften
des Einkommensteuergesetzes (EStG) geschuldeten Familienleistungen. Da im
Streitfall die Familienleistungen in Polen nicht von einer Erwerbstätigkeit abhingen,
bestimme sich der Anspruch nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der DVO i.V.m. §§ 62 ff.
EStG. Dies entspreche einer früheren Entscheidung des Finanzgerichts (FG)
Düsseldorf (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 1339). Das FG
Düsseldorf habe auf die Rechtsprechung des EuGH hingewiesen, wonach die VO nicht
zu einem Verlust von Ansprüchen führen dürfe, die allein nach dem innerstaatlichen
Recht eines Mitgliedstaates erworben worden seien.
Der Umstand, dass er in Polen Familienleistungen erhalte, sei irrelevant. Nach § 65
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG komme es allein darauf an, ob ein Anspruch bestehe und
nicht, ob tatsächlich Leistungen erbracht worden seien. Im maßgeblichen Zeitraum
habe er jedoch keinen Anspruch auf Familienleistungen gehabt. Soweit je
Familienangehörigen ein Einkommen von mehr als 504 PLN erzielt werde, sei in Polen
ein Anspruch auf Familienleistungen ausgeschlossen. In seinem Fall betrage die
Einkommensgrenze 2.520 PLN (5 Familienangehörige). Diese Grenze sei bei weitem
überschritten worden. Er laufe daher Gefahr, auf Rückzahlung zu Unrecht erhaltener
Leistungen in Anspruch genommen zu werden. Im Übrigen gehe Art. 10 Abs. 1 Buchst.
a der DVO davon aus, dass Ansprüche aus verschiedenen Mitgliedstaaten kollidieren
könnten. Bei strikter Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei dies aber nicht
möglich, da nach dieser Vorschrift eine Kollision der Regelungen der §§ 62 ff. EStG mit
7
ausländischen Normen ausgeschlossen sei.
Die Annahme des Senats in seinem ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss vom
09.07.2008, dass er - der Kläger - im Hinblick auf die sog. Entsendungsregelung in Art.
14 Abs. 1 Buchst. a der VO polnischen Rechtsvorschriften unterliege, sei unrichtig und
verstoße zudem gegen Gemeinschaftsrecht. Für die Frage, ob eine arbeitsrechtliche
Bindung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der VO vorgelegen habe, sei
maßgeblich, wer den Lohn gezahlt habe. Des Weiteren sei darauf abzustellen, ob und
wie arbeitsrechtliche Anweisungen durch den entsendenden Arbeitgeber erfolgt seien.
In seinem Fall bestünden an der arbeitsrechtlichen Bindung zum polnischen
Arbeitgeber Zweifel, weil Teile des Lohnes vom deutschen Entleiher gezahlt worden
seien. Er sei in Unterkünften untergebracht worden, die vom Entleiher gestellt worden
seien. Die Unterbringungskosten seien in der Weise in Abzug gebracht worden, dass
der polnische Arbeitgeber seinen Lohn gekürzt ausgezahlt habe. Damit habe der
Entleiher eine Gegenleistung für seine Arbeitsleistung erbracht. Des Weiteren seien
sämtliche Anweisungen durch den Entleiher erfolgt. Eine arbeitsrechtliche Kontrolle
durch den polnischen Arbeitgeber habe nicht stattgefunden.
8
Darüber hinaus ergebe sich aus dem Urteil des EuGH vom 20.05.2008 in der
Rechtssache Bosmann (C-352/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2008,
877), dass die VO die Anwendung der Kindergeldregelungen der §§ 62 ff. EStG nicht
ausschließe. Bisher seien die Finanzgerichte davon ausgegangen, dass durch die VO
eine Rechtswahl getroffen werden solle mit der Folge, dass sich der
Kindergeldanspruch nach den Vorschriften des Staates richte, in dem
Sozialversicherungspflicht bestehe. Dies habe der EuGH für gemeinschaftsrechtswidrig
erklärt. In der erwähnten Entscheidung habe er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
die Beantwortung der Frage, nach welchem Recht sich die Gewährung von Kindergeld
richte, nicht zwingend dem Ergebnis der Qualifizierung des Beschäftigungslandes im
Sinne der Art. 13 ff. der VO entspreche. Ein Kindergeldanspruch bestehe, wenn die
Voraussetzungen der maßgeblichen Vorschriften des jeweiligen Staates erfüllt seien.
Zwar sei der EuGH zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gemeinschaftsrecht die
deutschen Behörden nicht verpflichte, Kindergeld zu gewähren. Der EuGH habe jedoch
in aller Deutlichkeit festgestellt: "Jedoch ist es nicht ausgeschlossen, dass diese
Leistung gewährt werden kann, zumal sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden
Akten ergibt, dass Frau Bosmann nach deutschem Recht schon allein aufgrund ihres
inländischen Wohnsitzes einen Anspruch auf Kindergeld hat; es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.” Dem Tatbestandsmerkmal des inländischen
Wohnsitzes nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG stehe das Tatbestandsmerkmal der
unbeschränkten Steuerpflicht nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG gleich. Bei Anwendung der
Entscheidung des EuGH auf den Streitfall würde daher, selbst wenn Polen
Beschäftigungsland wäre, eine dahingehende Einordnung einem Kindergeldanspruch
nicht entgegenstehen. Vielmehr blieben trotz der Regelungen in Art. 13, 14 der VO die
mitgliedschaftsrechtlichen Vorschriften anwendbar.
9
Soweit der Senat im Prozesskostenhilfeverfahren auf die Entscheidung des BFH vom
13.08.2002 (BStBl II 2002, 869) verweise bzw. auf die dortigen Nachweise zur EuGH-
Rechtsprechung, sei anzumerken, dass der EuGH in der Bosmann-Entscheidung die
Auslegung der VO (EWG) 1408/71 zwingend vorgegeben habe. Es sei unrichtig, wenn
der BFH dem EuGH unterstelle, dieser habe entschieden, dass der Betroffene nicht den
Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten unterliegen könne. Nach der Bosmann-
Entscheidung sei klar, dass eine parallele Anwendung verschiedener
10
Rechtsordnungen möglich sei. Im Fall Bosmann habe die Klägerin den
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Niederlande unterlegen, gleichwohl
gebiete die Auslegung des EG-Vertrages die Anwendbarkeit der deutschen
Vorschriften über das Kindergeld. § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG stehe der Bewilligung
von Kindergeld nicht entgegen. Selbst wenn eine Kollision von Kindergeld und
vergleichbaren Leistungen bestünde, käme die Vorschrift jedenfalls im
Anwendungsbereich der VO nicht zur Anwendung. Eine andere Auffassung würde zu
dem absurden Ergebnis führen, dass eine zunächst gemeinschaftsrechtlich
verbindliche Kollisionsregelung aufgrund einer mitgliedstaatlichen Regelung
dahingehend geändert würde, dass ein der gemeinschaftsrechtlichen Regelung
entgegenstehendes Ergebnis erzielt werde. Denn wäre vorliegend Beschäftigungsland
die Bundesrepublik Deutschland, kämen nach der Kollisionsregelung des Art. 13 der
VO die Vorschriften des Beschäftigungslandes, also § 62 ff. EStG zur Anwendung. Eine
Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG führte zu dem Ergebnis, dass wegen der
erfolgten Bewilligung von Leistungen in Polen die Gewährung deutschen Kindergeldes
ausgeschlossen wäre. Dieses Ergebnis widerspreche der klaren Aussage der VO. Im
Hinblick auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Bosmann habe das FG
Düsseldorf zwischenzeitlich in einem vergleichbaren Fall mit Urteil vom 30.07.2008 (15
K 4375/07 Kg, juris) vollumfänglich Kindergeld bewilligt. Bezeichnenderweise habe der
BFH in drei vergleichbaren Verfahren (III R 51/08, III R 52/08 und III R 55/08) die
Revision zugelassen.
Nachdem der Senat die Gegenvorstellung des Klägers gegen den
Prozesskostenhilfebeschluss vom 09.07.2008 mit Beschluss vom 22.12.2008 als
unzulässig verworfen hat und der weitere Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom
14.01.2009 abgelehnt worden ist, hat der Kläger die Senatsmitglieder wegen Besorgnis
der Befangenheit abgelehnt. Zugleich hat er darum gebeten, ihm die dienstlichen
Äußerungen der abgelehnten Richter zum Ablehnungsgesuch zur Stellungnahme
zuzuleiten. Das Verhalten der abgelehnten Richter stelle sich als Willkür dar, weil sich
der Senat ganz offensichtlich der ihn bei der Auslegung von EU-Rechtsnormen
bindenden Rechtsprechung des EuGH entziehen wolle. Die fehlerhafte Anwendung
des EuGH-Urteils in der Rechtssache Bosmann auf den Streitfall sei wegen der klaren
Vorgaben unerklärlich und könne seinen Grund nur darin haben, dass die abgelehnten
Richter ihre frühere rechtsfehlerhafte Beurteilung im Beschluss vom 09.07.2008 gegen
Recht und Gesetz verteidigen wollten. Die Ausführungen des Senats im Beschluss vom
14.01.2009 überzeugten nicht. Der EuGH habe in der Rechtssache Bosmann
entschieden, dass die Einordnung nach dem Mitgliedstaat, in dem
Sozialversicherungspflicht bestehe, keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit von
Vorschriften in dem anderen Mitgliedstaat habe. Damit sei allein zu prüfen, ob er - der
Kläger - die Voraussetzungen der §§ 62 ff. EStG erfüllt habe. Der Kindergeldanspruch
könne dabei auf zwei Rechtsgrundlagen gestützt werden. Zum Einen könne ein
Anspruch direkt aus der VO i.V.m. §§ 62 ff. EStG hergeleitet werden. Ein solcher
Anspruch bestehe, wenn ein EU-Bürger in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt
sei, also ein deutscher Arbeitgeber vorhanden sei, oder in den Fällen der Entsendung
von formal im EU-Ausland angestellten Arbeitskräften in die Bundesrepublik
Deutschland eine arbeitsrechtliche Bindung zum formalen Arbeitgeber fehle. Dies sei
allgemein anerkannt und vom EuGH in der Rechtssache Bosmann ausdrücklich
bestätigt worden. Zwar sei die Klägerin im Urteilsfall des EuGH nicht in der
Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen. Im Umkehrschluss daraus ergebe sich
jedoch, dass die Behörden des Beschäftigungsstaates verpflichtet seien, einem in
diesem Staat tätigen (Wander-) Arbeitnehmer die Leistung zu gewähren. Zum Anderen
11
könne sich der geltend gemachte Anspruch allein aufgrund innerstaatlicher Vorschriften
ergeben. Da die Vorschriften der §§ 62 ff. EStG die Gewährung von Kindergeld nicht
von einer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland abhängig machten, müsse
zur Verhinderung einer Diskriminierung bei Vorliegen der übrigen
Tatbestandsmerkmale Kindergeld gewährt werden. Vorliegend sei die entscheidende
Frage, ob die VO die Anwendbarkeit der §§ 62 ff. EStG ausschließe. Der EuGH habe
klargestellt, dass dies nicht der Fall sei. Eine Verweigerung der Prozesskostenhilfe sei
damit nicht mehr vertretbar. Wegen weiterer Einzelheiten zum Befangenheitsantrag wird
auf den Schriftsatz vom 15.01.2009 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
12
unter Aufhebung des Bescheides vom 20.09.2007 und der
Einspruchsentscheidung vom 03.03.2008 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld
für die drei Kinder in Höhe von insgesamt 7.392 EUR festzusetzen,
13
hilfsweise die Revision zuzulassen.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Die Beklagte macht geltend, da die hier anwendbaren Regelungen der VO dem
deutschen EStG vorgingen, komme die Regelung des Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO zur
Anwendung, die in Ausnahme zu Art. 13 der VO bestimme, dass eine Person, die im
Gebiet eines Mitgliedstaates von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehöre,
im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt werde und die von diesem Unternehmen
zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen
Mitgliedstaates entsandt werde, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten
Mitgliedstaates unterliege, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate
nicht überschreite und sie nicht eine andere Person ablöse, für welche die Entsendezeit
abgelaufen sei. Selbst wenn die VO keine Anwendung finden sollte und der Kläger
nachwiese, dass er unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei, führte die
Regelung des § 65 EStG dazu, dass ein Anspruch des Klägers nicht bestünde. Da in
Polen unstreitig Kindergeld gezahlt worden sei und dieses mit dem Kindergeld in
Deutschland vergleichbar sei, bestehe auch unter diesem Gesichtspunkt kein
Anspruch. Darüber hinaus bestehe auch unter dem Aspekt der
Sozialversicherungspflicht kein Kindergeldanspruch. Sofern eine Person aufgrund einer
selbstständigen oder unselbstständigen Tätigkeit durch die Abführung von Beiträgen in
das soziale Sicherungssystem eines anderen Staates integriert sei, unterliege die
Person nur den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates. Sofern eine Person jedoch
den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliege, bestehe selbst bei
unbeschränkter Einkommensteuerpflicht in einem anderen Mitgliedstaat kein Anspruch
auf dortige Familienleistungen. Die Person könne nur Familienleistungen desjenigen
Mitgliedstaates erhalten, dessen Rechtsvorschriften sie unterliege. Da der Kläger in
Polen der Sozialversicherungspflicht unterliege, seien nur die polnischen
Rechtsvorschriften auf den Kläger anwendbar. Dem stehe die Entscheidung des EuGH
in der Rechtssache Bosmann nicht entgegen. Im Gegensatz zum Urteilsfall sei hier
Polen sowohl Wohnsitz- als auch Beschäftigungsstaat des Klägers.
17
Für die Jahre 2005 und 2006 wurde die Einkommensteuer gegen den Kläger vom
18
Finanzamt (FA) D jeweils auf 0 EUR festgesetzt. Das FA hat den Kläger als
unbeschränkt steuerpflichtig im Sinne des § 1 Abs. 3 EStG angesehen. Die Steuerakten
sind beigezogen worden. Hierauf wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19
A. Die Sache ist entscheidungsreif.
20
Über den Befangenheitsantrag kann der Senat in seiner geschäftsverteilungsplanmäßig
vorgesehenen Besetzung entscheiden, ohne dass es einer vorherigen dienstlichen
Äußerung der abgelehnten Richter nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung
(FGO) i.V.m. § 44 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) bedarf, da der Antrag offensichtlich
unzulässig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16.09.1999 VII B 231/99, BFH/NV 2000, 331).
21
Nach
wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist,
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es
nach der Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem
Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlass hat, die
Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (z. B. BFH-
Beschluss vom 27.08.1998 VII B 8/98, BFH/NV 1999, 480). Die das Misstrauen in die
Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände sind nach
Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (z. B. BFH-
Beschluss vom 13.09.1991 IV B 147/90, BFH/NV 1992, 320). Im Streitfall fehlt es an
den erforderlichen Darlegungen im vorgenannten Sinne.
22
Ein Richterablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht auf Verfahrensverstöße oder
fehlerhafte Entscheidungen des Richters gestützt werden. Die Rüge von
Rechtsverstößen kann nur ausnahmsweise die Besorgnis der Befangenheit
rechtfertigen, nämlich dann, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass
das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber
der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne
Weiteres feststellbar und schwerwiegend sein sowie auf unsachliche Erwägungen
schließen lassen (z. B. BFH-Beschluss vom 12.12.1997 XI B 34/96, 1998, 861).
23
Mit dem Vorbringen, der Senat habe im Prozesskostenhilfeverfahren die Entscheidung
des EuGH in der Rechtssache Bosmann (C-352/06, a.a.O.) fehlerhaft angewendet, wird
nicht schlüssig dargetan, dass die behauptete Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen
Einstellung oder auf Willkür beruht. Hiermit bringt der Kläger nur zum Ausdruck, dass
der Senat seiner Ansicht über die Prozesskostenhilfe falsch entschieden hat. Mit dem
weiteren Vorbringen, die Ausführungen des Senats im Prozesskostenhilfeverfahren
seien nicht überzeugend, macht der Kläger ebenfalls keine unsachliche Einstellung
oder Willkür geltend. Denn eine den Kläger nicht überzeugende Begründung lässt für
sich genommen nicht darauf schließen, dass der Senat gegenüber dem Kläger
unsachlich eingestellt ist und eine Willkürentscheidung getroffen hat. Eine
Willkürentscheidung macht der Kläger auch nicht mit seinem Vorbringen geltend, der
Senat wolle sich der ihn bei der Auslegung einer EU-Norm bindenden Rechtsprechung
durch den EuGH entziehen, was wegen der klaren Vorgaben des EuGH unerklärlich sei
und seinen Grund nur darin haben könne, dass die abgelehnten Richter ihre
rechtsfehlerhaften Ausführungen im Prozesskostenhilfeverfahren gegen Recht und
Gesetz verteidigen wollten. Hierzu hätte sich der Kläger mit den Ausführungen des
24
Gesetz verteidigen wollten. Hierzu hätte sich der Kläger mit den Ausführungen des
Senats in dem zweiten Prozesskostenhilfebeschluss vom 14.01.2009 auseinander
setzen müssen. Dort hat der Senat begründet, warum die Entscheidung des EuGH in
der Rechtssache Bosmann auf den Streitfall nicht übertragbar ist. Der Senat hat
ausgeführt, dass das Urteil in seinem Kontext zu betrachten ist und auf den hier zu
entscheidenden Fall nicht übertragbar sei. Im Gegensatz zum Urteilsfall des EuGH in
der Rechtssache Bosmann seien ausweislich des vorgelegten Formulars "E 411" für
die Kinder in Polen Familienleistungen gezahlt worden. Aus dem Vorbringen des
Klägers erschließt sich nicht, was hieran willkürlich sein soll. Der Kläger legt
insbesondere nicht dar, welche Erkenntnisse aus der Entscheidung des EuGH, dass
der Wohnsitzstaat trotz der an den Beschäftigungsort anknüpfenden allgemeinen
Kollisionsregel des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO (EWG) 1408/71 nicht gehindert ist,
nach seinem Recht Familienleistungen an Wanderarbeitnehmer zu erbringen, für den
Streitfall gewonnen werden können. Denn hier wurden in Polen, also im Wohnsitzstaat
des Klägers, Familienleistungen gezahlt.
B. Die Klage ist unbegründet. Der grundsätzlich nach §§ 62 ff. EStG bestehende
Kindergeldanspruch wird durch das Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.
25
I. Das deutsche Kindergeldrecht ist im Streitfall anwendbar. Nach § 62 EStG hat
Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat
26
(§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) bzw. wer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).
27
Zwar hatte der Kläger im Streitjahr 2005 keinen inländischen Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt. Das FA D hat ihn jedoch als unbeschränkt steuerpflichtig im
Sinne des § 1 Abs. 3 EStG angesehen. Der beigezogene Steuervorgang lässt eine
Veranlagung nach dieser Vorschrift erkennen. Dass die Voraussetzungen des § 1 Abs.
3 EStG vorgelegen haben, wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
28
Im Streitjahr 2006 hatte der Kläger im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt. Nach § 9
Satz 1 AO hat jemand einen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen
aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur
vorübergehend verweilt. Bei einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr
als sechs Monaten Dauer - kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt - wird
nach § 9 Satz 2 AO das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthalts unwiderleglich
vermutet. Der Zeitraum von Januar bis November 2006, in dem der Kläger in
Deutschland arbeitete, umfasste einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten.
29
II. Die drei Kinder sind nach § 63 EStG i.V.m. § 32 EStG berücksichtigungsfähig. Sie
haben ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (§ 63 Abs. 1 Satz
3 EStG). Die Tochter A ist ein leibliches Kind des Klägers im Sinne des § 63 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG und hat das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet (§ 32 Abs. 3 EStG). Die Stiefkinder B und C gelten gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2
EStG als Kinder im gesetzlichen Sinne, weil sie in den (polnischen) Haushalt des
Klägers aufgenommen wurden. Auch diese Kinder hatten das 18. Lebensjahr noch
nicht vollendet.
30
III. Aufgrund der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 hatte der Kläger während des
Streitzeitraums jedoch nur nach polnischem Recht und nicht nach deutschem Recht
31
Anspruch auf Kindergeld.
1. Die VO
sachlichen Geltungsbereich der VO. Es ist eine Familienleistung im Sinne des Art. 4
Abs. 1 Buchst. h (vgl. BFH-Urteile vom 13.08.2002 VIII R 54/00, BFH/NV 2002, 1581;
VIII R 61/00, BFH/NV 2002, 1584; VIII R 97/01, BFH/NV 2002, 1588). Bei dem Kläger
handelt es sich um einen Arbeitnehmer im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a
der VO, der den polnischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterliegt, weil
er dort sozialversichert ist. Er ging auch während des Streitzeitraums in einem anderen
Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, einer nichtselbstständigen Tätigkeit nach.
32
Der Kläger unterliegt nach Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO den polnischen Vorschriften
über Familienleistungen. Nach dieser Vorschrift unterliegt eine Person, die im Gebiet
eines Mitgliedstaats von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, im Lohn-
oder Gehaltsverhältnis beschäftigt wird und die von diesem Unternehmen zur
Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen
Mitgliedstaats entsandt wird, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats,
sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und sie
nicht eine andere Person ablöst, für welche die Entsendungszeit abgelaufen ist. Diese
Voraussetzungen liegen im Streitzeitraum vor. Der Kläger war von einer polnischen
Firma zur Ausführung einer Arbeit für deren Rechnung nach Deutschland entsandt
worden. Er war jeweils weniger als zwölf Monate in Deutschland beschäftigt. Es ist
auch nicht ersichtlich, dass er eine andere Person abgelöst hat, deren Entsendungszeit
abgelaufen war.
33
Zwar mag die Entsendung - wie der Kläger vorträgt - faktisch zu einer Eingliederung
des Klägers in den deutschen Betrieb geführt haben, wo er hinsichtlich der konkreten
Arbeitsausführung weisungsbefugt war. Der Kläger verkennt jedoch, dass das
entscheidende Gewicht auf den arbeitsvertraglichen Grundlagen zwischen ihm und
dem polnischen Unternehmen lag. Der Kläger ist von dem polnischen Unternehmen
eingestellt worden. Dass der Arbeitsvertrag anlässlich der Entsendung des Klägers in
einen deutschen Betrieb aufgehoben wurde, ist nicht erkennbar und wurde auch nicht
vorgetragen. Damit konnte aber nur das polnische Unternehmen unmittelbar
Weisungsrechte ausüben. Andererseits hatte es die Ansprüche des Klägers aus dem
Arbeitsverhältnis zu erfüllen. Folgerichtig erhielt der Kläger sein Geld weiter von dem
polnischen Unternehmen. Ob und - wenn ja - in welchem Umfang der deutsche Betrieb
intern belastet wurde, ist unerheblich. Selbst wenn der deutsche Betrieb die
Unterbringungskosten des Klägers getragen hat, kann daraus - entgegen dem
Vorbringen des Klägers - nicht geschlossen werden, dass dieser Betrieb Arbeitgeber
war mit der Folge, dass keine Entsendung vorlag. Hiergegen spricht im Übrigen auch
die im Tatbestand erwähnte Bescheinigung des polnischen Unternehmens, in der
ausdrücklich erklärt wurde, dass der Kläger in einen Betrieb in Deutschland entsandt
wurde, und in Folge dessen auch keine Sozialversicherungsbeiträge einbehalten
wurden. Dafür, dass ein sog. Entsendungsfall vorliegt, spricht schließlich, dass die
Lohnsteuer, die vom Arbeitslohn des Klägers einbehalten wurde, an das FA D
abgeführt wurde. Das FA D war im Streitzeitraum für die Umsatzsteuer der in Polen
ansässigen Unternehmer und für die Verwaltung der Lohnsteuer der Arbeitnehmer
dieser Firmen zuständig (§ 1 Nr. 20 Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung, § 20a Abs.
1 und 3 AO, § 1 Arbeitnehmer-Zuständigkeitsverordnung-Bau jeweils in der für die
Streitjahre geltenden Fassung).
34
2. Das Urteil des EuGH vom 20.05.2008 in der Rechtssache Bosmann (C-352/06,
a.a.O.) verhilft dem Kläger nicht zu einem Anspruch auf Kindergeld. Der EuGH hat in
der vorgenannten Entscheidung zu Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO klar gestellt, dass
der Wohnsitzstaat trotz der an den Beschäftigungsort anknüpfenden allgemeinen
Kollisionsregel des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO nicht gehindert ist, nach seinem
Recht Familienleistungen an Wanderarbeitnehmer zu erbringen. Ob nach
innerstaatlichem Recht für diesen Fall ein Anspruch besteht, ist nach Ansicht des EuGH
Sache der nationalen Gerichte.
35
Das Urteil des EuGH ist auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragbar. Die
Sachverhalte unterscheiden sich dadurch, dass die Anwendung des
Gemeinschaftsrechts dort zum Verlust des Kindergeldanspruchs führte, weil nach der
VO das Beschäftigungsprinzip galt und die Klägerin, eine in Deutschland lebende
belgische Staatsangehörige, nach den Rechtsvorschriften der Niederlande
(Beschäftigungsstaat) aufgrund des Alters der Kinder keinen Anspruch auf Kindergeld
hatte, wohl aber nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland. Ein
solcher Fall liegt hier hingegen nicht vor. Aufgrund der Regelungen der VO richtet sich
der Kindergeldanspruch des Klägers nach polnischem Recht. Dort hat er auch
Kindergeld erhalten. Nach dem vorgelegten Formular "E 411" wurden für die Kinder in
Polen Familienleistungen gezahlt. Im Gegensatz zum Urteilsfall des EuGH führt das
Gemeinschaftsrecht hier nicht zum Verlust des Kindergeldanspruchs. Dem Urteil des
EuGH kann - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht im Wege eines generellen
Umkehrschlusses entnommen werden, bei einer Beschäftigung im Inland sei in jedem
Fall zwingend Kindergeld zu gewähren. Der EuGH hat im Gegenteil sogar deutlich
gemacht, dass bei Familienleistungen eine Anknüpfung an den Beschäftigungsstaat
nicht zwingend ist. Dies erscheint nachvollziehbar, weil bei Familienleistungen die
Bedarfssicherung im Vordergrund steht, bei der die Verhältnisse des Wohnsitzes
entscheidend sind.
36
III. Selbst wenn deutsches Kindergeldrecht anwendbar wäre, bestünde kein
Kindergeldanspruch des Klägers, weil dieser jedenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG ausgeschlossen wäre. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld nicht für ein Kind
gezahlt, für das im Ausland Leistungen gewährt werden oder bei entsprechender
Antragstellung zu zahlen wären, die dem Kindergeld oder einer in § 65 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EStG aufgeführten Leistung vergleichbar sind. Ausweislich der Angaben in dem
Formular "E 411" wurden für die Kinder im Streitzeitraum in Polen Familienleistungen
gezahlt. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
vorliegend zur Anwendung. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Bosmann ist so
zu verstehen, dass das Gemeinschaftsrecht nicht zu einem Verlust von
Familienleistungen führen darf. In das nationale Recht soll dagegen nicht eingegriffen
werden. Bei der Prüfung des Kindergeldanspruchs ist daher im konkreten Fall auf die
hierfür maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts abzustellen.
37
Unerheblich ist, dass der Kläger im Klageverfahren erstmals einwendet, das Kindergeld
sei in Polen zu Unrecht gewährt worden, weil die maßgebliche Einkommensgrenze
überschritten worden sei. Zwar stellt § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auf das Recht zum
Leistungsbezug ab, der Leistungsbezug als solcher reicht nicht (vgl. FG Hamburg
Beschluss vom 15.01.2008 3 K 118/07, EFG 2008, 958; FG Düsseldorf Urteil vom
22.12.2008 10 K 404/08 Kg, juris). Solange jedoch nicht nachgewiesen ist, dass die
Familienleistungen zurückgefordert wurden, geht der Senat davon aus, dass die
Zahlungen zu Recht erfolgten. Zwar ist unklar, welche verfahrensrechtliche Bedeutung
38
der Zahlung von Familienleistungen in Polen zukommt, insbesondere ob diese in einen
förmlichen Bescheid festgesetzt werden. Fest steht aber, dass ein
Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, welches eine Familienleistung zum
Gegenstand hatte. Fest steht weiter, dass in diesem Verfahren eine Entscheidung über
die Zahlung von Familienleistungen getroffen und die entsprechenden Zahlungen
geleistet wurden. Der bloße Hinweis, dass die Zahlungen zu Unrecht erfolgt seien, ist
mangels Überprüfbarkeit nicht geeignet, die rechtserhebliche Regelungsfunktion in
Frage zu stellen. Hinzu kommt, dass die Familienleistungen bis heute nicht
zurückgefordert wurden. Differenzkindergeld ist in den Fällen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 EStG nicht vorgesehen (vgl. § 65 Abs. 2 EStG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wurde nicht
zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2
Nr. 1 FGO) und eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder der
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 Nr. 2
FGO). Die hier maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Fragen lassen sich eindeutig
aus der VO (EWG) 1408/71 und den §§ 62 ff. EStG beantworten. Die Entscheidung des
EuGH in der Rechtssache Bosmann ist auf den Streitfall ganz eindeutig nicht
übertragbar.
39