Urteil des FG Köln vom 27.08.2010

FG Köln (neue tatsache, einkünfte, kläger, bindungswirkung, anpassung, inhalt, erlass, vermietung, verpachtung, 1995)

Finanzgericht Köln, 5 K 2676/08
Datum:
27.08.2010
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 2676/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines vom Beklagten erlassenen
Änderungsbescheides.
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Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die
Einkommensteuererklärung 2001 reichten sie am 06.06.2002 und die
Einkommensteuererklärung 2002 am 18.11.2003 beim Beklagten ein. Der
Einkommensteuerbescheid 2001 wurde erklärungsgemäß mit Bescheid vom
30.07.2002 erlassen. Basierend auf einer gesonderten und einheitlichen Feststellung
wurde dieser Bescheid am 22.11.2002 geändert. Weitere Änderungen erfolgten
aufgrund eines Änderungsantrages am 21.02.2003. Der Einkommensteuerbescheid
2002 erging 26.02.2004.
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Der Kläger war u.a. an der A KG beteiligt, die beim Finanzamt B unter der St-Nr. ...
geführt wurde. Im Rahmen einer dort durchgeführten Betriebsprüfung (BP) erstellte das
Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung C im Januar 2006 eine
"Kontrollmitteilung zur Qualifizierung der Geschäftsführervergütungen", welche dem
Beklagten am 10.02.2006 zuging. Der Prüfer teilte dem Beklagte zum
Feststellungsverfahren mit, der Kläger habe Komplementär- bzw.
Geschäftsführervergütungen erzielt, welche bisher als Anschaffungskosten des Fonds
behandelt und als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt worden seien.
Diese Leistungsvergütungen hätten im Jahr 2001 75.000,00 € und im Jahre 2002
50.000,00 € betragen und seien nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
13.10.1998 VIII R 4/98, BStBl II 1999, 284, als Sondereinnahmen bei der
Einkommensteuerveranlagung zu behandeln. Die endgültige Qualifizierung der an den
Steuerpflichtigen gezahlten Vergütungen als Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung bzw. Einkünfte aus einer anderen Einkunftsart sei bei der persönlichen
Steuerfestsetzung des Steuerpflichtigen durch das Finanzamt vorzunehmen. Weiterhin
teilte der Prüfer mit, die Vergütungen blieben im Feststellungsverfahren unberücksichtigt
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und seien daher in dem von ihm ermittelten Feststellungsergebnis nicht mehr enthalten.
Auf der Kontrollmitteilung ist handschriftlich ein Vermerk darüber angebracht, dass unter
der Telefonnummer ... dem Innendienst des Finanzamtes B auf Anrufbeantworter
gesprochen worden sei. Von dieser Kontrollmitteilung erhielten die Kläger zunächst
keine Kenntnis. Am 24.11.2006 ging dem Beklagten eine ESt4B-Feststellungsmitteilung
des Finanzamts B vom 23.11.2006 über die geänderten Beteiligungseinkünfte des
Klägers an der A KG für die Streitjahre 2001 und 2002 zu. Danach waren die
Beteiligungseinkünfte des Klägers um 75.000,00 € in 2001 und 50.000,00 € in 2002 zu
kürzen sowie erstmalig ein Verlust nach § 10d Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe
von 27.329,00 € zu berücksichtigen. Der Beklagte wertete die Feststellungsmitteilung
unverzüglich aus und erließ am 08.12.2006 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheide. Die
Änderungsbescheide vom 08.12.2006 enthielten auf Seite 3 jeweils folgende
Erläuterung: "Die Änderung berücksichtigt die Mitteilung des Finanzamts B vom
23.11.2006 zu ihrer Beteiligung an A KG." Eine Auswertung der am 10.02.2006
zugegangenen Kontrollmitteilung unterblieb zunächst.
Mit Schreiben vom 24.04.2007 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er nunmehr
beabsichtige, die sich aus der Kontrollmitteilung vom 10.02.2006 ergebenden
Zahlungen von 75.000,00 € und 50.000,00 € in weiteren Änderungsbescheiden bei den
Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen und dass
die Änderung nach § 129 Abgabenordnung (AO) erfolgen solle. Nach Abschluss der
Erörterung ergingen am 30.08.2007 die hier streitbefangenen Änderungsbescheide zur
Einkommensteuer 2001 und 2002, gestützt auf § 129 AO, mit denen die Einkünfte des
Klägers aus Vermietung und Verpachtung erhöht wurden. Zur Erläuterung verwies der
Beklagte auf sein Anhörungsschreiben vom 24.04.2007.
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Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung des Beklagten
vom 04.07.2008 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die
Voraussetzungen des § 129 AO lägen vor. Dass die Kontrollmitteilung im Rahmen der
Auswertung der aufgrund der Betriebsprüfung geänderten Feststellungsmitteilung nicht
berücksichtigt worden sei, beruhe auf einer Flüchtigkeit des Bearbeiters bei der
routinemäßigen Auswertung, die wie ein Verrechnen oder Verschreiben zu bewerten
sei. Dass die Einkunftsart in der streitigen Kontrollmitteilung vom Januar 2006 noch
nicht bestimmt sei, begründe keine rechtliche Unbestimmtheit der Kontrollmitteilung, da
unabhängig von der Zuordnung der Einkünfte die materiell-rechtlich richtige
Einkommensteuer festgesetzt werde. Zudem seien die Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen und die damit in Zusammenhang stehende Zuordnung von
Einnahmen zu den jeweiligen Einkunftsarten unselbständiger Bestandteil des
Steuerbescheides und daher gemäß § 157 Abs. 2 AO nicht gesondert anfechtbar.
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Zudem sei für den Fall, dass die Voraussetzungen des § 129 AO nicht vorlägen, ein
Austausch des Rechtsgrundes für die Änderung zulässig, wie sich aus dem Urteil des
Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.02.1989 IX R 67/84, BFH/NV 1989, 687, ergebe. Der
Eingang der Kontrollmitteilung am 10.02.2006 stelle auch eine neue Tatsache im Sinne
des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gegenüber den Erstveranlagungen der Jahre 2001 und 2002
dar.
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Darüber hinaus könnten die Änderungen auch auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt
werden. Änderungen nach dieser Norm kämen in Betracht, wenn ein Sachverhalt
zunächst Gegenstand eines Feststellungsverfahrens gewesen sei, dann aber
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abschließend festgestellt werde, dass er nicht im Grundlagenbescheid, sondern bei der
Einkommensteuerveranlagung unmittelbar zu berücksichtigen oder zu prüfen sei, wie
sich aus dem BFH-Urteil vom 11.04.1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143, ergebe. Aus
den Feststellungen der BP und den dazu erlassenen Kontrollmitteilungen gehe jedoch
hervor, dass im Rahmen der bisherigen Feststellungen zu der Beteiligung der A KG
Sondereinnahmen des Klägers berücksichtigt worden seien, welche zwingend bei der
Einkommensteuerveranlagung Berücksichtigung finden müssten.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage tragen die Kläger wie folgt vor:
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Die Voraussetzungen einer Änderung nach § 129 AO lägen nicht vor. Die
Nichtberücksichtigung der Kontrollmitteilung vom Januar 2006 beruhe weder auf einem
Schreib- oder Rechenfehler noch einer ähnlichen Unrichtigkeit im Sinne dieser Norm.
Vielmehr bestehe die Möglichkeit eines Sach- oder Rechtsirrtums, so dass § 129 AO
nicht anwendbar sei. Die streitige Kontrollmitteilung enthalte Hinweise zu mehreren
Steuerarten und zu ermittlungsbedürftigen Umständen im persönlichen Bereich des
Steuerpflichtigen. Die Ermittlungsbedürftigkeit zeige sich schon darin, dass der Beklagte
vor Auswertung der Kontrollmitteilung ein Erörterungsschreiben versandt habe. Zudem
habe der Beklagte selbst erklärt, dass es einer Prüfung der Kontrollmitteilung bedurft
habe, welche aufgrund der Arbeitsbelastung erst im April 2007 vorgenommen worden
sei. Was jedoch noch aufgeklärt werden müsse, sei nicht offenbar (BFH-Urteil vom
29.01.2003 I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139). Das vom Beklagten angeführte Urteil des
sächsischen Finanzgerichts stütze die klägerische Auffassung, denn in diesem Fall sei
eine Änderung nach § 129 AO abgelehnt worden, da eine nichtberücksichtigte
Kontrollmitteilung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht eindeutig gewesen sei.
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Auch die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien nicht gegeben. Denn die
Kontrollmitteilung vom Januar 2006 sei dem Beklagten bei Erlass der streitigen
Änderungsbescheide vom 30.08.2007 bekannt gewesen und damit keine neue
Tatsache.
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Ebenso wenig sei eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO möglich. Zwar müsse
nach dem BFH-Urteil vom 11.04.1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143, das
Wohnsitzfinanzamt bei Aufhebung oder Änderung von Grundlagenbescheiden unter
negativer Feststellung durch geringere oder gänzlich wegfallende Einkünfte den
bekannten Lebenssachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nunmehr in
eigener Zuständigkeit neu würdigen. Anders als bei einer positiven Feststellung, die
abschließend und für das Wohnsitzfinanzamt verbindlich sei, ergebe sich aus der
negativen Feststellung darüber, dass, wie vorliegend, bestimmte
Besteuerungsmerkmale nicht gesondert festzustellen seien, die uneingeschränkte
Befugnis des Wohnsitzfinanzamts zur Überprüfung des betreffenden
Lebenssachverhaltes. Demzufolge sei bei der Frage, welche Änderungsvorschrift
zugunsten der Finanzbehörde greife, auf den Zeitpunkt der Umsetzung der geänderten
Grundlagenbescheide bzw. der Feststellungsmitteilung abzustellen. Denn mit Vorlage
der Feststellungsmitteilung, die dem Beklagten die aufgrund der Kontrollmitteilung vom
Januar 2006 bereits bekannten Vergütungen als nicht mehr der Bindungswirkung des
Feststellungsbescheides unterliegend qualifiziert habe, habe der Beklagte wieder in
vollem Umfang die Würdigungs- und Beurteilungskompetenz erhalten. Eine
Folgeänderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bei einem geänderten Grundlagenbescheid
mit negativer Feststellungswirkung in mehreren Schritten sei ebenso unzulässig wie bei
einem positiven Grundlagenbescheid und verletze den Grundsatz des Vorrangs der
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Rechtssicherheit vor der materiellen Gerechtigkeit. Diesem Grundsatz widerspreche es,
wenn der Beklagte, obwohl ihm alle für die zutreffende Steuerfestsetzung relevanten
Tatsachen bekannt seien, diese nicht bei Erlass eines Änderungsbescheides
berücksichtige, sondern sich, aus welchen Gründen auch immer, eine Entscheidung für
einen späteren Zeitpunkt vorbehalte, ohne dies z.B. über § 165 Abs. 1 AO gegenüber
dem Bescheidadressaten deutlich zu machen. Entscheidend sei, dass die Änderung
gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zur Berücksichtigung geänderter Feststellungsergebnisse
mit negativem Inhalt bereits am 08.12.2006 erfolgt sei. Eine erneute Änderung sei nicht
zulässig.
Der Beklagte verkenne auch, dass es vorliegend nicht um die Auswertung eines
Grundlagenbescheides, sondern einer Kontrollmitteilung gehe. Der Verfasser der
Kontrollmitteilungen habe den auszuwertenden Vorgang eben nicht mit dem
Feststellungsvorgang verbunden und die auszuwertenden Tatsachen vom
Feststellungsverfahren abgekoppelt und diesem entzogen. Vorliegend sei nicht die
Auswertung negativer Feststellungselemente unterlassen, sondern die Auswertung
eines mehrere Steuerarten umfassenden Tatsachenkomplexes vergessen worden,
welcher von den beteiligten Finanzämtern mit einer Kontrollmitteilung zum Zwecke der
selbständigen Würdigung durch den Beklagten abgekoppelt worden sei.
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Die Kläger beantragen,
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die geänderten Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 vom 30.08.2007,
jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.07.2008, aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf den Inhalt seiner Einspruchsentscheidung. Bezüglich der Anwendung
des § 129 AO verweist der Beklagte ergänzend auf den Beschluss des sächsischen
Finanzgerichts vom 14.04.2005 5 V 161/05, juris.
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Aufgrund der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides sei das für den Erlass
eines Folgebescheides zuständige Finanzamt verpflichtet, die Folgerung aus dem
Grundlagenbescheid zu ziehen. Die Anpassung des Folgebescheides stehe somit nicht
im Ermessen der Finanzbehörde. § 175 AO bezwecke vielmehr die Ermittlung der
zutreffenden Steuer, wobei der materiellen Richtigkeit des Folgebescheides der Vorrang
vor der Bestandskraft eines bereits ergangenen Folgebescheides eingeräumt werde.
Die Verpflichtung zur zutreffenden Anpassung bleibe auch bestehen, wenn das
Finanzamt bei Erlass des Folgebescheides die rechtliche Bedeutung des
Grundlagenbescheides zunächst verkannt habe und deshalb den Inhalt des
Grundlagenbescheides nicht oder in der nicht richtigen Weise in den Folgebescheid
übernommen habe. Da für eine selbständige steuerrechtliche Würdigung der im
Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung festgestellten Besteuerungsgrundlagen kein
Raum sei, habe das für den Erlass des Folgebescheides zuständige Finanzamt die bei
einer vorausgegangenen Auswertung des Grundlagenbescheides gemachten
Anpassungsfehler durch entsprechende Änderungen zu berichtigen. Der Sinn und
Zweck des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO spreche dafür, dass eine Änderung des inzwischen
bestandskräftigen Folgebescheides selbst dann geboten sei, wenn sie der
Richtigstellung von Fehlern diene, die bei der vorausgegangen Auswertung des
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Grundlagenbescheides im Folgebescheid unterlaufen seien. Eine zeitliche
Beschränkung für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ergebe sich lediglich aus
den Vorschriften über die Festsetzungs- und Feststellungsverjährung. Eine Verbindung
der Kontrollmitteilung mit dem Feststellungsvorgang sei ebenso wenig erforderlich wie
ein zeitliches Zusammentreffen von Kontrollmitteilung und Feststellungsbescheiden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Die streitigen Änderungsbescheide zur Einkommensteuer
2001 und 2002 vom 30.08.2007 sind zu Recht ergangen.
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Entgegen der Ansicht der Kläger liegen die Voraussetzungen des § 175 Abs.1 Satz 1
Nr. 1 AO vor.
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Unerheblich ist, dass der Beklagte den angefochtenen Bescheid zunächst auf die
Berichtigungsvorschrift des § 129 AO gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides ist nicht die zu seiner Begründung herangezogene
Vorschrift maßgebend. Es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid zum
Zeitpunkt seines Ergehens durch eine entsprechende Ermächtigungsnorm gedeckt war
(vgl. BFH-Urteile vom 24.03.1981 VIII R 85/80, BStBl II 1981, 778 und vom 14.09.1993
VIII R 9/93, BStBl II 1995, 2).
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Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben
oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für den
Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Auch die
Auswertung der Kontrollmitteilung vom Januar 2006 ist danach als Anpassung an den
geänderten Grundlagenbescheid vom 23.11.2006 zu beurteilen.
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Zwar reicht die Anpassung des Folgebescheides gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verlangt (BFH-
Urteil vom 31.10.1991 X R 126/90, BFH/NV 1992, 363; BFH-Beschluss vom 11.04.1995
III B 74/92, BFH/NV 1995, 943), so dass eine Gesamtaufrollung des Folgebescheides
nicht zulässig ist (BFH-Urteil vom 11.04.1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143). Die
Bindungswirkung des Grundlagenbescheides fordert jedoch, dass der Folgebescheid
vollständig und zutreffend an den Regelungsgehalt des Grundlagenbescheides
angepasst wird (BFH-Urteile vom 04.09.1996 XI R 50/96, BStBl II 1997, 261; vom
14.04.1988 IV R 219/85, BStBl II 1988, 711; vom 17.02.1993 II R 15/91, BFH/NV 1994,
1). Die Anpassung des Folgebescheides besteht nicht nur in der Änderung von Zahlen,
die dem geänderten Grundlagenbescheid zu entnehmen sind, sondern kann eine neue
selbständige Würdigung eines für das Folgeverfahren (die
Einkommensteuerveranlagung) relevanten Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht einschließen (BFH-Urteil in BFH/NV 1991, 143). Deshalb kann und muss (vgl.
hierzu BFH-Urteil vom 14.04.1988 IV R 219/85, BStBl II 1988, 711) der Beklagte alle
Folgerungen aus der geänderten Feststellung ziehen, selbst wenn sich diese auf
andere Besteuerungsgrundlagen oder Einkunftsarten auswirken. Eine derartige
Nachholung von Veranlagungsarbeiten bis hin zur Nachschiebung einer anderen
Besteuerungsgrundlage kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Sachverhalt
zunächst Gegenstand eines Feststellungsverfahrens war, dann aber in diesem
Verfahren festgestellt wurde, dass er nicht im Grundlagenbescheid (bei der
Gewinnfeststellung), sondern im Folgebescheidsverfahren (bei der
Einkommensteuerveranlagung) unmittelbar zu berücksichtigen oder zu überprüfen ist
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(BFH-Urteil vom 14.07.1993 X R 34/90, BStBl II 1994, 77). Dazu gehört auch die
zutreffende Zuordnung von Einkünften zu einer Einkunftsart (BFH-Beschluss vom
08.09.1998 IX B 71/98, BFH/NV 1999, 157). In derartigen Fällen ist das für den
Folgebescheid zuständige Finanzamt durch die Bindung an den ursprünglichen
Feststellungsbescheid an einer abschließenden eigenen Ermittlung und Wertung
gehindert (BFH-Urteil vom 11.04.1990 I R 82/86, BFH/NV 1991,143 m.w.N.). Die
Bindungswirkung steht somit jedem Ansatz der gesondert festzustellenden
Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des
Grundlagenbescheides widersprechen würde (BFH-Urteile vom 17.02.1993 II R 15/91,
BFH/NV 1994, 1; vom 10.06.1999 IV R 25/98, BStBl II 1999, 545, und vom 15.02.2001
IV R 9/00, BFH/NV 2001, 1007). Der Folgebescheid ist so oft und so lange anzupassen,
bis er den Inhalt des Grundlagenbescheids richtig wiedergibt. Entscheidend ist, dass
möglichst jeder materiell-rechtlich relevante Sachverhalt gemäß dem Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einer Einzelfallregelung im Sinne des § 118 Satz 1 AO
zugeführt wird. Anderenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sachverhalt
nur deshalb ungeregelt bleibt, weil er fälschlicherweise zunächst dem
Regelungsbereich eines Feststellungsbescheids zugeordnet wurde und die nach
Entdeckung dieses Fehlers erforderliche Erfassung im (inzwischen bestandskräftigen)
Einkommensteuerbescheid am Eintritt der Verjährung, an einengenden
Tatbestandsvoraussetzungen scheitert, ohne dass dies im zuvor bestehenden
Abhängigkeitsverhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid seine
Rechtfertigung fände
(
Nach diesen Grundsätzen konnte der Beklagte die streitigen
Einkommensteueränderungsbescheide erlassen und dabei die Kontrollmitteilung vom
Januar 2006 noch auswerten. Die Änderungsbefugnis des Beklagten war insoweit nicht
beschränkt. Die streitigen Einkünfte des Klägers waren in dem geänderten
Grundlagenbescheid vom 23.11.2006 nicht mehr enthalten, woraus sich für den
Beklagten jedoch unmittelbar das Recht und die Pflicht ergab, diese Einkünfte nunmehr
bei der Einkommensteuer des Klägers zu berücksichtigen. Die Anpassung an den
Grundlagenbescheid im Sinne des § 175 Abs.1 Satz1 Nr. 1 AO war erst dann
abgeschlossen, als die im Grundlagenbescheid nicht mehr berücksichtigten Einkünfte
beim Kläger steuerliche Berücksichtigung fanden.
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Der Änderung steht auch nicht die Festsetzungsverjährung entgegen. Da der geänderte
Grundlagenbescheid am 23.11.2006 erlassen wurde, endete die Festsetzungsfrist für
die Einkommensteuer 2001 und 2002 gemäß § 171 Abs. 10 AO nicht vor dem
23.11.2008. Der hier streitige Änderungsbescheid erging jedoch am 30.08.2007 und
damit innerhalb der Festsetzungsfrist.
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Da bereits die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorliegen, kann
dahinstehen, ob der Beklagte den Änderungsbescheid gegebenenfalls auch auf § 129
AO bzw. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hätten stützen können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
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