Urteil des FG Köln vom 12.03.2009

FG Köln: einkünfte, erwerbstätigkeit, akte, eltern, anschluss, ausbildungskosten, vollzeitbeschäftigung, verwaltung, verfügung, sicherheitsleistung

Finanzgericht Köln, 10 K 3830/08
Datum:
12.03.2009
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 3830/08
Tenor:
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 14. Oktober 2008
und die Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2008 werden
aufgehoben, soweit darin die Kindergeldfestsetzung für die Monate
Januar bis Juni und Oktober bis Dezember 2007 aufgehoben und
insoweit das ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert wird.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der
Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte Kindergeld wegen Überschreitung des
Jahresgrenzbetrags zurückfordern durfte.
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B hatte nach bestandenem Abitur eine Ausbildung zur Bankkauffrau aufgenommen und
diese am 14. Juni 2007 erfolgreich abgeschlossen. Ab Oktober 2007 nahm B ein
Studium der Betriebswirtschaft in der Stadt X auf. In der Zwischenzeit vom 18. Juni 2007
bis zum 30. September 2007 war B in einem befristeten Arbeitsverhältnis als
studentische Aushilfe mit ca. 40 Wochenstunden beschäftigt; ihre Einkünfte aus der
Vollzeitbeschäftigung betrugen nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge insgesamt
6.006 € (Kindergeld-Akte, Bl. 102, 119, 137).
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Die Ausbildungsvergütung von B für die Monate Januar bis Juni 2007 belief sich nach
Abzug der Sozialversicherungsbeiträge auf 3.938 € (Kindergeld-Akte, Bl. 100, 103R,
137, 138). Hinzu kommen von der Beklagten bisher nicht berücksichtigte anteilige
Kapitaleinkünfte, die B neben ihrer Ausbildungsvergütung bezogen hat und die sich im
Jahr 2007 auf insgesamt 448 € beliefen (Kindergeld-Akte, Bl. 99, 124, 160R) und
außerdem die Einkünfte aus ihrer im Anschluss an die Ausbildung ausgeübten
Vollzeitbeschäftigung, die auf die Zeit vom 18. bis zum 30. Juni 2007 entfallen (6.006 € x
2/15, also ca. 800 €). Während der Monate des Studiums bezog B in der Zeit vom 29.
Oktober bis zum 31. Dezember 2007 nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen als
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Oktober bis zum 31. Dezember 2007 nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen als
Aushilfe außerdem Einkünfte i.H.v. 1.095 € (Kindergeld-Akte, Bl. 140). Die besonderen
Ausbildungskosten wurden wie folgt beziffert (Kindergeld-Akte, Bl. 137R):
Studiengebühren 656 €
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Literatur 122 €
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Arbeitsmittel 67 €
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Fahrtkosten 280 €
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1.125 €
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Die Einnahmen für die Ausbildungsmonate Januar bis Juni und Oktober bis Dezember
belaufen sich danach auf 5.833 € (3.938 € + 800 € + 1.095 €). Der anteilige
Jahresgrenzbetrag für diese Monate von 5.760 € (7.680 € x 9/12) unstreitig nicht
überschritten, weil zumindest noch die besonderen Ausbildungskosten i.H.v. 1.125 € zu
berücksichtigen sind, so dass zwischen den Beteiligten kein Streit darüber besteht, ob
über die besonderen Ausbildungskosten hinaus noch der Arbeitnehmerpauschbetrag
anteilig für die Monate Januar bis Juni und Oktober bis Dezember (9/12 von 920 €) zu
berücksichtigen ist.
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Der Kläger hatte für die Monate Januar bis Juni 2007 das Kindergeld bezogen und
außerdem auf seinen erneuten Kindergeldantrag im September 2007 (Kindergeld-Akte,
Bl. 152) am 26. Oktober 2007 eine weitere Kindergeldzahlung für B i.H.v. 462 € für die
Monate August, September und Oktober 2007 erhalten. Ab November 2007 wurde das
Kindergeld für B dann wieder laufend gezahlt (Kindergeld-Akte, Bl. 185, 186).
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Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage betreffend die Monate
August und September 2007 zurückgenommen hat, streiten die Beteiligten jetzt noch
darüber, ob die von B während ihrer Vollzeittätigkeit in den Monaten Juli bis September
2007 erzielten Einkünfte mit einzubeziehen sind und die Beklagte deshalb das
Kindergeld auch für die Monate Januar bis Juni 2007 und Oktober bis Dezember 2007
zurückfordern durfte (Bescheid vom 14. Oktober 2008; Kindergeld-Akte, Bl. 165).
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Der Kläger macht geltend, das für die Monate Januar bis Juni und Oktober bis
Dezember 2007 gezahlte Kindergeld stehe dem Kläger zu, weil die Einkünfte von B in
den Monaten ihrer Vollzeitbeschäftigung nicht zu berücksichtigen seien. An der Ansicht,
das Kindergeld für die Monate August und September 2007 nicht erhalten zu haben, hält
der Kläger nicht fest.
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Er beantragt, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 14. Oktober 2008 und
die Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2008 aufzuheben, soweit er die Monate
Januar bis Juni 2007 und die Monate Oktober bis Dezember 2007 betrifft.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Zulassung der Revision.
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Die Beklagte bezieht sich auf das BFH-Urteil vom 16. November 2006 III R 15/06 (BFHE
216, 74, BStBl II 2008, 56) und meint, dass auch die Einkünfte Vollzeiterwerbstätigkeit
einzubeziehen seien, wenn für einen Tag des jeweiligen Monats ein
Berücksichtigungstatbestand erfüllt sei. In den Monaten Juli bis einschließlich
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September 2007 habe sich B in einer Übergangszeit zwischen 2
Ausbildungsabschnitten i.S. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG befunden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Bei den Monaten Juli bis September 2007 handelt es sich um
Kürzungsmonate mit der Folge, dass die in diesen Monaten erzielten Einkünfte und
Bezüge nicht zu berücksichtigen sind.
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1. Für ein volljähriges Kind, das einen Berücksichtigungstatbestand i.S. § 32 Abs. 4 Satz
1 EStG erfüllt, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG ein Anspruch auf Kindergeld im Streitjahr 2007 nur dann, wenn es Einkünfte und
Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder
geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr 2007 hat.
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2. Im Streitfall ist der anteilige Jahresgrenzbetrag für die Monate Januar bis Juni 2007
und Oktober bis Dezember 2007 von 5.760 € (7.680 € x 9/12) nicht überschritten, so
dass dem Kläger das Kindergeld für diese Monate zusteht. Die Einkünfte und Bezüge
der Monate der Vollzeittätigkeit Juli bis September 2007 sind entgegen der Ansicht der
Beklagten nicht einzubeziehen, weil es sich bei diesen Monaten um Kürzungsmonate
handelt.
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a) Die Verwaltung fragt unter Hinweis auf die Verfügung des BZSt vom 4. Juli 2008 St II
2 - S 2282 - 138/2008 (DStR 2008, 1736) in derartigen Fällen zunächst danach, für
welche Monate trotz der Erwerbstätigkeit überhaupt ein Berücksichtigungstatbestand
des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG vorliegt. Alle Monate, in denen die Tatbestände
dieser Vorschrift nicht mindestens an einem Tag des Monats vorgelegen haben, sind
Kürzungsmonate; alle anderen Monate sind Anspruchsmonate, mit der Folge, dass das
Kindergeld für alle Anspruchsmonate auch dann zu versagen ist, wenn die
Überschreitung des (anteiligen) Jahresgrenzbetrags aus einer nur in einzelnen
Berücksichtigungsmonaten parallel ausgeübten Vollzeiterwerbstätigkeit herrührt.
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b) Diese Auffassung entspricht nicht der jüngeren BFH-Rechtsprechung im Anschluss
an das BFH-Urteil vom 16. November 2006 III R 15/06 (BFHE 216, 74 BStBl II 2008, 56).
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aa) Mit Urteil vom 15. September 2005 III R 67/04 (BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305)
hatte der BFH im Anschluss an die früherer für das Kindergeld zuständigen Senate noch
entschieden, dass ein Kind in den Monaten, in denen es einer Vollzeiterwerbstätigkeit
nachgeht, nicht berücksichtigt wird; es handle sich um Kürzungsmonate, mit der Folge,
dass die aus der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte nicht einzubeziehen waren.
Hintergrund war die Willensentscheidung der Rechtsprechung, aktive Kinder zu fördern,
die bei zeitlichen Kapazitäten nicht nur zuhause sitzen. Die große Zahl der in
Ausbildung befindlichen jungen Erwachsenen, die entweder in der Übergangszeit
zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder - bei hinreichend Zeit - gar während eines
Ausbildungsabschnitts einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgingen, sollten vor
der Fallbeilwirkung des Jahresgrenzbetrags geschützt werden. Denn gerade in
Zeiträumen einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit werden erfahrungsgemäß oft höhere
Einkünfte erzielt, die nach dem reinen Gesetzeswortlaut eigentlich einbezogen werden
müssten, weil die Kinder auch in diesen Monaten einem Berücksichtigungstatbestand
unterfallen (zumeist Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gemäß §
32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).
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Um Kinder nicht trotz freier zeitlicher Kapazitäten aus Furcht vor dem Verlust des
Kindergeldanspruchs ihrer Eltern zur Passivität zu veranlassen, traf der BFH die
Wertentscheidung, das Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestands für die Monate
abzulehnen, in denen das Kind über den gesamten Monat vollschichtig erwerbstätig
war, sodass auch die in diesen Zeiträumen erzielten Einkünfte nicht einzubeziehen
waren (BFH-Urteil vom 15. September 2005 III R 67/04, BFHE 211, 452, BStBl II 2006,
305 für eine Erwerbstätigkeit in der Zeit zwischen Abitur und anschließendem
Zivildienst bis zum Beginn des Studiums). Der notwendige normative Rückbezug für die
Herausnahme der Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit aus den
Berücksichtigungstatbeständen wurde teleologisch mit der Begründung hergestellt,
dass es in den Monaten einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit an der typischen
Unterhaltssituation der Eltern fehle, obwohl die zeitweise Erwerbstätigkeit der Kinder an
der Aufwandsituation der Eltern der Sache nach in aller Regel zumindest dann kaum
etwas ändert, wenn die Erwerbstätigkeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten
stattfindet (anders ist die Situation erfahrungsgemäß dann, wenn das Kind im Anschluss
an die Ausbildung eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt, vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai
2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473).
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bb) Die vom BFH erstrebte Begünstigung aktiv tätiger Kinder wirkt sich jedoch nachteilig
aus, wenn das zeitweise vollschichtig erwerbstätige Kind nur so wenig verdient, dass
seine gesamten Einkünfte und Bezüge aus dem Berücksichtigungszeitraum den
(anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. In dieser Fallkonstellation würden
die Eltern für ihr Kind, das ja auch während der Monate der Vollzeiterwerbstätigkeit
einen Berücksichtigungstatbestand erfüllt, auf der Grundlage der im Urteil vom 15.
September 2005 III R 67/04 (BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305) vertretenen
Rechtsansicht ihre Kindergeldansprüche für sämtliche Monate verlieren, in denen das
Kind während des gesamten Monats erwerbstätig war.
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Um dieses unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, hat sich der BFH unter teilweiser
Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 16. November 2006 III R
15/06 (BFHE 216, 74 BStBl II 2008, 56; ebenso BFH-Urteil vom 15. März 2007 III R
25/06, BFH/NV 2007, 1481) für ein Meistbegünstigungsprinzip zu Gunsten der Eltern
aktiver Kinder ausgesprochen und entschieden, dass in Fällen, in denen die Einkünfte
und Bezüge des Kindes den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen, der
Kindergeldanspruch unabhängig davon besteht, ob es sich bei der Erwerbstätigkeit um
eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt. Er hat dabei allerdings - und dies verkennt die
Verwaltung - ausdrücklich an dem früheren Ausgangspunkt festgehalten, dass ein Kind
in den Monaten der Vollzeiterwerbstätigkeit seinen existenznotwendigen Bedarf
typischerweise selbst decken könne und deshalb in den Monaten der
Vollzeiterwerbstätigkeit auch dann nicht als Kind zu berücksichtigen sei, wenn die
Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, b oder c EStG im Übrigen
vorliegen. Der BFH ergänzt seine Rechtsprechung lediglich dahin, dass diese
einschränkende, vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung sich nicht nachteilig
auswirken und dazu führen dürfe, dass der Kindergeldanspruch aufgrund einer
Vollzeiterwerbstätigkeit entfalle, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes im
Berücksichtigungszeitraum insgesamt den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht
überschritten. Zur Begründung dieses zunächst widersprüchlich anmutenden
Ergebnisses stellt der BFH auf die fortbestehende Unterhaltssituation bei den Eltern ab
und führt aus, dass andernfalls das Existenzminimum des Kindes beim
Kindergeldberechtigten nicht von der Einkommensteuer freigestellt wäre.
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cc) Die Umsetzung des BFH-Urteils vom 16. November 2006 III R 15/06 (BFHE 216, 74,
BStBl II 2008, 56) ist somit in der BZSt-Verfügung vom 4. Juli 2008 St II 2 - S 2282 -
138/2008 (DStR 2008, 1736) nur begrenzt gelungen. Der erkennende Senat folgt dem
vom BFH befürworteten Prinzip der Meistbegünstigung, um die aktive Erwerbstätigkeit
in Ausbildung befindlicher Kinder zu fördern (ebenso zuletzt FG Münster, Urteil vom 16.
Juli 2008 10 K 4881/07 Kg, zur Veröffentlichung bestimmt). Das Gericht nimmt dabei in
Kauf, dass es deduktiv schwer nachvollziehbar erscheint, dass für erwerbstätige Kinder
die Erfüllung der Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 S. 1 EStG davon
abhängig gemacht wird, dass eine von diesen Tatbeständen unabhängig in § 32 Abs. 4
S. 2 EStG grenzbetragsmäßig geregelte Einschränkung der Kindergeldberechtigung
(Überschreitung des Jahresgrenzbetrags) nicht vorliegt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die der Entscheidung zugrunde liegende
Rechtsfrage seit dem Ergehen des BFH-Urteils vom 16. November 2006 III R 15/06
(BFHE 216, 74, BStBl II 2008, 56) keine grundsätzliche Bedeutung mehr hat.
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