Urteil des FG Hessen vom 20.09.2010

FG Frankfurt: hotel, verbindlichkeit, verlustvortrag, zukunft, gesellschafter, grundstück, einspruch, verjährung, europarecht, erbrecht

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 8.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2006
Aktenzeichen:
8 K 2285/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10a GewStG 2002, Art 3 Abs
1 GG
Keine Verfassungswidrigkeit des § 10a GewStG bei
dauerdefizitären Betrieb
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt seit Jahren und auch heute noch einen Hotelbetrieb. Aufgrund
der in den Vorjahren erklärten Verluste wurde zum 31.12.2005 ein vortragsfähiger
Gewerbeverlust in Höhe von € festgestellt. Im Streitjahr 2006 erzielte sie einen
Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von … €. Dieser war entstanden, nachdem
eine Verbindlichkeit gegenüber der … GmbH & CoKG in Höhe von … € wegen
Verjährung erloschen war und eine gewinnerhöhende Ausbuchung dieser
Verbindlichkeit im Jahresabschluss erfolgte.
Die Klägerin wurde erklärungsgemäß mit Gewerbesteuermessbescheid vom … .
veranlagt. Von dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wurden ein vortragsfähiger
Gewerbeverlust von …€ gem. § 10a GewStG sowie der Freibetrag gem. § 11 Abs. 1
GewStG abgezogen und der Gewerbesteuermessbetrag auf …€ festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. § 10a GewStG führe im
Streitfall zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung. Der am 31.12.2005
festgesetzte vortragsfähige Gewerbeverlust in Höhe von € könne aufgrund der
regionalen Lage des Hotels und aufgrund der Situation im Hotelgewerbe nach
menschlichem Ermessen in absehbarer Zeit nicht mehr ausgeglichen werden.
Hinzu komme, dass ein positiver Betrag, der besteuert werden könnte, gar nicht
entstanden sei, weil nur eine Verbindlichkeit wegen Verjährung zugunsten der
Erträge ausgebucht werden musste.
Das Finanzamt wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom .2009 zurück.
Im Streitfall werde der Verlustvortrag zeitlich nur gestreckt, da die Klägerin noch
weiterhin gewerblich tätig sei. Die tatsächliche Entwicklung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit lasse sich nicht mit Sicherheit vorhersagen, so dass im Streitfall
keine Verfassungswidrigkeit des § 10a GewStG vorliege.
Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie betreibe ein Hotel der Spitzenklasse,
dessen Betrieb hoch defizitär sei. Bei Umsatzerlösen von € und ständigen
Verlusten könne nicht davon ausgegangen werden, dass der zum 31.12.2005
festgesetzte Verlustvortrag von mehr als € jemals von Gewinnen aufgebraucht
werde. Auch der BFH habe in seinem Beschluss vom 27.01.2006 (VIII B 179/05,
BFH/NV 2006, 1150) ausdrücklich offen gelassen, ob § 10 a GewStG zu einer
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BFH/NV 2006, 1150) ausdrücklich offen gelassen, ob § 10 a GewStG zu einer
verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung führe, wenn der Verlustausgleich im
Einzelfall ausgeschlossen sei. So lägen die Verhältnisse im Streitfall, weil der
Verlustausgleich faktisch nie erfolgen werde. Da die Geschäftsleitung und die
Gesellschafter erkannt hätten, dass das Hotel nicht gewinnträchtig geführt werden
könne, sei beabsichtigt, das Hotel an einen Liebhaber zu verkaufen oder den
Hotelbetrieb einzustellen und mit dem Grundstück etwas anderes anzufangen.
Auch deshalb werde der Verlustvortrag in Zukunft nichts nutzen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid 2006 über den Gewerbesteuermessbetrag vom .2008 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom ...2009 dahingehend zu ändern, dass
der Gewerbesteuermessbetrag auf … € festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung der Auffassung,
hypothetische Verläufe könnten nicht in die Betrachtung mit einbezogen werden.
Soweit die Klägerin vortrage, sie wolle das Hotel an einen Liebhaber verkaufen
oder den Hotelbetrieb einstellen und mit dem Grundstück etwas anderes
anfangen, so sei es Ausfluss der allgemeinen Grundsätze des
Gewerbesteuerrechts, dass im Fall des Wegfalls der Unternehmens-/
Unternehmeridentität der Gewerbeverlust entfalle. Die Gründe, die für die Höhe
des maßgebenden Gewerbeertrages entscheidend waren, spielten keine Rolle.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten mit den Bilanzheften für
die Jahre 2006 – 2008 vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das Finanzamt hat den Gewerbesteuermessbetrag in zutreffender Höhe
festgesetzt. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm des § 10a GewStG
bestehen im Streitfall nicht.
1. Gem. § 10a GewStG wird der maßgebende Gewerbeertrag bis zu einem Betrag
in Höhe von 1 Million Euro um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung
des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume
nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht
bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen
Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Der 1 Million Euro übersteigende
maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 vom Hundert um nach Satz 1 nicht
berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.
Im Streitfall ist der maßgebende Gewerbeertrag zunächst, da ein vortragsfähiger
Verlust zum 31.12.2005 in Höhe von € festgestellt war, um eine Million Euro und
der eine Million Euro übersteigende maßgebende Gewerbeertrag um 60 vom
Hundert gekürzt worden. Diese Ermittlung entspricht dem Gesetz.
2. Zu Unrecht ist die Klägerin der Auffassung, etwas anderes müsse zumindest
deshalb gelten, weil durch die Ausbuchung der verjährten Verbindlichkeit ein
„Buchgewinn“ entstanden sei, der zu keinem finanziellen Zufluss geführt habe. Es
entspricht allgemeinen bilanzrechtlichen Grundsätzen, dass sich diese
Veränderung des Betriebsvermögens in einer Gewinnrealisierung niederschlägt.
Ob sich dieser Umstand bei einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu Gunsten
der Klägerin auswirken würde, war vom Senat nicht zu entscheiden.
3. Im Streitfall wird durch die Anwendung der maßgebenden Norm des § 10a
GewStG die Klägerin auch nicht in verfassungswidriger Weise belastet.
a) Dem verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip genügt es, dass
Verluste nach der im Gesetz angelegten Systematik überhaupt, sei es auch in
einem anderen Veranlagungszeitraum, verrechnet werden können. Eine
gesetzliche Regelung, wonach der Vortrag der Verluste zeitlich über mehrere
Veranlagungszeiträume gestreckt wird, begegnet keinen ernstlichen
verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04,
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verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04,
BFHE 209, 379, BStBl II 2005, 609). Im Beschluss vom 27. Januar 2006 (VIII B
179/05, BFH/NV 2006, 1150) hat der BFH entschieden, dass bei summarischer
Prüfung nicht ersichtlich sei, dass § 10a GewStG zu einer Verletzung der
Besteuerungsgleichheit (Art. 3 Abs.1 GG) oder des objektiven Nettoprinzips in
seinem verfassungsrechtlich geschützten Kern führe. So sei das objektive
Nettoprinzip jedenfalls dann nicht entscheidungserheblich tangiert, wenn der
überperiodische Verlustausgleich beschränkt werde, denn als hinreichender
rechtfertigender Grund für die Abweichung vom objektiven Nettoprinzip in § 10a
GewStG sei bei summarischer Prüfung jedenfalls die Stärkung und Verstetigung
der steuerlichen Gemeindefinanzierung (BTDrucks 15/1517, 12, 19) zu sehen. Dies
gelte im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls dann, wenn der Verlustausgleich
nicht gänzlich ausgeschlossen werde.
Ob diese Grundsätze auch dann gelten würden, wenn im Einzelfall negative
Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr vorgetragen
werden können, hat der BFH in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassen.
Er hat aber ausgeführt, dass eine verfassungswidrige übermäßige Besteuerung
eines Steuerpflichtigen eintreten könnte, wenn ein Verlustausgleich im Einzelfall
ausgeschlossen wäre.
b) Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Im Streitfall steht
noch nicht fest, ob ein Verlustausgleich endgültig ausgeschlossen ist. Anders als in
Fällen, in denen wegen einer Liquidation ein Verlustausgleich für die Zukunft nicht
mehr in Betracht kommt (Beschluss des erkennenden Senats vom 26. Juli 2007 8
V 928/10, juris), steht im Streitfall der Verlustausgleich noch für kommende Jahre
zur Verfügung. Die Klägerin hält es zwar angesichts ihrer Ertragserwartungen für
ausgeschlossen, dass sich der Verlustausgleich faktisch je auswirken wird.
Andererseits betreibt sie ihr Unternehmen auch heute noch, woraus zu schließen
ist, dass die Gesellschafter trotz der von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
anlässlich der Bilanzaufstellung 2006 – 2008 festgestellten Überschuldung der
Gesellschaft offensichtlich von einer besseren Ertragslage für die Zukunft
ausgehen. Dass die Gesellschafter vorhaben, das Hotel entweder zu verkaufen
oder anders zu nutzen, ist weder nachgewiesen worden noch ist es als
hypothetischer Umstand für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung.
4. Ob im Streitfall eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO in Betracht kommt,
wofür die rechtlichen Erwägungen in den Urteilsgründen des Finanzgerichts Berlin-
Brandenburg (Urteil vom 15.06.2010 6 K 6216/06 B, juris) sprechen könnten, ist im
Streitfall nicht zu entscheiden, da hier nur die
Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung angegriffen wurde.
5. Da die Klägerin mit der Klage keinen Erfolg hatte, waren ihr die Kosten nach §
135 Abs. 1 FGO aufzuerlegen.
6. Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO. Es liegen
unterschiedliche Entscheidungen der Finanzgerichte zu der Frage vor, in welchen
Fällen von einem sich auf Grund der Mindestbesteuerung ergebenden endgültigen
Ausschluss des Verlustausgleichs auszugehen und wann im Einzelfall die
Verfassungsmäßigkeit der zu Grunde liegenden Norm des § 10a GewStG in Frage
zu stellen ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.