Urteil des FG Hessen vom 30.11.2010

FG Frankfurt: vorverfahren, quelle, anschluss, zivilprozessrecht, immaterialgüterrecht, verwaltungsrecht, erlass, versicherungsrecht, sammlung, abgabenordnung

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 KO 2520/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15a RVG, Vorbem 3 Abs 4 S
1 RVG, § 139 Abs 3 S 3 FGO
Leitsatz
Ergeht im Rahmen einer Kostenentscheidung auch ein Beschluss nach § 139 Abs.3 S.3
FGO, ist auf Antrag des Finanzamts eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die
Verfahrensgebühr vorzunehmen, weil bei dieser Konstellation ein Fall des § 15a Abs.2
3.Alt. RVG gegeben ist.
Tenor
Die Erinnerung vom 1.10.2009 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten und
gerichtlichen Auslagen des Erinnerungsverfahrens fallen den Erinnerungsführern
zur Last.
Gründe
I.
In dem von den Erinnerungsführern gegen den Erinnerungsgegner geführten, beim
Hessischen Finanzgericht seit dem 2.7.2009 anhängigen und unter der
gerichtlichen Geschäftsnummer 4 K 951/09 erfassten Klageverfahren betreffend
Einkommensteuer 2004 wurden im Anschluss an den Erlass eines
Abhilfebescheides nach beiderseitiger Erledigungserklärung mit Beschluss vom
29.4.2009 dem Erinnerungsgegner die Kosten des Verfahrens auferlegt und
(antragsgemäß) die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für
notwendig erklärt.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3.7.2009 beantragten die
Erinnerungsführer u.a., im Rahmen der zu erstattenden Aufwendungen auf der
Grundlage des zu § 2 Abs. 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG)
ergangenen Vergütungsverzeichnisses (VV RVG) für das Vorverfahren eine volle
Geschäftsgebühr sowie für das Klageverfahren eine volle Verfahrensgebühr sowie
eine Erledigungsgebühr zu berücksichtigen. Abweichend hiervon rechnete die
Urkundsbeamtin der Geschäftstelle im Kostenfestsetzungsbeschluss vom
14.9.2009 unter Hinweis auf Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG die für das
Vorverfahren angesetzte Geschäftsgebühr in Höhe von 0,65 auf die
Verfahrensgebühr an und lehnte die Festsetzung einer Erledigungsgebühr mit der
Begründung ab, die Tätigkeit des Bevollmächtigten sei durch die Verfahrensgebühr
abgegolten.
Mit der hiergegen eingelegten Erinnerung machen die Erinnerungsführer geltend,
dass eine Anrechnung von aufgrund vorgerichtlicher Tätigkeit des
Bevollmächtigten entstandenen Gebühren auf gerichtliche Gebühren gemäß § 15a
RVG auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Bestimmung nicht zulässig sei.
Da der berichtigte Einkommensteuerbescheid „durch den überzeugenden
Vortrag“ ihres Bevollmächtigten erlassen worden sei, lägen die Voraussetzungen
für eine Erledigungsgebühr vor.
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Der Erinnerungsgegner vertritt demgegenüber die Auffassung, dass die
Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu Recht erfolgt sei
und mangels einer qualifizierten Mitwirkung des Bevollmächtigten an der
außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits eine Erledigungsgebühr nicht
angefallen sei.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die nach § 149 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in zulässiger Weise
erhobene Erinnerung hat keinen Erfolg.
1. Die Anrechnung der im Vorverfahren entstandenen Geschäftsgebühr auf die im
Klageverfahren angefallene Verfahrensgebühr begegnet keinen rechtlichen
Bedenken.
Nach Nr. 3200 i.V.m. Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG erhält der Rechtsanwalt für
das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information eine 1,6-fache
Verfahrensgebühr. Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr
nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch
höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des
gerichtlichen Verfahrens angerechnet (Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG).
Zweck der Anrechnungsvorschrift ist es, zu verhindern, dass die gleiche - oder
annähernd gleiche - Tätigkeit zweimal honoriert wird, wenn die Angelegenheit
zunächst als außergerichtliche und später als gerichtliche betrieben wird, während
sie nur einmal honoriert werden würde, wenn die Angelegenheit sofort vor das
Gericht gebracht worden wäre (z. B. Beschlüsse des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz
vom 23.9.2008 1 Ko 1750/08, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2009, 50
und des Finanzgerichts Köln vom 30.7.2009 10 Ko 1450/09, EFG 2009, 1857).
Ob entsprechend der Auffassung der Erinnerungsführer § 15a RVG auf die vor dem
am 5.8.2009 erfolgten Inkrafttreten dieser Bestimmung anhängig gewordenen
Fälle überhaupt anwendbar ist (ablehnend z.B. Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss
vom 12.10.2009 14 Ko 2495/09 KF, EFG 2010, 170; zu unterschiedlichen
Auffassungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -BGH- vgl. die
Anmerkung zum BGH-Beschluss vom 3.2.2010 VII ZB 177/09, Das Juristische Büro
2010, 420, 421; weitere Nachweise bei Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-
FGO, § 139 FGO Rz. 91), kann im Streitfall dahingestellt bleiben. Gemäß § 15a Abs.
2 3. Alt. RVG kann sich nämlich ein Dritter (hier: der erstattungspflichtige
Erinnerungsgegner) auf die Anrechnung (hier: nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1
VV RVG) berufen, soweit beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn
geltend gemacht werden. Eine solche Konstellation ist aber im vorliegenden Fall
gegeben, da der Erinnerungsgegner auf Antrag der Erinnerungsführer durch
Beschluss vom 24.4.2009 nicht nur mit den Kosten des Klageverfahrens, sondern
auch infolge der Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO mit den Kosten des
Vorverfahrens belastet wurde (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO Rz.
91 m. w. N.; von Eicken/Hellstab/Lappe/Madert/Matthias, Die Kostenfestsetzung,
20. Aufl. 2010, Rz. B 162). Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat daher zu
Recht die Verfahrensgebühr um einen durch Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV
RVG gedeckten Gebührensatz gekürzt.
2. Für die Tätigkeit ihres Bevollmächtigten können die Erinnerungsführer keine
Erledigungsgebühr beanspruchen.
Eine Erledigungsgebühr entsteht nach Nr. 1002 VV RVG, wenn sich eine
Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem
Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung
erledigt. Sie fällt jedoch nach zutreffender, weitaus überwiegender Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur nur an, wenn der Bevollmächtigte eine besondere,
gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit entfaltet, die über
eine bereits mit der Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV RVG) honorierte
Verfahrensförderung hinausgeht (z. B. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom
12.2.2007 III B 140/06, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV- 2007,
1109; Senatsbeschluss vom 29.11.1999 12 Ko 1950/99, EFG 2000, 236; Brandis in
Tipke/Kruse, a. a. O., § 139 FGO Rz. 85 m. w. N.).
Da die Erledigungsgebühr auf der Grundlage dieser Erwägung Tätigkeitsgebühr
und jedenfalls keine reine Erfolgsgebühr ist, reicht hierfür das tatsächliche
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und jedenfalls keine reine Erfolgsgebühr ist, reicht hierfür das tatsächliche
Tätigwerden des Bevollmächtigten der Erinnerungsführer selbst dann nicht aus,
wenn dessen im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze - wie von ihm
behauptet - umfangreiche und/oder besonders qualifizierte Ausführungen zur
Sach- und Rechtslage enthielten (Brandis in Tipke/Kruse, a. a. O., § 139 FGO Rz. 85
m.w.N.). Auch ein über das normale Maß hinausgehendes Engagement in
Begründung und Prozessführung ist demnach allein durch die Verfahrensgebühr
(früher: Prozessgebühr) abgegolten (Singer, Die Erledigungsgebühr im
Steuerprozess, Die Information über Steuern und Wirtschaft 2004, 238), wobei der
Umfang des zu bewältigenden Aktenmaterials und die Komplexität des Streitstoffs
grundsätzlich ohne Bedeutung sind.
Gerichtsgebühren werden mangels eines entsprechenden Gebührentatbestandes
nicht erhoben. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten und die
gerichtlichen Auslagen des Erinnerungsverfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.