Urteil des FG Hessen vom 18.01.2011

FG Frankfurt: eugh, unmittelbare anwendbarkeit, mitwirkungspflicht des steuerpflichtigen, medizinische indikation, private krankenversicherung, ärztliche verordnung, rechtsform, gemeinschaftsrecht

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2007
Aktenzeichen:
6 V 2444/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Nr 14 UStG 2005, § 4 Nr
16 UStG 2005, Art 3 Abs 1 GG,
Art 132 EGRL 112/2006, Art
133 EGRL 112/2006
Umsatzsteuerfreiheit von Leistungen einer Privatklinik
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Umsatzsteuerfreiheit von Leistungen einer
Privatklinik. Die Antragstellerin (im Folgenden: ‚AStin’) betreibt die in A gelegene
Einrichtung „Klinik und Hotel B. Gesellschafter der AStin waren im Streitjahr die C
und die D. Die Klinik, in der schwerpunktmäßig ambulante und stationäre
orthopädische und sportmedizinische Behandlungen durchgeführt werden, verfügt
über 178 Zimmer mit 278 Betten, von denen 100 Betten für den stationären
Betrieb zugelassen sind. In der ambulanten Physiotherapie wurden im Streitjahr
insgesamt 620 gesetzlich krankenversicherte Patienten (Zählweise nach Anzahl
der Rezepte), 117 Patienten über Berufsgenossenschaften und 702 privat
krankenversicherte Patienten (Zählweise nach Anzahl der Ausgangsrechnungen)
behandelt. Stationär wurden insgesamt 1.785 Patienten aufgenommen. Hierbei
handelte es sich in 1.288 Fällen um privat krankenversicherte Personen, die in der
Klink von freiberuflich tätigen Belegärzten der Gemeinschaftspraxis E operiert und
(fach-) ärztlich betreut wurden. Gleiches gilt für weitere 139 der 1.785 Fälle, die als
privat krankenversicherte Patienten von sonstigen Belegärzten behandelt wurden.
In weiteren 121 der 1.785 Fälle erbrachte die AStin Sanatoriumsleistungen, denen
weder eine medizinische Indikation noch eine ärztliche Verordnung zu Grunde lag.
Neben der Klink unterhält die AStin auf der Liegenschaft ein Hotel. Die Hotelgäste
sind im Wesentlichen Personen, die den Aufenthalt im Hotel mit Anwendungen zur
(medizinischen) Vorsorge verbinden. In der im Internet abrufbaren sog.
Hausbroschüre, auf die Bezug genommen wird (Bl. 111 bis 134 der Antragsakten),
wird zum Konzept der Einrichtung Folgendes ausgeführt: „Ganz nach dem
Asklepios-Motto ‚Mensch – Medizin – Mitverantwortung’ werden die Patienten der
Sportklinik, die ins Hotel integriert ist, zuvorkommend und individuell betreut. Hier
können Sie Schritt für Schritt gesund werden. Unsere Ärzte sowie unsere Fitness-
und Wellnessangebote helfen Ihnen dabei. Und wenn Sie möchten, kann eine
Begleitperson Sie in der entspannten Umgebung unseres Hotels dabei optimal
unterstützen“. Laut der ebenfalls im Internet abrufbaren zweiseitigen Broschüre
zum zentralen Patientenmanagement (Bl. 135 bis 136 der Antragsakten) richtet
sich das medizinische Angebot an Patienten der Kategorien „Private
Krankenversicherung / Privatversicherte; Beihilfeberechtigte mit Zusatz Privat;
Berufsgenossenschaft (BG); Selbstzahler“.
In ihrer am 01.11.2008 für das Streitjahr beim Antragsgegner (dem Finanzamt, im
Folgenden: ‚FA’) abgegebenen Umsatzsteuerklärung gab die AStin Umsätze zum
allgemeinen Steuersatz von …,- Euro, Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von
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allgemeinen Steuersatz von …,- Euro, Umsätze zum ermäßigten Steuersatz von
…,- Euro, Umsätze zu anderen Steuersätzen von …,- Euro und Vorsteuerbeträge
aus Rechnungen i.H.v. … Euro an, woraus sie eine Umsatzsteuer von … Euro
errechnete und anmeldete. Ferner erklärte sie in der Anlage UR zur
Umsatzsteuererklärung, dass im Besteuerungszeitraum 2007 nach § 4 Nr. 16 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerbefreite Umsätze i.H.v. …,- Euro
(„Bemessungsgrundlage ohne Umsatzsteuer“) erbracht worden seien.
Vom 13.08.2008 bis zum 08.04.2010 führte das FA bei der AStin für 2007 eine
Umsatzsteuersonderprüfung durch, die es mit Prüfungsbericht vom 16.04.2010
abschloss. Darin kam die Betriebsprüfung unter anderem zu dem Ergebnis, dass
die Voraussetzungen der von der AStin in der Anlage UR angeführten
Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 UStG (in der bis zum 31.12.2008 geltenden
Fassung) nicht vorlagen und die in der Steuererklärung zum allgemeinen
Steuersatz als steuerpflichtig erklärten Umsätze i.H.v. …,- Euro um …,- Euro auf
nunmehr …,- Euro zu erhöhen seien (bei gleichzeitiger Erhöhung der abziehbaren
Vorsteuerbeträge auf einen Betrag von nunmehr … Euro). Die 40%-Grenze des § 4
Nr. 16 UStG (in der Fassung des Streitjahres) werde von der AStin nicht erreicht,
da in der Klink – unter Einbeziehung der in ärztlicher Hinsicht von den Belegärzten
betreuten Patienten – weit überwiegend Privatpatienten behandelt worden seien.
Den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend erhöhte das FA die Umsatzsteuer
für 2007 mit Bescheid vom 01.06.2010 auf … Euro. Hiergegen legte die AStin am
15.06.2010 Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom
31.08.2010 als unbegründet zurückwies. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen
(Bl. 23 ff. des Sonderbandes Rechtsbehelfe). Die hiergegen gerichtete
Anfechtungsklage der AStin ist unter dem Aktenzeichen 6 K 2445/10 anhängig.
Mit ihrem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides
i.H.v. … Euro und des Zinsbescheides i.H.v. … Euro macht die AStin geltend, die
Regelungen des § 4 Nr. 16 UStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung
verstießen gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht. Sie trägt vor, dass es sich
bei den von der Betriebsprüfung umqualifizierten und infolgedessen vom FA im
Bescheid vom 01.06.2010 zusätzlich angesetzten Umsätzen um medizinisch
indizierte Heilbehandlungsleistungen nebst verbundener Pflegeleistungen handele.
Die anteiligen Erlöse aus der Unterbringung und Verpflegung der Patienten habe
die AStin bereits im Rahmen der Steuererklärung der Umsatzbesteuerung
unterworfen. Sie seien in dem fraglichen Betrag nicht enthalten. Soweit die
Vergütung der AStin in einer Fallpauschale bestanden habe, seien die
entsprechenden Erlöse bei der Erstellung der Steuererklärung in steuerpflichtige
(Unterbringungs- und Verpflegungs-) und steuerbefreite (ärztliche und
arztähnliche) Leistungen aufgeteilt worden. Zu Unrecht behandle nunmehr das FA
die Umsätze aus den medizinisch notwendigen Heilbehandlungsleistungen als
steuerpflichtig.
Nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b und Buchstabe c der
Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL), auf deren unmittelbare
Anwendbarkeit sich die AStin im Streitfall berufen könne, ergebe sich, dass die
vom FA im Bescheid vom 01.06.2010 zusätzlich der Besteuerung unterworfenen
Leistungen steuerfrei zu stellen seien. Die in § 4 Nr. 16 UStG (in der Fassung des
Streitjahres) gegenüber § 4 Nr. 14 UStG (in der Fassung des Streitjahres)
enthaltenen Einschränkungen einschließlich der gesetzlichen 40%-Grenze seien
mit dem Zweck des Art. 132 der MwStSystRL unvereinbar. Die Steuerbefreiung
von Heilbehandlungsleistungen könne nicht davon abhängig gemacht werden, in
welche Einrichtung sich der Patient zum Zwecke der Behandlung begebe. Das sei
jedenfalls aus dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
abzuleiten. Die deutschen Regelungen verstießen gegen den Grundsatz der
steuerlichen Neutralität und bewirkten zudem eine nach Art. 133 Abs. 1 Buchstabe
d der MwStSystRL unzulässige Wettbewerbsverzerrung. Durch die Vorbehalte des §
4 Nr. 16 UStG (in der Fassung des Streitjahres) werde das Ziel verfehlt, die Kosten
der Heilbehandlung zu Gunsten der Endverbraucher zu senken. Der vom
deutschen Gesetzgeber für die Gesetzesfassung bis zum 31.12.2008 angeführte
Zweck, die Sozialversicherungsträger zu entlasten, sei gemeinschaftsrechtlich
nicht haltbar. Der Anwendungsbereich der Buchstaben b und c des Art. 132 Abs. 1
der MwStSystRL unterscheide sich lediglich anhand des Ortes, an dem die
Heilbehandlungsleistungen erbracht würden. Im Übrigen bestünden hinsichtlich der
40%-Grenze des § 4 Nr. 16 UStG (in der Fassung des Streitjahres) auch
verfassungsrechtliche Bedenken. Diese hätten den Gesetzgeber letztlich dazu
bewegt, die 40%-Grenze in der zum 01.01.2009 getroffenen Neuregelung als
Differenzierungskriterium aufzugeben.
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Darüber hinaus könne sich die AStin auch auf die Anwendung der Steuerbefreiung
nach § 4 Nr. 14 UStG (in der Fassung des Streitjahres) berufen. Nach dem
Grundsatz der Rechtsformneutralität könne es keinen Unterschied machen, ob
eine ärztliche Leistung von einem Arzt oder einer in der Rechtsform einer Kapital-
oder Personengesellschaft betriebenen Einrichtung erbracht werde. Hierauf habe
auch der Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung zu laborärztlichen Leistungen
vom 15.03.2007 abgestellt (V R 55/03, BStBl. II 2008, 31). Auch die AStin übe eine
ärztliche oder ähnliche heilberufliche Tätigkeit i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG (alte Fassung)
aus. Für die in der Klinik der AStin erbrachten Leistungen der freiberuflich tätigen
Belegärzte (so die AStin auf Seite 5 ihres Einspruchsschreibens vom 10.08.2010,
Bl. 21 des Sonderbandes Rechtsbehelfe) verfahre man so, dass die Belegärzte
ihre Leistungen der AStin in Rechnung stellten, die diese sodann an die Patienten
weiterfakturiere. Würden die Belegärzte gegenüber den Patienten selbst
abrechnen, so wären die entsprechend abgerechneten Leistungen ohne weiteres
nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Durch die Veränderung der
Abrechnungsmodalitäten ändere sich an dem für § 4 Nr. 14 UStG von der
Rechtsprechung für prägend erachteten besonderen Vertrauensverhältnis
zwischen (Individual-) Arzt und Patient nichts. Auch hieran zeige sich die
Unrichtigkeit der Rechtsauffassung des FA. Unabhängig von den dargestellten
europarechtlichen Erwägungen seien die Leistungen der AStin jedenfalls i.H.v. …
Euro nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG (in der Fassung des Streitjahres) von der
Umsatzsteuer zu befreien, da es sich insoweit um Umsätze aus ambulanter
physiotherapeutischer Behandlung und aus wahlärztlichen Leistungen der bei der
AStin angestellten Ärzte handele.
Das FA tritt dem Standpunkt der AStin entgegen. Im Streitfall seien weder die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG noch die des § 4 Nr. 14 UStG
(jeweils in der Fassung der Streitjahre) erfüllt. Das ergebe sich hinsichtlich des § 4
Nr. 16 UStG aus den Feststellungen der Betriebsprüfung, wonach im
maßgeblichen Zeitraum die jeweils vorgegebene 40%-Grenze in allen dort
geregelten Tatbestandsvarianten nicht erreicht werde. Die AStin habe jedenfalls
nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung auch vor dem
Hintergrund der Berechnungen der Betriebsprüfung erfüllt seien. Auf § 4 Nr. 14
UStG könne sich die AStin nicht berufen. Für sie sei nach der Rechtsprechung des
EuGH und des BFH allein die Vorschrift des § 4 Nr. 16 UStG einschlägig.
Europarechtliche Bedenken bestünden gegen diese Auslegung sowie gegen die
gesetzlichen Ausschlusskriterien des § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung) nicht.
Auf die dem Gericht vorgelegten Steuerakten (1 Band Umsatzsteuerakten 2007, 1
Sonderband Betriebsprüfungsberichte, 1 Sonderband Rechtsbehelfe) wird
ergänzend Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Das Gericht
hat ferner die Akten des Verfahrens 6 K 2445/10 beigezogen.
II.
Der Antrag ist unbegründet.
1. Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung auch ohne
Sicherheitsleistung ganz oder teilweise aussetzen, wenn und soweit ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen dann, wenn bei überschlägiger
Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben den für die Rechtmäßigkeit
sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende
Aspekte zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit bei der Beurteilung von Tatfragen
zur Folge haben (BFH vom 10.02.1967 – III B 9/66, BStBl. III 1967, 182; BFH vom
17.05.1978 – I R 50/77, BStBl. II 1978, 579; BFH vom 28.05.1986 – I B 22/86, BStBl.
II 1986, 656). Bei der hierbei notwendigen Abwägung sind die Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Nicht erforderlich ist
dabei, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes
sprechenden Gründe überwiegen (BFH vom 23.08.2004 – IV S 7/04, BFH/NV 2005,
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Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegt (BFH vom
26.06.2003 – X S 4/03, BFH/NV 2003, 1217). Irgendeine vage Erfolgsaussicht
genügt allerdings nicht (BFH vom 11.06.1968 – VI B 94/67, BStBl. II 1968, 657). Im
Aussetzungsverfahren beschränken sich die Ermittlungen des Gerichts auf die
Auswertung der präsenten Beweismittel (BFH vom 04.05.1977 – I R 162-163/76,
BStBl. II 1977, 765). Weitere gerichtliche Sachverhaltsermittlungen sind nicht
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BStBl. II 1977, 765). Weitere gerichtliche Sachverhaltsermittlungen sind nicht
erforderlich (BFH vom 14.02.1989 – IV B 33/88, BStBl. II 1989, 516; Hessisches
Finanzgericht vom 09.03.2004 – 6 V 4121/03, EFG 2004, 1001). Soweit die
Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen reicht, hat er mithin den für ihn günstigen
tatsächlichen Geschehensablauf durch präsente Beweismittel glaubhaft zu
machen (BFH vom 04.06.1996 – VIII B 64/95, BFH/NV 1996, 895). Die
Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung hängen dabei von der
jeweils zur Anwendung kommenden objektiven Feststellungslast ab ( in Tipke
/ Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Loseblatt Stand 4/2006, § 69 FGO Rn. 94). In
Bezug auf Tatsachen und Beweismittel, die die Anwendbarkeit eines
steuerbegünstigenden Tatbestandes belegen, trifft diese den Steuerpflichtigen.
2. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen an der Rechtmäßigkeit des
klagebefangenen Umsatzsteuerbescheides vom 01.06.2010 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 31.08.2010 mit Rücksicht auf die von der AStin
geltend gemachten Einwendungen keine ernsthaften Zweifel. Nach der vom
Gericht im Aussetzungsverfahren anzustellenden summarischen Prüfung hat das
FA zu Recht die Anwendung der Steuerbefreiungen sowohl nach § 4 Nr. 16 UStG
als auch nach § 4 Nr. 14 UStG (jeweils in der Fassung des Streitjahres) verneint.
Ein entsprechender Anspruch der AStin auf Steuerfreistellung ergibt sich auch
nicht aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts oder aus
verfassungsrechtlichen Grundsätzen.
a) Das FA hat im Streitfall die Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16
UStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung zu Recht abgelehnt. Nach den
von der AStin mit ihrem Aussetzungsantrag in tatsächlicher Hinsicht nicht
angefochtenen Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung des FA standen
den insgesamt 2.249 Privatpatienten und Selbstzahlern im fraglichen Zeitraum
lediglich 620 gesetzlich versicherte Patienten und 117 Mitglieder von
Berufsgenossenschaften (zusammen 737 Patienten) gegenüber. Hieraus ergibt
sich ein Anteil der gesetzlich- und berufsgenossenschaftlich versicherten Patienten
von lediglich 24,68%. Unter Berücksichtigung dieser Berechnung sowie der aus
den dargestellten Internetquellen ersichtlichen Angaben zum Adressatenkreis der
von der AStin angebotenen Klinikleistungen ist im Streitfall bei summarischer
Prüfung davon auszugehen, dass die AStin für das Streitjahr wegen des
Unterschreitens der jeweils geltenden gesetzlichen 40%-Schwelle weder die
Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG i.V.m. § 67 Abs. 1 oder Abs. 2
der Abgabenordnung (AO) noch des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG i.V.m. § 4 Nr. 15
Buchstabe b UStG (jeweils in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung) erfüllt.
Gegenteilige Tatsachen und Beweismittel, nach denen die Erfüllung der
Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung) zweifelfrei belegt werden
könnte, hat sie im Aussetzungsverfahren nicht beigebracht. Unsicherheiten in
tatsächlicher Hinsicht gehen insoweit zu ihren Lasten.
b) Die in § 4 Nr. 16 UStG (in der Fassung des Streitjahres) niedergelegten
gesetzlichen Anforderungen an die Steuerbefreiung verstoßen bei summarischer
Prüfung nicht gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Soweit die AStin
geltend macht, die in § 4 Nr. 16 Buchtstabe b UStG i.V.m. § 67 Abs. 1 und Abs. 2
AO und in § 4 Nr. 16 Buchstabe c i.V.m. § 4 Nr. 15 Buchstabe b UStG (alte
Fassung) geregelte 40%-Grenze begründe gegenüber den Fällen des § 4 Nr. 14
UStG (alte Fassung) eine nicht zu rechtfertigende gemeinschaftsrechtswidrige
Ungleichbehandlung und überschreite die dem nationalen Gesetzgeber bei der
Umsetzung des Art. 132 Abs. 1 i.V.m. Art. 133 der MwStSystRL zustehenden
Ermessensgrenzen, vermag der Senat diesem Einwand nicht zu folgen.
aa) Dem Grunde nach beruht der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 16 UStG auf
Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b i.V.m. Art. 133 der MwStSystRL, während die
Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG auf Art. 132 Abs. 1 Buchstabe c der MwStSystRL
beruht. Soweit die AStin rügt, die in § 4 Nr. 16 UStG in seiner bis zum 31.12.2008
geltenden Fassung enthaltenen Einschränkungen stellten gegenüber dem in § 4
Nr. 14 UStG umschriebenen Tatbestand eine unzulässige Differenzierung nach der
Rechtsform des Erbringers ärztlicher bzw. arztähnlicher Leistungen dar, greift
dieser Einwand nicht durch. Die AStin verkennt, dass der Gesetzgeber die durch
die unterschiedlichen Befreiungsvoraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG und des § 4
Nr. 14 UStG hervorgerufene Ungleichbehandlung nicht auf die unterschiedliche
Rechtsform des jeweiligen Leistungserbringers, sondern – soweit die von der AStin
geltend gemachten Heilbehandlungsleistungen betroffen sind – auf andere,
gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstandende Kriterien gestützt hat.
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Die Anwendungsbereiche der beiden Befreiungsvorschriften des § 4 Nr. 16 UStG
und des § 4 Nr. 14 UStG schließen sich gegenseitig aus, d.h. Umsätze der
Krankenhäuser sind, auch soweit sie eine ärztliche Heilbehandlung nach dem
Verständnis des § 4 Nr. 14 UStG einschließen, grundsätzlich nur dann steuerfrei,
wenn sie die (zusätzlichen) Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG erfüllen (vgl.
auch § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG alte Fassung). Die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14
UStG findet auf sie grundsätzlich keine Anwendung (BFH vom 18.03.2004 – V R
53/00, BStBl. II 2004, 677). Diese Unterscheidung steht im Einklang mit dem
Verständnis des EuGH, wonach auch die (den § 4 Nr. 16 und Nr. 14 UStG zu
Grunde liegenden) Gewährleistungen der Buchstaben b und c des Art. 132 Abs. 1
der MwStSystRL jeweils unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen betreffen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH unterscheiden sich die Regelungen der
Buchstaben b und c des Art. 132 Abs. 1 der MwStSystRL nach dem Ort, an dem
die fraglichen Heilbehandlungsleistungen erbracht werden. Laut Buchstabe b sind
diejenigen Leistungen von der Steuer freizustellen, die aus einer Gesamtheit von
ärztlichen Heilbehandlungen bestehen, die üblicherweise ohne
Gewinnerzielungsabsicht in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung (wie z.B.
derjenigen des Schutzes der menschlichen Gesundheit) erbracht werden, wogegen
Buchstabe c Leistungen erfasst, die außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen
einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem
erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen
zum Tragen kommt (vgl. grundlegend EuGH vom 23.02.1988 – C-353/85, Slg.
1988, 817, Rn. 32 und 33). An diesem unterschiedlichen Anwendungsbereich der
Buchstaben b und c hat der EuGH auch in jüngeren Entscheidungen festgehalten
(EuGH vom 10.09.2002 – C-141/00 „Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH“, Slg.
2002, I-6833, Rn. 35 und 36; EuGH vom 06.11.2003 – C-45/01 „Christoph-Dornier-
Stiftung für Klinische Psychologie“, Slg. 2003, I-12911, Rn. 47 – vgl. hierzu auch die
entsprechenden Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom 10.12.2002,
Slg. 2003, I-12911, dort Rn. 44 bis 46; EuGH vom 08.06.2006 – C-106/05 „L. u. P.
GmbH“, Slg. 2006, I-5123, Rn. 22; zuletzt EuGH vom 10.06.2010 – C-86/09 „Future
Health Technologies“, Slg. 2010, N. N., HFR 2010, 890, Rn. 36). Die Vorgaben des
Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der MwStSystRL betreffen gerade nicht nur die von
Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen erbrachten nichtärztlichen
(sonstigen) Leistungen (z.B. allgemeine Pflege- und Unterbringungsleistungen) (so
aber wohl UR 2005, 297 [300]), sondern auch die im
Rahmen einer Krankenhausbehandlung anfallenden ärztlichen bzw. arztähnlichen
(z.B. physiotherapeutischen) Leistungen.
Die Ungleichbehandlung, die sich aus dem unterschiedlichen Anwendungsbereich
des § 4 Nr. 16 UStG (soweit dieser auf Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der
MwStSystRL beruht) gegenüber dem des § 4 Nr. 14 UStG (soweit dieser auf Art.
132 Abs. 1 Buchstabe c der MwStSystRL beruht) ergibt, ist durch die Regelungen
des Art. 132 Abs. 1 der MwStSystRL vorgeprägt und wird mithin vom
Richtliniengeber als solche hingenommen, da bereits nach dem Wortlaut der
Buchstaben b und c jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Gewährleistung
der Steuerbefreiung aufgestellt werden. Hiergegen kann die AStin nicht mit Erfolg
einwenden, die Differenzierung verstoße gegen den gemeinschaftsrechtlichen
Neutralitätsgrundsatz. Denn dieser kann nur zum Tragen kommen, wenn das
Gemeinschaftsrecht einen entsprechenden Rechtsanwendungsspielraum belässt.
In den Fällen der Buchstaben b und c des Art. 132 Abs. 1 der MwStSystRL ergibt
sich die als nachteilig empfundene Differenzierung jedoch unmittelbar aus dem
Gemeinschaftsrecht, wodurch die Berufung auf einen gemeinschaftsrechtlichen
(und ebenfalls aus der MwStSystRL abgeleiteten) umsatzsteuerrechtlichen
Neutralitätsgrundsatz ausscheidet (a. A. offenbar UVR 2005, 289 [292]).
bb) Auch soweit der EuGH in einzelnen Entscheidungen zu Art. 132 Abs. 1 der
MwStSystRL auf den gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz und das
Verbot der alleinigen Differenzierung nach der Rechtsform abgestellt hat, kann
hieraus nicht gefolgert werden, dass – wie die AStin sinngemäß anführt –
Krankenhäuser und entsprechende Einrichtungen hinsichtlich ihrer ärztlichen und
arztähnlichen (z.B. hier: physiotherapeutischen) Leistungen grundsätzlich unter
den gleichen Voraussetzungen von der Umsatzsteuer freigestellt werden müssten,
die in den Fällen des § 4 Nr. 14 UStG und des Art 132 Abs. 1 Buchstabe c der
MwStSystRL zum Tragen kommen.
In seiner Entscheidung zur Rechtssache „Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische
Psychologie“ hat der EuGH den gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz
ausschließlich im Rahmen der Prüfung der Gewährleistungen des Art. 132 Abs. 1
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ausschließlich im Rahmen der Prüfung der Gewährleistungen des Art. 132 Abs. 1
Buchstabe c der MwStSystRL bemüht. Er kam insoweit zu dem Ergebnis, dass für
den unter diesen Buchstaben fallenden Adressatenkreis eine Differenzierung nach
der Rechtsform unzulässig sei (EuGH vom 06.11.2003 – C-45/01, Slg. 2003, I-
12911, Rn. 21). Die Erwägungen zur Auslegung des Art. 132 Abs. 2 Buchstabe b
der MwStSystRL wurden nur hilfsweise angestellt (vgl. Rn. 24 a.a.O.) und befassen
sich ausschließlich mit dem Neben- oder Hauptleistungscharakter der im Umfeld
des Buchstaben b erbrachten arztähnlichen Leistungen (vgl. Rn. 51 a.a.O.).
Aussagen, aus denen sich eine Aufgabe der für zulässig erachteten und vom
Richtliniengeber vorgegebenen Differenzierung nach dem Ort der
Leistungserbringung ergäbe, sind der Entscheidung nicht zu entnehmen. Gleiches
gilt für die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „L. u. P. GmbH“ (EuGH vom
08.06.2006 – C-106/05, Slg. 2006, I-5123).
cc) Entgegen der Auffassung der AStin lässt sich auch den Ausführungen des dem
EuGH-Urteil in der Rechtssache „L. u. P. GmbH“ nachfolgenden Urteils des 5.
Senats des Bundesfinanzhofs zur Steuerfreiheit labormedizinischen Leistungen
(BFH vom 15.03.2007 – V R 55/03, BStBl. II 2008, 31) nicht entnehmen, dass die
Vorschriften des § 4 Nr. 16 UStG (in der Fassung des Streitjahres) gegen die
Vorgaben des Art. 132 der MwStSystRL oder gegen den gemeinschaftsrechtlichen
Grundsatz der Neutralität verstoßen könnten, soweit die von der AStin im Streitfall
fokussierten Heilbehandlungsleistungen betroffen sind.
In dem am 15.03.2007 entschiedenen Fall kam der BFH für die Erbringung
laborärztlicher Leistungen durch eine von einem Arzt beherrschte GmbH zu dem
Ergebnis, dass dem Grunde nach sowohl die Voraussetzungen des (wegen des
Grundsatzes der Rechtsformneutralität heranzuziehenden) § 4 Nr. 14 UStG als
auch die des § 4 Nr. 16 UStG erfüllt seien. Damit musste der BFH erkennen, dass
– mit Blick auf die Leistungen eines Laborarztes – unter § 4 Nr. 14 UStG auch
Leistungen fallen können, die (entgegen der hergebrachten Auslegung des Art.
132 Abs. 1 Buchstabe c der MwStSystRL durch den EuGH) typischerweise nicht
aufgrund eines individuellen „Vertrauensverhältnisses“ zum Patienten und
typischerweise auch nicht in den Praxisräumen des Individualarztes erbracht
werden. Insoweit zog der BFH auch einen Vergleich mit den in § 4 Nr. 14 UStG
nachträglich unter den Gesetzestatbestand gefassten Leistungen eines
„klinischen Chemikers“. Hierauf Bezug nehmend konstatierte der BFH eine
Ungleichbehandlung dahingehend, dass diejenigen Laborärzte und klinische
Chemiker, deren Leistungen dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1
Buchstabe b der MwStSystRL unterfallen, nach § 4 Nr. 14 UStG ohne weiteres von
der Umsatzsteuer befreit seien, während die Laborleistungen der Krankenhäuser
nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei
gestellt werden könnten. Daraus ergebe sich – so der BFH – innerhalb des
Anwendungsbereichs des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der MwStSystRL eine
Differenzierung, die gegen den gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz
verstoße, weil sie gerade nicht mit den Besonderheiten des jeweiligen „Ortes“ der
Leistungserbringung (Krankenhaus oder individualärztliche Praxis) gerechtfertigt
werden könne.
Auf die vom BFH im Urteil vom 15.03.2007 angestellten Erwägungen kann sich die
AStin nicht berufen, da ihre Leistungen nicht – wie im Fall des BFH – sowohl unter §
4 Nr. 16 UStG als auch unter § 4 Nr. 14 UStG fallen und hinsichtlich der von der
AStin geltend gemachten Heilbehandlungsleistungen eine entsprechende, sachlich
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht vorliegt. Anders als bei der (Revisions-
) Klägerin des Verfahrens V R 55/03 vermag der Senat nicht zu erkennen, dass
hinsichtlich der Leistungen der AStin „Umsätze eines Arztes“ (bzw.
Physiotherapeuten) vorliegen, die dieser „in der Rechtsform“ einer
Personengesellschaft erbringt, wobei „er“ alleiniger Gesellschafter dieser
Personengesellschaft ist (vgl. Leitsatz Nr. 2 des BFH-Urteils vom 15.03.2007 – V R
55/03, BStBl. II 2008, 31 sowie die Entscheidungsgründe unter II. 1.). Bei den
Gesellschaftern der AStin handelt es sich um Kapitalgesellschaften, die keinen
Beruf i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG (alte Fassung) ausüben. Anders als im Fall des BFH,
bei der die Leistungserbringerin vollends von einem Arzt beherrscht wurde, führt
eine wirtschaftliche Betrachtung der Umstände des Streitfalls gerade nicht dazu,
dass die Leistungen der AStin als im Rechtskleid einer
Personenhandelsgesellschaft erbrachte Umsätze eines Arztes, Physiotherapeuten
oder eines anderen Berufsträgers i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG (in der Fassung bis
31.12.2008) angesehen werden müssten. Die AStin erbringt gegenüber ihren
Patienten vielmehr ein Bündel von Leistungen, die in ihrer Gesamtheit über die in §
4 Nr. 14 UStG umschriebenen Tätigkeitsmerkmale hinausgehen. Sie unterliegt mit
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4 Nr. 14 UStG umschriebenen Tätigkeitsmerkmale hinausgehen. Sie unterliegt mit
ihren Leistungen somit allein dem Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG.
Entgegen einer in der Literatur favorisierten Deutung des Urteils vom 15.03.2007
(vgl. UR 2007, 845 [846] unter III., 3. Absatz) hat der 5.
Senat des BFH gerade nicht die Auffassung vertreten, dass sich die Tatbestände
des § 4 Nr. 14 UStG und des § 4 Nr. 16 UStG (nunmehr) generell nicht (mehr)
gegenseitig ausschließen. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs beider
Tatbestände hat der BFH nur für die im Rechtskleid einer GmbH erbrachten
Leistungen eines Laborarztes oder klinischen Chemikers bejaht, wobei dies mit der
besonderen Begründung geschah, dass sich der Steuerpflichtige aus Anlass der
festgestellten (einzelfallbezogenen) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit sowohl auf § 4
Nr. 14 UStG als auch auf die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 132 Abs. 1
Buchstabe b der MwStSystRL berufen könne. An der grundsätzlich
unterschiedlichen Regelungsmaterie des § 4 Nr. 14 UStG und des § 4 Nr. 16 UStG
wie auch des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b und Buchstabe c der MwStSystRL hat
sich dagegen nichts geändert (vgl. EU-UStB 2006, 43 [45]).
Die vom BFH für den Fall labormedizinischer Leistungen gerügte
Ungleichbehandlung kommt für die AStin nicht zum Tragen. Sofern die von der
AStin als steuerfrei beanspruchten Heilbehandlungsleistungen im Vergleichsfall
von einem niedergelassenen Arzt oder Physiotherapeuten erbracht werden, findet
die Behandlung typischerweise im Rahmen eines individuellen
Vertrauensverhältnisses und regelmäßig auch in den Praxisräumen des
behandelnden Berufsträger statt. Es würde sich gerade nicht um Leistungen
handeln, die – wie die vom BFH gewürdigten Leistungen eines Laborarztes oder
eines klinischen Chemikers – typischerweise außerhalb eines individuellen
Vertrauensverhältnisses und auch außerhalb der Praxisräume des Berufsträgers
erbracht werden, aber gleichwohl (d.h. entgegen dem Verständnis des Art. 132
Abs. 1 Buchstabe c der MwStSystRL) unter den Tatbestand des § 4 Nr. 14 UStG
fallen. Im Streitfall kommt damit als Rechtfertigungsgrund für die von der AStin
gerügte Differenzierung weiterhin der vom EuGH in den Vordergrund gestellte
Aspekt des unterschiedlichen Ortes der Leistungserbringung zur Anwendung.
dd) Der Senat teilt darüber hinaus auch nicht die Auffassung der AStin, nach der
der deutsche Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des § 4 Nr. 16 UStG in der bis
zum 31.12.2008 geltenden Fassung seine ihm durch Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b
und Art. 133 der MwStSystRL vom Richtliniengeber gesetzten Ermessensgrenzen
überschritten hat. Die vom deutschen Gesetzgeber in den verschiedenen
Tatbestandsvarianten des § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung) gewählten 40%-
Schwellen sind mit dem Zweck vereinbar, nur in sozialer Hinsicht mit öffentlich-
rechtlichen Krankenhäusern vergleichbare „Einrichtungen gleicher Art“ von der
Umsatzsteuer zu befreien. Die dadurch entstehende Schlechterstellung
bestimmter Privatkliniken führt zwar zu einem Wettbewerbsnachteil, nicht jedoch
zu einer Verzerrung des Wettbewerbs i.S.d. Art. 133 Buchstabe d der MwStSystRL.
Dementsprechend hat auch der EuGH in der Entscheidung „L. u. P. GmbH“ die
Auffassung vertreten, dass die nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz bis
31.12.2008 geltende 40%-Schwelle mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei
(EuGH vom 08.06.2006 – C-106/05 „L. u. P. GmbH“, Slg. 2006, I-5123 unter Rn.
54).
c) Da mithin Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 4 Nr. 16 UStG
(alte Fassung) bei summarischer Prüfung nicht bestehen, kann sich die AStin nicht
auf die unmittelbare Anwendung der Gewährleistungen des Art. 132 Abs. 1
Buchstabe b der MwStSystRL berufen. Dessen ungeachtet könnte sich die AStin
unter Berücksichtigung der bisher im Besteuerungsverfahren und
finanzgerichtlichen Verfahren eingebrachten Tatsachen und Beweismittel selbst
dann nicht auf die unmittelbare Anwendung der Richtlinienvorschrift berufen, wenn
die Regelungen des § 4 Nr. 16 UStG eine gemeinschaftsrechtkonforme
Umsetzung der Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b i.V.m. Art. 133 der MwStSystRL nicht
darstellten und daher insoweit gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich der Steuerpflichtige zwar dem
Grunde nach auf eine unmittelbare Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b
der MwStSystRL berufen, da der Richtliniengeber die dortigen Gewährleistungen –
trotz des in Art. 133 der MwStSystRL enthaltenen Ausgestaltungsvorbehaltes des
mitgliedstaatlichen Gesetzgebers – hinreichend konkret formuliert hat (EuGH vom
06.11.2003 – C-45/01 „Christoph-Dornier-Stiftung für klinische Psychologie“, Slg.
2003, I-12911, Rn. 81). Eine Berufung auf die Anwendbarkeit der
Richtlinienvorschrift setzt jedoch voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen
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Richtlinienvorschrift setzt jedoch voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen
um eine „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ handelt.
Fehlt es nach dem Recht des Mitgliedstaates an einem Anerkennungsverfahren
oder verstößt das gültige Anerkennungsverfahren (wegen einer Überschreitung
des dem nationalen Gesetzgeber zustehenden Ermessens) gegen das
Gemeinschaftsrecht, so ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller
relevanter Gesichtspunkte zu ermitteln, ob der Steuerpflichtige als „andere
ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ i.S.d. Art. 132 Abs. 1
Buchstabe b der MwStSystRL anzusehen ist (EuGH vom 06.11.2003 – C-45/01
„Christoph-Dornier-Stiftung für klinische Psychologie“, Slg. 2003, I-12911, Rn. 76).
Dabei ist unter anderem das mit der Tätigkeit des Steuerpflichtigen verbundene
Gemeinwohlinteresse sowie der Umstand der Kostenübernahme durch die
Einrichtungen der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen (EuGH vom 06.11.2003 –
C-45/01 „Christoph-Dornier-Stiftung für klinische Psychologie“, Slg. 2003, I-12911,
Rn. 72 i.V.m. Rn. 73).
Im Streitfall vermag der Senat keine abschließende Prüfung vorzunehmen,
inwieweit die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchstabe b der MwStSystRL
auch ungeachtet der Vorgaben des § 4 Nr. 16 UStG für die AStin im Streitjahr
erfüllt wären. Aufgrund des vom FA in der Einspruchsentscheidung
angesprochenen sonstigen Leistungsspektrums der AStin bezüglich der „Wellness-
und Wohlfühlleistungen“, der Abrechnung auch medizinisch nicht indizierter
Sanatoriumsleistungen sowie der nach außen erkennbaren Verknüpfung des
Leistungsangebotes der Klinik mit dem des Hotelbetriebs drängen sich zumindest
Zweifel auf, ob die AStin die Vorgaben der Richtlinienvorschrift ohne weiteres
erfüllen würde. Ausreichend aussagekräftige Tatsachen, anhand derer der Senat
eine eigenständige und abschließende Prüfung der Merkmale des Art. 132 Abs. 1
Buchstabe b der MwStSystRL vornehmen könnte, hat die AStin nicht glaubhaft
gemacht. Dabei ist zu bemerken, dass das Zustandekommen des in der Anlage
UR angegebenen Betrages der nach Auffassung der AStin steuerbefreiten
Umsätze aus den Verwaltungsakten und dem Sachvortrag der AStin nicht
nachvollziehbar und nicht belegt ist. Die vom FA durchgeführte
Umsatzsteuersonderprüfung bezog sich – soweit ersichtlich – lediglich auf die
Einhaltung der 40%-Grenzen des § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung).
d) Die von der AStin geltend gemachte Steuerfreiheit der in der Anlage UR zur
Umsatzsteuererklärung angegebenen Umsätze „nach § 4 Nr. 16 UStG“ kann –
hinsichtlich der ärztlichen und arztähnlichen Leistungen – auch nicht hilfsweise auf
die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 14 UStG (in der bis zum
31.12.2008 geltenden Fassung) gestützt werden. Wie weiter oben dargestellt kann
sich die AStin nicht auf die Erwägungen des BFH in seinem Urteil vom 15.03.2007
(V R 55/03, BStBl. II 2008, 31 unter II. 1.) berufen, da ihre Gesellschafter keine
Berufsträger i.S.d. § 4 Nr. 14 UStG (alte Fassung) sind und sie Leistungen erbringt,
die über die in dieser Vorschrift umschriebenen typischen Verrichtungen der
einzelnen Berufsträger hinausgehen. Dass sie gegebenenfalls die Steuerfreiheit
von labormedizinischen Leistungen geltend macht, hat die AStin nicht dargelegt.
Dessen ungeachtet bestünden auch insoweit Zweifel an der grundsätzlichen
Erbringung ärztlicher Leistungen durch die AStin, soweit die AStin ausführt, sie
habe die von den sog. Belegärzten erbrachten und ihr in Rechnung gestellten
Leistungen an die Patienten weiterfakturiert. Diesbezüglich ist unklar geblieben, ob
dieser Abrechnungsweise auch ein tatsächlich zwischen der AStin und dem
jeweiligen Patienten zu verortender umsatzsteuerlicher Leistungsaustausch i.S.d. §
1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zu Grunde lag. Wer Beteiligter eines Leistungsaustauschs
i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist, richtet sich grundsätzlich nach den zwischen den
Beteiligten bestehenden zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen (BFH vom
16.03.1995, V R 128/92, BStBl. II 1995, 651; BFH vom 09.03.1995, V R 102/89,
BStBl. II 1995, 564; BFH vom 07.05.1987, V R 56/79, BStBl. II 1987, 582). Bei der
Behandlung von in einer Klinik stationär aufgenommenen Patienten durch einen
sog. Belegarzt liegt eine Vertragsbeziehung über die Erbringung (beleg-) ärztlicher
Leistungen regelmäßig nur zwischen dem Belegarzt und dem jeweiligen Patienten
vor (vgl. Brockhaus-Enzyklopädie, Stichwort „Belegarzt“). Daher würde sich im
Streitfall selbst im Falle der (vom Senat hier verneinten) Anwendung des § 4 Nr. 14
UStG (alte Fassung) zusätzlich die Frage stellen, ob sich die Leistungserbringung
der AStin bei belegärztlich behandelten Patienten auf die sonstigen kliniktypischen
Leistungskomponenten beschränkt oder ob die Belegärzte z.B. als
Erfüllungsgehilfen der AStin tätig werden.
Hinsichtlich der von der AStin angeführten Umsätze aus ambulanter
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Hinsichtlich der von der AStin angeführten Umsätze aus ambulanter
physiotherapeutischer Behandlung und aus wahlärztlichen Leistungen der bei der
AStin angestellten Ärzte i.H.v. … Euro ist aus den vorgelegten Steuerakten und
dem Vortrag der AStin nicht nachvollziehbar und nicht belegt, wie dieser Betrag
berechnet wurde. Hierauf kommt es wegen der Nichtanwendbarkeit des § 4 Nr. 14
UStG (alte Fassung) jedoch nicht an.
e) Der angefochtene Verwaltungsakt hält bei summarischer Prüfung auch einer
verfassungsrechtlichen Kontrolle stand. Hinsichtlich der gesetzgeberischen
Ausgestaltung der in § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung) enthaltenen Kriterien für die
Steuerfreistellung bestimmter Heilbehandlungsleistungen bestehen keine
verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Ungleichbehandlung der Erbringung von
ärztlichen bzw. arztähnlichen (physiotherapeutischen) Leistungen durch eine – wie
im Falle der der AStin – nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 16
UStG erfüllende Privatklinik mit den ärztlichen bzw. arztähnlichen
(physiotherapeutischen) Leistungen einer Person, Personenmehrheit oder
Körperschaft, die für sich die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4
Nr. 14 UStG (alte Fassung) in Anspruch nehmen kann, verstößt nicht gegen den
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs. 1 des Grundgesetztes
(GG).
Anders als der EuGH hält das BVerfG es für vertretbar, den Zweck der
Umsatzsteuerbefreiung für Heilbehandlungsleistungen nicht (nur) in der
Reduzierung der Behandlungskosten zu Gunsten der (gesamten) Endverbraucher,
sondern (auch) in der Entlastung der Sozialversicherungsträger zu sehen (BVerfG
vom 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155). Angesichts dieses
Gesetzeszwecks hat der Senat bei summarischer Prüfung keine Bedenken, die
vom Gesetzgeber in § 4 Nr. 16 UStG (alte Fassung) bei den einzelnen
Tatbestandsvarianten zu Grunde gelegte 40%-Schwelle als für Zwecke des Art. 3
Abs. 1 GG ausreichendes und angemessenes Differenzierungskriterium zu
verstehen, das bewirkt, dass Einrichtungen, in der weit überwiegend nicht
gesetzlich versicherte Patienten behandelt werden, grundsätzlich nicht von der
Umsatzsteuer befreit sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.