Urteil des FG Hessen vom 22.10.2010

FG Frankfurt: lfg, systematische auslegung, besondere gefährlichkeit, beendigung, vollziehung, begriff, termingeschäft, differenzausgleich, lieferung, kurs

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 8.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2006
Aktenzeichen:
8 V 1268/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 23 Abs 1 S 1 Nr 4 EStG
2002, § 23 Abs 3 S 5 EStG
2002, § 22 Nr 2 EStG 2002, §
20 Abs 2 S 1 Nr 3a EStG 2009,
§ 69 Abs 2 S 2 FGO
Steuerliche Erheblichkeit der Verluste in Zusammenhang
mit dem Erreichen der Knock-out-Schwelle für auf den
Goldpreis bezogene Zertifikate - Verfahren der Aussetzung
der Vollziehung
Tenor
Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom ...2010 wird bis einen Monat nach
dem Ergehen der Einspruchsentscheidung von der Vollziehung ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die für die Anschaffung von „Unlimited Turbo-
Zertifikaten auf den Goldpreis in U.S. $“ (A-Zertifikaten) aufgewendeten Beträge
nach dem Eintritt des sogenannten „Knock-out-Ereignisses“ steuermindernd zu
berücksichtigen sind.
Die Antragsteller (Ast.) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Antragstellerin ( Ast’in .) übte im Streitjahr - wie auch in den Jahren zuvor -
keinen Beruf aus. Der Ast. erzielt als … beim … Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit sowie … solche aus Gewerbebetrieb in geringfügiger Höhe. Die Einnahmen
aus Kapitalvermögen beliefen sich im Streitjahr auf ca.,- €.
Neben positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.H.v. …,- €, die
er weitgehend aus dem Verkauf von sog. … zertifikaten erzielt hat, erklärte der
Ast. auch einen Verlust i.H.v. …,- €.
Diesem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Ast. erwarb am ...2006 xxx Stück des A-Zertifikates der B-Bank,, zum Kurs von
€, mithin zu einem Gesamtwert von € incl. Gebühren.
Nach den „Endgültigen Bedingungen “ der B-Bank gewähren die „A-Zertifikate“
bezogen auf Edelmetalle (im nachfolgenden: Zertifikate) dem Anleger das Recht,
von der Emittentin zu bestimmten Einlösungsterminen die Zahlung eines
Einlösungsbetrages zu verlangen, der dem mit dem Bezugsverhältnis
multiplizierten und in EUR umgerechneten Betrag entspricht, um den der Kurs des
dem Zertifikat zugrunde liegenden Edelmetalls am Bewertungstag den in den
Zertifikatsbedingungen festgelegten Basiskurs überschreitet. Darüber hinaus
gelten die Zertifikate bei Eintritt eines Knock-Out-Ereignisses ohne weiteres
Tätigwerden des Zertifikatsinhabers als eingelöst. Die Zertifikate verbriefen weder
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Tätigwerden des Zertifikatsinhabers als eingelöst. Die Zertifikate verbriefen weder
einen Anspruch auf Zinszahlung noch auf Dividendenzahlung und werfen daher
keine laufenden Erträge ab. Für die Höhe des vom Anleger zu beanspruchenden
Einlösungsbetrags ist allein die Differenz zwischen dem Kurs des dem Zertifikat
zugrunde liegenden Edelmetalls und dem am jeweiligen Bewertungstag gültigen
Basiskurs maßgeblich. In diesem Zusammenhang ist laut den Bedingungen zu
beachten, dass sich der Basiskurs der Zertifikate täglich verändert, wobei er sich
im Falle von A-Zertifikaten in der Regel erhöht. Falls sich der Kurs des Edelmetalls
nicht ebenfalls um mindestens den entsprechenden Betrag erhöht, vermindert
sich der Wert der Zertifikate mit jedem Tag der Laufzeit. Der Basiskurs verändert
sich an jedem Kalendertag um einen Anpassungsbetrag, der auf der Grundlage
des für den entsprechenden Anpassungszeitraum geltenden Referenzzinssatzes
zuzüglich eines von der Emittentin bestimmten Zinsbereinigungsfaktors errechnet
wird.
Sobald der im International Interbank Spot Market wahrgenommene Bid-Preis für
das Edelmetall zu irgendeinem Zeitpunkt an oder nach dem Tag des erstmaligen
Angebotes der Zertifikate der in den Zertifikatsbedingungen festgelegten Knock-
Out-Schwelle entspricht oder diese unterschreitet, entfällt der in den
Zertifikatsbedingungen verbriefte Anspruch und es wird kein Einlösungsbetrag
gezahlt. Der Eintritt eines Knock-Out-Ereignisses führt somit zum Totalverlust des
vom Inhaber der Zertifikate eingesetzten Kapitals. Die Knock-Out-Schwelle
entspricht immer dem gültigen Basiskurs und wird, ebenso wie der Basiskurs,
kalendertäglich um den Anpassungsbetrag angepasst. Im Falle des Eintritts eines
Knock-Out-Ereignisses wird die Verpflichtung der Emittentin zur Zahlung des
Einlösungsbetrages durch die Verpflichtung ersetzt, die Zertifikate von dem
jeweiligen Zertifikatsinhaber anzukaufen, wenn dieser seine Zertifikate innerhalb
einer Frist von fünf Bankarbeitstagen nach Eintritt des Knock-Out-Ereignisses der
Emittentin zum Kauf anbietet. Die Höhe des Kaufpreises wird von der Emittentin
nach billigem Ermessen bestimmt und wird in der Regel 1/10 Eurocent pro
Zertifikat nicht übersteigen.
Die Zertifikate sind dadurch gekennzeichnet, dass zu keinem Zeitpunkt während
der Laufzeit eine automatische Zahlung des durch die Zertifikate verbrieften
Einlösungsbetrages vorgesehen ist. Jede Zahlung des Einlösungsbetrages setzt
voraus, dass das betreffende Zertifikat vorher entweder vom Inhaber des
Zertifikats nach den Zertifikatsbedingungen eingelöst oder von der Emittentin
gekündigt wurde. Da es ungewiss ist, ob die Emittentin die Zertifikate kündigen
wird, ist der Zertifikatsinhaber gezwungen – will er den durch die Zertifikate
verbrieften Einlösungsbetrag erhalten – die Zertifikate von sich aus entsprechend
der Zertifikatsbedingungen einzulösen.
Die von der B-Bank ab dem .2006 angebotenen und in einem Inhaber-
Sammelzertifikat verbrieften Zertifikate waren im Einzelnen wie folgt ausgestattet:
Typ Basiskurs am
Emissionstag
Anpassungsprozentsatz im ersten
Anpassungszeitraum
anfänglicher
Nach den (konkreten) Zertifikatsbedingungen stand dem Ast. innerhalb der
unbegrenzten Laufzeit der Zertifikate das Recht zu, ab 2006 von der Emittentin zu
jedem letzten Bankarbeitstag der Monate und eines jeden Jahres die Einlösung der
Zertifikate zu verlangen (§ ). Die Berechnung des Einlösungsbetrages hatte unter
Beachtung der Bestimmungen in § Abs. und Abs. zu erfolgen. Zwischen den
genannten Einlösungsterminen war die Realisierung des durch die Zertifikate
verbrieften wirtschaftlichen Wertes nur durch eine Veräußerung derselben möglich.
Bei Eintritt des Knock-Out-Ereignisses stand den Inhabern statt der Einlösung das
Recht zu, binnen fünf Bankarbeitstagen durch Abgabe eines Verkaufs- und
Übereignungsangebotes unter gleichzeitiger Lieferung der Zertifikate von der
Emittentin den Ankauf der gehaltenen Zertifikate zu verlangen; die Emittentin war
unter diesen Bedingungen zur Annahme dieses Angebotes verpflichtet, § Abs. .
Nach § war die Emittentin zudem ihrerseits berechtigt, die Zertifikate insgesamt,
jedoch nicht teilweise, jeweils zum letzten Bankarbeitstag der Monate und eines
jeden Jahres zu kündigen und die Zertifikate dadurch nach § Abs. zur Einlösung zu
bringen.
Nach dem Eintritt des Knock-Out-Ereignisses bereits am . .2006 machte der Ast.
von seinem in § Abs. der Zertifikatsbedingungen verbrieften Andienungsrecht
keinen Gebrauch, so dass die Zertifikate mit der Bemerkung „Endfälligkeit
Optionsscheine“ am . . als wertlos aus seinem Depot ausgebucht wurden.
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Optionsscheine“ am . . als wertlos aus seinem Depot ausgebucht wurden.
In der Zeit vom . .2008 bis zum . .2010 fand bei dem Ast. eine Betriebsprüfung
(Bp.) statt, welche dem geltend gemachten Verlust in Tz. 18 ihres Berichtes vom .
.2010 entsprechend der Anweisung ihrer vorgesetzten Oberfinanzdirektion die
steuerliche Anerkennung versagte. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
erfülle das bloße Verfallenlassen einer Option nicht den – einzig in Frage
kommenden - Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz
(EStG).
Der zuständige Veranlagungsteilbezirk folgte dieser Auffassung und ließ den
geltend gemachten Verlust im Bescheid vom . .2010 unter Verweis auf die
Würdigung seiner Bp. unberücksichtigt. Der infolge eines Verlustrücktrages
ergangene Änderungsbescheid vom . .2010 ließ diese Würdigung unangetastet.
Über den rechtzeitig erhobenen Einspruch hat der Antragsgegner (Ag.) noch nicht
entschieden.
Den gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der Ag. mit Schreiben
vom . .2010 abgelehnt.
Mit ihrem gerichtlichen Antrag begehren die Ast. die Berücksichtigung des
Verlustes i.H.v.,- €. Es bestünden gewichtige rechtliche Zweifel an dem
angefochtenen Einkommensteuerbescheid.
Es handele sich nicht um eine Option. Das Wesen eines Optionsgeschäftes liege
darin, dass eine der Parteien ein einseitiges Risiko übernehme, wofür sie - als
Ausgleich - das Stillhalterentgelt erhalte. Kennzeichnend sei, dass sich der
Stillhalter aus dieser Position nicht mehr einseitig befreien könne. Es sei streng
zwischen Optionen und Zertifikaten zu unterscheiden. Während Optionen ausgeübt
werden müssten, seien Zertifikate Festgeschäfte. Bei Zertifikaten könne sich auch
der Emittent seiner Verpflichtung entziehen. Die für eine Option typische
Risikoverlagerung auf den Stillhalter sei bei Zertifikaten gerade nicht gegeben. Das
hier streitige Zertifikat verbriefe vielmehr eine Rechtssituation, bei der Chancen
und Risiken auf beiden Seiten gegeben seien. Damit komme auch Tz.18 des BMF-
Schreibens aus dem Jahr 2001 nicht zur Anwendung. Zertifikate seien Wertpapiere,
die eine Unterscheidung in eine steuerbare und nichtsteuerbare Ebene nicht
zuließen, das Gesamtgeschehen sei vielmehr einheitlich zu beurteilen. Aus der
Gesetzesbegründung ergebe sich, dass Zertifikate, mit denen letztlich um „Kurse
gespielt werde“, dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 4 EStG unterfallen
sollten. Der Verlust trete bei der Nr. 4 nicht erst bei einer Veräußerung, sondern
schon bei einer in den Vertragsbedingungen vorgesehen Beendigung wie dem
(bloßen) Verfall ein. Der BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 869, stehe diesem
Verständnis schon deshalb nicht entgegen, da sich der Emittent dort nicht
einseitig aus seiner Verpflichtung habe lösen können und der BFH daher vom
Vorliegen einer Option habe ausgehen dürfen. Für das dortige Vorliegen einer
Option spreche auch, dass jenes Knock-Out-Papier – im Gegensatz zum Streitfall –
einen konkreten Fälligkeitstermin gehabt habe, bis zu dem eine Optionsprämie
habe kalkuliert werden können. Das sei bei unbefristeten Bindungen – wie hier –
nicht möglich, so dass demzufolge von einem Zertifikat auszugehen sei.
Schließlich könnten die Ast. auch nicht darauf verwiesen werden, dass sie ihr
Andienungsrecht nicht ausgeübt hätten. Denn die Finanzverwaltung gehe in einer
Verfügung der OFD Münster (Haufe-Index 2212211) selbst davon aus, dass dies
einen Gestaltungsmissbrauch darstelle.
Hilfsweise sei bei der Annahme einer Option der Verlust als Werbungskosten
anzuerkennen. Der Umstand, dass sich die Aufwendungen vorliegend als
Fehlinvestitionen erwiesen hätten, schließe einen Abzug als (vergebliche)
Werbungskosten nicht aus, solange der Anleger in Gewinnerzielungsabsicht
gehandelt habe.
Schließlich fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Erfassung positiver Einkünfte
aus solchen Zertifikaten im Jahr 2006. Bei den hier interessierenden Zertifikaten
handele es sich um verbriefte Wertpapiere, die Zug um Zug erworben würden, und
damit um Kassageschäfte, die vom Anwendungsbereich der Nr. 4 nicht erfasst
würden.
Aus den aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur teilweisen
Nichtigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vom 07.07.2010 (2 BvL 14/02 – 2 BvL 2/04 –
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Nichtigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vom 07.07.2010 (2 BvL 14/02 – 2 BvL 2/04 –
2 BvL 13/05) ergebe sich, dass § 23 EStG (insgesamt) wie die betrieblichen
Einkunftsarten systematisch durch Vermögensvergleich und Realisationsprinzip
geprägt sei. Diese Realisierung erfolge im Normalfall durch Veräußerung, könne
jedoch seit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 im Rahmen von § 23
EStG auch durch die (bloße) Beendigung eines Rechtsgeschäftes erfüllt werden.
Denn zu diesem Zeitpunkt stehe (endgültig) fest, dass es nicht mehr zu einer
Gewinnrealisierung komme.
Die Vollziehung sei auch wegen einer unbilligen Härte zu gewähren, denn die Ast.
seien nicht in der Lage, die Steuerschuld aus flüssigen Mitteln zu begleichen. Ein
Zwang zur Veräußerung etwa der selbstgenutzten Immobilie, die hier den einzig
relevanten Vermögenswert darstelle, wäre auch bei einem Obsiegen in der
Hauptsache ein nicht mehr gutzumachender Nachteil.
Die Antragsteller beantragen,
den Einkommensteuerbescheid vom . .2010 von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Bundesfinanzhof habe in aktueller Rechtsprechung wiederholt entschieden,
dass der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nur erfüllt ist, wenn der
Optionsinhaber tatsächlich einen Differenzausgleich erlange. Daran fehle es, wenn
er von seinem Recht auf Differenzausgleich keinen Gebrauch mache und die
Option verfallen lasse. Diese Beurteilung sei nach der Entscheidung IX B 110/09
ausdrücklich auf Knock-Out-Produkte zu übertragen. Das Gesetz unterscheide
nicht zwischen Zertifikaten und Optionen; vielmehr seien beide unter dem
Oberbegriff der Termingeschäfte zu erfassen. Darüber hinaus ähnele hier die
Position der B-Bank faktisch der eines Stillhalters im Optionsgeschäft. Denn diese
habe sich nur dann einseitig aus dem Geschäft mit dem Ast. lösen können, wenn
sie die Gesamtemission von Zertifikaten insgesamt zurückgenommen hätte.
Ergänzend werde auf die steuerliche Einschätzung der emittierenden Bank
hingewiesen, nach der nur realisierte Verluste (unter bestimmten weiteren
Voraussetzungen) steuerlich relevant seien. Die Kosten für den Erwerb der
Zertifikate stellten auch keine vergeblichen Werbungskosten, sondern vielmehr
Anschaffungskosten des Knock-Out-Produktes selbst dar. Letztlich mangele es
auch nicht an einer Rechtsgrundlage für die Erfassung positiver Einnahmen aus
den hier streitigen Zertifikaten, denn es handele sich von der Ausgestaltung her
gerade nicht um ein – sofort zu erfüllendes – Kassageschäft.
Eine Aussetzung wegen unbilliger Härte scheide aus, weil es angesichts der
höchstrichterlichen Rechtsprechung keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides gebe.
Dem Gericht lagen die Akten des Streitfalles (5 Bände) vor.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag hat Erfolg, denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des angefochtenen Einkommensteuerbescheides.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die
Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende
öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
1. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden
Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage
treten, die eine Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von
Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dabei
brauchen die gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden
Bedenken nicht zu überwiegen (BFH-Beschluss vom 23.08.2004 IV S 7/04, BFH/NV
2005, 9). Die Entscheidung ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen
summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhaltes, der sich aus dem Vortrag der
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summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhaltes, der sich aus dem Vortrag der
Beteiligten, den vorliegenden Unterlagen und Akten sowie den präsenten
Beweismitteln ergibt (Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 120 f.).
Die gebotene summarische Prüfung im Streitfall ergibt, dass der Ag. den vom Ast.
geltend gemachten Verlust zu Unrecht außer Ansatz gelassen hat.
Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden
Fassung gehören zu den privaten Veräußerungsgeschäften des § 22 Nr. 2 EStG
auch Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich
oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten
Geldbetrag oder Vorteil erlangt, sofern der Zeitraum zwischen Erwerb und
Beendigung des Rechts auf einen Differenzausgleich, Geldbetrag oder Vorteil nicht
mehr als ein Jahr beträgt. Nach Satz 2 gelten Zertifikate, die Aktien vertreten, und
Optionsscheine als Termingeschäfte im Sinne des Satzes 1.
a. Bei den vom Ast. erworbenen Zertifikaten handelt es sich zwar nicht um solche
im Sinne des Satzes 2, da sie mit dem Goldpreis auf ein Edelmetall und nicht – wie
nach dem Wortlaut erforderlich – auf Aktien bezogen waren.
Darüber hinaus liegen nach der Auffassung des Senats auch keine Optionsscheine
im Sinne des Satzes 2 vor, selbst wenn die streitgegenständlichen Papiere sowohl
von der depotführenden C-Bank (so der Wortlaut der Ausbuchungsmitteilung) als
auch wohl von der Emittentin selbst intern wie solche behandelt wurden.
Optionsscheine verbriefen das eigenständige Recht, nicht aber die Verpflichtung,
eine bestimmte Menge eines bestimmten Basiswertes innerhalb einer bestimmten
Laufzeit (sog. Amerikanische Option) oder zum Laufzeitende (sog. Europäische
Option) zu einem im voraus festgelegten Preis zu erwerben oder zu verkaufen
(Basisinformationen über Termingeschäfte, Bank-Verlag Medien, Juli 2007, S. 58;
Frotscher, EStG, Stand 159. Lieferung (Lfg.) September 2010, § 23 Rn. 67 i.V.m.
60). Bei den vom Ast. erworbenen Zertifikaten fehlt es an einer konkret
bestimmten Laufzeit. Damit scheidet eine Einordnung als Optionsschein nach der
vorstehenden Definition aus. Denn die für die Einräumung des Optionsrechtes an
den Stillhalter zu zahlende Optionsprämie bemisst sich – neben dem Kurs des
Basiswertes, dem Basispreis und der Volatilität des Basiswertes – unter anderem
auch nach der bis zum Verfalltag der Option verbleibenden Restlaufzeit (siehe
Basisinformationen über Termingeschäfte, Bank-Verlag Medien, Juli 2007, S. 38
ff.). Bei einer – wie hier – theoretisch unbegrenzten Laufzeit der Zertifikate kann
hingegen das für den Stillhalter bzw. Emittenten bestehende zeitliche Risiko nicht
mehr zuverlässig kalkuliert und in die Optionsprämie bzw. den Optionsschein
eingepreist werden.
b. Nach der Überzeugung des Senats handelt es sich aber um Termingeschäfte
i.S.d. Satzes 1 des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG.
aa. Der Begriff des Termingeschäftes ist steuerrechtlich nicht definiert.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/443, S. 29) sollen der Besteuerung
allgemein – nach der Ansicht des Senats: alle – Geschäfte unterliegen, die ein
Recht auf Zahlung eines Geldbetrages oder auf einen sonstigen Vorteil (z.B. die
Lieferung von Wertpapieren) einräumen, der sich nach anderen Bezugsgrößen
(z.B. der Wertentwicklung von Wertpapieren, Indices, Futures, Zinssätzen)
bestimmt. Die Einführung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zum 01.01.1999 - und
damit die Begründung einer neuen Systematik des § 23 EStG - war die Reaktion
des Gesetzgebers auf bestehende Besteuerungslücken im Bereich privater
Kapitalanlagen. Vielfältige Produktinnovationen des Kapitalmarktes verfolgten das
Ziel, einerseits den 1993 eingeführten Zinsabschlag zu vermeiden, andererseits
Produkte anzubieten, deren Ertrag weder von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. noch von
§ 20 Abs. 2 Satz 1 EStG a.F. erfasst werden konnte. Dies geschah im Allgemeinen
dadurch, dass die Anlageprodukte sowohl den laufenden oder einmaligen Ertrag
als auch die Rückzahlung des Kapitals von einem ungewissen Ereignis abhängig
machten, also zunehmend mit Optionselementen ausgestattet wurden. Aus der
Besteuerung des § 20 EStG fielen diese Kapitalanlagen in der Regel wegen Fehlens
einer Kapitalüberlassung auf Zeit heraus. Im Rahmen des § 23 EStG a.F. waren die
Erträge solcher Produkte nicht steuerbar, weil entweder kein Leistungsaustausch
vorlag oder die Geschäfte nicht durch Veräußerung eines Wirtschaftsgutes,
sondern in sonstiger Weise beendet wurden. Nach alter Rechtslage waren vielmehr
lediglich die Geschäfte steuerbar, bei denen tatsächlich Wirtschaftsgüter erworben
und innerhalb der Spekulationsfrist weiterveräußert wurden. Durch die ab 1999
neue Rechtslage wird über § 23 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG weiterhin die Übertragung
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neue Rechtslage wird über § 23 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG weiterhin die Übertragung
von Wirtschaftsgütern an Dritte erfasst. Demgegenüber sollen mit der neu
eingeführten Nr. 4 gerade keine Veräußerungen, sondern – über Nr. 1 bis 3
hinausgehend – solche Geschäfte zwischen einem Rechteinhaber und dem
Emittenten eines Finanzproduktes erfasst werden, die in anderer Weise – etwa
Rechtsausübung oder Glattstellung – ihre Beendigung finden und dadurch zu
einem Vermögensvorteil oder –nachteil führen (ausführlich Harenberg, FR 2002,
109; Hermann/Heuer/Raupach, EStG, Stand 242. Lfg. August 2010; § 23 Rn. 187;
Schmidt, EStG, 29.Aufl. 2010, § 20 Rn. 160 zur wortlaut- und zweckgleichen
Nachfolgeregelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a EStG).
Von diesem eigenständigen steuerrechtlichen Verständnis des Termingeschäftes
sind die vom Ast. erworbenen Zertifikate erfasst. Denn diese verbrieften als
Schuldverschreibung das Recht, von der B-Bank als Emittentin die Zahlung eines
Geldbetrages, den sog. Einlösungsbetrag, zu verlangen, der sich unter Anwendung
eines Hebels nach dem Goldpreis zu bestimmten Bewertungsstichtagen richtete.
Für diese steuerrechtliche Einordnung ist es entgegen der Ansicht der Ast.
unerheblich, ob es sich bei den Zertifikaten um eine Option handelt und ob sich
der Emittent als Stillhalter einseitig aus seiner Verpflichtung lösen konnte. Denn
nach unbestrittener Ansicht handelt es sich bei dem Optionsgeschäft nur um
einen Unterfall der Termingeschäfte, die daneben auch noch Festgeschäfte
beinhalten (Schmidt, EStG, 29.Aufl. 2010, § 20 Rn. 160 und 164;
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand 211. Aktualisierung (Akt.) August 2010; §
23 Rn. B 164; Frotscher, EStG, Stand 159. Lfg. September 2010, § 23 Rn. 58;
Hermann/Heuer/Raupach, EStG, Stand 242. Lfg. August 2010; § 23 Rn. 182; so
auch der Prozessbevollmächtigte der Ast. selbst in DStR 2008, 1910,1911).
bb. Diese Qualifizierung nach Satz 1 begründet keinen systematischen
Widerspruch zu Satz 2 des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Aus dem Umstand, dass
in Satz 2 nur Zertifikate genannt sind, die Aktien vertreten, kann nicht im
Umkehrschluss gefolgert werden, dass andersartige Zertifikate – also auch solche,
die wie hier auf Edelmetalle bezogen sind – von Satz 1 nicht erfasst werden
(sollen).
(1.) Nach allgemeiner Ansicht wird in der Literatur zwischen Satz 1 und 2 wie folgt
differenziert:
Als Termingeschäft nach Satz 1 sollen alle Geschäfte erfasst werden, bei denen
das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft und das Erfüllungsgeschäft zeitlich
auseinander fallen. Als klassisches Beispiel für ein (bedingtes) Termingeschäft wird
allenthalben das Optionsgeschäft genannt, weil dieses mit der Lieferung des
Basiswertes bzw. des finanziellen Ausgleiches erst später zu erfüllen sei (Schmidt,
EStG, 29.Aufl. 2010, § 20 Rn. 160-161, 164; Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Stand
211. Akt. August 2010, § 23 Rn. B 163, 167; Bordewin/Brandt, EStG, Stand 322.
Akt. September 2010, § 20 Rn. 610-611, 616; durch die Bezugnahme auf § 2 Abs.
2 WpHG auch: Frotscher, EStG, Stand 159. Lfg. September 2010, § 23 Rn. 55ff.;
Blümich, EStG, Stand 106. Lfg. Mai 2010, § 23 Rn. 74 f. i.V.m. 63, 65;
Hermann/Heuer/Raupach, EStG, Stand 242. Lfg. August 2010, § 23 Rn. 182;
Dahm/Hamacher, DStR 2008, 1910, 1911; Haisch/Danz, DStR 2005, 2108, 2113;
Helios/Philipp, BB 2010, 95, 96).
Demgegenüber soll es sich bei Zertifikaten und Optionsscheinen um
Kassageschäfte handeln, bei denen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft
zusammenfallen bzw. die Erfüllung entsprechend der Börsenusancen binnen zwei
Tagen nach Abschluss des Geschäftes zu erfolgen hat (Schmidt, EStG, 29.Aufl.
2010, § 20 Rn. 163; Bordewin/Brandt, EStG, Stand 322. Akt. September 2010, § 20
Rn. 610; Harenberg, FR 2002, 109 (110); Haisch/Danz, DStR 2005, 2108, 2113).
Dieses Verständnis geht auf die zivilrechtlichen Begriffsbestimmungen zurück.
Denn nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/443, S. 28 f.) soll der bereits
zivilrechtlich problematische Begriff des Differenzgeschäftes durch den in § 2 (Abs.
2) WpHG sowie § 1 (Abs. 11 Satz 4) Kreditwesengesetz (KWG), jeweils in der
Fassung der Bekanntmachung vom 09.09.1998, definierten Begriff des
Termingeschäftes ersetzt werden.
Zivilrechtlich sind Zertifikate Schuldverschreibungen, die den Anspruch des
Inhabers gegen den Emittenten auf Zahlung eines Geldbetrages verbriefen,
dessen Höhe vom Stand des zugrunde gelegten Basiswertes am Ende der Laufzeit
bzw. Bewertungstag abhängt. Hier hat der Leistungsaustausch durch Übertragung
der Schuldverschreibung mit der darin wertpapiermäßig verbrieften Forderung Zug
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der Schuldverschreibung mit der darin wertpapiermäßig verbrieften Forderung Zug
um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises binnen der für Kassageschäfte üblichen
Frist von zwei Tagen zu erfolgen. Durch die spätere Rückzahlung der Emittentin an
den Erwerber wird nicht (mehr) der Vertrag über den Erwerb des Zertifikates,
sondern die durch die Schuldverschreibung begründete Forderung erfüllt
(Bundesgerichtshof -BGH-, Urteile vom 13.07.2004 XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58,
und vom 12.03.2002 XI ZR 258/01, BGHZ 150, 164).
Hingegen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in Zivilsachen
Börsentermingeschäfte, welche mit dem 4. Finanzmarktförderungsgesetz in § 2
Abs. 2a WpHG durch den Begriff der Finanztermingeschäfte ersetzt wurden, als
standardisierte Verträge definiert, die von beiden Seiten erst zu einem späteren
Zeitpunkt, dem Ende der Laufzeit, zu erfüllen sind und einen Bezug zu einem
Terminmarkt haben (BGH-Urteil vom 13.07.2004 XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58).
Diese zivilrechtlichen Definitionen beruhen darauf, dass die Börsen- bzw.
Finanztermingeschäfte aufgrund ihrer spezifischen Gefährlichkeit einer stärkeren
Reglementierung unterliegen. Die besondere Gefährlichkeit der Geschäfte, vor der
nicht börsentermingeschäftsfähige Anleger geschützt werden sollen, besteht
darin, dass sie – anders als Kassageschäfte, bei denen der Anleger sofort
Barvermögen oder einen Kreditbetrag einsetzen muss – durch den
hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkt zur Spekulation auf eine günstige, aber
ungewisse Entwicklung des Marktpreises in der Zukunft verleiten, die die Auflösung
des Terminengagements ohne Einsatz eigenen Vermögens und ohne Aufnahme
eines förmlichen Kredits durch ein gewinnbringendes Glattstellungsgeschäft
ermöglichen soll. Typischerweise sind mit Börsen- bzw. Finanztermingeschäften die
Risiken der Hebelwirkung und des Totalverlustes des eingesetzten Kapitals sowie
die Gefahr, planwidrig zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen, verbunden.
Demgegenüber fehlt dem Geschäft mit Zertifikaten die für Termingeschäfte
spezifische Gefährlichkeit und damit das für die Qualifizierung als
Börsentermingeschäft wesentliche Schutzbedürfnis des Anlegers. Dieser wird nicht
dazu verleitet, ohne oder mit verhältnismäßig geringem Einsatz eigenen
Vermögens und ohne Aufnahme eines förmlichen Kredits auf Gewinn zu
spekulieren. Sein Verlustrisiko ist vielmehr auf den Kaufpreis für die
Schuldverschreibung begrenzt, den er sofort bei Vertragsschluss in voller Höhe
bezahlen muss. Darüber hinaus fehlt es jedenfalls an der Gefahr, planwidrig
zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen (BGH-Urteil vom 13.07.2004 XI ZR 178/03,
BGHZ 160, 58).
(2.) Die vorstehende Unterscheidung führt systematisch dazu, dass – nach Satz 1
– alle Geschäfte erfasst würden, bei denen Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft
zeitlich auseinander fallen. Darüber hinaus würden – nach dem dann als
Erweiterung des Anwendungsbereiches zu begreifenden Satz 2 – als zivilrechtliche
Kassageschäfte nur die beiden dort genannten Fälle erfasst.
Diesem Verständnis kann nicht gefolgt werden. Die begriffliche Anknüpfung an § 2
Abs. 2 WpHG sowie § 1 Abs. 11 Satz 4 KWG erscheint bereits im Ansatz
bedenklich, da der zivilrechtliche Begriff des Termingeschäftes dort – entgegen der
Gesetzesbegründung! – ebenfalls nicht definiert, sondern seinerseits lediglich im
Rahmen der Derivatedefinition als Oberbegriff vorausgesetzt wird. Darüber hinaus
verfolgen diese Gesetze, wie dargestellt, mit der Reglementierung des
Wertpapierhandels bzw. Kreditwesens den Anlegerschutz, was mit der –
historischen wie auch in der Gesetzesbegründung selbst genannten – Zielsetzung
der möglichst weitreichenden Erfassung privater Beendigungsgeschäfte nichts zu
tun hat.
Vielmehr widerspricht dem steuerrechtlichen Gesetzeszweck der umfassenden
Abschöpfung des Spekulationsgewinns (innerhalb bestimmter Fristen) eine an den
zivilrechtlichen Begrifflichkeiten orientierte einschränkende systematische
Auslegung, nach der von den Zertifikaten nur die aktienvertretenden besteuert
werden sollen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit Satz 2 der Norm der
Anwendungsbereich der Spekulationsgewinnbesteuerung im Bereich der
Beendigungsgeschäfte bei neuartigen Finanzprodukten wohl nur klargestellt
werden. Dies ergibt sich entscheidend aus der Gesetzesbegründung, welche (BT-
Drs. 14/443, Seite 29) zunächst davon spricht, dass von der neuen Formulierung
nicht nur Waren- und Devisentermingeschäfte erfasst werden, sondern darüber
hinaus auch – also wohl exemplarisch – Indexzertifikate und Optionsscheine zu den
Termingeschäften i.S.d. Nr. 4 gehören sollen. Erst danach werden die ins Auge
gefassten Geschäfte allgemein umschrieben. Hätte der Gesetzgeber mit Satz 2
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gefassten Geschäfte allgemein umschrieben. Hätte der Gesetzgeber mit Satz 2
der Norm hingegen nur bestimmte Produkte zusätzlich erfassen wollen, also eine
Erweiterung des Anwendungsbereiches beabsichtigt, hätte es nahegelegen, diese
anderen Finanzprodukte erst nach der allgemeinen Umschreibung des
Termingeschäftes des Satzes 1 zu benennen.
Darüber hinaus erscheint die von der Literatur vorgenommene Unterscheidung
auch in sich widersprüchlich. Als Beispiel für ein (bedingtes) Termingeschäft wird
von allen Seiten das Optionsgeschäft genannt, weil dieses erst später mit der
Lieferung des Basiswertes bzw. dem Geldausgleich zu erfüllen ist. Insoweit wird
nach der Ansicht des Senats jedoch verkannt, dass das Optionsgeschäft im
Eröffnungsgeschäft - wie ein Zertifikat - sofort erfüllt wird. Denn für die erworbene
Stillhalterverpflichtung hat der Optionserwerber sofort die Optionsprämie zu
zahlen. Bei der späteren Ausübung des erworbenen Gestaltungsrechtes wird nicht
der Vertrag über den Erwerb der Option, sondern jene durch die Einräumung des
Optionsrechtes begründete neue Forderung erfüllt. Damit aber liegt zivilrechtlich
im Eröffnungsgeschäft ein Kassa- und kein Termingeschäft vor, denn der
Optionserwerber wird nicht dazu verleitet, ohne oder mit verhältnismäßig geringem
Einsatz eigenen Vermögens und ohne Aufnahme eines förmlichen Kredits auf
Gewinn zu spekulieren. Sein Verlustrisiko ist vielmehr auf die gezahlte
Optionsprämie begrenzt, die er sofort bei Vertragsschluss in voller Höhe bezahlen
muss. Darüber hinaus fehlt es für den Optionserwerber ebenfalls an der Gefahr,
planwidrig zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen. Für den Senat ist ein steuerlich
relevanter Unterschied erworbener Optionen zu den vom Ast. erworbenen
Zertifikaten nicht ersichtlich. Denn auch bei diesen hängt es – wie bei der
Ausübung eines erworbenen Optionsrechtes – von der Entwicklung des
Basiswertes ab, ob das Zertifikat eingelöst wird oder verfällt. Eine unterschiedliche
steuerrechtliche Behandlung dieser Finanzprodukte ist damit nicht angezeigt.
Die endgültige Gesetzesfassung erscheint somit in mehrfacher Hinsicht
missglückt, so dass es bei der unter aa.) gegebenen steuerrechtlichen
Begriffsbestimmung verbleibt. Dieses Misslingen mag dem Umstand geschuldet
sein, dass erst im bereits laufenden Gesetzgebungsverfahren der ursprünglich
vorgesehene Begriff des Differenzgeschäftes durch eine Bezugnahme auf Gesetze
mit anderen Zielrichtungen mit dem zivilrechtlichen Begriff des Termingeschäftes
ersetzt wurde. Auch ist eine steuerrechtliche Regelung dieser Materie mit dem
besonderen Problem konfrontiert, dass auf den Kapitalmärkten in rasanter
Geschwindigkeit immer neue Finanzprodukte entwickelt werden, die trotz ihrer
eindeutigen Bezeichnung, z.B. als Option oder Zertifikat, zunehmend Elemente
verschiedenartiger Instrumente in sich vereinen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass
eine strenge Anknüpfung an bankrechtliche Begriffe keine sachgerechte
steuerrechtliche Einordnung erlaubt.
Satz 2 erscheint angesichts des vom Gesetzgeber verfolgten Zweckes vielmehr
überflüssig. Die in der Gesetzesbegründung gegebene Definition erfasst auch die
dort genannten Indexzertifikate und Optionsscheine. Hingegen werden
Indexzertifikate nach Satz 2 des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG gerade nicht
erfasst. Die Formulierung „Zertifikate, die Aktien vertreten“ geht auf Art. 1 Abs. 2
der EG-Transparenz-Richtlinie vom 12.12.1988 (AblEG Nr. L 348/62) zurück,
welcher in § 2 Abs. 1 Nr. 1 WpHG seinen Niederschlag gefunden hat, an den
wiederum die steuerrechtliche Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/443, S. 28f.)
angeknüpft hat. Damit werden hiervon nur solche Instrumente erfasst, die
zumindest mittelbar Beteiligungsrechte an einer börsennotierten
Aktiengesellschaft vermitteln (Bordewin/Brandt, EStG, Stand 322. Akt. September
2010, § 20 Rn. 613; Hermann/Heuer/Raupach, EStG, Stand 242. Lfg. August 2010,
§ 23 Rn. 200; Harenberg, FR 2002, 109, 110; Haisch/Danz, DStR 2005, 2108,
2113). Daran fehlt es bei Indexzertifikaten, weil sie nur auf das synthetische
Produkt des Index bezogen sind, in dem Anteile an Aktiengesellschaften nur
rechnerisch zusammengefasst sind. Eine erweiternde Auslegung der gesetzlichen
Formulierung ist nach der Ansicht des Senats nicht möglich, da der Wortlaut die
äußerste Grenze der möglichen Auslegung bildet.
Andererseits hätte es einer gesonderten Nennung der Optionsscheine nach dem
Willen des Gesetzgebers nicht bedurft. Der Optionsschein verbrieft das
eigenständige Optionsrecht, nicht aber die Verpflichtung, eine bestimmte Menge
eines Basiswertes zu kaufen oder verkaufen (Basisinformationen über
Termingeschäfte, Bank-Verlag Medien, Juli 2007, S. 58). Wird der Optionsschein
veräußert, liegt ein normales Veräußerungsgeschäft i.S.d. Nr. 2 vor. Wird die
verbriefte Option nicht wahrgenommen, verfällt der Schein. Wird sie ausgeübt,
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verbriefte Option nicht wahrgenommen, verfällt der Schein. Wird sie ausgeübt,
kommt es zu einem Rechtsgeschäft, das als solches den herkömmlichen
Tatbestand des Satzes 1 auslöst, denn die Ausübung hängt von der Entwicklung
des Basiswertes ab. Bei Verfall und Ausübung ist also ein Unterschied und damit
zusätzlicher Regelungsbedarf zum unverbrieften Optionsrecht nicht gegeben; die
gesonderte Nennung in Satz 2 damit überflüssig (Hermann/Heuer/Raupach, EStG,
Stand 242. Lfg. August 2010, § 23 Rn. 201; Bordewin/Brandt, EStG, Stand 322. Akt.
September 2010, § 23 Rn. 146). Auch dies spricht jeweils letztlich dafür, dass Satz
2 nur erläuternden Charakter haben soll.
c. Die Anschaffungskosten der Zertifikate sind im Streitjahr gemäß § 23 Abs. 3
Satz 5 EStG in Form vergeblicher Werbungskosten als Verlust bei einem
Termingeschäft zu berücksichtigen.
Gewinn oder Verlust bei einem Termingeschäft nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 ist
gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG der Differenzausgleich oder der durch den Wert
einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmte Geldbetrag oder Vorteil abzüglich
der Werbungskosten.
Der Senat folgt insoweit der in den Urteilen des Finanzgerichts (FG) Münster vom
07.12.2005 10 K 5715/04 F, EFG 2006, 669 sowie des Niedersächsischen FG vom
12.09.2007 2 K 252/05, EFG 2008, 299 sowie in Teilen der Literatur (Blümich, EStG,
Stand Stand 106. Lfg. Mai 2010, § 23 Rn. 81; Helios/Philipp, BB 2010, 95, 97 f.,
allerdings zur neuen Rechtslage unter der Abgeltungssteuer) vertretenen
Argumentation. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzhofes (Urteile vom
19.12.2007 IX R 11/06, BStBl. II 2008, 519 und vom 09.10.2008 IX R 69/07, BFH/NV
2009, 152 sowie Beschluss vom 13.01.2010 IX B 110/09, BFH/NV 2010, 869) ist der
Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht erst dann erfüllt, wenn der
Options- oder Zertifikatsinhaber durch die Beendigung des erworbenen Rechtes
tatsächlich einen Differenzausgleich erlangt, also das Basisgeschäft tatsächlich
durchgeführt wird.
Nicht nur das System des Einkommensteuerechtes gebietet es, dass dort, wo aus
einer Tätigkeit Gewinne besteuert werden dürfen, auch Verluste steuerliche
Anerkennung finden müssen. Hier erscheint, jedenfalls auf Seiten des
Rechteinhabers, die strikte Trennung des Bundesfinanzhofes in Eröffnungs-, Basis-
und Gegengeschäft (Urteil vom 17.04.2007 IX R 40/06, BStBl. II 2007, 608) als zu
formal. Sie lässt bei der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen
Betrachtungsweise außer Acht, dass auf Seiten des Rechteerwerbers das
Eröffnungsgeschäft wirtschaftlich immer wegen des Basisgeschäfts bzw. des durch
dieses Geschäft zu vermittelnden Vorteils abgeschlossen wird.
Die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verletzt den Grundsatz
der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies gilt
insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – hunderte
gleichartiger Geschäfte tätigt und die daraus resultierenden Gewinne versteuern
muss, ihm jedoch die Anerkennung eines Verlustes versagt wird, weil es – wenn
auch infolge des hochriskanten Charakters des Geschäftes – durch den Eintritt des
Knock-Out-Ereignisses nicht mehr zur Ausführung des Basisgeschäftes kam (und
die Wertpapiere auch nicht mehr veräußerbar waren). Der Senat verkennt nicht,
dass § 23 EStG den Überschusseinkünften nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG zugeordnet
ist, die grundsätzlich auf die Besteuerung der Erträge des für die
Einkünfteerzielung eingesetzten Vermögens beschränkt sind und Veränderungen
des Vermögens grundsätzlich steuerlich neutral stellen. Mit § 23 EStG (a.F.) sollten
jedoch Wertsteigerungen auch privaten Vermögens steuerlich erfasst werden, die
als Erfolg einer gerade auf Wertsteigerung und nicht auf Fruchtziehung gerichteten
Tätigkeit anzusehen waren. In der Sache geht es damit um die Besteuerung des
Gewinns, nämlich des Unterschiedsbetrages zwischen dem Wert des
Vermögensgegenstandes zum Zeitpunkt des Erwerbs und seiner Veräußerung
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.07.2010 2 BvL 14/02-2/04-13/05,
juris). Diese vom Bundesverfassungsgericht für die Nr. 1 des § 23 Abs. 1 Satz 1
EStG gemachte Aussage gilt in gleichem Maße für die Nr. 4 der Norm, mit der
Maßgabe, dass nicht auf die Veräußerung, sondern die Beendigung des Rechtes
abzustellen ist. Denn auch die Tätigkeit bei Termingeschäften ist nicht auf
Fruchtziehung, sondern über die Entwicklung des Basiswertes auf die Erzielung von
Wertsteigerungen des eingesetzten Vermögens gerichtet. In diesen Fällen ist der
Gewinn oder Verlust als Unterschiedsbetrag des den gesamten Behaltenszeitraum
zwischen Erwerb und Beendigung umfassenden Vergleichs zu ermitteln. Dies
bedeutet aufgrund des bei den Gewinneinkunftsarten geltenden
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bedeutet aufgrund des bei den Gewinneinkunftsarten geltenden
Realisationsprinzips, dass der Verlust im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 5 EStG in dem
Zeitpunkt realisiert wird, in dem der Eintritt des Knock-Out-Ereignisses am . .2006
zum Totalverlust des vom Ast. eingesetzten Kapitals führte. Insoweit gebührt der
Besteuerung nach der Systematik des Einkommensteuerrechtes sowie dem
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der
Vorrang vor einem etwa entgegenstehenden Wortlaut im 1. Halbsatz der Nr. 4, der
– isoliert betrachtet – auf das tatsächliche Erlangen eines Vorteils aus dem
Basisgeschäft abstellt (BFH-Urteil vom 19.12.2007 IX R 11/06, BStBl. II 2008, 519).
Hinzu kommt, dass es - wie die beiden Urteile des FG Münster vom 07.12.2005 10
K 5715 F, EFG 2006, 669 und des Niedersächsischen FG vom 12.09.2007 2 K
252/05, EFG 2008, 299 aufgezeigt haben – nach dem Wortlaut des 2. Halbsatzes
und damit im Rahmen einer gebotenen Gesamtauslegung des Wortlauts
ausreicht, dass das Eröffnungsgeschäft nur auf die Erlangung eines
Differenzausgleiches gerichtet war und es im Folgenden auf irgendeine Weise – sei
es durch Ausübung, Barausgleich, Glattstellung an der EUREX oder bloßem Verfall
– zur Beendigung des Geschäftes kommt.
2. Auf das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 69 FGO kommt es nach
dem Gesagten nicht mehr an.
3. Die Aussetzung war ermessensgerecht bis zum Abschluss des
außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens zu begrenzen (siehe hierzu Gräber,
FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 151).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Beschwerde war gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO im
Hinblick auf die wortlautgleiche Nachfolgeregelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a
EStG zuzulassen; und zwar sowohl zur Klärung des steuerrechtlichen Bedeutung
des Termingeschäftes als auch der Erheblichkeit der Anschaffungskosten endgültig
verfallener Zertifikate.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.