Urteil des FG Hessen vom 12.07.2007

FG Frankfurt: besteuerung der kapitalgesellschaft, umwandlung, eigenkapital, verfassungskonforme auslegung, gewinnausschüttung, kapitalerhöhung, steuerbelastung, verfügung, reduktion, gesellschafter

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2002
Aktenzeichen:
4 K 3540/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 38 Abs 1 S 1 KStG 2002, §
38 Abs 2 S 1 KStG 2002, § 36
Abs 7 KStG 2002, § 30 Abs 2
Nr 2 KStG 2002, § 5 Abs 1 Nr 2
KStG 2002
Regelungslücke in § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG 2002 bei
Umwandlung von Alt-EK02 in Nennkapital
Verwendungsreihenfolge; Altkapital; Umwandlung;
Nennkapital; teleologische Reduktion
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob für die Ausschüttung des Bilanzgewinns der
Klägerin für das Wirtschaftsjahr 2001 im Jahre 2002 das bei Abschaffung des
Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens zum 31.12.2000 festgestellte und
zum 31.12.2001 fortgeschriebene verwendbare Eigenkapital 02 (Alt-EK 02) nach §
38 Abs. 1 S. 4 KStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung – KStG - als
verwendet gilt und sich dadurch die Körperschaftsteuer nach § 38 Abs. 2 S. 1 KStG
erhöht.
Die Klägerin ist zur Erfüllung ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe
grundsätzlich nach § 5 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuer befreit. Allerdings
sah § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG a.F. vor, dass unter Geltung des Körperschaftsteuer-
Anrechnungsverfahrens eine Steuerpflicht der Klägerin eintrat, soweit nach den
Vorschriften des §§ 27 ff KStG a.F. die Ausschüttungsbelastung herzustellen war.
Als von der Körperschaftsteuer befreite Körperschaft waren bei der Klägerin unter
Geltung des alten Körperschaftsteuer-Anrech-nungsverfahrens sämtliche
(thesaurierten) Gewinne in den Teilbetrag des sogenannten EK 02 nach § 30 Abs. 2
Nr. 2 KStG a.F. einzustellen und im Falle der Ausschüttung die
Ausschüttungsbelastungen in Höhe von 3/7 der Ausschüttungssumme
herzustellen. Hiervon ausgenommen waren Ausschüttungen an die A, da diese
ebenfalls nach § 5 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuer befreit und vom
Anrechnungsverfahren ausgeschlossen
war.
Mit Abschaffung des Anrechnungsverfahrens und Aufhebung des § 5 Abs. 2 Nr. 2
KStG a.F. hätte ein Verbrauch dieses Alt-EK 02 zu keiner Steuerbelastung mehr
geführt, wenn nicht durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom
20.12.2001 (Bundessteuerblatt I 2001, Seite 35) in § 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG geregelt
worden wäre, dass die Körperschaftsteuerbefreiungen nach § 5 Abs. 1 KStG nicht
greifen, soweit eine Körperschaftsteuerbelastung nach § 38 Abs. 2 KStG wegen
Verwendung von Alt-EK 02 erfolgt. Dazu waren die Bestandteile des verwendbaren
Eigenkapitals bei Abschaffung des Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens
nach § 36 Abs. 7 KStG festzustellen und fortzuschreiben. Nach § 38 Abs. 2 KStG
erhöht sich im Falle einer Ausschüttung von Alt-EK 02 die Körperschaftsteuer des
Wirtschaftsjahres in dem die Ausschüttung erfolgt, um 3/7 des
Ausschüttungsbetrages, soweit die Ausschüttung nicht an einen selbst
steuerbefreiten Gesellschafter erfolgt (§ 38 Abs. 3 KStG).
Bei der Klägerin wurde mit Bescheid vom 16.12.2002 über die gesonderte
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Bei der Klägerin wurde mit Bescheid vom 16.12.2002 über die gesonderte
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG a.F. zum
31.12.2000 ein Bestand des EK 02 in Höhe von 76.945 DM (39.341 €) festgestellt.
Dieser Betrag entspricht der Summe der Gewinnrücklagen in der Handelsbilanz.
Ausweislich der Handelsbilanz setzte sich das Eigenkapital der Klägerin zum
31.12.2000 wie folgt zusammen:
Im Wirtschaftsjahr 2001 führte die Klägerin zur Glättung ihres Stammkapitals eine
Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln von 190.200 € auf 200.000 € durch (vgl.
§ 57c GmbHG). Da eine Kapitalrücklage bei der Klägerin nicht vorhanden war,
wurde handelsrechtlich die Stammkapitalerhöhung vollständig durch eine teilweise
Umwandlung der Gewinnrücklage des Alt-EK 02 in Höhe von 9.799 € finanziert. Um
sicherzustellen, dass bei einer möglichen Kapitalherabsetzung dieser aus den
Rücklagen finanzierte Teil des Nennkapitals als Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr.
2 EStG beim Anteilseigner erfasst wird, wurde dieser Teil des Nennkapitals nach §
28 Abs. 1 S. 2 KStG getrennt und gesondert ausgewiesen und mit Bescheid vom
08.12.2003 festgestellt.
Den im Wirtschaftsjahr 2000 erzielten Bilanzgewinn schüttete die Klägerin in 2001
aus. Da die Gewinnausschüttung noch nach den Regeln des
Anrechnungsverfahrens abzuwickeln war, führte die Finanzierung der
Gewinnausschüttungen von 5.317 € mit der teilweisen Herstellung der
Ausschüttungsbelastung (§ 34 Abs. 12 S. 1 Nr. 1 KStG und § 27 Abs. 1 i.V.m. § 40
Abs. 1 Nr. 2 KStG a.F.) zu einem festzustellenden Endbestand des Alt-EK 02 zum
31.12.2001 in Höhe von 32.429 € der mit Bescheid vom 8.12.2003 über die
gesonderte Feststellung der Endbestände gemäß § 36 Abs. 7 KStG auf den
31.12.2001 festgestellt wurde. Der in 2001 erzielte Bilanzgewinn belief sich auf
7.987 €.
Zum 31.12.2001 ergab sich daher folgendes Eigenkapital:
Im Wirtschaftsjahr 2002 schüttete die Klägerin mit Beschluss vom 29.4.2002 einen
Betrag in Höhe des Bilanzgewinns 2001 von 7.987 € an die Gesellschafter aus. Das
Finanzamt sah darin eine Verwendung des bis zum 31.12.2000 angesammelten
Alt-EK 02 und setzte mit Körperschaftsteuerbescheid vom 20.04.2004 für 2002 die
Körperschaftsteuer in Höhe von 2.394 € fest. Die Festsetzung der
Körperschaftsteuer beruhte ausschließlich auf der Anwendung des § 38 Abs. 2
KStG, wonach die Steuerbefreiung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG nicht greift soweit
nicht körperschaftsteuerbelastetes Alt-EK ausgeschüttet wird. Dabei
berücksichtigte das Finanzamt, dass der Teil der Ausschüttung soweit er auf die A
entfiel nach § 38 Abs. 3 KStG steuerfrei ist.
Die Berechnung des Erhöhungsbetrages erfolgte unter wortlautgetreuer
Anwendung der § 38 Abs. 1 S. 4, 5 i.V.m. § 27 Abs. 1 S. 4 KStG unter
Berücksichtigung der Bestände zum 31.12.2001. Danach ergab sich nach Abzug
des gezeichneten Kapitals in Höhe von 200.000 € vom Eigenkapital der Klägerin
zum 31.12.2001 von 230.876 € ein ausschüttbarer Gewinn in Höhe von 30.878 €.
(Ein positiver Bestand des steuerlichen Einlagekontos war zum 31.12.2001 nicht
vorhanden.) Hiervon wurde der Bestand nach § 38 Abs. 1 S. 1 KStG in Höhe von
32.429 € abgezogen. Da sich hierbei ein Negativbetrag ergab, galt letztendlich für
die gesamte Ausschüttung das Alt-EK 02 i.S.v. § 38 Abs. 1 KStG als verwendet.
Abzüglich des auf die A als Anteilseigner entfallenden Anteils der Ausschüttung,
der nach § 38 Abs. 3 KStG nicht zu einer Körperschaftsteuererhöhung führte,
verblieb ein Betrag von 5.587 €, auf den eine Körperschaftsteuererhöhung von
2.394 € entfiel.
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Körperschaftsteuererhöhung gemäß § 38 Abs. 2 KStG (= 3/7) 2.394 €
Diesen Betrag setze das Finanzamt mit Körperschaftsteuerbescheid 2002 vom
20.04.2004 fest. Der verbleibende Teilbetrag im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 1 KStG
wurde mit Bescheid zum 31.12.2002 über die gesonderte Feststellung der
Besteuerungsgrundlagen gemäß § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 S. 3 und § 38 Abs. 1
KStG vom 20.04.2004 in Höhe von 22.047 € festgestellt. Der durch Umwandlung
von Rücklagen in Nennkapital entstandene Teilbetrag nach § 28 Abs. 1 S. 3 KStG
wurde unverändert mit 9.799 € übernommen.
Gegen diese Bescheide wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch und machte
geltend, dass die Körperschaftsteuerfestsetzung auf einer planwidrigen,
gesetzlichen Regelungslücke in § 38 Abs. 1 KStG beruhe. Die Norm sei im Wege
einer teleologischen Auslegung dahingehend zu ergänzen, dass - soweit eine
Nennkapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln stattgefunden habe, für die bei
wirtschaftlicher Betrachtung Alt-EK 02 als verwendet gelte - im Rahmen der
Differenzregelung des § 38 Abs. 1 KStG dieser Betrag durch Addition zum
ausschüttbaren Gewinn erhöhend zu berücksichtigen sei. Das Finanzamt wies den
Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 17.09.2004 zurück. Dabei führte es
aus, dass die steuerliche Beurteilung dem Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften
entspreche. Auch könne es dahinstehen, ob eine planwidrige Regelungslücke
vorliege, da das Finanzamt durch den Wortlaut des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3
Grundgesetz -GG- gebunden und demzufolge eine Interpretation der
anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen in dem von der Klägerin
gewünschten Sinne nicht zulässig sei.
Im Klageverfahren begehrt die Klägerin weiterhin die Körperschaftsteuer 2002 auf
Null festzusetzen und den Teilbetrag im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 1 KStG zum
31.12.2002 in Höhe von 32.429 € festzustellen.
Sie macht geltend, im vorliegenden Fall sei der unter Geltung des
Halbeinkünfteverfahrens erwirtschaftete und nicht von dem Teilbetrag des § 38
Abs. 1 S. 1 KStG umfasste Gewinn des Jahres 2001 ausgekehrt worden. Die vom
Finanzamt vorgenommene Berechnung nach § 38 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 4 KStG
sei rechtswidrig, da der Teilbetrag, der für die Kapitalerhöhung aus
Gesellschaftsmitteln verwendet worden sei, doppelte Berücksichtigung gefunden
habe. Zum einen sei er im Nennkapital zum 31.12. 2001 enthalten gewesen und
zum andern sei er nochmals über den zum 31.12.2001 festgestellten Teilbetrag
nach § 38 Abs. 1 S. 1 KStG, der in unveränderter Höhe inklusive der daraus
gespeisten Kapitalerhöhung angesetzt wurde, in Abzug gebracht worden.
Ein solcher doppelter Einbezug sei unzulässig, da die für den Übergangszeitraum
vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren geschaffenen Vorschriften die
bisherige Verwendungsreihenfolge beibehalten wollten. Sinn der Norm des § 38
Abs. 1 KStG sei es, die unter Geltung des Anrechnungsverfahrens im Falle von aus
dem EK 02 zu finanzierenden Gewinnausschüttungen vorzunehmende Herstellung
der Ausschüttungsbelastung (§ 27 Abs. 1 KStG a.F.) auf der Ebene der
ausschüttenden Gesellschaft durch eine entsprechende Erhöhung der
Körperschaftsteuer nachzubilden, ohne die bisherige Reihenfolge der
Eigenkapitalverwendung nach dem Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens
umzukehren. Nach dem Anrechnungsverfahren seien aber aufgrund der
Verwendungsfiktion (§ 28 Abs. 3 KStG a.F.) Leistungen regelmäßig entsprechend
der Höhe der Tarifbelastung (Reihenfolge des § 30 KStG a.F.) zugunsten der
ausschüttenden Gesellschaft mit der Leistung verrechnet worden. EK 02-Bestände
hätten demzufolge aufgrund dieser Systematik erst nach den belasteten
Eigenkapitalbestandteilen sowie dem EK 01 und somit auch nach neuen Erträgen
aus einem abgelaufenen Jahr, für das ausgeschüttet wurde, als verwendet
gegolten.
Die Klägerin meint, dass eine entsprechende Auslegung der
Verwendungsreihenfolge nicht vom Wortlaut des § 38 KStG abweiche. § 38 Abs. 1
S. 4 KStG verweise auf die Norm des § 27 KStG insgesamt, sodass dabei auch die
Spezialvorschrift des § 28 KStG im Rahmen dieses Verweises mit zu
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Spezialvorschrift des § 28 KStG im Rahmen dieses Verweises mit zu
berücksichtigen sei. Dies habe zur Folge, dass das Eigenkapital um den Bestand
des Einlagekontos zu vermindern sei. Nach § 28 Abs. 1 KStG gelte aber bei
Umwandlung von Rücklagen in Nennkapital der positive Bestand des Einlagekontos
wie vor der Umwandlung. Dementsprechend sei auch bei der Berechnung des aus-
schüttbaren Gewinns das gezeichnete Kapital vor der Umwandlung anzusetzen.
Auch könne als verwendet im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 3 KStG nur gelten, was
verwendbar gewesen sei. Dies sei zumindest nicht das in Nennkapital
umgewandelte Alt-EK.
Selbst wenn eine entsprechende Auslegung des Wortlauts der Norm des § 38 Abs.
1 S. 4 KStG nicht zu dem o.g. Ergebnis führe, sei eine teleologische Reduktion des
Wortlauts der Norm vorzunehmen. § 38 KStG sei Teil der Sondervorschriften, die
eine Fortführung der Vorschriften zur Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals
nach § 27a.F. Körperschaftsteuergesetz, insbesondere hinsichtlich der
Verwendung, vorsähen. Die verfassungskonforme Auslegung der
Übergangsregelung nach dem rechtsstaatlichen Kontinuitätsprinzip gebiete daher,
dass Alt-EK 02 nur als verwendet gelte, wenn keine anderen Beträge mehr
verfügbar seien.
Dafür spreche die sachlich vorgeschriebene Verwendungsreihenfolge für das Alt-EK
04, das als steuerliches Einlagekonto nach § 27, § 28 Körperschaftsteuergesetz
fortgeschrieben werde. Wäre Alt-EK 04 vorhanden gewesen, hätte sich die
Verwendungsreihenfolge bei einer Kapitalerhöhung nicht umgekehrt. Der im
Rahmen der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 S. 3 KStG abzuziehende Bestand
des fortgeschriebenen Alt-EK 04 enthalte gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 KStG nicht mehr
den Betrag, der in Nennkapital umgewandelt worden sei. Das heißt, wenn im
vorliegenden Fall an Stelle von (übergangsweise) fortgeschriebenen EK 02 nur
(dauerhaft) fortgeschriebenes EK 04 vorhanden gewesen wäre, so wäre für die
Differenzrechnung zur Ermittlung einer Verwendung des fortgeschriebenen EK 04
kein doppelter Abzug des umgewandelten EK 04, zum einen als Teil des
gezeichneten Kapitals, zum anderen als Teil des Bestands des steuerlichen
Einlagekontos, vorgenommen worden.
Eine andere Verwendungsreihenfolge würde dem Gesetzeszweck widersprechen,
weil nach der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln erst durch einen weiteren
Zugang von neutralem Vermögen (Gewinn) eine Gewinnausschüttung ohne
Kapitalherabsetzung möglich werde. Die Vorschrift bezwecke erst dann eine
Steuerbelastung, wenn die Eigenkapitalanteile die Sphäre des Unternehmens
verließen, weil keine anderen Vermögensbestandteile mehr für die
Gewinnausschüttung zur Verfügung stünden.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Es verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und führt
ergänzend aus, dass die Verwendungsreihenfolge des Anrechnungsverfahrens im
Rahmen der Übergangsregelung zwar grundsätzlich nicht geändert werden sollte.
Gleichwohl bedeute eine solche grundsätzliche Fortführung des Gedankens einer
Verwendungsreihenfolge jedoch nicht, dass die Grundsätze des
Anrechnungsverfahrens vollständig deckungsgleich in die Übergangsregelungen
übernommen worden seien. Es werde vielfach deutlich, dass es vom Gesetzgeber
beabsichtigte und gewollte Abweichungen gegenüber dem Anrechnungsverfahren
geben könne. Beispielhaft verweist das Finanzamt an dieser Stelle auf die
Problematik der Mehrfachverwendung, die es im alten Recht überhaupt nicht
gegeben habe. Nach den Grundsätzen des Anrechnungsverfahrens hätte bei der
Verwendungsreihenfolge des § 28 KStG a.F. für die jeweils nachfolgenden
Eigenkapitaltöpfe nur noch der Betrag verwendet und verrechnet werden können,
für den der jeweils vorangegangene Eigenkapitaltopf unter Berücksichtigung des
sich hieraus ergebenden Körperschaftsteuerminderungsbetrages (§ 28 Abs. 6 S. 1
KStG a.F.) nicht ausgereicht habe. Nach dem hier in Rede stehenden
Berechnungsschema flössen jedoch im Halbeinkünfteverfahren Beträge, für die
eine Minderung nach § 37 KStG gewährt worden sei, nicht mindernd ein, sodass
Konstellationen eintreten könnten, für die bei ein und demselben Betrag neben
einer Körperschaftssteuerminderung auch eine Körperschaftsteuererhöhung sowie
eine Verwendung des steuerlichen Einlagekontos eintrete. Dies könne gerade im
Zusammenhang mit dem steuerlichen Einlagekonto auf Ebene des
Ausschüttungsempfängers zu Wertungskollisionen führen, da nur nicht aus dem
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Ausschüttungsempfängers zu Wertungskollisionen führen, da nur nicht aus dem
steuerlichen Einlagekonto gespeiste Beträge eine Besteuerung nach § 20 EStG
auslösten.
Das Finanzamt nennt im folgenden weitere Beispiele, in denen die
Verwendungsreihenfolge nach dem bisherigen Anrechnungsverfahren von der
Verwendungsrechnung im Rahmen der Übergangsvorschriften abweicht. Dazu wird
im Einzelnen auf die Schriftsätze des Finanzamts vom 20.9.2006 und vom
18.01.2006 verwiesen. Es macht deutlich, dass die Grundsätze des
Anrechnungsverfahrens nicht vollständig im Rahmen der Übergangsvorschriften
zum Halbeinkünfteverfahren Gültigkeit hätten. Dazu führt es aus, dass die
bilanzielle Sicht der Verwendungsreihenfolge nicht allein ausschlaggebend für die
Frage der Verwendung der steuerlichen Teilbeträge des Eigenkapitals sei. Dies
gelte im Halbeinkünfteverfahren umso mehr, da eine unmittelbare Verzahnung
mit der Steuerbilanz und ein jährlicher Abgleich hierzu, wie in § 29 KStG a.F.
geregelt, so nicht mehr bestehe.
Weiterhin geht das Finanzamt auf den Sinn und Zweck des Sonderausweises nach
§ 28 Abs. 1 S. 3 KStG ein und führt aus, dass durch den Sonderausweis bei einer
Nennkapitalherabsetzung eine zutreffende steuerliche Behandlung beim
Gesellschafter sichergestellt werden solle. Dabei weißt es darauf hin, dass nach
der früheren Regelung des § 29 Abs. 3 KStG a.F. keine direkte Verbindung zu
irgend einem gliederungstechnischen Eigenkapitaltopf bestanden habe, sondern
die Auskehrung von Nennkapital verbunden mit der Auflösung des
Sonderausweises zu einer Körperschaftssteuererhöhung hätte führen können,
obwohl der Sonderausweis ursprünglich aus Mitteln gebildet worden sei, die den
Beständen des EK 40 zugeordnet gewesen seien und die ein
Körperschaftssteuerminderungspotential repräsentierten.
Für eine teleologische Reduktion der Norm des § 38 Abs. 1 KStG sei kein Raum, da
die Wirkung der Vorschrift, so wie sie innerhalb der angegriffenen Bescheide
bearbeitet worden sei, zu einem zutreffenden Ergebnis führe und keinesfalls zu
einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Übermaß. Eine Regelungslücke liege
nicht vor. Wie § 38 Abs. 3 KStG zeige, habe der Gesetzgeber eine detaillierte
Regelung getroffen und die Besonderheit der Beteiligung steuerbefreiter
Körperschaften erkannt. Im Rahmen der Übergangsvorschriften habe der
Gesetzgeber eine Regelung schaffen wollen, wonach die Altkapitaltöpfe möglichst
schnell verbraucht würden. Dabei müssten Härten in Kauf genommen werden. Im
Übrigen könne das unerwünschte Ergebnis durch Steuergestaltungsmaßnahmen
umgangen werden. Die Rechtsauffassung der Klägerin unterstellt, wäre es dem mit
einem Altbestand EK 02 belasteten Steuerpflichtigen ansonsten möglich, eine
Nennkapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durchzuführen und damit die
Verwendung dieses Teilbetrages für künftige Gewinnausschüttungen zu sperren.
Nach Ablauf der gesetzlichen Übergangsfrist würde diese Besteuerung entfallen
und eine entsprechende anschließende Auskehrung aus Nennkapital wäre auf der
Ebene der Gesellschafter steuerfrei. Dies würde in der Gesamtschau zu völlig
unzutreffenden Ergebnissen führen.
Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit das Finanzamt in seinem
angefochtenen Körperschaftssteuerbescheid davon ausgeht, dass bei der
Ausschüttung in 2002 fortgeschriebenes Alt-EK 02 als verwendet gilt und dass zu
einer Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 KStG führt.
a. Ausgehend vom reinen Wortlaut des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG hat das Finanzamt
bei der Gewinnausschüttung der Klägerin im Jahr 2002 zunächst zutreffend eine
Ausschüttung von Alt-EK 02 angenommen und unter Beachtung von § 38 Abs. 3
KStG nach Abs. 2 der Norm eine Körperschaftsteuererhöhung festgestellt.
Nach § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG gilt das Alt-EK 02 als für Leistungen verwendet,
soweit die Summe der Leistungen, die die Gesellschaft im Wirtschaftsjahr erbracht
hat den um den Bestand verminderten ausschüttbaren Gewinn (§ 27 KStG)
übersteigt. Dabei bestimmt § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG, dass das um das
gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital
(abzüglich des Bestandes des steuerlichen Einlagekontos) als ausschüttbarer
Gewinn gilt. Danach ergibt sich im Streitfall nach Abzug des gezeichneten Kapitals
in Höhe von 200.000,-- EUR vom Eigenkapital der Klägerin zum 31.12.2001 von
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in Höhe von 200.000,-- EUR vom Eigenkapital der Klägerin zum 31.12.2001 von
230.876,-- EUR ein ausschüttbarer Gewinn in Höhe von 30.876,-- EUR; nach Abzug
des Altkapitalbestandes nach § 38 Abs. 1 Satz 1 KStG in Höhe von 32.429,-- EUR
ergibt sich sodann ein Negativbetrag. Das hat zur Folge, dass nach dem Wortlaut
der Norm für die gesamte Ausschüttung das Alt-EK 02 im Sinne von § 38 Abs. 1
KStG als verwendet gilt obwohl mit dem Gewinn aus 2001 ausreichend neutrales
Vermögen zur Verfügung stand, dessen Verwendung zu keiner
Körperschaftsteuererhöhung führt.
b. Soweit die Klägerin eine Auslegung des Wortlauts des § 38 Abs. 1 KStG
dahingehend vornimmt, dass § 38 Abs. 1 S. 4 KStG zur Ermittlung des
verwendeten Kapitals auf die Norm des § 27 KStG insgesamt verweise und somit
die Spezialvorschrift des § 28 KStG im Rahmen des Verweises mit zu
berücksichtigen sei, so vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Verweis in § 38
Abs. 1 S. 4 KStG bezieht sich ausdrücklich auf den Begriff des ausschüttbaren
Gewinns, der in § 27 Abs. 1 S. 4 KStG konkret definiert ist.
c. Die vom Finanzamt umgesetzte, sich aus dem reinen Gesetzeswortlaut
ergebende Rechtsfolge, ist jedoch mit der Gesetzessystematik der
Übergangsregelungen des §§ 36 ff. KStG nicht vereinbar. Nach Überzeugung des
Gerichts liegt im Falle der Umwandlung von Alt-EK 02 in Nennkapital in § 38 KStG
eine Regelungslücke vor, die durch eine teleologische Reduktion der Norm
zweckentsprechend zu schließen ist. Ausgehend vom Regelungszweck des
Gesetzes gilt Alt-EK 02 nicht als verwendet, soweit wie im Streitfall ausreichend
ausschüttbares Vermögen (z.B. Gewinne ab 2001) zur Verfügung steht.
(1) Die durch das Steuersenkungsgesetz in das Körperschaftsteuergesetz
aufgenommenen Regelungen sollen den Systemwechsel vom Anrechnungssystem
zum Halbeinkünfteverfahren gewährleisten. Sie sehen einen gleitenden Wechsel
auf das neue Körperschaftsteuersystem während eines achtzehnjährigen
Übergangszeitraums unter Fortsetzung des bisherigen Anrechnungsverfahrens in
eingeschränkter und modifizierter Form vor. Danach sollen Altrücklagen, die nach
dem Systemwechsel zur Finanzierung von Ausschüttungen dienen einer
Körperschaftsteuerdefinitivbelastung von 30 % unterliegen, bevor sie auf Ebene
der Anteilseigner dem Halbeinkünfteverfahren unterworfen werden
(Bundestagsdrucksache -BT-Drs- 14, 2683 S. 121). Wie beim
Anrechnungsverfahren soll eine Steuerbelastung erst dann eintreten, wenn die
Eigenkapitalbestandteile die Sphäre des Unternehmens verlassen. Um die
Herstellung der Ausschüttungsbelastung zu gewährleisten wird in der
Übergangsphase weiterhin zwischen den verschieden belasteten und den
unbelasteten Eigenkapitalanteilen unterschieden. Es entfällt lediglich die bisher in
§§ 27 ff. KStG a.F. vorgesehene einheitliche Gliederung sämtlicher Positionen des
verwendbaren Eigenkapitals. Stattdessen erfolgt eine getrennte Fortschreibung
und eine Reduzierung der verschiedenen Eigenkapitalkonten.
(2) Die Verwendungsreihenfolge der Eigenkapitalanteile bei der Ausschüttung
sollte durch die Übergangsregelungen der §§ 36 ff KStG nicht geändert werden.
Zwar sehen die Übergangsvorschriften hinsichtlich der Verwendungsreihenfolge
keine ausdrückliche Regelung wie in § 28 Abs. 3 KStG a.F. vor. Gleichwohl ergibt
sich aus den Gesetzmaterialien und der Entstehungsgeschichte des § 38 KStG,
dass die bisherige Verwendungsreihenfolge, beibehalten werden sollte. Danach
gelten die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals nach dem sogenannten
„Günstigerprinzip“ in der in § 30 KStG a.F. enthaltenen Reihenfolge der
abnehmenden Steuerbelastung als für eine Ausschüttung verwendet (Kruhl,
Bundesregierung stellt Pläne zur Reform der Unternehmens-besteuerung vor,
Betriebsberater 2000, 173.). In den Gesetzgebungsmaterialien, heißt es dazu,
„dass die bisherigen Vorschriften des Anrechnungsverfahrens insbesondere die
Verwendungsreihenfolge des § 28 Abs. 3 KSt zu beachten“ ist. Weiterhin führt der
Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung nochmals ausdrücklich aus, dass Alt-EK
02 erst dann als für Ausschüttungen als verwendet gilt, wenn die Gesellschaft
außer dem Bestand an EK02 und dem Bestand des steuerlichen Einlagekontos
über keine anderweitigen ausschüttungsfähigen Rücklagen mehr verfügt (BT-Drs
14, 2683 S. 121). Der Gesetzgeber hat sich damit eindeutig zur Beibehaltung der
bisherigen Verwendungsreihenfolge bekannt.
Diese dem bisherigen Anrechnungsverfahren entsprechende Systematik hat der
Gesetzgeber in den umfangreichen Sonderregelungen der §§ 36 ff. KStG im
Einzelnen umgesetzt. Dabei hat er die nach Umstellung des
Körperschaftsteuersystems erzielten Neugewinne mit einbezogen. Aus dem
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Körperschaftsteuersystems erzielten Neugewinne mit einbezogen. Aus dem
Sachzusammenhang der verschiedenen Vorschriften ergibt sich, dass vorrangig
die Rücklagen als verwendet gelten, die ein Körperschaftsteuerguthaben
repräsentieren, danach das sogenannte neutrale Vermögen, das aus den nach
der Systemumstellung erzielten Gewinnen der Kapitalgesellschaft sowie aus
Altrücklagen des EK30 und EK01/EK03 besteht und erst dann die Altrücklagen aus
den unbelasteten Teilbeträgen im Sinne des § 38 Abs. 1 KStG (alt EK02) (Dörner,
Die Besteuerung der Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter nach dem
Steuersenkungsgesetz, Informationen für Steuer und Wirtschaft InfStuW 2000,
545; Wesselbaum-Neugebauer, Auswirkungen der Umstrukturierung der
Eigenkapitalgliederung, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2000, 1896, 1899).
(3) Ausgehend von dieser systemgerechten Verwendungsreihenfolge würde im
Streitfall der im Jahr 2001 erzielte Gewinn als steuerlich neutrales Vermögen als für
die Ausschüttung und das gesondert festgestellte Alt-EK 02 - wie von den
Gesellschaftern beschlossen - als zur Nennkapitalerhöhung verwandt gelten. Dass
dies auch von der Klägerin gewollt war, zeigt sich daran, dass der Gewinn
betragsgleich ausgeschüttet wurde. Dies hätte zur Folge, dass keine
Körperschaftsteuererhöhung nach § 38 Abs. 2 KStG eintritt, denn die
Nennkapitalerhöhung stellt keine Leistung im Sinne des § 38 Abs. 1 KStG dar. Sie
führt nur zu einer Kapitalverlagerung auf der Ebene der Gesellschaft, so dass die in
Nennkapital umgewandelten Rücklagen bezogen auf das Alt-EK 02 Bestandteil des
Finanzierungstopfes bleiben und zur Finanzierung einer Gewinnausschüttung
weiterhin zur Verfügung stehen (Dötsch, Kommentar zum
Körperschaftsteuergesetz, § 28 KStG Rn. 40). Letztlich bezweckt die Vorschrift des
§ 38 KStG eine Steuerbelastung erst dann, wenn die Eigenkapitalanteile die
Sphäre des Unternehmens verlassen, weil keine anderen ausschüttbaren
Vermögensbestandteile mehr vorhanden sind.
(4) Soweit die Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG ihrem Wortlaut nach dagegen
bei Nennkapitalerhöhungen eine vorrangige Verwendung des Alt-EK 02 mit der
sich daraus ergebenden Körperschaftsteuererhöhung anordnet, widerspricht dies
dem aufgezeigten Gesetzeszweck der §§ 36 ff. KStG und der vom Gesetzgeber
gewollten Verwendungsreihenfolge nach dem sog. „Günstigerprinzip“
entsprechend dem bisherigen Anrechnungsverfahren. Zwar führt die
Verwendungsfiktion des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG über die Differenzberechnung
zwischen dem ausschüttbaren Gewinn (§ 27 KStG) und dem positiven Endbestand
im Sinne des § 36 Abs. 7 KStG im Regelfall zu einem systemgerechten Ergebnis.
Dies gilt jedoch nicht für den Fall der Nennkapitalerhöhung.
Insoweit liegt offenbar eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes vor. Denn
obwohl der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien noch ausdrücklich dargelegt
hat, dass der Bestand an EK02 erst dann als für Ausschüttungen verwendet gelten
soll, wenn keine anderweitigen ausschüttungsfähigen Rücklagen mehr vorhanden
sind (vgl. BT-Drs 14, 2683, S. 121), gibt er keine Begründung dafür, warum dies bei
einer Nennkapitalerhöhung abweichend von der Gesetzessystematik nicht gelten
soll. Auch ist kein sachlicher Grund für ein Abweichen von der systematischen
Verwendungsreihenfolge nach dem „Günstigerprinzip“ entsprechend der Regelung
des § 28 Abs. 3 KStG a.F. ersichtlich.
Vielmehr zeigt die doppelte Berücksichtigung der in Nennkapital umgewandelten
Altrücklagen bei der Berechnung i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG, nämlich sowohl bei
dem positiven Endbetrag i.S.d. § 36 Abs. 7 KStG, als auch bei dem Nennkapital im
Rahmen des ausschüttbaren Gewinns, dass der Gesetzgeber den Fall der
Nennkapitalumwandlung bei der Normabfassung wohl übersehen hat. Da die in
Nennkapital umgewandelten Rücklagen - wie oben ausgeführt - weiterhin als
ausschüttungsfähiges Altkapital zur Verfügung stehen, hätte bei systemgerechter
Umsetzung der Übergangsvorschriften der Nennkapitalerhöhungsbetrag im
Rahmen der Differenzrechnung des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG erhöhend
berücksichtigt werden müssen (Addition zum ausschüttbaren Gewinn). Dadurch
wäre sichergestellt worden, dass es nicht zu einer doppelten Kürzung kommt und
dem Sinn und Zweck der Übergangsregelungen entsprochen wird.
Dass es sich hier um eine Regelungslücke handelt, die der Gesetzgeber nicht
bedacht hat, zeigt sich auch bei einem Vergleich mit der Verwendung von Alt-EK
04. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass, wenn anstelle von
(übergangsweise) fortgeschriebenen Alt-EK 02 nur (dauerhaft) fortgeschriebenes
Alt-EK 04 vorhanden gewesen wäre, sich auf Grund einer Kapitalerhöhung in 2001
die Verwendungsreihenfolge unstreitig nicht umgekehrt hätte; denn der im
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die Verwendungsreihenfolge unstreitig nicht umgekehrt hätte; denn der im
Rahmen der Differenzrechnung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG abzuziehende
Bestand des fortgeschriebenen Alt-EK 04 enthält gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 KStG
nicht mehr den Betrag, der in Nennkapital umgewandelt worden ist. Für die
Differenzrechnung zur Ermittlung einer Verwendung des fortgeschriebenen Alt-EK
04 wäre kein doppelter Abzug des umgewandelten EK 04 zum einen als Teil des
gezeichneten Kapitals zum anderen als Teil des Bestands des steuerlichen
Einlagekontos vorgenommen worden. Für diese unterschiedliche Behandlung von
Alt-EK 02 und ALT-EK 04 besteht keinerlei sachlicher Grund.
(5). Die Ausfüllung dieser planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ist der
richterlichen Rechtsfortbildung zugänglich. Dazu ist der Gesetzeswortlaut
entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelungen systemgerecht zu ergänzen.
Zur Ausfüllung der vorliegenden Gesetzeslücke erscheint es danach geboten, die
Regelung des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG dahingehend zu ergänzen, dass soweit eine
Nennkapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln stattgefunden hat, für die bei
wirtschaftlicher Betrachtung Alt-EK 02 als verwendet gilt, im Rahmen der
Differenzregelung nach § 38 Abs. 1 KStG dieser Betrag durch Addition dem
ausschüttbaren Gewinn hinzuzurechnen ist.
d. Die Einwände des Finanzamtes sind nicht stichhaltig. Zwar nennt das Finanzamt
mehrere Beispiele von Fallkonstellationen, in denen in einzelnen
Übergangsnormen bewusste und gewollte Abweichungen von der Systematik des
Anrechnungsverfahrens vorsehen; daraus lässt sich für die konkrete
Ausgestaltung des § 38 Abs. 1 Satz 4 KStG jedoch nichts herleiten. Gründe, warum
der Gesetzgeber gerade bei der Umwandlung von Alt-EK 02 in Nennkapital einen
Systembruch vornehmen wollte, sind daraus nicht ersichtlich. Auch die
Ausführungen zu § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG lassen keine Rückschlüsse auf die
Verwendungsreihenfolge der einzelnen gliederungstechnischen Eigenkapitaltöpfe
zu. Durch die Norm soll vielmehr die steuerliche Erfassung der Erträge beim
Anteilseigner im Falle einer späteren Kapitalherabsetzung sichergestellt werden.
Die Ebene der ausschüttenden Körperschaft ist dadurch nicht betroffen. Soweit
das Finanzamt zur Begründung für die Körperschaftsteuererhöhung darauf
verweist, dass nach Ablauf der Übergangsregelung eine
Körperschaftsteuererhöhung nicht mehr realisiert werden könne, ist dies zwar
zutreffend, vom Gesetzgeber jedoch gerade gewollt (BT-Drs 14, 2683 S. 121).
Wenn der Steuerpflichtige mit dem Ausschütten von Alt-EK 02 bis zum Ablauf des
Übergangszeitraums zuwartet kann er stets eine Körperschaftsteuererhöhung
vermeiden. Dafür, dass der Gesetzgeber bewusst eine vereinfachte
Übergangsregelung schaffen wollte, die eine vorrangige Verwendung von
Altkapitalrücklagen unabhängig von der Vorbelastung mit Körperschaftsteuer
vorsieht, ist weder der gesetzlichen Regelung noch den Gesetzesmaterialien, die
sich ausdrücklich auf die Fortsetzung der nach dem Anrechnungsverfahren
bestehenden Verwendungsreihenfolge (§28 Abs. 3 KStG a.F.) berufen, zu
entnehmen. Eine vereinfachende Regelung ist insoweit lediglich hinsichtlich der
Zusammenfassung und Umgliederung einzelner Teilbeträge des verwendbaren
Eigenkapitals in § 36 Abs. 2-6 KStG erfolgt. Dass der Gesetzgeber im Rahmen
wegen einer vereinfachenden Regelung bewusst eine Regelungslücke in Kauf
genommen hat und diese damit rechtfertigt, dass das unerwünschte
systemwidrige Ergebnis durch die Möglichkeit der Steuergestaltung umgangen
werden könne, ist weder wahrscheinlich noch deuten irgendwelche Indizien darauf
hin.
e. Im Streitfall führt die teleologische Reduktion des § 38 Abs. 1 S. 4 KStG im
Ergebnis dazu, dass das Alt-EK 02 nicht als für die Ausschüttung verwendet gilt
und demzufolge keine Körperschaftsteuererhöhung vorzunehmen ist. Denn die
Summe der Leistungen, die die Klägerin im Streitjahr erbracht hat – hier die
Gewinnausschüttung (7.987€) – übersteigt nicht den um den Bestand
verminderten ausschüttbaren Gewinn (30.876 € + 9.799 €), der um den
Nennkapitalerhöhungsbetrag erhöht ist. Der Klage war daher stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1
Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen
(§ 115 Abs. 2 Nr. FGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.