Urteil des FG Hamburg vom 12.12.2013

FG Hamburg: rechtliches gehör, auflage, rechtswidrigkeit, glaubhaftmachung, erlass, verfahrensmangel, unternehmen, sorgfalt, willkür, wiederholung

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1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird nicht verletzt, wenn das Oberverwaltungsgericht eine
Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes abzulehnen, mit der
Begründung zurückweist, ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden, ohne hierzu
zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
2. Den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist nicht schon dann Genüge getan, wenn nur
aufgezeigt wird, dass die Erwägungen, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat,
unzutreffend sind. Durch die Beschwerdebegründung muss vielmehr das Entscheidungsergebnis in
Frage gestellt werden. Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt danach nur vor, wenn sich
aus den fristgerecht dargelegten Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung
und die Notwendigkeit ihrer Aufhebung ergeben.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 4. Senat, Beschluss vom 12.12.2013, 4 Bs 333/13
Art 103 Abs 1 GG, § 123 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 152a VwGO
Verfahrensgang
vorgehend VG Hamburg, 7. November 2013, Az: 11 E 1892/13, Beschluss
Tenor
Die Anhörungsrüge der Antragstellerin gegen den Beschluss des Senats vom 7. November 2013 wird
zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der
Antragsgegnerin, eine Zweckentfremdungsgenehmigung – hilfsweise verbunden mit Auflagen – zu erteilen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in der W-straße 35, das mit einem zweigeschossigen
Gebäude bebaut ist. Sie betreibt im Souterrain und im Erdgeschoss eine Kindertageseinrichtung. Für diese
Nutzung liegt eine Zweckentfremdungsgenehmigung vor. Die ca. 81 m² große Wohnung, die sich über der
Kindertageseinrichtung im Obergeschoss befindet, ist derzeit unbewohnt.
Nachdem mehrere Anträge der Antragstellerin auf Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung für eine
Nutzung auch des Obergeschosses als Kindertageseinrichtung erfolglos geblieben waren, beantragte die
Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die
Antragsgegnerin zur Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung, hilfsweise mit der Auflage,
Ersatzwohnraum zu schaffen, äußerst hilfsweise mit der Auflage, eine Ausgleichszahlung zu leisten, zu
verpflichten. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Juni 2013 ab: Die
Antragstellerin habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
Die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 7. November 2013 (4 Bs 186/13)
zurückgewiesen: Zwar habe die Antragstellerin die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung
des Verwaltungsgerichts in Zweifel gezogen. Gleichwohl habe das Verwaltungsgericht den Eilantrag im
Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht
habe.
Gegen diese ihr am 14. November 2013 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am
28. November 2013 erhobenen und begründeten Anhörungsrüge.
II.
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Die zulässige Anhörungsrüge hat in der Sache keinen Erfolg. Die Antragstellerin legt nicht dar, dass ihr
Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (§ 152a Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 VwGO). Dafür müsste sie aufzeigen, dass das Gericht entscheidungserhebliche Tatsachen oder
rechtliche Überlegungen nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen hat bzw. worin Willkür
oder ein offensichtlicher Verfahrensmangel zu sehen sein sollten. Diesen Voraussetzungen genügt das
Vorbringen der Antragstellerin nicht.
Mit ihrer Anhörungsrüge macht die Antragstellerin geltend, der Senat habe es versäumt, ihr vor der
Entscheidung über die Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni
2013 (erneut) Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dessen hätte es bedurft, weil das Verwaltungsgericht
ihren Eilantrag mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes abgelehnt habe, während der
beschließende Senat die Zurückweisung der Beschwerde darauf gestützt habe, dass sie einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Hätte der beschließende Senat ihr hierzu Gelegenheit
zur Stellungnahme gegeben, so hätte sie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zum Bestehen eines
Anordnungsanspruchs ergänzend vortragen können und vorgetragen. In ihrer Beschwerdebegründung habe
sie hierfür keine Veranlassung gehabt und sich auf eine Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen
zum Bestehen eines Anordnungsanspruchs beschränkt, weil das Verwaltungsgericht sich zu der Frage des
(Nicht-) Bestehens eines Anordnungsanspruchs nicht verhalten habe.
Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Annahme, der Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör sei
in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden. Der Senat war nicht verpflichtet, der Antragstellerin
deshalb Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme zu geben, weil er die Zurückweisung der
Beschwerde auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem sich das Verwaltungsgericht in seiner
Ausgangsentscheidung nicht auseinandergesetzt hat. Denn die Antragstellerin war gehalten, mit ihrer
Beschwerdebegründung auf alle den geltend gemachten prozessualen Anspruch tragenden Gesichtspunkte
einzugehen, ohne dass es eines Hinweises des Gerichts bedurft hätte.
Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, „aus denen die
angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist“; nur diese Gründe werden vom
Oberverwaltungsgericht geprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO ist danach nicht schon dann Genüge getan, wenn nur aufgezeigt wird, dass die Erwägungen, auf die
das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat, unzutreffend sind. Durch die
Beschwerdebegründung muss vielmehr das Entscheidungsergebnis in Frage gestellt werden. Eine
ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt danach nur vor, wenn sich aus den fristgerecht dargelegten
Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung und die Notwendigkeit ihrer
Aufhebung ergeben. Im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO „auseinandersetzen“ kann sich der
Beschwerdeführer zwar nur mit den in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Ausführungen. Das
Auseinandersetzungserfordernis tritt indes bereits nach dem Wortlaut des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO
lediglich neben das Gebot, die Gründe aufzuzeigen, derentwegen die erstinstanzliche Entscheidung
abzuändern oder aufzuheben ist. Dieser Teil der einen Beschwerdeführer treffenden Darlegungslast wird
durch eine partiell fehlende Möglichkeit der „Auseinandersetzung“ nicht gegenstandslos. Dies kann ggf. eine
Wiederholung des bzw. eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche(n) Vorbringen(s) erforderlich machen (vgl.
OVG Magdeburg, Beschl. v. 27.5.2008, NVwZ-RR 2008, 747, juris Rn. 6; VGH München, Beschl. v.
8.8.2006, 11 CE 05.2152, juris Rn. 8; OVG Greifswald, Beschl. v. 7.9.2006, 2 M 36/06, juris Rn. 4;
Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 146 Rn. 78; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013,
§ 146 Rn. 41).
Ergibt sich danach bereits unmittelbar aus dem Gesetz, dass das Darlegungs- und Begründungserfordernis
aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO umfassend gilt und nicht durch die tragenden Erwägungen des
Verwaltungsgerichts begrenzt wird, so besteht zum ersten schon nicht die Notwendigkeit eines Hinweises
darauf, dass das Beschwerdegericht andere (tragende) Erwägungen als das Verwaltungsgericht anzustellen
beabsichtigt, weil dies auf den Umfang der notwendigen Darlegung und Begründung durch den
Beschwerdeführer keine Auswirkungen hätte. Zum zweiten kann sich der Beschwerdeführer nicht mit Erfolg
darauf berufen, dass er bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht habe erkennen können,
auf welchen (Tatsachen-) Vortrag es für die Entscheidung voraussichtlich ankommen werde (vgl. hierzu
BVerfG, Beschl. v. 15.2.2011, NVwZ-RR 2011, 460, juris Rn. 13). Zum dritten schließlich ginge ein Hinweis,
wie ihn die Antragstellerin für erforderlich erachtet, zumindest teilweise ins Leere. Denn das hierdurch
veranlasste weitere Vorbringen des Beschwerdeführers könnte, sofern es sich um neuen Sachvortrag bei
unveränderter Sach- und Rechtslage handelt, mangels Einhaltung der Begründungsfrist aus § 146 Abs. 4
Satz 1 VwGO regelmäßig nicht berücksichtigt werden. Im Ergebnis nichts anderes gilt insoweit im Hinblick
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auf solche (tatsächlichen) Gesichtspunkte, die erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entstehen
und deshalb nicht rechtzeitig vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist hätten geltend gemacht werden
können. Sofern – was umstritten ist – derartige Gesichtspunkte überhaupt als im Beschwerdeverfahren
berücksichtigungsfähig angesehen werden (zum Streitstand: Kopp/Schenke, a.a.O., § 146 Rn. 43, m.w.N.),
hinge die Notwendigkeit, diese nachträglich geltend zu machen, nicht von einem Hinweis des
Beschwerdegerichts auf seine voraussichtlich anzustellenden Erwägungen ab, sondern folgte diese
Notwendigkeit unmittelbar aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und dem dort normierten umfassenden
Darlegungserfordernis.
Die vorstehenden Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts betreffend die aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitenden Hinweispflichten gegenüber
den Prozessbeteiligten im Verfahren auf Zulassung der Berufung. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts muss das Oberverwaltungsgericht dem Rechtsmittelführer in der Regel
rechtliches Gehör gewähren, wenn es einen Zulassungsantrag mit der Begründung ablehnen will, dass sich
die in Anknüpfung an die tragenden Gründe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufgeworfene
Grundsatzfrage aus anderen als den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Gründen im
Berufungsverfahren nicht stellen werde, oder wenn der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
angegriffenen Entscheidung gestützte Zulassungsantrag mit der Begründung abgelehnt werden soll, das
angegriffene Urteil erweise sich aus anderen als den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen als
richtig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.2.2011, a.a.O., juris Rn. 16, m.w.N.). Indes begrenzt § 124a Abs. 4 Satz 4
VwGO das Darlegungserfordernis im Berufungszulassungsverfahren auf die Zulassungsgründe aus § 124
Abs. 2 VwGO. Aus dieser Begrenzung der Darlegungsanforderungen leitet das Bundesverfassungsgericht die
Pflicht ab, dass ein gerichtlicher Hinweis erteilt werden muss, wenn das Oberverwaltungsgericht einen Antrag
auf Zulassung der Berufung zurückzuweisen beabsichtigt, obwohl einer der Zulassungsgründe aus § 124
Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Eine vergleichbare Begrenzung
des Darlegungserfordernisses enthält § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO für das Verfahren der Beschwerde gegen
Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes indes nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil
sich die Höhe der Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG ergibt.